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NAHOST/1587: Syrien-Konflikt - Kreuzweg der Welten ... (SB)


Syrien-Konflikt - Kreuzweg der Welten ...


Seit Wochen warnt das russische Militär in Syrien vor einer Falsche-Flagge-Operation der Rebellen, bei der der Einsatz von Chemiewaffen durch die Syrische Arabische Armee (SAA) vorgetäuscht werden soll, um den westlichen Großmächten einen Vorwand für eine umfassende Intervention in den Konflikt zu liefern. Am 7. April ist es zu der erwarteten Provokation gekommen. An diesem Tag meldeten die White Helmets, eine von britischen Ex-Militärs gegründete "Hilfsorganisation", deren Mitgliedschaft weitgehend aus namhaft bekannten islamistischen "Terroristen" besteht, einen Giftgasanschlag der syrischen Luftwaffe auf Douma, einem Teil der belagerten Rebellenhochburg Ostghouta bei Damaskus. Mehr als vierzig Zivilisten sollen bei dem Vorfall ums Leben gekommen sein. Von den White Helmets aufgenommene Videobilder von Kinderleichen sowie unter schwerer Atemnot leidende Menschen haben rund um die Welt Entsetzen und - wie erwartet - den Ruf nach Vergeltung ausgelöst.

Bereits im August 2013 war es ebenfalls in Ghouta zu einem Giftgasangriff gekommen, der Hunderte von Menschen das Leben gekostet hat. Nicht lange zuvor hatte der damalige US-Präsident Barack Obama erklärt, mit dem Einsatz von C-Waffen würde die SAA eine "rote Linie" überschreiten, was unweigerlich schwere Konsequenzen nach sich ziehen würde. Damals standen die US-Streitkräfte in der Region zu einem großangelegten Raketenangriff auf SAA-Stützpunkten und -Stellungen in Alarmbereitschaft. Doch in einer weisen Entscheidung hat Obama den Befehl zum erwarteten Vergeltungsschlag doch nicht erteilt. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens hat das Parlament in London gegen eine Teilnahme der britischen Streitkräfte an der umstrittenen Aktion votiert. Zweitens konnte die CIA die Urheberschaft des Anschlags den Assad-Truppen nicht eindeutig zuordnen (später stellte sich heraus, daß dahinter der türkische Geheimdienst MIT und von Saudi-Arabien unterstützte Dschihadisten steckten). Drittens, um die Lage zu entspannen, hat Rußland die Regierung in Damaskus zur kompletten Aufgabe und Vernichtung aller syrischen Chemiewaffenbestände samt der dazugehörigen Produktionsstätten veranlaßt. 2014 hat die zuständige Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) den Abschluß aller dazu gehörigen Maßnahmen erklärt.

Die neokonservative Politelite in Washington, welche permanent die Konfrontation mit den "Schurkenstaaten" dieser Welt sucht, hat Obama den damaligen Entschluß nicht verziehen. Für sie hat Obamas angebliches Einknicken vor dem Bösen Amerikas Ansehen geschadet und seine Feinde - hierzu werden nicht nur Syrien, Nordkorea und der Iran, sondern auch China und vor allem Rußland gezählt - ermutigt, sich über internationale Konventionen und Regeln hinwegzusetzen. Dieselben Kräfte, welche diese These vertreten, verlangen den Abzug Rußlands von der Krim, wollen das 2015 von Obama mit dem Iran beschlossene Atomabkommen aufkündigen und drohen Nordkorea ständig mit einem Präventivangriff. Diese Kräfte haben bei der Präsidentenwahl 2016 auf den Kriegsfalken Hillary Clinton gesetzt und mit großer Enttäuschung mitansehen müssen, wie Donald Trump, der im Wahlkampf gegen unsinnige Militärabenteuer in Übersee gewettert hatte, gewann.

Um Trump auf Kriegskurs zu halten, wurde die Legende in die Welt gesetzt, der New Yorker Baulöwe sei eine Marionette des Kremls, nur so sei seine erklärte Absicht, die Beziehungen zwischen Rußland und den USA zu verbessern, zu erklären. Seit über einem Jahr finden Ermittlungen unter der Leitung des früheren FBI-Chefs Robert Mueller statt, die den fadenscheinigen Verdacht russischer Manipulationen bei der letzten Präsidentenwahl aufklären sollen, deren Hauptzweck jedoch darin besteht, jede Annäherung zwischen Washington und Moskau zu verunmöglichen. Vom sogenannten "tiefen Staat" der USA wird Trump wie ein Fremdkörper behandelt. Das erste und bisher einzige Mal, wo Politik und Medien Trump "präsidiale" Größe bescheinigt haben, war - wen sollte es wundern -, als er am 7. April 2017 in Reaktion auf die Meldung eines angeblichen Giftgasangriffs der SAA drei Tage zuvor bei Khan Sheikhoun mehrere Dutzend Marschflugkörper auf einen Fliegerhorst der syrischen Luftwaffe abfeuern ließ. Damals erklärte sich Lindsey Graham, neben John McCain der größte Kriegstreiber in US-Senat, zum "glücklichsten Mann Amerikas", und zwar deshalb, weil Trump endlich den Mumm an den Tag gelegt habe, der Obama angeblich fehlte.

Entsprechend seines "isolationistischen" Instinkts hat Trump am 4. April bei einem Auftritt in Ohio erklärt, daß die rund 2000 US- Soldaten, die derzeit die sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) im kurdischen Nordosten Syriens im Kampf gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) unterstützen, "sehr bald" nach Hause zurückkehren würden. Auf die Absichtserklärung reagierten Amerikas führende Zeitungen wie die New York Times und die Washington Post sowie die üblichen außenpolitischen "Experten" mit Bestürzung und Ablehnung. Ihnen zufolge müssen die US-Streitkräfte in Syrien - trotz der Illegalität ihres Aufenthalts dort - bleiben, um ein Wiedererstarken des IS zu verhindern sowie um dafür zu sorgen, daß Bashar Al Assad als Präsident zurücktritt und nicht Rußland, der Iran und die Türkei allein über die Nachkriegsordnung bestimmen.

Laut Medienberichten soll es am 6. April im streng abgeschirmten Situation Room im Weißen Haus zu einem extrem hitzigen Streit zwischen Trump und seinen Generälen in der Syrien-Frage gekommen sein. Vergeblich versuchten die Militärs ihrem Oberbefehlshaber seine Idee eines Abzugs der US-Streitkräfte aus Syrien auszutreiben. Über die angedeutete Befehlsverweigerung soll Trump in Rage geraten sein und den Anwesenden ein Ultimatum erteilt haben, daß die US-Streitkräfte innerhalb von sechs Monaten aus Syrien abzuziehen wären. Wie der Zufall so will, haben die Ereignisse - namentlich der "Giftgasanschlag" von Douma - Trumps Abzugspläne zu Makulatur gemacht. In Reaktion auf die schrecklichen Bilder aus dem Vorort von Damaskus hat Trump per Twitter-Meldung Assad ein "Tier" genannt, Rußland und den Iran bezichtigt, die SAA bei ihren Kriegsverbrechen zu decken und angekündigt, die Verantwortlichen für die jüngste Greueltat würden einen "hohen Preis" bezahlen.

Damit Trump nicht aus der angepeilten Eskalationsspirale kommt, twitterte am 8. April John McCain, der Präsident selbst habe mit seinem Gerede vom Syrien-Abzug "den von Rußland und Iran unterstützten Assad zu noch mehr Kriegsverbrechen ermutigt". Wie im vergangenen Jahr solle Trump Assad für seine "Brutalität bezahlen lassen", so der Vietnamkriegsveteran und republikanische Senator aus Arizona, der selbst Ende Februar - und das nicht zum ersten Mal - irgendwelchen Rebellengruppen in Syrien einen heimlichen Besuch abgestattet hatte. In der Nacht vom 8. auf den 9. April ist ein syrischer Luftwaffenstützpunkt nahe der Stadt Homs Ziel eines Angriffs mit Marschflugkörpern gewesen. Während die USA jede Beteiligung an der Aktion bestreiten, liegen russischen und syrischen Stellen Erkenntnisse vor, daß es sich hier um eine Operation der israelischen Luftwaffe gehandelt hat. Am 9. April findet eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats zum Douma-Vorfall statt. Man kann davon ausgehen, daß die westlichen Vetomächte Frankreich, Großbritannien und die USA den Standpunkt Rußlands, daß es sich hier um eine gezielte, wenngleich tödliche Inszenierung gehandelt habe, nicht gelten lassen werden. Was danach folgen wird, ist unklar. Fest steht, daß die militärische Konfliktlage in Syrien für alle Beteiligten vollends außer Kontrolle zu geraten droht.

9. April 2018


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