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NAHOST/1080: Verbündete rügen Israels Bunkermentalität (SB)


Kritik an Sanktionen gegen Aussöhnung der Palästinenser


Während die arabische Welt in Bewegung geraten sei und die Menschen in Gaza auf der Straße jubelten, weil sie auf neue Freiheit hofften, liege in Jerusalem bleischwer das politische Weiter-so in der Luft. "Verkehrte Welt", wundert sich ZDF-Kommentator Christian Sievers in Tel Aviv, der Israel anläßlich des 63. Unabhängigkeitstags dringend ans Herz legt, sich zum Geburtstag selbst das größte Geschenk zu machen und die Chance zu einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu nutzen. Wenngleich die jüngst verkündete Einheit der Palästinenser durchaus mit Fragezeichen zu versehen sei, könne man doch nicht nach demselben Politikprinzip weitermachen, das in regelmäßigen Abständen Krieg, aber bislang keinen Frieden gebracht hat. Immerhin gebe es jetzt einen Ansprechpartner bei den Palästinensern, den Israel so lange vermißt habe, auch wenn er schwierig sei. Nun könne Israel testen, wie flexibel die neu versöhnten Nachbarn wirklich seien. [1]

Nicht, daß langjährige Unterstützer israelischer Staatsdoktrin und Regierungspolitik grundsätzlicher Zweifel beschliche, weil sie ein Herz für die Leiden der Palästinenser entdeckt hätten - doch das Unbehagen, Israel manövriere sich in die Sackgasse erstarrter Ideologie und strategischer Unbeweglichkeit, ist spürbar. So hat Washington den Finanzboykott gegen die Palästinenserführung kritisiert, indem der stellvertretende US-Außenamtssprecher Mark Toner einräumte, daß die US-Regierung Israels Bedenken zwar verstehe, aber es für verfrüht halte, irgendeine Entscheidung zu treffen.

Die Regierung in Jerusalem hatte in Reaktion auf die eingeleitete Versöhnung von Fatah und Hamas als erste Strafmaßnahme die Auszahlung der von Israel erhobenen Steuern und Zölle der besetzten Gebiete storniert, aus denen sich der Haushalt der Palästinensischen Autonomiebehörde zum überwiegenden Teil speist. Diese kann nun erstmals seit vier Jahren keine Löhne und Gehälter an die rund 140.000 Mitarbeiter auszahlen, wie Ministerpräsident Salam Fajad angekündigt hat. Israel hält derzeit Mittel in Höhe von umgerechnet rund 65 Millionen Euro, die den Palästinensern zustehen, mit der Begründung zurück, die Hamas könnte von diesen Geldern profitieren.

Auch eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton zeigte sich "besorgt, dass Israel Steuer- und Zollbeträge zurückhält, die an die Palästinenserbehörde weitergeleitet werden sollten. Wir denken, dass dieser Stopp eher Abbas und der Fatah als der Hamas schadet." Die Versöhnungsvereinbarung zwischen Fatah und Hamas könne "ein positiver Schritt sein, aber wir müssen die gesamte Vereinbarung sehen". "Wir werden dies aufgrund der Entscheidungen, Politik, Verpflichtungen und Handlungen beurteilen, wenn eine neue Regierung gebildet worden ist." [2] Wie diese Aussage zeigt, entläßt man die Palästinenser keineswegs aus dem Zwangsdiktat politischer Rahmenvorgaben, hat sich aber dazu durchgerungen, zunächst die Regierungsbildung zuzulassen. Im März 2007 hatten die beiden größten Palästinenserorganisationen nach dem Wahlsieg der Hamas schon einmal eine gemeinsame Übergangsregierung gebildet, was massive Sanktionen wie insbesondere die Blockierung der Finanzhilfe seitens der westlichen Staaten nach sich zog.

Vor den jüngsten Stellungnahmen aus Washington und Brüssel hatte Hamas-Chef Khaled Meschaal die EU und USA aufgefordert, den Versöhnungsprozeß der Palästinenser zu unterstützen. Wie Meschaal der Nachrichtenagentur Reuters in Kairo sagte, handle es sich bei diesem Prozeß um den Willen des palästinensischen Volkes und dessen interne Angelegenheit, die niemand verzögern oder mit Bedingungen belegen sollte. Er hoffe, daß die Europäer und US-Amerikaner den Willen und die Entscheidung der Palästinenser respektieren.

Meschaal ging auf den wohl umstrittensten Aspekt des Konflikts, nämlich die Frage einer Anerkennung Israels durch die Hamas mit den Worten ein, diese könne erst angegangen werden, nachdem ein unabhängiger Staat der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen errichtet worden sei. "Zunächst erlaubt dem palästinensischen Volk ein freies Leben in seinem Land (...), um einen unabhängigen Staat zu entwickeln. (...) Dann fragt das palästinensische Volk, seine Regierung und seine Anführer nach ihrer Position zu Israel." Die internationale Staatengemeinschaft müsse Israel drängen, die Palästinenser anzuerkennen - und nicht umgekehrt. Israel brauche Druck, da es ein Besatzer sei, der durch Dialog allein nicht weichen werde. [3]

Demgegenüber unterstrich der israelische Außenminister Avigdor Lieberman bei einem Empfang ausländischer Diplomaten in Jerusalem aus Anlaß des Unabhängigkeitstags (Jom Ha'Atzmaut), daß die Palästinenser seines Erachtens "nur nach Ausreden suchen, um bedeutungsvolle Gespräche zu vermeiden, die zu einer umfassenden Lösung führen. Die Palästinenser sind übermäßig zuversichtlich und denken, dass sie die vollständige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft haben. Dies erlaubt es ihnen, zu denken, dass sie direkt von der internationalen Gemeinschaft mehr gewinnen als durch Verhandlungen mit Israel. Als Folge haben wir das Recht, uns Gedanken über die wahren Absichten der Fatah zu machen." [4]

Offenbar hofft die israelische Regierung, die palästinensische Führung zurück in den Limbus der auf unabsehbare Zeit auf Eis gelegten Friedensgespräche zwingen zu können, die Israel nach Belieben diktiert, verzögert oder auf unabsehbare Zeit aussetzt. Zugleich treibt Jerusalem die Sorge um, die Versöhnung der bislang verfeindeten palästinensischen Fraktionen könne dazu führen, daß die für den Herbst geplante einseitige Ausrufung des Palästinenserstaats breite internationale Zustimmung finden könnte. Zwar hätte ein entsprechender Beschluß der UN-Vollversammlung keinerlei bindende Wirkung zumal für Israel, das grundsätzlich UN-Beschlüsse ignoriert, die seinen Interessen zuwiderlaufen. Andererseits könnten damit politische Fakten geschaffen werden, denen sich die Verbündeten Israels mit Rücksicht auf die Stimmung im eigenen Land nicht mehr bedenkenlos verweigern.

Hinzu gesellt sich das strategische Interesse der USA und europäischen Führungsmächte, die Umwälzungen in Nordafrika und Vorderasien in ihrem Sinne auszusteuern und handhabbare Regimes zu installieren. Dies erfordert nicht nur enorme Anstrengungen, sondern auch eine Flexibilität im Umgang mit veränderten Konstellationen, die Israel in seinem Beharren mitunter auch für seine Verbündeten wie einen Bremsklotz erscheinen läßt. "Wir sind immer stolz, zu erklären, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist", sagte Lieberman beim Diplomatenempfang. "Jetzt wird klar, dass wir auch eine Insel der Stabilität in einer chaotischen Region sind. In der Tat kann Israels stabile Demokratie als Modell für die Region dienen. (...) "Die Unterdrückung, mit der den Demonstrationen in Syrien, dem Jemen, Libyen und anderswo in der Region begegnet worden ist, kann nicht gerechtfertigt werden. Doch es bleibt verwirrend, warum die internationale Gemeinschaft in Libyen interveniert, aber nicht in Syrien oder im Iran. Welche Schlussfolgerungen sollen wir aus einer scheinbaren Widersprüchlichkeit ziehen? Diese Widersprüche senden eine schädliche Botschaft an die Menschen im Nahen Osten und untergraben weiter den Weg von Frieden, Sicherheit und Demokratie für unsere Region."

Wenngleich der israelische Außenminister mit der von ihm angesprochenen Stoßrichtung gegen Syrien und insbesondere den Iran bei seinen Bündnispartnern offene Türen einrennt, heißt das noch lange nicht, daß die von ihm geforderten Angriffskriege derzeit führbar oder auch nur opportun sind. Die NATO hat alle Hände voll damit zu tun, den Libyenkrieg über die Runden zu bringen, der zwangsläufig in die humanitäre Katastrophe mündet und die absurde Doktrin perforiert, man bombardiere zum Schutz der Zivilbevölkerung. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern fordern inzwischen selbst konservative Stimmen in Europa, man dürfe die Versöhnung von Fatah und Hamas nicht verhindern, da dies der einfachste Weg sei, die radikalen Kräfte des Widerstands einzubinden und auszutrocknen. Liebermanns gewagte Behauptung, Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten und könne der gesamten Region als Vorbild dienen, dürfte in den arabischen Nachbarländern auf wenig Gegenliebe stoßen.

Im Rahmen des feierlichen Empfangs nahm auch Staatspräsident Schimon Peres Bezug auf die Umbrüche in der arabischen Welt: "Ich glaube, dass die Revolutionen im Nahen Osten nicht bald enden werden. Diese Aufstände haben keinen Präzedenzfall in der Geschichte. Niemand weiß, wer sie organisiert hat, es ist nicht die Armee, nicht die Kirche, nicht irgendeine Partei, und man weiß nicht, wer an ihrer Spitze steht." Klang in diesen Worten die Verunsicherung der israelischen Führung angesichts eines von ihr womöglich nicht länger kontrollierbaren Umfelds an, so zog sich Peres in seiner Schlußfolgerung auf eine Formel zurück, denen die Bevölkerungen im regionalen Dunstkreis Israels wenig Glauben schenken dürften: "Es gibt nichts, was wir uns mehr wünschen, als unsere Nachbarn frei, satt und gedeihend zu sehen", behauptete Peres. Die Palästinenser kann er damit nicht gemeint haben.

Anmerkungen:

[1] Israel hat es in der Hand. Land braucht Plan für eine friedliche Zukunft (10.05.11)
http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/24/0,3672,8237976,00.html

[2] Konflikte. USA und EU kritisieren Israels Finanzboykott (10.05.11)
http://www.focus.de/politik/ausland/konflikte-usa-und-eu-kritisieren-israels-finanzboykott_aid_625939.html

[3] Hamas-Chef: EU muss Versöhnungsabkommen unterstützen (09.05.11)
http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE74803820110509

[4] Lieberman: Absichten der Fatah sind unklar (11.05.11)
http://www.israelnetz.com/themen/aussenpolitik/artikel-aussenpolitik/datum/2011/05/11/lieberman-absichten-der-fatah-sind-unklar/

11. Mai 2011