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NAHOST/1268: Frankreich sabotiert Beilegung des Atomstreits (SB)


Frankreich sabotiert Beilegung des Atomstreits

Verhandlungen in Genf am Veto Paris' - und Tel Avivs - gescheitert



In den frühen Morgenstunden am Sonntag, dem 10. November, sind in Genf die Verhandlungen über eine Lösung des Streits um das iranische Atomprogramm ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Die Enttäuschung über den Ausgang der Gespräche zwischen Vertretern des Irans und der Gruppe P5+1 - die fünf ständigen (permanent) Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, also China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA, plus Deutschland - ist groß, denn an den ersten Verhandlungstagen am 7. und 8. November sah alles nach einem Durchbruch aus. Am 8. November war sogar US-Außenminister John Kerry extra an den Genfer See gereist, um unter Vermittlung von Baronin Catherine Ashton, der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, zusammen mit seinem iranischen Amtskollegen Mohammad Javad Zarif den sich abzeichnenden Deal unter Dach und Fach zu bringen. Doch dazu ist es nicht gekommen. Frankreich in Form von Außenminister Laurent Fabius hat "Bedenken" angemeldet und sozusagen in letzter Minute eine Einigung sabotiert. Es gibt starke Hinweise, daß Paris seine Haltung in dieser Frage mit Israel abgestimmt bzw. von Tel Aviv hat leiten lassen.

Noch vor dem Flug in die Schweiz hatte sich Kerry in Jerusalem mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, dem Hauptgegner einer Aussöhnung des Westens mit dem Iran, getroffen und vergeblich versucht, dessen Einwände zu entkräften. Worin genau der Deal bestanden hätte, ist nicht genau bekannt, denn die Verhandlungsteilnehmer hatten sich gegenseitig zur Geheimhaltung verpflichtet. Presseberichten zufolge hätte der Iran umfassenden Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz seines zivilen Kernenergieprogramms zugestimmt, auf die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent des Isotops U235 verzichtet und seinen Bestand an solchem Material abgebaut bzw. umgewandelt, damit daraus keine Atomsprengköpfe hergestellt werden könnten. Im Gegenzug hätte Washington - und mit ihm natürlich Berlin, London, Moskau, Paris und Peking - das Recht des Irans auf Urananreicherung auf 3 Prozent U235 zwecks Herstellung ziviler Brennstäbe anerkannt und eingefrorene Gelder des Irans im Wert von mehreren Milliarden Dollar in den USA freigegeben.

Wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen Kerry und Netanjahu - auch über den Stand des Nahost-Friedensprozesses und der Verhandlungen mit den Palästinensern - kam es laut der Zeitung Ha'aretz zu keiner gemeinsamen Pressekonferenz vor der Abreise des US-Chefdiplomaten. Kaum war Kerrys Maschine in der Luft, da gab Israels Regierungschef seiner Kritik am bevorstehenden Deal mit den Iranern freien Lauf. In einer Videobotschaft, die er im Handumdrehen in seinem Büro aufnahm und auf der Website des israelischen Premierministers veröffentlichte, erklärte Netanjahu, der Iran hätte für sich "den Deal des Jahrhunderts" herausgeholt, dafür die "internationale Gemeinschaft" "einen schlechten Deal" gemacht. "Ich bitte Außenminister Kerry eindringlich, nicht überhastet zu unterzeichnen, sondern zu warten, sich neu zu überdenken und einen guten Deal herauszuholen. Denn dieser ist ein schlechter Deal, ein sehr, sehr schlechter Deal", so der Likud-Chef.

Im Weißen Haus dürften die Worte Netanjahus für Unruhe gesorgt haben. Wegen der Stärke der zionistischen Lobby in den USA nehmen die Volksvertreter in Repräsentantenhaus und Senat bekanntlich große Rücksicht auf die Interessen Israels. Aufgrund des Widerstands des Kongresses konnten Obama und Kerry den Iranern auch keine allzu rasche Aufhebung der Wirtschaftssanktionen in Aussicht stellen. Erschwerend kommt dazu, daß pro-israelische Hardliner im Kongreß in den nächsten Tagen ein Gesetz zur weiteren Verschärfung der Sanktionen verabschieden wollen und vermutlich auch werden. Ein solcher Schritt könnte für Teheran alle Verhandlungen sinnlos machen, was natürlich die von den Iranophoben favorisierte Option des Regimewechsels am Leben erhalten würde.

Darum hat Obama laut eines Berichts des Londoner Guardian vom 11. November am Freitagnachmittag Netanjahu angerufen und gebeten, sich dem anvisierten Durchbruch in Genf nicht in den Weg zu stellen. Doch statt der Bitte des US-Präsidenten zu folgen, hat Netanjahu seinerseits David Cameron, Angela Merkel, Wladimir Putin und Francois Hollande angerufen und sie dazu aufgefordert, den Deal zu blockieren. Bei den Franzosen hat Netanjahus Appell Wirkung gezeigt. Noch bevor Kerry in Genf landete, meldete sich der französische Außenminister Laurent Fabius bei einem Radiointerview zu Wort und erklärte, Paris werde sich auf kein "jeu des dupes" ("Idiotenspiel" oder "abgekartetes Spiel") einlassen. Fabius ging noch weiter, indem er als einziger Beteiligter aus der Vereinbarung, über Details der laufenden Verhandlungen zu schweigen, ausscherte. Er verlangte eine Beendigung des Baus des Schwerwasserreaktors in Arak und einen Export bzw. eine Beseitigung des iranischen Bestands an auf 20 Prozent U235 angereichertem Uran. Für beide Problembereiche hatten Kerry und Zarif Kompromißlösungen gefunden, welche die Gefahr der militärischen Nutzung bannten. Doch als sich Fabius in Genf am 9. November partout nicht darauf einlassen wollte, mußten die Gespräche ergebnislos vertagt werden. Als nächster Verhandlungstermin wurde der 20. November anberaumt.

Da stellt sich die Frage, woher die Entscheidung der Franzosen, die Atomgespräche zu torpedieren und die USA derart zu brüskieren, gekommen ist. War es nur die Sorge um Israel bzw. der Wunsch, sich vor dem bevorstehenden Staatsbesuch des französischen Präsidenten Hollande im jüdischen Staat mit Netanjahu gut zu stellen? Möglicherweise wollte Paris, das sich in der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Syrienkrise an die Spitze der Gegner Baschar Al Assads positioniert hatte, Obama wegen seines plötzlichen Entschlusses im September, keine Raketenangriffe auf die syrischen Streitkräfte durchführen zu lassen und statt dessen eine diplomatische Lösung zu suchen, bestrafen. Schließlich verspricht sich Frankreich aus einem "Regimewechsel" in Damaskus die Wiederauferstehung seiner einstigen kolonialen Einflußsphäre an der Levante.

Möglicherweise hat auch Saudi-Arabien bei den Machenschaften im Hintergrund der Verhandlungen über den Atomstreit mit dem Iran seine Finger im Spiel gehabt. Wie Marcy Wheeler am 9. November auf ihrem Blog Emptywheel anmerkte, war es gegenüber einem Vertreter der französischen Diplomatie, daß Prinz Bandar, der saudische Geheimdienstchef und Nationale Sicherheitsberater von König Abdullah, Mitte Oktober ebenfalls als Reaktion auf den nicht-erfolgten Raketenangriff auf Syrien eine "große Verschiebung" der Außenpolitik Riads weg von den USA ankündigte. Bei der Gelegenheit soll Bandar Paris eine größere Bestellung französischer Waffensysteme für die saudischen Streitkräfte in Aussicht gestellt haben. Will man politische Entwicklungen verstehen, ist die berühmte Devise aus den Watergate-Skandal - "Follow the money", stets hilfreich. Interessanterweise berichtete am 10. November die Times of Israel, Fabius hätte in Genf sein Veto gegen den Atom-Deal eingelegt, weil er vorher von Meyer Habib, einem jüdischen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung und Freund Netanjahus, gewarnt worden war, daß Israels Premierminister einen Militärangriff auf die iranischen Atomanlagen anordnen würde, sollten die Bedingungen der Einigung für die Islamische Republik aus seiner Sicht nicht streng genug ausfallen.

12. November 2013