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NAHOST/1444: Lage im Syrien-Krieg alles andere als übersichtlich (SB)


Lage im Syrien-Krieg alles andere als übersichtlich

Von der CIA und dem Pentagon unterstützte Rebellen bekriegen sich


Die Vertreibung der letzten Kämpfer der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) aus der strategisch wichtigen Oasenstadt Palmyra mit seinen berühmten antiken Ruinen im Zentrum Syriens durch die Syrische Arabische Armee (SAA) am 27. März hat vor dem Hintergrund der weitgehenden Einhaltung einer Ende Februar vereinbarten Feuerpause zwischen den Truppen Baschar Al Assads und "gemäßigten" Rebellengruppen Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Syrienkriegs aufkommen lassen. Nach Angaben der in England ansässigen oppositionellen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte waren in den letzten vier Wochen 363 Zivilisten gewaltsam ums Leben gekommen. Noch im Januar hatte der Krieg 1100 zivile Opfer gefordert. Durch den provisorischen Waffenstillstand, den die Regierung in Damaskus mit fast allen Rebellengruppen außer dem IS und der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front geschlossen hat, ist die Zahl der getöteten Zivilisten um rund 60 Prozent zurückgegangen. Aus einigen Landesteilen wird inzwischen eine langsame Rückkehr zur Normalität gemeldet. Der Frontverlauf in Syrien ist allerdings sehr komplex, so daß mit einer langen Fortsetzung des Konflikts, wenngleich zunächst auf einem niedrigeren Niveau als in den vergangenen fünf Jahren, gerechnet werden muß.

Die Kompliziertheit der Verhältnisse brachte ein am 26. März unter der Überschrift "CIA-armed militias are shooting at Pentagon-armed ones in Syria" veröffentlichter Artikel der Los Angeles Times auf den Punkt. Demnach ist es in der Region zwischen der Stadt Aleppo und der türkischen Grenze in den vergangenen Wochen wiederholt zu Kämpfen zwischen der von der CIA unterstützten sunnitisch-arabischen Gruppe Fursan Al Hak (Ritter der Gerechtigkeit) und der vom Pentagon geförderten Milizenkoalition namens Syrische Demokratische Kräfte, in der die linksgerichteten kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG, eine syrische Schwesterorganisation der in der Türkei verbotenen PKK, die führende Rolle spielen, gekommen. Das Durcheinander auf dem Schlachtfeld spiegelt lediglich den anhaltenden Streit innerhalb der außenpolitischen Elite in Washington um den richtigen Syrien-Kurs wider.

Von Anfang wollten die amerikanischen Kriegsfalken, seinerzeit angeführt von der damaligen Außenministerin Hillary Clinton, dem damaligen CIA-Chef David Petraeus und dem einflußreichen republikanischen Senator John McCain, mit Hilfe Saudi-Arabiens und der Türkei sowie durch die Mobilisierung Zehntausender Dschihadisten aus aller Welt einen "Regimewechsel" in Damaskus militärisch erzwingen. Höhepunkt jener Bemühungen waren die Giftgasangriffe der Rebellen im Sommer 2013, welche mit Hilfe der Medien den Assad-Truppen in die Schuhe geschoben werden sollten, um Washington einen Vorwand für massive Raketenangriffe der US-Streitkräfte zu liefern. Barack Obama ist jedoch nicht auf das Täuschungsmanöver hereingefallen. Er verzichtete quasi in letzter Minute auf ein militärisches Eingreifen, was ihm die Neokonservativen und die Liberalinterventionisten in Washington bis heute nicht verziehen haben.

Statt dessen entschied sich der US-Präsident für eine stille Zusammenarbeit mit dem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Noch im September 2013 brachte Moskau Assad dazu, das gesamte Arsenal der SAA an chemischen Kampfstoffen unter Aufsicht der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen außer Landes zu bringen und vernichten zu lassen. Im vergangenen Jahr hat Rußland geholfen, eine Unterzeichnung des Atomabkommens mit dem Iran und damit ein Ende der jahrzehntelangen Konfrontation zwischen Teheran und Washington herbeizuführen. Angeblich in Absprache mit Obama hat Präsident Wladimir Putin im vergangenen Herbst jene Intervention der russischen Streitkräfte in Syrien angeordnet, die den völligen Zusammenbruch der SAA und die Eroberung von Damaskus durch die salafistischen Gotteskrieger verhinderte. In den Monaten zuvor hatten die Rebellen nicht zuletzt durch den Einsatz amerikanischer Anti-Panzer-Raketen vom Typ TOW, welche sie von den Saudis in großer Stückzahl erhalten hatten, die SAA massiv zurückgedrängt.

Die von Rußland mit Hilfe des Iran und der schiitisch-libanesischen Hisb Allah herbeigeführte Stabilisierung des Assad-"Regimes" hat der Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen, die Anfang dieses Jahres in Genf zwischen Vertretern der syrischen Regierung und der gemäßigten Opposition begonnen haben, den Weg geebnet. Probleme bereitet Moskau und Washington jedoch das Verhalten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der offenbar nicht auf den Sturz Assads verzichten will und dessen Geheimdienste in Syrien seit 2011 als Handlanger der Islamisten agieren. Nach einer Wahlschlappe seiner AK-Partei hat der autoritär agierende, neo-osmanische Herrscher am Bosporus im Juni vergangenen Jahres den Friedensprozeß mit der PKK einseitig aufgekündigt und die kurdischen Gebiete Ostanatoliens mit Krieg überzogen. Infolge des Wiederaufflammens der Kämpfe sind bereits Tausende Menschen ums Leben gekommen. Zudem versucht Erdogan den Abgeordneten der linksgerichteten kurdischen Partei HDP, die eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit für die AKP im Parlament blockiert, ihre Mandate zu entziehen beziehungsweise ein Parteiverbot zu erwirken.

Darüber hinaus droht die Türkei offen mit einer Bodenoffensive im Norden Syriens, um die Entstehung eines eigenständigen kurdischen Staates zu verhindern. Seit Monaten greift die türkische Artillerie von der syrischen Grenze aus Positionen der YPG an. Da sich die kurdischen Volksverteidigungseinheiten im Nordosten Syriens als effektivster Gegner des IS erwiesen haben und deshalb Waffen und Ausbildung von den US-Spezialstreitkräften vor Ort erhalten, hat sich Erdogan im Weißen Haus unbeliebt gemacht. Als öffentliche Brüskierung des türkischen Präsidenten wird die Bekanntmachung des Weißen Hauses bewertet, daß Obama kein Treffen mit Erdogan auf dem Atomgipfel plane, der in diesem Jahr am 31. März und am 1. April in der US-Hauptstadt Washington stattfindet. Fügt sich Ankara dem Deeskalationskurs Washingtons und Moskaus im Syrien-Konflikt nicht und verfolgt weiter seine regionalen Partikularinteressen, wird sich zeigen, ob an den Gerüchten im Internet über die Absicht westlicher Geheimdienste, Erdogan gegebenenfalls selbst wegzuputschen, etwas dran ist.

30. März 2016


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