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NAHOST/1546: Italiens schmutziges Geschäft bei der Flüchtlingsabwehr (SB)


Italiens schmutziges Geschäft bei der Flüchtlingsabwehr

Libysche Milizen steigen aus dem Schleppergeschäft aus - gegen Geld


Am 28. August haben sich die Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien im Pariser Elyséepalast mit den Amtskollegen aus Chad, Libyen und Niger zum großen Migrationsgipfel getroffen. Ziel der Beratungen war die Eindämmung jener Flüchtlingswelle, in deren Rahmen es seit 2014 rund 600.000 Menschen zumeist aus Afrika, aber auch aus dem Nahen Osten nach Europa geschafft haben. Die gefährliche Fahrt von Libyen nach Italien übers Mittelmeer in überdimensionierten Schlauchbooten oder völlig überfüllten Fischkuttern hat bisher rund 12.000 Menschen das Leben gekostet. Allen hehren Bekenntnissen zu den Menschenrechten zum Trotz war klar, worauf die Vereinbarung von Paris hinauslief. Gegen Geld aus Europa sollen die Verantwortlichen in Libyen, Chad und Niger das Phänomen der unkontrollierten Migration aus der Welt schaffen.

Praktische Schritte in diese Richtung hat die italienische Regierung längst unternommen. Seit Anfang des Sommers geht die Zahl der Bootsflüchtlinge, die von Libyen nach Lampedusa bzw. Sizilien übergesetzt haben, drastisch zurück. Im Juli lag die Zahl der "illegalen Einwanderer" in Italien fünfzig Prozent unter derjenigen desselben Zeitraums 2016. Im August ist der Zustrom an Bootsflüchtlingen fast auf Null gesunken. Doch wie ist es zu diesem Rückgang gekommen? Zuletzt hatte es doch Streit zwischen der libyschen Küstenwache und der italienischen Marine darüber gegeben, wie sehr sich letztere der nordafrikanischen Küste nähern dürfe, um Bootsflüchtlinge aufzugreifen bzw. in Seenot geratene Menschen zu retten.

Am 22. August und am 26. August lieferten die Nachrichtenagentur Reuters und die Onlinezeitung Middle East Eye (MEE) mit der Veröffentlichung von zwei unabhängig voneinander entstandenen Recherchen die Erklärung für den Rückgang des Flüchtlingsverkehrs im Mittelmeer. Rom hat sich offenbar mit jenen Milizionären arrangiert, die in Libyen bislang das Schleppergeschäft organisiert hatten. Demnach wurde der einträgliche Geschäftszweig hauptsächlich von Milizen in den Küstenstädten Zawiyah und Sabratha betrieben, die 70 bzw. 100 Kilometer östlich der libyschen Hauptstadt Tripolis Richtung tunesischer Grenze liegen. Nach dem mit Hilfe der NATO herbeigeführten Sturz Muammar Gaddhafis 2011 haben in beiden Städten - wie übrigens im ganzen Land - die örtlichen Milizionäre die Macht an sich gerissen. Mit der Besetzung von Raffinerien, Fabriken und Verwaltungsgebäuden betreiben sie erfolgreich Schutzgelderpressung. Mit Straßenkontrollen fordern sie Passiergebühren ein. Auch die Entführung von Menschen und deren Freilassung steht im Libyen aktuell hoch im Kurs.

In Zawiyah und Sabratha wurde bis vor kurzem das Schlepperwesen im ganz großen Stil betrieben. Als die Hauptakteure auf diesem Feld nennen Reuters und die MEE die Brigade 48 und die Dabbaschi-Miliz. Letztere ist nach ihrem Anführer Ahmed Dabbaschi genannt und stellt das Wachpersonal für die Öl- und Gasanlagen in Mellitah. Angeblich sollen in den letzten Monaten Vertreter Roms und der EU, dessen außenpolitische Repräsentantin bekanntlich die italienische Diplomatin Federica Mogherini ist, inoffizielle Vereinbarungen mit den Milizionären in Zawiyah und Sabratha getroffen haben. Unter anderem ist von einer Einmalzahlung in Höhe von fünf Millionen Euro als auch der Errichtung eines eigenen Hangars durch die Italiener als vorzeigbarer Stützpunkt für die Dabbaschi-Miliz die Rede.

Der teuflische Pakt zwischen der EU und den bisherigen Betreibern des Schleppergeschäfts hat zwei gravierende Folgen. Die Migranten, die bei der versuchten Ausreise an der libyschen Küste abgefangen werden, landen entweder in Lagern, in denen verheerende Bedingungen herrschen, oder werden von den Milizionären als Sklaven weiterverkauft. Über beide Entwicklungen haben in den letzten Monaten entsprechende Stellen bei den Vereinten Nationen ausführlich berichtet. Ein baldiges Ende solcher Zustände ist wegen der anhaltenden politischen Krise in Libyen nicht in Sicht. Während Premierminister Fajiz Al Sarradsch alle Hände voll damit zu tun hat, in Tripolis das eigene Überleben zu sichern, kommt die Libysche Nationalarmee (LNA) unter der Führung von Feldmarschall Khalifah Hifter bei ihrem Feldzug gegen radikalislamische Milizen wie Ansar Al Scharia und den Islamischen Staat (IS) nur langsam voran. Zuletzt verlor die LNA am 23. August elf Männer bei einem Überfall islamistischer Kräfte auf einen Kontrollpunkt in der zentrallibyschen Provinz Al Dschufra.

2. September 2017


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