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NAHOST/1397: Steht die Entscheidungsschlacht in Syrien bevor? (SB)


Steht die Entscheidungsschlacht in Syrien bevor?

Hisb Allah und Al Nusra rüsten für Kampf um den Berg Kalamoun auf


Seit über vier Jahren herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Das schreckliche Gemetzel hat mehr als 220.000 Menschen das Leben gekostet, Millionen Familien zu Flüchtlingen gemacht und die einstige säkulare Vielvölkergesellschaft zugrunde gerichtet. Während die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) über weite Teile Ostsyriens - sowie des Nordens und Westens des Iraks - herrscht, sind deren Rivalen bzw. Verbündete von der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front im Westen Syriens auf dem Vormarsch. Zusammen mit kleineren Gruppen hat die Al Nusra in den letzten Wochen eine Offensive der staatlichen Streitkräfte nahe den Golanhöhen gestoppt und Idlib, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz unter ihre Kontrolle gebracht. Wie lange die Truppen Baschar Al Assads die Hauptstadt Damaskus noch halten können, weiß niemand.

Möglicherweise steht die große Entscheidungsschlacht im syrischen Bürgerkrieg kurz bevor. Die libanesisch-schiitische Hisb-Allah-Miliz, ohne deren Hilfe das "Regime" Assads heute vermutlich nicht mehr bestehen würde, und die sunnitisch-salafistischen Aufständischen in Syrien bereiten sich auf eine folgenreiche Auseinandersetzung um die Bergregion Kalamoun vor. In einem am 2. Mai erschienenen Beitrag für die britische Tageszeitung Independent ließ der namhafte Nahost- und Kriegskorrespondent Robert Fisk, der seit Jahrzehnten in Beirut lebt, folgende Information fallen:

Übrigens haben in den letzten drei Tagen Hisb-Allah-Mitglieder im Libanon Bescheid bekommen, sie sollten sich bereithalten, um in den nächsten zwei Wochen nach Syrien zurückzukehren und in eine große Schlacht um die Kalamoun-Berge - auf der anderen Seite der nordöstlichen Grenze des Libanons - zu ziehen, falls der IS versuchen sollte, in den Libanon hineinzudringen und die Nachschubroute der Hisb Allah von Hermel bis hinunter nach Baalbek und dem libanesischen Süden zu kappen.

Im Juli letzten Jahres marschierten islamistische Rebellen von Al Nusra und IS erstmals in den Libanon ein und hielten fünf Tage lang die Grenzstadt Arsal im Bekaatal besetzt. Erst nach schweren Kämpfen konnte die libanesische Armee sie wieder zum Abzug zwingen. Seitdem halten die Islamisten rund zwei Dutzend libanesische Polizisten und Soldaten als Geisel, die sie gegen ihre Gesinnungsgenossen im Hochsicherheitstrakt Roumieh austauschen wollen. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, haben die Geiselnehmer im August 2014 den Soldaten Ali Al-Sayyed geköpft und die Videoaufzeichung seiner Ermordung im Internet veröffentlicht. Der Vorfall hat die libanesische Öffentlichkeit schockiert. Während die Verhandlungen zwischen Al Nusra bzw. IS und der Regierung in Beirut auf der Stelle treten, kommt es an der libanesisch-syrischen Grenze immer wieder zu Scharmützeln und Artilleriefeuer. Im Oktober haben Al-Nusra-Kämpfer mehrere Kontrollposten der Hisb-Allah-Miliz am Rande der ostlibanesischen Städte Brital und Nahle überfallen und dabei acht Menschen getötet.

Am 3. Mai hat die Al Nusra auf ihrer Twitter-Seite mehrere Bilder veröffentlicht, die zeigen, wie Freiwillige der Gruppe in der Kalamoun-Region an Anti-Panzerraketen für die bevorstehende Schlacht ausgebildet werden. Über die Ankündigung der Al Nusra berichtete am 4. Mai die in Beirut auf Englisch erscheinende Zeitung Daily Star. Unter einem der Bilder hieß es: "Mudschaheddin trainieren an allen Waffenarten in ihren Ausbildungslagern. Sie sind fast soweit, ihre Dörfer zu befreien." Den selbsternannten heiligen Kriegern geht es darum, ihre frühere Nachschublinie von der Mittelmeerküste bis Syrien wiederherzustellen und eventuell sogar ein eigenes islamisches Emirat im mehrheitlich von Sunniten bewohnten Nordlibanon mit der Hafenstadt Tripolis, die schon länger als Salafisten-Hochburg gilt, als Hauptstadt zu errichten. Ein solches Alptraumszenario will die Hisb Allah ganz klar verhindern.

Die Hisb-Allah-Miliz, die sich 2006 im Libanon-Krieg gegen die Streitkräfte Israels behauptete und die militärische Fachwelt beeindruckte, muß sich auf wirklich schwere Kämpfe im Kalamoun-Gebirge gefaßt machen. Gerade mit Hilfe von Anti-Panzerraketen, wie sie die Al Nusra so stolz auf ihrer Twitter-Seite präsentiert, haben die Aufständischen in Syrien in den letzten Monaten den Kriegsverlauf zu ihren Gunsten wenden können. Es handelt sich hier hauptsächlich um die Panzerabwehrlenkwaffe vom Typ BGM-71 TOW, die vom US-Rüstungskonzern Raytheon hergestellt wird. Im Dezember 2013 hatte das Pentagon den Verkauf von 15.000 solcher Anti-Panzerraketen in einem Gesamtwert von 1,1 Milliarden Dollar an Saudi-Arabien genehmigt. Schon damals kam die Frage auf, wozu Riad diese Waffen überhaupt braucht. Das Erstarken der Kriegsposition der Aufständischen im syrischen Bürgerkrieg in den letzten Monaten liefert die Antwort.

Die Rüstungsexportrichtlinien der USA verbieten die Weitergabe solcher Waffen an Dritte. Darum nimmt die Regierung Barack Obamas von dem verstärkten Einsatz hochmoderner Anti-Panzerraketen aus US-Produktion durch syrische Islamistenmilizen wenig Notiz - jedenfalls nach außen hin. Washington tut so, als sei das Phänomen allein dadurch zu erklären, daß Al Nusra und IS die Waffenbestände bei internen Machtkämpfen von "gemäßigten", den USA wohlgesonnenen Rebellengruppen erbeutet hätten. Tatsächlich fahren die USA hier eine Doppelstrategie. Wie David Ignatius, dessen Verbindungen zur CIA legendär sind, am 3. Mai in seiner Kolumne für die Washington Post schilderte, unterstützt die Obama-Regierung einerseits "im Stillen" die Aufrüstung sunnitischer Salafisten in Syrien durch Saudi-Arabien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien, während sie andererseits unter dem Vorwand einer Lösung des sogenannten Atomstreits diplomatisch auf den Iran zugeht.

Teheran hält bisher zu dem syrischen Verbündeten Assad und leistet Damaskus wichtige militärische Hilfe. Der Iran und seine Verbündeten von der libanesischen Hisb Allah haben sich seit 2012 im syrischen Bürgerkrieg dermaßen stark engagiert, daß sie das Assad-"Regime" nicht ohne weiteres fallenlassen könnten, ohne dabei einen enormen Prestigeverlust zu erleiden. Vermutlich ist deshalb die drohende Schlacht um das Kalamoun-Gebirge unvermeidlich. Erst nachdem die Kämpfe dort ausgefochten sind und man eine genauere Idee von den militärischen Kräfteverhältnissen hat, werden sich vielleicht die wichtigsten ausländischen Akteure im Syrien-Krieg, die USA, Saudi-Arabien und die Türkei auf der einen Seite sowie Rußland, der Iran und die Hisb Allah auf der anderen, gemeinsam überlegen, wie es in der Levante weitergehen soll.

5. Mai 2015


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