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NAHOST/1146: Ägypten setzt Erdgaslieferungen an Israel aus (SB)


Ägypten setzt Erdgaslieferungen an Israel aus

Vertrag aus der Mubarak-Ära vor der Neuverhandlung?



In Ägypten hat der Sturz des langjährigen ägyptischen Diktators Hosni Mubarak im Februar 2011 infolge des "Arabischen Frühlings" zu dramatischen Veränderungen der politischen Landschaft am Nil geführt. Aus den zum Jahreswechsel durchgeführten Parlamentswahlen ist die einst verbotene Moslembruderschaft als haushohe Siegerin hervorgegangen. Ihr Kandidat Mohamed El Mursi hat gute Chancen, die im Mai und Juni über zwei Runden gehende Präsidentenwahl zu gewinnen. In Israel steht die politische Führung den Umwälzungen im Nachbarland skeptisch bis ablehnend gegenüber. Nicht ganz zu Unrecht befürchtet man, daß Kairo den Ägyptisch-Israelischen Friedensvertrag aus dem Jahr 1979‍ ‍aufkündigen könnte. Der am 19. April in Kraft getretene und am 22.‍ ‍April bekanntgegebene Lieferstopp für ägyptisches Erdgas an Israel bestätigt diese Befürchtungen. In einer ersten Reaktion nannte Oppositionsführer Shaul Mofaz von der Kadima-Partei den Lieferstopp in der Knesset einen "krassen Verstoß" gegen das Camp-David-Abkommen von 1978, das dem bereits erwähnten Friedensvertrag vorausging.

In Ägypten ist die Aussöhnung mit Israel, die damals Mubaraks Vorgänger Anwar El Sadat unter Vermittlung des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter mit Menachim Begin praktisch gegen den Willen der eigenen Bevölkerung durchsetzte, niemals populär gewesen. Diejenigen Moslembrüder, die Sadat im Herbst 1981 bei einer Militärparade überfallartig umbrachten, haben später vor Gericht den aus ihrer Sicht verräterischen Friedensschuß mit Israel als Hauptmotiv für ihr Handeln genannt. Nach dem für Tel Aviv und Washington schockierenden Attentat auf Sadat galt dessen Nachfolger, der ehemalige Luftwaffenchef Mubarak, als Garant für die Einhaltung des Friedensvertrages, weswegen die USA seitdem die ägyptischen Streitkräfte jedes Jahr mit mehr als einer Milliarde Dollar unterstützten. Der Sturz Mubaraks hat nun alles in Frage gestellt.

Nach der Ratifizierung des Friedensvertrages haben sich die israelischen Streitkräfte von der Halbinsel Sinai, die sie seit dem Sechstagekrieg 1967 besetzt hielten, zurückgezogen. Der Rückzug wurde bis 1982 abgeschlossen. Vereinzelte jüdische Siedlungen, die in den vorangegangenen zwölf Jahren dort errichtet worden waren, wurden geräumt. Um künftige Spannungen zu vermeiden, blieb die Sinai-Halbinsel entmilitarisiert. Die Vereinten Nationen haben ein kleines Kontingent an Blauhelmsoldaten entsandt, die bis heute die ägyptisch-israelische Staatsgrenze zwischen Taba am Golf von Akaba im Süden und dem Gaza-Streifen am Mittelmeer im Norden kontrollieren.

Zu der im Camp-David-Abkommen vorgesehenen Normalisierung der Beziehungen zwischen Ägypten und Israel ist es jedoch nicht gekommen. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die israelische Seite den im Abkommen versprochenen Frieden mit den Palästinensern im Westjordanland und Gazastreifen niemals verwirklicht hat und statt dessen zuließ, daß sich dort Hundertausende jüdischer Siedler ausbreiteten. Wegen des enormen Aufwands der Aufrechterhaltung der jüdischen Siedlungen im vergleichsweise kleinen Gazastreifen gegen den Widerstand der palästinensischen Bevölkerung hat der damalige israelische Premierminister Ariel Sharon 2005 den Rückzug angeordnet. Bis auf die Außengrenzen wurden alle Militärstützpunkte geschlossen und die jüdischen Siedlungen gegen den Willen der dortigen Einwohner geräumt. Im selben Jahr wurde unter Aufsicht des damaligen israelischen Finanzministers Netanjahu der Vertrag über die Lieferung von ägyptischem Erdgas an Israel unter Dach und Fach gebracht. Beide Schritte sollten schwere Konsequenzen haben.

Wegen des Streits um die Gaza-Politik haben Sharon und seine Getreuen seinerzeit das konservative Likud-Bündnis verlassen und die zentristische Kadima-Partei gegründet. 2006 hat die islamische Hamas-Bewegung - eine Schwesterorganisation der ägyptischen Moslembruderschaft - überraschend die Parlamentswahlen in den palästinensischen Gebieten für sich entschieden. Israel hat das Ergebnis nicht anerkannt und versucht seitdem, die Hamas im Gaza-Streifen durch die Verhängung einer Wirtschaftsblockade in die Knie zu zwingen (Nach einem nur zum Teil gelungenen Putsch hat die Fatah-Bewegung 2007 die politische Führung im Westjordanland übernommen). Unter Mubarak haben die Streitkräfte Ägyptens an der Isolierung des Gazastreifens tatkräftig mitgewirkt. Auf ägyptischer Seite wurden zum Beispiel Stahlplatten in den Boden gerammt, um den unterirdischen Schmuggelverkehr zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu unterbinden. Die Mitwirkung Mubaraks an Israels Strangulierung des Gazastreifens hat in der ägyptischen Gesellschaft eine Welle der Empörung ausgelöst. Während der blutigen israelischen Militäroperation "Begossenes Blei" gegen palästinensische Kämpfer im Gaza-Streifen, die zur Jahreswende 2008/2009 rund 2000 Menschen, die allermeisten davon Zivilisten, das Leben kostete, kam es zu Massenprotesten in Kairo und anderen ägyptischen Städten.

Die Klüngelei mit Israel, die sich nicht nur durch die Beteiligung an der Abriegelung des Gazastreifens ausdrückte, sondern auch durch den 2005‍ ‍abgeschlossenen Vertrag über die Lieferung ägyptischen Erdgases an den jüdischen Staat, trug wesentlich zum Ansehens- und schließlich Autoritätsverlust Mubaraks bei. Von Anfang an lag der Deal unter Korruptionsverdacht. Im Mittelpunkt des Energiegeschäfts stand das Unternehmen Eastern Mediteranean Gas (EMG), an der Hussein Salem, ein Freund von Mubaraks Sohn und designiertem Nachfolger Gamal, Yossi Meiman, ein amerikanisch-israelischer Freund Sharons, und der schwerreiche jüdisch-amerikanische Investmentbankier Sam Zell beteiligt waren. Wie Dan Murphy am 23. April in der US-Zeitung Christian Science Monitor berichtet, bekam EMG das Erdgas vom staatlichen ägyptischen Gasmonopol zu einem garantierten Spottpreis und verkaufte es mit einem Preisaufschlag von rund 40 Prozent in Israel. Der Vertrag war auf 15 Jahre fixiert.

Meiman war schlau genug, 2008, in jenem Jahr, als die ersten Gaslieferungen von Ägypten nach Israel durch die Pipeline flossen, seine 12,5%-Beteiligung an EMG für 230 Millionen Dollar an Ampal American-Israeli Corporation zu verkaufen. Die negativen Konsequenzen der Entmachtung seines Förderers Mubarak ahnend hat sich kurz nach dessen Sturz der Milliardär Salem ins Ausland abgesetzt. Derzeit versuchen die Behörden in Kairo seine Auslieferung aus Spanien zu erwirken. Wegen der umstrittenen Gaslieferungen an Israel sitzen der ehemalige ägyptische Energieminister Sameh Fahmy und fünf seiner Mitarbeiter im Gefängnis. Ihnen wird vorgeworfen, durch die Sonderkonditionen für EMG den ägyptischen Staatshaushalt um Einnahmen von mehr als 700 Millionen Dollar gebracht zu haben.

Seit Frühjahr 2011 haben unbekannte Täter insgesamt 14 Mal einen Bombenanschlag auf die Gaspipeline auf der Sinai-Halbinsel verübt. Die Anschläge stoßen in der ägyptischen Öffentlichkeit auf breite Zustimmung. Wegen der entstandenen Lieferschwierigkeiten hat EMG-Mitgesellschafter Zell, der in den USA hauptsächlich als Immobilienhai und Eigentümer der Zeitungen Chicago Tribune und Los Angeles Times bekannt ist, bei einem Gericht in Kairo eine Schadensersatzklage im Wert von acht Milliarden Dollar gegen den ägyptischen Staat eingereicht.

Überraschend gelassen hat Netanjahu auf den Lieferstopp für ägyptisches Gas, das in den vergangenen Jahren den Energiebedarf Israels zu 40 Prozent deckte, reagiert. Die Souveränität des ehemaligen Finanzministers Sharons, der mehr als die meisten anderen über das Zustandekommen des Vertrages wissen dürfte, rührt vermutlich daher, daß die Ägypter aufgrund unbezahlter Rechnungen seitens des EMG-Konsortiums lediglich den Hahn zugedreht, aber nicht den Vertrag als solchen aufgekündigt haben. Der Schritt sei nicht der politischen Entwicklung in Ägypten geschuldet, sondern das Ergebnis eines stinknormalen Streits unter Geschäftspartnern, so der israelische Premierminister. Wer weiß, vielleicht trägt am Ende jener Streit, einschließlich der darin implizierten Neuverhandlung des Preises und der Lieferbedingungen für ägyptisches Erdgas an Israel, zur lange angestrebten Normalisierung in den bilateralen Beziehungen beider Staaten bei.

25.‍ ‍April 2012