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NAHOST/1527: Saif Al Gaddhafi nach fünf Jahren Gefangenschaft frei (SB)


Saif Al Gaddhafi nach fünf Jahren Gefangenschaft frei

Der Gaddhafi-Klan kehrt als Machtfaktor auf die libysche Bühne zurück


In Libyen ist kein baldiges Ende der politischen Instabilität in Sicht. Zu verfeindet sind die drei Machtblöcke derzeit noch, die das Land weitgehend untereinander aufgeteilt haben - vom Treiben der verschiedenen "Extremistengruppen" wie der Ansar Al Scharia und des Islamischen Staats (IS) ganz zu schweigen. Verkompliziert wird die innenpolitische Lage in Libyen durch die schwere regionale Krise, welche die Verhängung diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen gegen Katar durch Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Anfang Juni ausgelöst hat. Riad, Kairo, Manama und Abu Dhabi werfen Doha vor, den islamischen "Terrorismus", darunter auch in Libyen, zu unterstützen. Zur Verschärfung der Verhältnisse in Libyen, die vom Streit der Königshäuser am Persischen Golf verursacht wird, kommt die völlig überraschende Freilassung von Saif Al Gaddhafi. Man darf gespannt sein, welche Rolle der Sohn und einstige designierte Nachfolger Muammar Gaddhafis künftig spielen wird.

Der 44jährige Absolvent der renommierten London School of Economics (LSE) sollte ursprünglich die demokratische Öffnung Libyens einleiten. Dazu kam es nicht, nachdem im Frühjahr 2011 die NATO militärisch intervenierte, um die Niederschlagung eines islamistischen Aufstands in Benghazi zu verhindern, und dabei die Gelegenheit ergriff, das "Regime" Gaddhafis zu stürzen. Muammar Gaddhafi und zwei seiner Söhne, Mutassim und Khamis, kamen in den monatelangen Kriegswirren ums Leben. Ein dritter Bruder, Hannibal, lebt in Libanon, während der jüngste Gaddhafi-Sohn, Saadi, derzeit wegen des Vorwurfs, Kriegsverbrechen begangen zu haben, in Untersuchungshaft in Tripolis sitzt. Muammar Gaddhafis Frau Safia und seine Tochter Aisha leben im Exil in Oman, von wo aus sie nach wie vor Kontakt zu den Anhängern und Klanmitgliedern des ermordeten Revolutionsführers halten.

Saif Al Gaddhafi, der wie sein Vater vergeblich vor dem Chaos gewarnt hat, das die Militärintervention der NATO in Libyen auslösen würde, wurde im November 2011 beim Versuch, sich nach Nigeria abzusetzen, von Rebellen in der Bergregion Zintan südlich von Tripolis festgenommen. Dort saß er fünfeinhalb Jahren fest. Wegen des gewaltsamen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Aufständischen in Benghazi liegt beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Haftbefehl gegen ihn vor. Doch eine Auslieferung an die Niederlande brauchte Saif Al Gaddhafi nicht zu befürchten, weil alle Afrikaner im ISG eine neokolonialistische Waffe sehen, die stets nur gegen Nicht-Amerikaner und -Europäer angewandt wird.

Letztes Jahr durfte Saif Al Gaddhafis Mutter ihren Sohn erstmals in Zintan besuchen. Seitdem ist es vermutlich zu Verhandlungen zwischen den Gaddhafis und dem House of Representatives (HoR) gekommen, das 2014 aus landesweiten Wahlen hervorgegangen ist und dessen Abgeordnete im selben Jahr wegen gewalttätiger Auseinandersetzungen mit dem von der Moslembruderschaft dominierten Allgemeinen Nationalkongreß (General National Congress - GNC) von Tripoli in die östliche Stadt Tobruk geflohen waren. Seitdem steht im Namen des HoR die Libysche Nationalarmee (LNA), angeführt vom früheren Gaddhafi-Vertrauten und späteren CIA-Verbindungsmann Khalifa Hifter, sowohl mit den Milizen, die nach wie vor dem GNC die Treue halten, als auch mit den radikalislamischen Kräften wie IS und Ansar Al Scharia im Krieg. Die dritte Kraft in Libyen, die international anerkannte Regierung der nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA), die aus Friedensgesprächen der wichtigsten Kriegsparteien und gesellschaftlichen Gruppen Ende 2015 in Marokko hervorging, hat sich bis heute nicht durchsetzen können.

Das gleiche gilt jedoch auch für das HoR und Hifters LNA, obwohl letztere nachweislich im großen Umfang illegale Militärhilfe von den VAE und Ägypten erhält. In den letzten Jahren haben die emiratischen und ägyptischen Luftstreitkräfte ungeachtet des UN-Waffenembargos für Libyen wiederholt Operationen zur Unterstützung von Hifters Männern geflogen. Gerade letzte Woche hat die ägyptische Luftwaffe der LNA dabei geholfen, eine ganze Reihe von Städten und Gebieten im Süden und in der Mitte Libyens zu erobern und sich dabei gegen Milizionäre aus Misurata, die mit der GNA um Premierminister Fayiz Al Sarradsch verbündet sind, durchzusetzen. Damit haben sich die Hoffnungen auf eine Beilegung des Bürgerkrieges, die durch das Treffen zwischen Hifter und Al Sarradsch Anfang Mai in Abu Dhabi geweckt worden waren, zerschlagen.

Bisher gibt es keine offizielle Erklärung, warum die Brigade Abu Bakr Sadik am 10. Juni in Zintan Saif Al Gaddhafi freigelassen und weshalb das HoR den unerwarteten Schritt veranlaßt hat. Der Gaddhafi-Sohn, der lange Zeit nicht nur in Libyen, sondern auch aus Sicht des westlichen Auslands als Hoffnungsträger galt und sich vorerst in die östliche Stadt Baida begeben hat, könnte demnächst vielleicht als Vermittler zwischen HoR, GNC und GNA fungieren und somit seinen Landsleuten wieder zu dem von ihnen ersehnten funktionierenden Staatswesen verhelfen. Doch solange der ideologische Konflikt zwischen Katar und der Türkei auf der einen Seite, die auf den gemäßigten Islam in Form der Moslembruderschaft als Modernisierungsmotor und Integrationsfaktor in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens setzen, und den absolutistischen Monarchien in Saudi-Arabien und den VAE, die am liebsten Hifter als Diktator in Tripolis ähnlich General Abdel Fattah Sisi in Kairo sähen, auf der anderen Seite anhält, werden sich die Bürgerkriegsparteien in Libyen austoben. Da ist auch Saif Al Gaddhafi machtlos.

13. Juni 2017


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