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NAHOST/1065: Rivalität Saudi-Arabiens und Irans spitzt sich zu (SB)


Rivalität Saudi-Arabiens und Irans spitzt sich zu

Sunnitisch-schiitische Spannungen sorgen für Blutvergießen ohne Ende


Die Umwälzungen der letzten Wochen machen es jedem Beobachter schwer, den Überblick über das, was einige Medien den "Arabischen Frühling" nennen, zu behalten. Der Kampf der Bürger gegen politische Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit in den einzelnen Staaten hat unterschiedliche Formen angenommen und ist auch im Ausland auf unterschiedliche Weise bewertet worden. Im Extremfall wird die blutige Unterdrückung der friedlichen Proteste der Bahrainer gegen die Herrscherfamilie Al Khalifa im Westen kaum wahrgenommen, dafür aber erklärt man die versuchte Niederschlagung eines bewaffneten Aufstands gegen die staatliche Ordnung in Libyen durch die Truppen Muammar Gaddhafis zum Völkermord in spe und zum Anlaß für eine Intervention der NATO mit allem dazugehörigen diplomatisch-militärischen und medial-moralischen Gewese. Während die Oligarchien in Tunesien und Ägypten zwecks Herrschaftssicherung Zine Al Abidine Ben Ali und Hosni Mubarak haben fallenlassen, versuchen in Syrien Präsident Bashir Al Assad und in Jordanien König Abdullah mit minimalen politischen Zugeständnissen die Volksmassen zu beruhigen. Dafür droht der Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Ali Abdullah Saleh den Jemen, das Armenhaus der Arabischen Halbinsel, auseinanderzureißen.

Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu erfahren, nach welchen Kriterien die Regierung von US-Präsident Barack Obama die jüngsten Ereignisse bewertet und den Kurs Washingtons entsprechend justiert. Glaubt man das, was David Sanger in einem ausführlichen, am 3. April in der New York Times unter der Überschrift "The Larger Game in the Middle East: Iran" erschienenen Artikel geschrieben hat, so haben Obama, Außenministerin Hillary Clinton, Verteidigungsminister Robert Gates und die anderen Mitglieder des Kabinetts und des Nationalen Sicherheitsrats stets die eine Überlegung im Hinterkopf, nämlich inwieweit die Entwicklung in dem jeweiligen arabischen Staat den "Mullahs in Teheran", denen man unterstellt, heimlich an der Erforschung der Atombombe zu arbeiten, nutzt. Unter Verweis unter anderem auf Tom Donilon, den Nationalen Sicherheitsberater, klärt uns Sanger über eine "selten erwähnte Tatsache hinsichtlich der Reaktionen der Administration auf die Erhebungen" in der arabischen Welt wie folgt auf:

Die Mitglieder des Obama-Teams machen sich keine Illusionen über die langfristige Bedeutung von Oberst Gaddhafi. Libyen ist ein Nebenschauplatz. Die Eindämmung der Macht des Irans bleibt ihr zentrales Ziel im Nahen Osten. Jede Entscheidung - von Libyen bis Jemen, von Bahrain bis Syrien - wird nach der Maßgabe dessen abgewogen, was bis Mitte Januar die überragende Zielsetzung in der regionalen Strategie der Obama-Administration war: wie man den nuklearen Fortschritt des Irans verlangsamen und die Entstehung von Gelegenheiten für eine erfolgreiche Erhebung dort beschleunigen kann.

In den Überlegungen Washingtons bezüglich der Machtbalance in der islamischen Welt spielt das Bündnis der USA mit Saudi-Arabien seit jeher eine herausragende Rolle. Deshalb waren aus Washington keine nennenswerten Einwände zu vernehmen, als vor zweieinhalb Wochen König Abdullah seine Soldaten nach Manama entsandte, um dort als "Stabilisierungstruppe" des Golfkooperationsrats das "Regime" seines Verwandten zu retten. Schließlich beherbergt Bahrain das Hauptquartier der 5. US-Flotte. Hinzu kommt, daß die Einführung einer Demokratie europäischen Zuschnitts in Bahrain bedeutete, daß in dem winzig kleinen Inselemirat die schiitische Bevölkerungsmehrheit mehr zu sagen hätte als die sunnitische Königsfamilie. Obwohl die Demonstranten in Bahrain jedes sektiererische Motiv bestreiten und für die Errichtung eines säkularen Mehrparteiensystems eintreten, unterstellen ihnen König Hamad Bin Isa Khalifah und seine saudischen Verbündeten, eine fünfte Kolonne des mehrheitlich schiitischen Irans zu bilden. Ähnlich vermutet Syriens Präsident Assad, der ein Allewit ist und seit Jahren ungeachtet allen Drucks seitens der NATO-Partner USA und Frankreich an seiner Militärallianz mit Teheran und der libanesisch-schiitischen Hisb-Allah-Miliz festhält, daß hinter den jüngsten Protesten in dem von Sunniten mehrheitlich bewohnten Syrien die jordanischen und saudischen Geheimdienste stecken, die in Damaskus eine amman-, riad- und letztlich washington-freundliche Regierung einsetzen wollen.

Viele Beobachter vermuten, daß die USA und Saudi-Arabien in Sachen Bahrain und Libyen einen geheimen Deal gemacht haben. Vier Tage, nachdem die Saudis und ihre Golfstaatverbündeten bei einer Abstimmung in der Arabischen Liga am 12. März dafür sorgten, daß die Regionalorganisation den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach einer Militärintervention der "internationalen Gemeinschaft" in Libyen ersuchte, marschierten die von den USA ausgerüsteten Truppen Riads in Bahrain ein. Am 17. März diente die Bitte aus der ägyptischen Hauptstadt den Vertretern der USA, Großbritanniens und Frankreichs im UN-Sicherheitsrat der Erwirkung einer Mandatierung ihres geplanten Überfalls auf die Streitkräfte Gaddhafis in Form von Resolution 1973. Zwei Tage später schlugen die ersten Bomben- und Raketen der NATO in Libyen ein. In einem Artikel, der am 2. April bei der Asia Times Online erschienen ist, hat Pepe Escobar unter Verweis auf zwei Diplomaten, die persönlich an den entsprechenden Beratungen des UN-Sicherheitsrats in New York teilgenommen hatten - der eine aus Europa und der anderen aus einem der BRIC-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien und China) - die Bestätigung dafür geliefert, daß Riad und Washington sich gegenseitig freie Hand jeweils in Bahrain und Libyen verschafft hätten.

Beunruhigender ist jedoch das, was Syed Saleem Shahzad am selben Tag in der Asia Times Online berichtete. Demnach hat sich Pakistan bereiterklärt, das sunnitisch dominierte Saudi-Arabien bei der Konfrontation mit der schiitischen Großmacht Iran zu unterstützen. Zu diesem Zweck wären bereits mehr als 1000 ehemalige pakistanische Soldaten sunnitischen Glaubens als Mitglieder der Nationalgarde Bahrains rekrutiert worden. Darüber hinaus würde das pakistanische Militär zwei Armeedivisionen in Bereitschaft halten, um diese im Eilverfahren nach Saudi-Arabien verlegen zu können, sollte es in den mehrheitlich schiitischen Provinzen des Königreichs zu unkontrollierbaren Unruhen kommen.

Pakistan und Saudi-Arabien arbeiten seit Jahrzehnten eng zusammen. Die Saudis sollen den Bau der pakistanischen Atombombe mit Petrodollars finanziert haben. Ohne die Hilfe beider Staaten hätten die afghanischen Mudschaheddin in den achtziger Jahren niemals die Rote Armee aus Afghanistan vertreiben können. Später waren Pakistan und Saudi-Arabien neben den Vereinigten Arabischen Emiraten die einzigen Staaten, welche die Taliban-Regierung in Kabul anerkannt haben. In den letzten Jahren jedoch haben sich der Iran und Pakistan angenähert. Doch der massive Widerstand der USA hat den Bau einer Pipeline, mittels derer die Pakistaner größere Mengen Öl- und Gas aus dem Nachbarland beziehen und bei der Weiterführung der Trasse nach Indien und/oder China Transitgebühren in Milliardenhöhe verdienen könnten, bislang erfolgreich verhindert.

Die Einreihung der Atommacht Pakistan in die gegen den Iran gerichtete anti-sunnitische Front Saudi-Arabiens ist eine sehr gefährliche Entwicklung, die sehr viel Leid über die Menschen im Nahen Osten bringen könnte. In seinem Artikel führt Shahzad den Schulterschluß auf den neuerlichen Besuch des saudischen Kronprinzen Bandar Bin Sultan in Islamabad zurück. Bandar ist derzeit Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats in Riad. Zuvor arbeitete er jahrelang als saudischer Botschafter in Washington, wo er enge Kontakte zur Familie Bush und zum Klüngel der neokonservativen Kriegstreiber knüpfte. Bereits Ende Februar 2007 berichtete der legendäre Enthüllungsjournalist Seymour Hersh von Plänen, die Bandar damals mit George W. Bushs Vizepräsidenten Dick Cheney ausgeheckt hatte, mittels finanzieller und militärischer Unterstützung salafistisch-sunnitischer Extremisten à la Al Kaida den Einfluß des Irans, der Hisb Allah und Syriens "zurückzudrängen". Die Angaben Shahzads, daß zum Beispiel die pakistanische Armee in Absprache mit dem Pentagon den Kampf gegen die Taliban im eigenen Land weniger energisch verfolge - wie übrigens die vorhin erwähnten von Sanger in der New York Times - lassen erkennen, daß diese gefährliche Strategie der Neocons unter Barack Obama ihre Fortsetzung findet.

Möglicherweise haben die Amerikaner sogar geholfen, die Bande zwischen Islamabad und Riad enger zu knüpfen. Erinnert sei an die mysteriöse Zusammenkunft der Militärführungen Pakistans und der USA am 22. Februar in Oman. An dem Treffen nahmen laut der Armeezeitung Stars and Stripes aus den USA der Generalstabschef Admiral Michael Mullen, der ISAF-Oberbefehlshaber General David Petraeus, der Oberfehlshaber des Special Operations Command, Admiral Eric Olson, sowie der Oberbefehlshaber der Marineinfanterie, General James Matis, und aus Pakistan der Generalstabschef Ashfak Parvez Kiani und Generalmajor Javed Iqbal, der Generaldirektor militärischer Operationen, teil. Angeblich ging es bei dem Treffen um die Freilassung des CIA-Agenten Raymond Davis, der am 27. Januar in Lahore zwei Pakistaner auf offener Straße erschossen hatte und deshalb von der Polizei festgenommen worden war. Die Ranghöhe der beteiligten Militärs läßt jedoch auf ein viel breiter angelegtes Themenspektrum schließen.

4. April 2011