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NAHOST/1485: Unverantwortliches Vabanquespiel der USA in Syrien (SB)


Unverantwortliches Vabanquespiel der USA in Syrien

Zusammenarbeit der CIA mit Al Kaida bringt die Welt in Gefahr


Der Krieg in Syrien wird zusehends zur Bedrohung für die ganze Menschheit. Wegen der anhaltenden Offensive der russischen und syrischen Streitkräfte gegen Rebellen im Ostteil Aleppos haben die USA am 3. Oktober die Gespräche zwischen Moskau und Washington um eine Beilegung des Konflikts aufgekündigt und ihre dafür abgestellten Diplomaten aus Genf abgezogen. Angeblich ist inzwischen sogar die Kommunikation zwischen russischen und amerikanischen Militärs, um Zwischenfälle ihrer jeweiligen Luftstreitkräfte im syrischen Luftraum zu vermeiden, eingestellt worden. In den USA wird der Ruf nach Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien immer lauter, obwohl oder vielleicht gerade weil der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, General Joseph Dunford, vor wenigen Tagen bei einem Auftritt vor dem Kongreß in Washington gewarnt hat, daß der Versuch der Durchsetzung einer solchen Maßnahme auf einen heißen Krieg mit Rußland hinausliefe.

Am 2. Oktober hat Maria Zakharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, unmißverständlich erklärt, daß eine "direkte Aggression" der USA "gegen Damaskus und die syrische Armee" zu "beängstigenden tektonischen Verschiebungen nicht nur auf dem Territorium Syriens, sondern auch in der ganzen Region" führen würde. Der erstmalige Besuch des US-Verteidigungsministers Ashton Carter im unterirdischen Hauptquartier der amerikanischen Nuklearstreitkräfte in Minot, South Dakota, am 26. September und die plötzliche Abhaltung einer Katastrophenschutzübung vom 4. bis 8. Oktober in Rußland unter Teilnahme von 40 Millionen Zivilisten und 200.000 Zivilschutzbeamten und -freiwilligen verleihen den Worten Zakharowas zusätzliche Bedeutung.

Washington macht Moskau und Damaskus für das Scheitern des Waffenstillstands, mit dem die amerikanischen und russischen Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow eine Lösung der Syrienkrise herbeiführen wollten, verantwortlich und führt den Überfall auf einen humanitären Hilfskonvoi am 20. September im Osten Aleppos als Beispiel für die angebliche Perfidie der Russen und Syrer an. Letztere bestreiten, für den Vorfall verantwortlich zu sein, sehen darin ein Täuschungsmanöver der Rebellen und bezichtigen ihrerseits das Pentagon und die CIA, den jüngsten Friedensplan gezielt sabotiert zu haben. In der Tat klingt die Behauptung des US-Verteidigungsministeriums, das sich bis zuletzt offen gegen die geplante Zusammenarbeit mit Rußland bei der Terrorismusbekämpfung in Syrien gewehrt hatte, am 17. September aufgrund falscher Daten einen Außenposten der Syrischen arabischen Armee im östlichen Deir ez-Zor angegriffen und 83 SAA-Angehörige getötet zu haben, wenig plausibel.

In einem Interview mit der BBC am 30. September hat Lawrow der Administration Barack Obamas vorgeworfen, niemals ernsthaft die im Friedensplan vorgesehene Entflechtung der von den USA unterstützten "gemäßigten" Rebellen von der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front vorgehabt, geschweige denn verfolgt zu haben. Trotz aller gegenteiligen Zusicherungen hätten die Amerikaner "von Anfang an Al Nusra geschont, um sie für den Fall des Plan B ... sprich zum Zwecke eines Regimewechsels einzusetzen, zu behalten", so Lawrow. An der Behauptung des russischen Chefdiplomaten ist einiges dran. Während Kerrys Stellvertretender Pressesprecher Mark Toner die undurchschaubare "Vermischung" angeblich gemäßigter mit islamistischen Rebellengruppen als Ausrede ins Feld führt, sieht die Lage am Boden noch drastischer aus. Die Al-Nusra-Front, die sich inzwischen Jabhat Fatah al-Scham (JFS) nennt, ist neben der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) mit Abstand die stärkste oppositionelle Miliz in Syrien. Die anderen oppositionellen Formationen lehnen eine Trennung von JFS kategorisch ab, weil sie dann militärisch wenig bis gar nichts mehr zu melden hätten.

Die JFS behauptet ihrerseits, finanzielle und militärische Unterstützung nicht nur von den sunnitischen Monarchien am Persischen Golf - Katar, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien - sondern auch von den USA, deren NATO-Verbündeten und Israel zu erhalten. Dies geht zum Beispiel aus dem aufsehenerregenden Interview hervor, das der Journalist Jürgen Todenhöfer vor kurzem im Raum Aleppo mit dem JSF-Kommandeur Abu Al Ezz geführt und am 26. September im Kölner Anzeiger veröffentlicht hat. Darin hieß es, Al Nusra habe in der Vergangenheit schwere Waffen, darunter panzerbrechende Raketen von Typ TOW, "direkt" von den Amerikanern erhalten und sei, was Satellitenaufklärung, thermische Überwachungskameras et cetera betrifft, in Syrien von Spezialstreitkräften "aus der Türkei, Katar, Saudi-Arabien, Israel und Amerika" ausgebildet worden. "Die Amerikaner stehen auf unserer Seite", so Abu Al Ezz.

Für die Richtigkeit der Angaben des von Todenhöfer zitierten Al-Nusra-Kommandeurs spricht ein ausführlicher Artikel, den der ehemalige britische Diplomat und Geheimdienstangehörige Alastair Crooke am 29. Oktober bei consortiumnews.com unter der eindeutigen Überschrift "How the US Armed up Syrian Jihadists" veröffentlicht hat. Crooke zitierte darin ausgiebig aus einem erhellenden Beitrag, der am 14. September auf der Website SOFREP News, einem Onlineportal von und für Mitglieder(n) der US-Spezialstreitkräfte, erschienen war und in dem Teilnehmer der verdeckten Operationen des Pentagons der letzten Jahre in Syrien ihre Unzufriedenheit über das "Desaster" äußerten, das die CIA, angeführt von John Brennan, in Verfolgung des Ziel eines Sturzes des "Regimes" Baschar Al Assads angerichtet habe.

Der Autor des SOFREP-Beitrags, ein ehemaliger Green Beret namens Jack Murphy, schreibt zum Thema des gescheiterten Versuchs des Pentagons, die "gemäßigte" Freie Syrische Armee (FSA) zu einer schlagkräftigen Oppositionstruppe aufzubauen, unter anderem, daß "95 Prozent" der Männer, welche die amerikanischen und türkischen Spezialstreitkräfte ausbildeten, "entweder für terroristische Organisationen arbeiten oder Sympathien für sie hegen". Dazu Murphy:

Zwischen der FSA und Al Nusra zu unterscheiden ist praktisch unmöglich, denn sie sind quasi die gleiche Organisation. Bereits 2013 traten FSA-Kommandeure samt ihren gesamten Einheiten zur Al Nusra über. Dort behielten sie nach außen hin ihren alten Namen, um den Anschein des Säkularismus zu wahren, damit sie weiterhin seitens der CIA und des saudischen Geheimdiensts mit Waffen beliefert wurden. In Wirklichkeit ist die FSA wenig mehr als eine Tarnung für die mit Al Kaida verbündete Al Nusra.

Laut Murphy glaubt kein US-Elitesoldat, der an der verdeckten Operation in Syrien beteiligt ist, an den Sinn der Mission. "Sie wissen, daß wir dort die nächste Generation von Dschihadisten ausbilden"; gleichzeitig wollten sie nicht für "Al-Nusra-Typen verantwortlich sein, die später erklären, sie seien von den Amerikanern trainiert worden". Von den Bauchschmerzen, die die einfachen US-Soldaten bei der Ausbildung von "Terroristen" in Syrien empfinden, scheinen die Geostrategen in Washington nichts zu verspüren. Für sie sind die sunnitischen Dschihadisten heute genauso wie in den achtziger Jahren in Afghanistan oder in den neunziger Jahren in Tschetschenien ein gern verwendetes Mittel zur Schwächung Rußlands. So ließ sich am 28. September Konteradmiral a. D. John Kirby in seiner Funktion als Chefsprecher des State Department angesichts der anhaltenden Militäroperationen Rußlands in Syrien zur folgenden indirekten Drohung an die Adresse der Regierung Wladimir Putins hinreißen:

Extremistische Gruppen werden weiterhin die Vakuen, die es in Syrien gibt, ausnutzen, um ihren Operationsradius auszuweiten, was auch Angriffe auf russische Ziele, vielleicht sogar russische Städte miteinschließen könnte. Rußland wird weiterhin Leute in Leichensäcken nach Hause schicken und Ressourcen, vielleicht sogar Flugzeuge, verlieren.

Der Hinweis Kirbys auf Flugzeuge deutet auf Überlegungen der Kriegstreiberfraktion in den USA sowie ihrer Gesinnungsgenossen am Persischen Golf hin, die syrischen Rebellen mit schultergestützten Flugabwehrraketen aufzurüsten, damit diese russische und syrische Hubschrauber und Kampfjets vom Himmel holen können, wie es einst die afghanischen Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjets getan haben. Das Problem ist nur, daß damals Moskau das Schlachtfeld geräumt und seine Truppen nach Hause geholt hat, während angesichts der laufenden Einkreisung der Atommacht Rußland durch die NATO und der Gefahr eines Wiederaufflammens islamistischer Umtriebe im Kaukasus nicht damit zu rechnen ist, daß der Kreml diesmal dem Druck aus Washington nachgibt. Lassen die USA von ihrem Vabanquespiel in Syrien nicht endlich ab, könnte dies das Ende der Welt herbeiführen.

4. Oktober 2016


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