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NAHOST/1496: Aufständische in Syrien geraten in die Defensive (SB)


Aufständische in Syrien geraten in die Defensive

Regimewechsel in Damaskus - Für Obama und Trump kein Thema mehr


Die verheerende Niederlage Hillary Clintons, die als Präsidentin eine "Flugverbotszone" über Syrien ungeachtet der Gefahr eines direkten militärischen Konflikts mit Rußland verhängen wollte, bei der Wahl am 8. November hat zu einer dramatischen Veränderung der strategischen Lage in der Levante geführt. Der Sieger und künftige Präsident der USA, Donald Trump, hat am 11. November gegenüber dem Wall Street Journal angekündigt, nach dem Einzug ins Weiße Haus im Januar die militärische Hilfe für die "gemäßigten" Rebellen in Syrien einzustellen, da in Washington niemand wisse, mit wem man es tatsächlich zu tun habe (Bekanntlich kooperieren quasi alle "gemäßigten" Rebellen mit der Al-Kaida-nahen Al-Nusra-Front sowie gelegentlich sogar mit der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS)).

Bereits am 10. November hatte Präsident Barack Obama dem Pentagon den Befehl, in Syrien die bisherigen Luftangriffe auf Stellungen des IS auf die Al-Nusra-Front auszuweiten, erteilt. Am selben Tag hatte das Finanzministerium in Washington wegen "Terrorismus" Sanktionen gegen vier der wichtigsten Kommandeure von Al Nusra - Abdallah Muhammad Bin Sulaiman al Muhajsini, der zum Führungszirkel gehört, Dschamal Husain Zajnijah, der für die Region entlang der westsyrischen Grenze zum Libanon zuständig ist, den Militär- und Finanzberater Abdul Dschaschari sowie Aschraf Ahmad Fari Al Allak, der Einheiten in der Provinz Dera an der südsyrischen Grenze zu Israel und Jordanien befehligt - verhängt. Beide Maßnahmen geben zu erkennen, daß die US-Behörden Al Nusra deren Absage an den globalen Dschihad und Trennung von Al Kaida im vergangenen Juni, als sich die schlagkräftigste Rebellenformation in Syrien in Jabhat Fatah al-Scham umbenannte, nicht abkaufen.

Währenddessen ist die Syrische Arabische Armee (SAA) mit der militärischen Hilfe Rußlands, des Irans und der libanesisch-schiitischen Hisb-Allah-Miliz im Westen Syriens weiterhin auf dem Vormarsch. Sie hat den jüngsten Versuch der Aufständischen, den Belagerungsring um ihre Kampfgefährten im Osten Aleppos zu durchbrechen, erfolgreich zurückgeschlagen und wird in den nächsten Tagen mit der Rückeroberung der Rebellenhochburg beginnen. Zu diesem Zweck hat die russische Marine im östlichen Mittelmeer eine Flotte, angeführt vom Flugzeugträger Admiral Kusnetow, in Stellung gebracht. Zu der Flotte gehören drei U-Boote, zwei der Klasse Akula und eines der Klasse Kilo, die mit Marschflugkörpern ausgerüstet sind, die beim finalen Angriff auf Ostaleppo zum Einsatz kommen könnten. Dies berichtete am 31. Oktober die britische Tageszeitung The Independent.

Als US-Außenministerin war Clinton 2011 innerhalb der Obama-Administration die Hauptverfechterin des Kurses, den "Arabischen Frühling" zu benutzen, um mißliebige "Regime" in der islamischen Welt zu beseitigen. In Libyen hat die "Clinton-Strategie" das Ende der Ära Muammar Gaddhafis herbeiführt, dafür ein ganzes Land in bis heute anhaltendes Chaos gestürzt. Die verdeckte, möglicherweise mit Obama nicht abgesprochene Operation Clintons und des damaligen CIA-Chefs David Petraeus, libysche Dschihadisten sowie riesige Mengen Waffen und Munition aus den Waffenlagern Gaddhafis nach Syrien zu bringen, kam teilweise ans Tageslicht, als am 11. September 2012 eine Gruppe Islamisten das US-Konsulat im libyschen Benghazi überfiel und Botschafter Christopher Stephens und drei seiner Mitarbeiter tötete. Nur wenige Wochen danach trat General a. D. Petraeus, offiziell wegen des illegalen Austausches vertraulicher Regierungsdokumente mit seiner Geliebten und Biografin Paula Broadwell, als CIA-Chef zurück. Im Januar 2013, zu Beginn der zweiten Amtszeit Obamas, schied Clinton als Außenministerin aus, um ihre Kandidatur für die Präsidentschaft vorzubereiten, jedoch von der Kontroverse um den Benghazi-Vorfall verfolgt.

Als im September 2015 das russische Militär erstmals direkt in das Kriegsgeschehen in Syrien eingriff, berichtete als einziger der angesehene Investigativjournalist Robert Parry auf seiner Website Consortiumnews.com, Obama habe in einem vertraulichen Telefonat Wladimir Putin grünes Licht für die Intervention gegeben; es gehe darum, den Vormarsch der sunnitischen Gotteskrieger zu stoppen und das säkulare "Regime" um Präsident Baschar Al Assad zu retten. Im Dezember vergangenen Jahres hat der Pulitzerpreisträger Seymour Hersh in einem detaillierten Artikel für die London Review of Books berichtet, noch lange vor dem russischen Einmarsch hätten der US-Generalstabschef Martin Dempsey und General Michael Flynn, der Chef der Defense Intelligence Agency (DIA), die beide der Aufrüstung der syrischen Rebellen durch die CIA ablehnend gegenüberstanden, begonnen, über Moskau nachrichtendienstliche Erkenntnisse des Pentagons zur Lage auf dem Schlachtfeld Damaskus und der SAA zukommen lassen. Mit der Maßnahme, in die laut Hersh das Weiße Haus eingeweiht gewesen ist, wollten Dempsey und Flynn in Syrien einen Kollaps der staatlichen Institution wie in Libyen verhindern.

Flynn, der sowohl im Irak als auch in Afghanistan die nicht besonders erfolgreiche Aufstandsbekämpfungsstrategien von Petraeus und General Stanley McChrystal hautnah erleben durfte, ist Ende 2014 aus dem Militärdienst ausgeschieden. Anfang 2016, noch während der republikanischen Vorwahlen, avancierte der Demokrat zum außenpolitischen Berater Donald Trumps. Seit dem Wahlsieg des New Yorker Baumagnaten wird Flynn als nächster Nationaler Sicherheitsberater gehandelt. Für den Posten des Verteidigungsministers kommt er nicht in Frage, da seine Dienstzeit beim US-Militär zeitlich nicht weit genug zurückliegt. Das Gesetz schreibt eine Frist von sieben Jahren vor.

In einem Gastbeitrag, der am 8. November bei der US-Onlinezeitung The Hill, die über das politische Geschehen auf dem Washingtoner Kapitol berichtet, erschienen ist, hat sich Flynn für die Auslieferung des umstrittenen Predigers Fethullah Gülen an die Türkei ausgesprochen. Dort wird Gülen von Präsident Recep Tayyip Erdogan als Hauptdrahtzieher für den gescheiterten Putsch im vergangenen Juli verantwortlich gemacht. Flynn trat für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den USA und der Türkei ein, weil seiner Meinung nach die aktuellen Krisen in Syrien und im Irak nur mit und nicht gegen Ankara zu meistern sind.

Aktuell streiten sich Amerikaner und Türken über das richtige Vorgehen gegen die IS-Hochburg Rakka im Osten Syriens. Das US-Militär hat den Auftakt der Operation zur Rückereroberung Rakkas - "Euphratszorn" - am 6. November bekanntgegeben. Das Pentagon stützt sich dabei im wesentlichen auf die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ankara lehnt eine Einnahme Rakkas durch die YPG kategorisch ab, erstens weil es in der Gruppe eine Schwesterorganisation der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) sieht, zweitens weil es eine ethnische Vertreibung von Arabern und Turkmenen in der Region durch die Kurden befürchtet. Wegen der komplizierten Gemengelage ist US-Generalstabschef Joseph Dunford am 7. November extra nach Ankara gereist, um sich mit seinem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar über die Rakka-Offensive im besondern, die Situation in Syrien und im Irak im allgemeinen, zu beraten. Wie die beiden Militärs verblieben sind, ist nicht bekannt.

12. November 2016


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