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NAHOST/1232: Syriens Bürgerkrieg greift auf den Libanon über (SB)


Syriens Bürgerkrieg greift auf den Libanon über

USA wollen angebliche Rechnung mit Hisb Allah begleichen



Im Libanon steigt die Angst vor einem erneuten Ausbruch jenes Bürgerkrieges, der zwischen 1975 und 1990 das Mittelmeerland regelrecht zugrunde gerichtet hatte. Grund dafür ist der Krieg im Nachbarland Syrien, der zusehends auf den Libanon übergreift. Seit zwei Jahren dient die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli, die ohnehin als Hochburg sunnitischer Salafisten verschrien ist, als Drehkreuz für die Versorgung der syrischen Aufständischen mit Waffen und ausländischen Kämpfern. Nun wird der Nordlibanon jedoch unmittelbar in den Konflikt in Syrien hineingezogen. Seit Mitte April werden schiitische Dörfer im Norden des libanesischen Bekaatals in der Nähe der Grenze von syrischen Rebellen fast täglich mit Raketen beschossen. Mit den Raketenangriffen, die bereits zwei Todesopfer gefordert haben, protestieren die syrischen Rebellen, in deren Reihen die al-kaida-nahe Al-Nusra-Front die schlagkräftigste Gruppe bildet, gegen die Unterstützung der schiitischen Hisb-Allah-Miliz für die Truppen Bashar Al Assads.

Seit langem steht der Vorwurf im Raum, Angehörige der iranischen Revolutionsgarden und der Hisb Allah kämpften Seite an Seite mit den regulären syrischen Streitkräften gegen die Freie Syrische Armee (FSA), die Al-Nusra-Front und die anderen Milizen, die sich der Opposition in Syrien angeschlossen haben. Logisch wäre das. Denn die syrische Erhebung ist weniger ein genuiner Volksaufstand als vielmehr das Resultat einer großangelegten Destabilisierungsoperation, bei der die Geheimdienste der USA, Saudi-Arabiens und Israels eine führende Rolle spielen. Durch den Sturz des "Regimes" Bashar Al Assads soll der sogenannte "Bogen des Widerstands" zwischen dem schiitischen Südlibanon, dem bislang säkularen Syrien, dem derzeit schiitisch dominierten Irak und dem Iran zerschlagen werden.

Auch wenn der Bürgerkrieg in Syrien noch tobt, hat die Ende 2006 in Reaktion auf die wenige Monate zuvor erlittene Niederlage Israels im Libanonkrieg gegen die Hisb Allah vom damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und dem Nationalen Sicherheitsberater Saudi-Arabiens Prinz Bandar Bin Sultan ersonnene Vorgehensweise bereits erste Erfolge gezeitigt. Die palästinensische Hamas-Bewegung, die jahrelang den Schutz Syriens genoß, ist der Logik der Teile-und-Herrsche-Strategie Washingtons und Riads, die Sunniten und Schiiten des Nahen Ostens gegeneinander auszuspielen, gefolgt. Sie hat im November 2012 ihr Büro in Damaskus geschlossen und soll inzwischen in der Nähe der jordanischen Hauptstadt Amman bereits Freiwillige für den syrischen Aufstand militärisch ausbilden.

Der Krieg in Syrien droht derzeit auf den Norden des Libanons überzugreifen, weil sich auf der anderen Seite der Grenze Rebellen und staatliche Streitkräfte einen erbitterten Kampf um die Stadt Homs liefern. Diese liegt auf der Verbindungstraße, die Damaskus im Süden sowohl mit Aleppo im Norden als auch mit der syrischen Mittelmeerküste verbindet. Gelingt es den syrischen Regierungstruppen, die Aufständischen aus Homs und Umgebung zu vertreiben, bleibt der eventuelle Rückzugsweg für den Assad-Klan in die mehrheitlich von Alewiten bewohnte Küstenprovinz Latakia frei. Darüber hinaus könnte man einen Vorstoß der Rebellen aus der türkischen Grenzregion um Aleppo verhindern und energischer gegen den Waffenschmuggel über den Nordlibanon vorgehen. Darum ist nicht nur Homs selbst, sondern sind auch die von Schiiten bewohnten Dörfer zwischen der Stadt und der libanesischen Grenze umkämpft. Nach eigenen Angaben hat die Hisb Allah ausschließlich zur Verteidigung der Bewohner nämlicher Dörfer in der Nähe der Kleinstadt Al Qusair eine nicht genaue Anzahl von Kämpfern in die Region um Homs entsandt.

Über die Einmischung der Hisb-Allah-Milizionäre sind die syrischen Rebellen alles anders als glücklich, was sich nicht nur in deren Raketenangriffen auf die schiitischen Dörfer im Raum Hermel im nördlichen Bekaatal ausdrückt. Die Al-Nusra-Front hat bereits mit militärischen Operationen auf Hisb-Allah-Ziele in ganz Libanon, darunter in der Hochburg der schiitischen Bewegung im Süden Beiruts, gedroht. Am 21. April hat die oppositionelle syrische Nationalkoalition ebenfalls davor gewarnt, daß sich die Kämpfer der FSA, sollte sich die Hisb Allah nicht aus Homs zurückziehen, gezwungen sehen könnten, den Krieg in den Libanon hineinzutragen. Im Libanon drohe eine "Explosion" der Gewalt, hieß es in der Stellungnahme der wichtigsten Dachorganisation der Assad-Gegner.

Am 22. April haben zwei der einflußreichsten Salafistenprediger des Libanons, Scheich Ahmad Assir aus Sidon und Scheich Salem Al Rifai aus Tripoli, zu einem Dschihad gegen die Hisb Allah aufgerufen. Die beiden Geistlichen begründeten die Mobilmachung ihrer Anhänger mit der angeblichen Notwendigkeit, zunächst die Sunniten in der Homs-Region vor Übergriffen der Hisb Allah zu schützen sowie sich mittelfristig auf den großen Showdown mit den Schiiten im eigenen Land vorzubereiten. Angesichts der politischen Krise im Libanon dürfte der Aufruf Assirs und Al Rifais auf fruchtbaren Boden fallen. Am 23. März ist Najib Mikati als Premierminister einer libanesischen Koalitionsregierung, in der die Hisb Allah die größte Fraktion stellte, plötzlich zurückgetreten. Nur wenige Tage zuvor hatten Lawrence Silverman und Amos Hochstein, zwei Staatssekretäre aus dem US- Außenministerium, bei einem Besuch in Beirut deutlich gemacht, daß Washington nicht mehr zur Duldung einer libanesischen Regierung unter Beteiligung der Hisb Allah bereit sei. In einem Artikel, der am 14. März beim libanesischen Daily Star unter der Überschrift "New American approach to Hezbollah?" erschienen ist, berichtete Journalist Antoine Ghattas Saab, die beiden Gesandten Barack Obamas und John Kerrys hätten ihre pro-westlichen Gesprächspartner in Beirut "dazu ermahnt, sich auf eine sich abzeichnende Phase der 'politischen Regelungen' im turbulenten Nahen Osten gut vorzubereiten".

Bereits 2006, auf dem Höhepunkt des Libanonkrieges, als die israelische Luftwaffe Tod und Schrecken unter der libanesischen Zivilbevölkerung verbreitete, meinte die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice, die "Geburtswehen eines neuen Nahen Osten" zu erkennen. Am Widerstand der Hisb-Allah-Miliz ist damals jedoch die Vision Rices gescheitert. Sieben Jahre später gehört die Beseitigung der Hisb Allah als militärische Kraft, die Israel und den USA die Stirn bietet, nach wie vor zu den vordringlichsten Zielen der Nahost-Politik Washingtons. Nicht zufällig hat Rices Nachfolger Kerry am 18. April, dem dreißigsten Jahrestag des Bombenanschlages auf die US-Botschaft in Beirut, der 52 Menschen, darunter zahlreiche CIA-Mitarbeiter, das Leben kostete, zu einer Kampfansage an die Adresse der Hisb Allah genutzt. Dabei wurde die Hisb Allah erst 1985 offiziell gegründet. Ihre Verwicklung in den Botschaftsanschlag ist niemals bewiesen worden. Vielmehr hatte sich eine schiitische Organisation namens Islamischer Dschihad dazu bekannt.

Die Verfechter einer amerikanisch-israelisch-saudischen Ordnung im Nahen Osten interessieren solche geschichtlichen Details nicht. Für sie bleibt die Hisb Allah allein wegen ihrer anti-imperialistischen Grundhaltung nach wie vor das "A-Team" des "internationalen Terrorismus". Jene Bezeichnung für die wichtigste politische Organisation der libanesischen Schiiten dachte sich 2002 der damalige US-Vizeaußenminister Richard Armitage aus, ungeachtet dessen, daß nur wenige Monate zuvor 19 sunnitische Selbstmordattentäter 3000 Menschen durch die Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington umgebracht haben sollten. Damals erklärte der Ex-Marineinfanterist und Vietnamkriegsheld, die Hisb Allah hätte eine "Blutschuld" gegenüber den USA, die über kurz oder lang beglichen werden würde. Angesichts der Lage in Syrien und im Libanon scheint es, als rücke der damals von Armitage angekündigte "Tag der Abrechnung" immer näher.

25. April 2013