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NAHOST/1130: BBC beleuchtet Rolle des SAS beim Sturz Gaddhafis (SB)


BBC beleuchtet Rolle des SAS beim Sturz Gaddhafis

Westliche Kriegsverbrechen werden zu Heldentaten verklärt


Einem am 19. Januar veröffentlichten Bericht mehrerer arabischer Menschenrechtsgruppen zufolge ist es im Libyenkrieg 2011 nicht nur auf Seiten der Truppen Muammar Gaddhafis, sondern auch der Rebellen und der sie unterstützenden Streitkräfte der NATO zu massiven Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gekommen. Der Bericht ist das Ergebnis monatelanger Nachforschungen von Mitarbeitern der Arab Organization for Human Rights, des Palestinian Center for Human Rights und des International Legal Assistance Consortium in Libyen. Man kann davon ausgehen, daß die Feststellungen der Menschenrechtsaktivisten keinerlei Konsequenzen für die Siegermächte des Libyenkrieges haben werden. Ganz im Gegenteil setzen dieselben Kräfte das in Libyen so erfolgreiche Konzept nun in Syrien in die Tat um. Dort benutzen ausländische Spezialstreitkräfte und salafistischer Freischärler von der sunnitischen Moslembruderschaft die legitimen Proteste gegen die Regierung von Präsident Baschar al Assad als Vorwand, um das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen - auf das sich irgendwann die "internationale Gemeinschaft" unter Führung der USA berufen fühlt, militärisch einzugreifen, angeblich um das "Blutvergießen" ein für allemal zu beenden.

In Libyen sollen recht früh nach Beginn der Demonstrationen gegen das "Regime" Gaddhafis erste Elitesoldaten und Geheimdienstagenten aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Katar, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in das nordafrikanische Land eingeschleust worden sein, um den Regierungsgegnern moralisch und militärisch den Rücken zu stärken. Im Bericht der genannten Menschenrechtsorganisationen heißt es, die ausländischen Streitkräfte hätten sich sowohl in leitender Funktion an den Bodenoffensiven der libyschen Rebellen beteiligt, als auch Angriffe der NATO-Kampfjets, die lediglich ein von den Vereinten Nationen verhängtes Flugverbot durchsetzen sollten, gegen die regulären Truppen koordiniert.

Bestätigt wird der Vorwurf, die NATO und ihre arabischen Verbündeten hätten das UN-Mandat mißbraucht, um mit Bodentruppen vor Ort den Bürgerkrieg in Libyen zu entfachen und schließlich im eigenen Sinne zu Ende zu führen, auch im Bericht des Journalisten Mark Urban für den zweiten Kanal des staatlichen britischen Fernsehens, der am Abend des 18. Januar bei Newsnight, der wichtigsten Nachrichtensendung auf der Insel, ausgestrahlt wurde. Allerdings beleuchtet Urban den bisher "geheimen Aspekt" des Libyenkrieges auf ziemlich unkritische Weise. Voller Stolz auf ein weiteres ruhmreiches Kapitel der britischen Militärgeschichte schwärmt Urban von "praktisch denkenden Leuten, die versuchten, den Job zu erledigen, während sie sich die ganze Zeit mit politischen und rechtlichen Einschränkungen herumschlagen mußten, die von London verhängt wurden. ... Diejenigen, die über die Operation Bescheid wissen, betonen, daß 'sie großartige Arbeit' leisteten und zum endgültigen Kollaps des Gaddhafi-Regimes beitrugen".

Nach Angaben Urbans trat der Nationale Sicherheitsrat Großbritanniens bereits im Februar 2011, also kurz nach Beginn der ersten Proteste gegen die Regierung in Tripolis, zu Beratungen zusammen. Dabei sollen die Meinungen von Premierminister David Cameron, dessen Stabschef Ed Llewellyn, Außenminister William Hague, Verteidigungsminister Liam Fox und Generalstabschef Sir David Richards besonderes Gewicht erhalten haben. Zum ersten offiziellen Einsatz des britischen Militärs in Libyen kam es am 3. März, als ohne Absprache mit den Behörden in Tripolis ein Kommando aus zwei Dutzend Mitgliedern der C-Staffel des Special Boat Service (SBS), des Pendants der britischen Marine zum Special Air Service (SAS) der Armee, mit mehreren Transportflugzeugen der Royal Air Force (RAF) nahe dem südlibyschen Wüstenort Zilla landete, 150 ausländische Ölfeldmitarbeiter, darunter 20 Briten, abholte und nach Malta ausflog.

Etwa zur selben Zeit, nämlich am 4. März, wurden zwei Mitarbeiter des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, die mit einer Truppe Bewacher von der E-Staffel (eine gemischte, aus Mitgliedern der SAS, SBS und Special Reconnaissance Service (SRS) bestehende Einheit) per Hubschrauber von Malta nach Benghazi geflogen waren, um heimlich Kontakt zu den Rebellen aufgenommen, von mißtrauischen Aufständischen festgenommen. Erst nach fieberhaften Telefonaten zwischen London und Vertretern des oppositionellen Nationalen Übergangsrats in Benghazi kamen die zwei in Zivil gekleideten Diplomaten und die sechs Soldaten ihrer königlichen Hoheit in den schwarzen Overalls wieder frei. Als die Sache damals ans Tageslicht kam, wurde es für Hague, dem als Außenminister der MI6 untersteht, hochpeinlich.

Nach Angaben Urbans nahmen britische Spezialstreitkräfte erst an den Bodenkämpfen teil, nachdem am 19. März NATO-Flugzeuge die Panzer der Gaddhafi-Truppen vor Benghazi beschossen hatten und der Krieg damit in die heiße Phase eingetreten war. Aus Furcht, mit Luftangriffen allein werde die NATO Gaddhafis Armee nicht in die Knie zwingen, hatte der Nationale Sicherheitsrat in London beschlossen, die Rebellen auszubilden und militärisch aufzurüsten. Zu diesem Zweck wurden Anfang April ein halbes Dutzend Verbindungsoffiziere der britischen Armee nach Benghazi entsandt. Weil diese Operation von der ursprünglichen UN-Resolution nicht gedeckt war, hat man derlei Aktivitäten der britischen Spezialstreitkräfte am Boden nicht an die große Glocke gehängt.

Als es im April zu einem Bombardement von NATO-Jets auf einen Konvoi der libyschen Rebellen kam, sollen sich Briten und Franzosen darüber geeinigt haben, die Koordinierung der Luftangriffe selbst in die Hand zu nehmen. Später soll man im Rahmen des "Ausbildungsprogramms" dazu übergegangen sein, auch die Bodenoffensiven der libyschen Rebellen zu planen und zu dirigieren. Der Einsatz arabischer Spezialeinheiten soll Urban zufolge auf "wenig publizierte" Besuche des britischen Generalstabschefs Richards in Katar zurückgehen. Während die Anzahl der britischen Spezialstreitkräfte in Libyen lediglich mit mehreren Dutzend angegeben wurde, sollen es aus Katar, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten Hunderte gewesen sein. Wie nicht anders zu erwarten brachten die ausländischen Truppen für ihre neuen Freunde jede Menge Waffen und Ausrüstung mit. Wie den damaligen Berichten von Kriegskorrespondenten zu entnehmen ist, haben zum Beispiel die Kataris die libyschen Rebellen recht früh mit modernen Antipanzerraketen vom Typ MILAN ausgestattet.

Nach Informationen von Urban haben Mitglieder des SAS, die von ihrer neuen Ausbildungsanlage im südlichen Libyen aus operierten, die von ihnen ausgebildeten Rebellenkommandeure bei den Kämpfen beraten:

Sie verkleideten sich als Libyer und mischten sich unter die Einheiten, die sie als Mentoren begleiteten ... Es gab Befürchtungen, daß sie von der Presse erkannt würden, aber es kam nicht dazu. "Wir sind in Sachen Tarnung viel besser geworden. Unsere Leute waren in der Lage, eng bei den Kommandeuren des NTC [National Transitional Council - Anm. d. SB-Red.] zu bleiben, ohne entdeckt zu werden", sagt jemand, der mit der Operation der D-Staffel vertraut ist.

Die im Bericht Urbans enthaltenen Details lassen die Behauptung der Regierung Assad, wonach die gewaltbereiten Mitglieder syrischen Opposition nicht nur Waffen aus dem Ausland erhalten, sondern von Beratern der Spezialstreitkräfte feindlicher Staaten begleitet und beraten werden, plausibel erscheinen. Ähnliche Vermutungen Gaddhafis wurden im letzten Jahr als Kriegspropaganda und Hirngespinst abgetan. Von daher darf man sich bereits jetzt für 2013 auf einen erneuten Enthüllungsbericht der BBC gefaßt machen, in dem die geheimen Umtriebe des SAS und ähnlicher Dienste in Syrien aufgedeckt werden. Unabhängig davon, ob Syrien bis zu diesem Zeitpunkt vollends in einem ethnischen und religiösen Chaos wie im Nachbarland Irak versinkt, wird man die völkerrechtlich illegale Intervention mit dem herbeigeführten Sturz Assads rechtfertigen - ganz so, als habe man wie im Falle Gaddhafis, Saddam Husseins und Slobodan Milosevics dem Bösen in der Welt wieder einen Kopf abgeschlagen. So platt, wie sich die Argumentation ausnimmt, funktioniert sie offenbar auch, denn die Menschen im Westen fallen jedesmal von neuem darauf herein. [1]

Fußnote:

1. Siehe hierzu: Interview/089: Petersberg II - Jeremy Corbyn, britischer Labour-Abgeordneter

http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0089.html

23. Januar 2012