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NAHOST/1629: Israel - offensiv und okkupant ... (SB)


Israel - offensiv und okkupant ...


In keinem Land erregt der Umgang Israels mit den Palästinensern so starke öffentliche Aufmerksamkeit wie in Jordanien. Schließlich sind zwei Millionen der zehn Millionen Einwohner des Landes Palästinenser, die entweder bei der Gründung Israels 1948 oder beim Sechstagekrieg 1967 aus Angst um ihr Leben nach Jordanien geflohen sind bzw. deren Nachkommen. 1994 hat Jordanien mit Israel formell Frieden geschlossen und dabei die Souveränität über das Westjordanland und Ostjerusalem an die palästinensische Autonomiebehörde (PA) abgetreten. Lediglich die Hoheit über den Jerusalemer Tempelberg hat die jordanische Königsfamilie der Haschemiten im Namen aller Muslime behalten.

Die Jordanier sind mit dem Verlauf des "Nahost-Friedensprozesses" im letzten Vierteljahrhundert höchst unzufrieden. Mit dem ungebrochenen Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland, der schleichenden Annektierung Ostjerusalems und der Abriegelung des Gazastreifens wegen der dortigen Herrschaft der radikalislamischen Hamas-Bewegung hat Israel die ursprüngliche Vision zweier Staaten, die in enger Partnerschaft miteinander leben, zunichte gemacht. Die öffentliche Verärgerung in Jordanien über den desolaten Stand im nahöstlichen "Friedensprozeß" hat in den letzten Monaten durch Donald Trumps einseitige Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels, die Verlegung der US-Botschaft dorthin, aber vor allem durch die drakonischen Maßnahmen der israelischen Streitkräfte gegen die Proteste, mit denen an jedem Freitag seit März die Einwohner des Gazastreifens vor dem Grenzzaun zu Israel für das Rückkehrrecht aller Palästinenser demonstrieren, deutlich zugenommen. (Durch gezielte Hinrichtungen sind 168 palästinensische Jugendliche ums Leben gekommen, während 17.259 weitere angeschossen und schwer verletzt wurden. Durch Beinschüsse unter Einsatz von Splittermunition haben die Israelis Tausende junge Palästinenser für immer zu Krüppeln gemacht).

Um der Stimmung seines Volkes Rechnung zu tragen, hat König Abdullah am 21. Oktober den Pachtvertrag, mittels dessen die Israelis seit 1993 je ein Areal jordanischen Bodens am Oberlauf des Jordans zwischen dem Toten Meer und dem See Genezareth und am Unterlauf nahe Akaba am Roten Meer benutzen dürfen, aufgekündigt und die Rückgabe verlangt. Die Israelis hatten Bakura im nördlichen Jordantal 1950 und Ghumar im Süden Jordaniens 1967 militärisch besetzt. 1994 hatte Jordanien im Rahmen des von König Hussein und Jitzchak Rabin in Washington im Beisein Bill Clintons unterzeichneten Friedensabkommens Israel die beiden Gebiete zur landwirtschaftlicher Nutzung für 25 Jahre überlassen. Der Pachtvertrag sollte sich am 25. Oktober 2018 automatisch verlängern, sofern nicht eine der beiden Vertragsparteien vorher Einspruch einlegt.

Seit Monaten gab es in der jordanischen Hauptstadt Demonstrationen gegen die mögliche Verlängerung des Vertrags und für die Rejordanisierung Bakuras und Ghumars. Lange Zeit hüllte sich die Regierung im Amman, die vom König und nicht vom Parlament eingesetzt wird, in Schweigen. Doch die Politik des Aussitzens war nicht mehr möglich, als vor wenigen Wochen 86 Abgeordnete des jordanischen Unterhauses eine Resolution unterzeichneten, in der der König gebeten wurde, den Zusatz 1B des Abi Warada Peace Treaty um die Rückgabe von Bakura und Ghumar zu aktivieren. Der Bitte ist Abdullah vor zwei Tagen in Form eines Briefs an die israelische Regierung gefolgt. Am selben Abend hat er in einer Ansprache die Maßnahme unter anderem mit den Worten "Bakura und Ghumar sind jordanisches Land und werden jordanisch bleiben. Wir werden die volle Souveränität über unser Territorium übernehmen" begründet.

Auf die unangenehme Botschaft aus Jordanien reagierte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu unaufgeregt und sachlich. Er hob die Bedeutung des Friedensvertrages für die israelisch-jordanischen Beziehungen hervor und erklärte, Tel Aviv werde die im Abkommen vorgesehene Frist von einem Jahr nutzen, um zu versuchen, mit Amman eine Verlängerung auszuhandeln bzw. um ein neues Arrangement um Zusatz 1B zu finden. Sollten sich beide Seiten nicht einigen können, muß Israel die zwei Areale nicht automatisch an Jordanien abtreten, da eine Schlichtungsphase vorgesehen ist. Die Rolle des Schlichters dürfte an die USA gehen, was für Israel nur vorteilhaft wäre. Ungeachtet dessen hat Israels Landwirtschaftminister Uri Ariel im Vergleich zu seinem Regierungschef auf die Ankündigung von König Abdullah vollkommen überreagiert. Der Vertreter der nationalreligiösen Partei HaBajit haJehudi (Jüdisches Heim), die dem radikalen Teil der Siedlerbewegung nahesteht und seit Jahren offen die Annektierung des gesamten Westjordanlands durch Israel propagiert, drohte damit, die Menge Trinkwasser, welche die Vier-Millionen-Stadt Amman aus dem Jordanfluß erhält, zu halbieren, sollte Jordanien auf die Rückgabe von Bakura und Ghumar pochen.

Medienberichten zufolge spielt die derzeitige US-Regierung von Donald Trump mit dem Gedanken, die von der PA kontrollierten Teile des Westjordanlands Jordanien zu überlassen bzw. Amman aufzuhalsen. Die dortige Regierung hat sich Anfang September gegen die Schaffung eines konföderativen jordanisch-palästinensischen Staates ausgesprochen und die Idee als "indiskutabel" verworfen. Als Antwort auf die indirekte, unausgesprochene Absage Tel Avivs an die Zweistaatenlösung - Israel und Palästina - hat vor einigen Wochen der palästinensische Präsident Mahmud Abbas den Vorschlag einer dreiteiligen Konföderation aus Israel, den palästinensischen Gebieten und Jordanien gemacht. Diese Anregung lehnen die Israelis ab, die auf ihren eigenen "jüdischen" Staat pochen. Jedenfalls ist mit Jordaniens Forderung nach der Rückgabe von Bakura und Ghumar die Suche nach einer tragfähigen Friedensordnung für den Nahen Osten nicht gerade leichter geworden.

23. Oktober 2018


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