Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1314: Einheitsregierung Hamas-PLO in Palästina gebildet (SB)


Einheitsregierung Hamas-PLO in Palästina gebildet

Israel über die positive Reaktion der USA verstimmt



Sechs Wochen nach der Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens zwischen der Fatah und der islamischen Hamas-Bewegung hat Palästinas Präsident Mahmud Abbas in Ramallah am 2. Juni eine neue Einheitsregierung für das Westjordanland und den Gazastreifen vereidigt. Nach dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen 2006 war es zum Zwist zwischen beiden Organisationen gekommen. Auf Druck der EU und der USA hat die Fatah damals die Kontrolle über das Westjordanland an sich gerissen und der Hamas ihre Hochburg, den Gazastreifen, überlassen. 2007 versuchte die Fatah, die größte Einzelfraktion innerhalb der Palestinian Liberation Organisation (PLO), mit Hilfe des israelischen Mossad und der CIA die Hamas-Administration in Gaza gewaltsam zu stürzen. Doch der blutige Putschversuch scheiterte am erbitterten Widerstand der hamas-eigenen Sicherheitskräfte. Seitdem befanden sich die beiden rivalisierenden Machtzentren Ramallah und Gaza-Stadt in einer Art Dauerfehde.

Zwei Faktoren haben Fatah und Hamas wieder zusammengebracht. Der vordergründigste ist das Scheitern der Nahost-Friedensverhandlungen zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und der konservativen israelischen Koalitionsregierung Benjamin Netanjahus. Nach neunmonatigen Gesprächen unter der Vermittlung von US-Außenminister John Kerry hat Präsident Abbas Ende April erkennen müssen, daß es seitens der derzeitigen israelischen Regierung keine ernsthafte Bereitschaft zu einer Zweistaatenlösung gibt, die diesen Namen verdient. Israel wollte die jüdischen Siedlungen im Westjordanland und Ostjerusalem annektieren, wofür die Palästinenser im Gegenzug minderwertige Areale in der Negevwüste erhalten sollten. Darüber hinaus hätten die Palästinenser nicht ganz Ostjerusalem sondern lediglich einen kleinen Teil davon als Hauptstadt bekommen, während die Israelis weiterhin die Kontrolle über die Außengrenzen, den Luftraum und die Wasserressourcen des neuen palästinensischen Zwergstaates behalten hätten.

Ungeachtet der Verhandlungen hat Israel den höchst provokanten Ausbau der jüdischen Siedlungen fortgesetzt. Als sich die Netanjahu-Regierung im April auch noch weigerte, eine Vereinbarung vom vergangenen Jahr über die Freilassung von mehr als hundert palästinensischen Gefangenen in die Tat umzusetzen, war Abbas' Geduld zu Ende. Er erklärte die Gespräche für gescheitert und demonstrierte mit der Unterzeichnung des Antrags des Beitritts Palästinas zu 15 UN-Unterorganisationen und internationalen Verträgen, daß die Palästinenser künftig ihren eigenen Weg gehen werden. Hierzu paßt die Bildung der neuen Einheitsregierung mit der Hamas, die Israel seit Jahren als "terroristische Organisation" dämonisiert.

Vermutlich aus Rücksicht auf die Berührungsängste des Auslands, dessen Finanzhilfen seit Jahren das Überleben der Menschen im Westjordanland und im Gazastreifen sichern, besteht die neue palästinensische Regierung aus parteiunabhängigen Akademikern, Anwälten und Geschäftsleuten. Unter den 16 Ministern befinden sich auch drei Frauen. Die vier neuen Minister aus dem Gazastreifen konnten allerdings nicht an der feierlichen Zeremonie in Ramallah teilnehmen, weil Israel ihnen die Durchfahrt verweigerte.

Bis zum Schluß stritten sich Fatah und Hamas über die Absicht von Abbas, das Ministerium für Gefangenenangelegenheiten aufzulösen und die Zuständigkeit hierfür dem palästinensischen Präsidenten zu übertragen. Während die Fatah den geplanten Schritt als eine weitere Rücksichtnahme auf die internationalen Geldgeber verstanden haben wollte, sah die Hamas darin eine unzulässige Distanzierung der neuen Regierung von denjenigen, die für die palästinensische Sache ihr Leben riskiert haben und deshalb in israelischer Gefangenschaft sitzen. Vorerst bleibt nun das Ministerium bestehen. Die neue Technokraten-Regierung soll Präsidents- und Parlamentswahlen organisieren, die in rund sechs Monaten gleichzeitig in beiden Teilen der palästinensischen Gebiete stattfinden sollen.

Der zweite wesentliche Faktor für die Annäherung der wichtigsten palästinensischen Parteien war die desolate Lage des Gazastreifens. Nach dem Sturz Hosni Mubaraks und der Wahl Mohammed Mursis von der Moslembruderschaft 2011 zum Präsidenten Ägyptens wähnte sich die Hamas im Aufwind. Schließlich geht sie aus der ägyptischen Moslembruderschaft hervor. Damals wurde der Grenzverkehr zwischen dem Gazastreifen und Ägypten drastisch gelockert. In Gaza-Stadt empfing man ranghohe Staatsbesuche unter anderem aus Katar und der Türkei. Als es im selben Jahr zum gewaltsamen Aufstand in Syrien kam, hat die sunnitische Hamas ihre langjährige Vertretung in Damaskus geschlossen und die Verbindungen nicht nur zur säkularen Baath-Regierung Baschar Al Assads, sondern auch zur schiitischen Schutzmacht Iran abgebrochen.

Umso härter hat der Putsch der ägyptischen Generäle im Juli vergangen Jahres die Hamas getroffen. Unter Hinweis auf die gewalttätigen Aktivitäten salafistischer Hasardeure auf der Halbinsel Sinai zerstörte die neue Junta in Kairo unter der Leitung von General Abd Al Fattah As Sisi die zahlreichen unterirdischen Tunnel zwischen Ägypten und Gaza und kappte damit die wichtigste Nachschubroute für Waren des alltäglichen Bedarfs in das abgeriegelte Gebiet. Seitdem geht es den Menschen im Gazastreifen sehr schlecht. Armut und Arbeitslosigkeit sind drastisch angestiegen. Die Hamas-Regierung - unter anderem wegen der abgebrochenen Kontakte zu Teheran - hat kaum Geld und kann weder Sozialhilfe leisten, noch die Gehälter der eigenen Verwaltungsbeamten zahlen. Von daher war die Versöhnung mit der Fatah und der PLO für die Hamas im Grunde genommen überlebensnotwendig.

Die Reaktionen auf die Bildung der neuen Einheitsregierung Palästinas fielen unterschiedlich aus. Die EU und die USA haben die Entwicklung begrüßt. Washington erwägt offenbar, seine Finanzhilfe für die Palästinenser in Höhe von 440 Millionen Dollar in diesem Jahr weiterhin zu gewährleisten, da kein offizieller Hamas-Vertreter ein Amt im neuen Kabinett erhalten hat. Israel dagegen hat jede Zusammenarbeit mit der PA bis auf weiteres eingestellt und droht mit Gegenmaßnahmen, darunter mit wirtschaftlichen Sanktionen. Gleichzeitig werfen die zahlreichen neokonservativen Freunde Israels im US-Kongreß der Regierung Barack Obama vor, durch die überraschende Entscheidung zur Anerkennung der neuen palästinensischen Regierung die Hamas aufzuwerten und sich in Sachen "globaler Antiterrorkrieg" unglaubwürdig zu machen.

Interessant dürfte vor allem das künftige Verhalten Ägyptens sein, dessen Militärführung die Wiederannäherung zwischen Ramallah und Gaza-Stadt maßgeblich begleitet haben soll. Ägypten kann durch eine verstärkte Unterstützung für die Palästinenser wieder seinen Anspruch auf die Führungsrolle in der arabischen Welt unterstreichen. Womöglich läßt sich durch einen Modus vivendi Kairos mit der Hamas in Gaza mittelfristig sogar eine Lösung der innerpolitischen Krise in Ägypten erzielen, wo die Moslembruderschaft seit September 2013 wieder verboten ist.

3. Juni 2014