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NAHOST/1149: Iraks Premierminister Maliki vor der Absetzung? (SB)


Iraks Premierminister Maliki vor der Absetzung?

Parteiübergreifende Koalition will politische Krise in Bagdad beenden



Seit nunmehr zwei Jahre herrscht im Irak eine politische Krise, die das Land nicht zur Ruhe kommen läßt und die Wirtschaft lähmt. Seit der Gründung einer Allparteienregierung infolge der Parlamentswahlen 2010 hat sich Premierminister Nuri Al Maliki von der schiitischen Dawa-Partei nicht an die Vereinbarungen gehalten. So hat er Ijad Allawi, den schiitischen Vorsitzenden der säkular-sunnitischen Gruppierung Al Iraqiya, die als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen war, nicht zum nationalen Sicherheitsberater ernannt und zugleich die Ämter des Innen- und Verteidigungsministers sowie des Generalstabschefs der Streitkräfte unbesetzt gelassen, um diese Funktionen selbst auszuüben. Mit dieser Machtfülle hat Maliki die inzwischen schiitisch-dominierten Sicherheitskräfte des Irak benutzt, um einerseits sunnitische Militanten zu bekämpfen und andererseits die politische Opposition zu drangsalieren.

Höhepunkt der Offensive der Maliki-Fraktion war die Ende letzten Jahres, gerade einen Tag nach dem Abzug der letzten US-Truppen erhobene Anklage gegen Vizepräsident Tarek Al Haschemi, den höchsten sunnitischen Würdenträger des Landes. Noch rechtzeitig konnte Al Haschemi in die kurdische Autonomieregion im Norden des Iraks flüchten, deren Behörden sich weigerten, ihn nach Bagdad auszuliefern. Inzwischen hält sich Al Haschemi im türkischen Istanbul auf. Seine Mitarbeiter, Familienangehörigen und politischen Weggefährten hatten weniger Glück. Bis zu 200 von ihnen sind verhaftet und gefoltert worden - drei Leibwächter angeblich sogar bis in den Tod. 13 Leibwächter Haschemis sind inzwischen aus Mangel an Beweisen freigelassen worden, während sich weitere 72 noch im Gefängnis befinden.

Die Maliki-Regierung wirft Haschemi vor, sunnitische Todesschwadronen befehligt zu haben, die Bombenanschläge und Überfälle verübten und einen gewaltsamen Staatsstreich geplant haben sollen. Für insgesamt 150‍ ‍Todesfälle werden Haschemi und seine angeblichen Mitverschwörer verantwortlich gemacht. Der geflohene Vizepräsident weist alle Vorwürfe von sich und behauptet seinerseits, sie beruhten hauptsächlich auf erpreßten Aussagen seiner in Gefangenschaft mißhandelten und mit dem Tod bedrohten Leibwächter. Haschemi weigert sich, nach Bagdad zurückzukommen und sich dort der Justiz zu stellen. Sein Angebot, den Prozeß gegen ihn vor einem neutralen Sondergericht in der kurdischen Stadt Erbil zu führen, haben die Behörden in Bagdad abgelehnt. Auf der Basis besagter Geständnisse wurde am 30. April Anklage gegen Haschemi und mehrere seiner Bodyguards wegen der Ermordung von sechs Richtern erhoben. Im Mittelpunkt des Prozesses gegen Haschemi und seine Mitarbeiter, dessen ursprünglicher Beginn am 3.‍ ‍Mai vor dem zentralen Strafgerichtshof in Bagdad auf Antrag der Verteidigung um eine Woche verschoben wurde, stehen zunächst nur drei Attentate - auf einen Abteilungsleiter im Ministerium für nationale Sicherheit, einen Beamten des Innenministeriums und eine Staatsanwältin.

Währenddessen sammeln sich die Kräfte im Irak, die den einseitig pro-schiitischen Kurs Malikis ein Ende machen wollen. In einem offenen Brief an die Dawa-Partei, der am 5. Mai in der irakischen Presse veröffentlicht wurde, haben Allawi, Massud Barsani, der sunnitische Präsident des kurdischen Autonomiegebiets, der schiitische Geistliche Muktada Al Sadr, Anführer des nach ihm benannten Sadr-Trends im Bagdader Parlament, und der sunnitische Parlamentssprecher Osama Al Nujaifi, der Allawis Gruppierung Al Iraqiya angehört, Premierminister Maliki aufgefordert, das sogenannte Abkommen von Erbil, mit dem vor zwei Jahren die Bildung einer interkonfessionellen Regierung vereinbart wurde, in vollem Umfang umzusetzen und zum Beispiel endlich einen Innen- und Verteidigungsminister zu benennen. Sollte er dieser Forderung bis zum 15. Mai nicht nachkommen, drohen die vier Politiker, deren Gruppierungen im Parlament zusammen über eine deutliche Mehrheit verfügen, den Dawa-Chef als Premierminister mittels eines Mißtrauensvotums zu Fall zu bringen.

Für den Fall, daß Maliki nicht auf die Forderung der neben ihn wichtigsten Politiker des Iraks eingeht, sollen sich Al Sadr, Allawi, Barsani und Al Nujaifi bereits auf einen Nachfolger geeinigt haben. Berichten der türkischen Presse zufolge, die sich auf kurdische Quellen beziehen, soll Ibrahim Al Jaafari mit dem Regierungsgeschäft beauftragt werden. Der Schiite, der einst Malikis Dawa-Partei angehört und heute Vorsitzender des National Reform Trend ist, war bereits von 2005‍ ‍bis 2005 Premierminister der Übergangsregierung in Bagdad. Man wünscht sich für den Irak ein rasches Ende der politischen Krise, denn sie läßt nicht nur die Gewalt im Zweistromland nicht abflauen, sondern trägt auch dazu bei, daß der Prozentsatz an Menschen, die täglich Hunger leiden, zwischen 2008 und 2011 von 38 auf 60 hochgeklettert ist. Über diese beunruhigende und wenig bekannte Entwicklung hatte Stan Cox am 30. April auf der Website des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera unter der Überschrift "Iraq's sagging safety net" berichtet.

8.‍ ‍Mai 2012