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NAHOST/1666: Iran - verhalten aber konsequent ... (SB)


Iran - verhalten aber konsequent ...


Mit der Bekanntgabe der Entsendung des Flugzeugträgers Abraham Lincoln samt Begleitflotte sowie der Verlegung einer Staffel von B-52-Bombern an den Persischen Golf am 5. Mai hat Donald Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton die USA und den Iran an den Rand eines offenen Krieges manövriert, der in Sachen Zerstörung und Leid die bisherigen Konflikte im Nahen Osten - Irak, Jemen, Libyen und Syrien - um einiges übertreffen dürfte. Bolton begründete den provokanten Schritt mit vermeintlichen Geheimdiensterkenntnissen über eine wachsende Bedrohung für die US-Streitkräfte in der Region seitens des Irans und/oder dessen Stellvertretern wie der libanesischen Hisb-Allah-Miliz, schiitischen Kampfverbänden im Irak und Syrien sowie der Huthi-Rebellen im Jemen. Bedenkt man die unrühmliche Rolle, welche "Bonkers" Bolton beim Konstruieren eines erlogenen Vorwands - Stichwort "Massenvernichtungswaffen" - für den angloamerikanischen Einmarsch 2003 in den Irak und den gewaltsamen Sturz des "Regimes" Saddam Husseins spielte, gibt es allen Grund, jede Behauptung des ehemaligen UN-Botschafters von George W. Bush mit Skepsis zu betrachten.

Am 6. Mai stellte sich heraus, daß die Hinweise auf eine "gefährliche Zunahme" iranischer Umtriebe zwischen Persischem Golf und Mittelmeer von Israel stammten, dessen Regierungschef Benjamin Netanjahu bekanntlich seit Jahrzehnten das "Mullah-Regime" in Teheran zur "existentiellen Bedrohung" des jüdischen Staats stilisiert, das lieber heute als gestern beseitigt werden müsse. Angeblich hat Boltons israelischer Amtskollege Meir Ben Shabbat bei einem Besuch in Washington vor zwei Wochen entsprechende Hinweise des Mossads vorgelegt. Doch ungeachtet der aufgeregten Berichterstattung gutvernetzter Presseorgane wie der New York Times, die sich wie üblich auf "anonyme Regierungsquellen" beziehen, bleibt die zunehmende iranische Gefahr völlig nebulös. Von "potentiellen" Bedrohungen ist vielfach die Rede, doch es werden keine konkreten Pläne oder Aktivitäten genannt.

Lediglich der US-Fernsehnachrichtensender CNN behauptet unter Verweis auf eigene Informanten im Pentagon, es gäbe Hinweise, "der Iran" hätte "möglicherweise im Persischen Golf ballistische Kurzstreckenraketen mittels Booten transportiert". Diese Information sei einer der "kritischen Gründe" für die amerikanische Streitkräfteverlegung gewesen, so CNN. Daß es sich hier um reine Propaganda seitens des Weißen Hauses, von Pentagon und CIA handelt, zeigt die dramatische Überraschungsreise des US-Außenministers Mike Pompeo am 7. Mai nach Bagdad. Dieser hätte nach der Teilnahme an einer Arktis-Konferenz im finnischen Helsinki nach Berlin zu einem seit langem geplanten Treffen mit Angela Merkel fliegen sollen. Statt dessen wurde umdirigiert und geheimnisvoll getan. Das mitfliegende Pressekorps erfuhr erst in der Luft, daß die Pompeo-Maschine in die irakische Hauptstadt flog. Dort traf sich der Ex-CIA-Chef mit Premierminister Haider al-Abadi, um sich mit ihm über die eskalierende Lage und die angeblich steigende Gefahr für die 5200 US-Militärs, die sich unter dem Vorwand der Bekämpfung der sunnitischen "Terrormiliz" Islamischer Staat im Irak aufhalten, zu beraten.

Gegenüber der Presse verbreitete Pompeo die Bolton-These von der großen aktuellen Bedrohung und erklärte, jeder Angriff einer iranischen Stellvertreterorganisation auf amerikanische Truppen oder Einrichtungen der USA käme einer Kriegserklärung gleich und würde seitens der Trump-Administration die entsprechende Antwort erhalten. Doch was hat das alles mit "ballistischen Kurzstreckenraketen", die per Boot im Persischen Golf transportiert worden sein sollen, zu tun? Wie bekannt, haben der Iran und der Irak eine rund 1000 Kilometer lange Landgrenze. Wollten die Iraner tatsächlich Waffen in das westliche Nachbarland bringen, dann täten sie das doch wohl eher auf dem Landweg mit dem Lastwagen und nicht an Bord irgendwelcher Dhows.

Dennoch dürfte der Abstecher Pompeos nach Bagdad nicht nur Show-Aspekte gehabt haben. Im irakischen Parlament regt sich Widerstand gegen die US-Militärpräsenz. Nach der Zerschlagung des IS-Kalifats wie auch wegen der drohenden Gefahr, irakische Stützpunkte könnten für Luftangriffe gegen den Iran im Falle eines Kriegs genutzt werden, verlangen viele Abgeordnete den schnellstmöglichen Abzug der US-Streitkräfte aus dem Zweistromland. Führende Vertreter dieser laut NYT "den Interessen der USA gegenüber feindseligen" Position befinden sich in der Partei des schiitischen Predigers Muktada Al Sadr sowie bei den schiitischen Volksmobilisierungskräften, von denen einige beim Kampf gegen IS eng mit der iranischen Revolutionsgarde zusammengearbeitet haben. Aus naheliegenden und nachvollziehbaren Gründen ist mit Angriffen dieser Gruppierungen auf alle US-Militäreinrichtungen im Irak zu rechnen, sollte es, wie befürchtet, demnächst zum Krieg zwischen Teheran und Washington kommen. Die offizielle Aufnahme der iranischen Revolutionsgarde in die "Terrorliste" der USA im April - eine Maßnahme, die auf Drängen Netanjahus und gegen den ausdrücklichen Rat der zuständigen Experten bei der CIA und im Pentagon erfolgt ist - dient dem Zweck, einen Vorfall zu produzieren, den die Trump-Administration zum Anlaß für "unerbittliche Vergeltungsmaßnahmen", um die Formulierung Boltons zu benutzen, nehmen könnte.

Der Gefahr sehr wohl bewußt, ist die Führung in Teheran nicht gewillt, sich von den USA in die ihr zugedachte Schurkenrolle pressen zu lassen. Am 8. Mai und damit ein Jahr nach dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen hat der Iran erste Gegenmaßnahmen ergriffen und unter Berufung auf das Vertragswerk das Recht für sich reklamiert, noch mehr angereichertes Uran und schweres Wasser zu produzieren und bei sich im Lande zu behalten, statt besagtes Material nach Rußland respektive nach Oman zu exportieren. Der Iran, dem bereits 14 Mal von den Inspekteuren der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) bescheinigt worden ist, sich im vollen Umfang an den Joint Comprehensive Plan Of Action (JCPOA) aus dem Jahr 2015 zu halten, will die anderen Vertragsteilnehmer wie China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rußland dazu bewegen, endlich ihre Seite des Deals einzulösen und mit der Islamischen Republik wirtschaftlich zusammenzuarbeiten. Dazu kommt es jedoch nicht, weil praktisch alle ausländischen Unternehmen Angst vor US-Sanktionen haben. Seit vergangenem Jahr sind die Ölexporte des Irans um über die Hälfte zurückgegangen, was verheerende Folgen für das wirtschaftliche Leben dort nach sich gezogen hat.

Sollte der Iran nicht innerhalb der nächsten 60 Tage wirtschaftliche Erleichterungen seitens der anderen JCPOA-Teilnehmerstaaten zu spüren bekommen, wird Teheran eventuell den Atomvertrag aufkündigen. Dies gab am 8. Mai Präsident Hassan Rohani bekannt. Selbst ein Austritt des Irans aus dem Atomwaffensperrvertrag aus Gründen der nationalen Sicherheit - wozu sich zum Beispiel Nordkorea vor einigen Jahren wegen des ständigen Säbelrasselns der USA gezwungen sah - ist nicht auszuschließen. Dies deutete am 6. Mai in einem Gastbeitrag für "Middle East Eye" Seyed Hossein Mousavian, der ehemalige Sprecher der iranischen Delegation bei den Atomverhandlungen, an, der inzwischen Sicherheitspolitik an der Princeton Universität in New Jersey lehrt.

Bei einem Auftritt beim konservativen Fernsehnachrichtensender Fox News, den Donald Trump jeden Abend schaut, hat sich am 5. Mai Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif zu Verhandlungen mit Washington bereiterklärt und den amtierenden US-Präsidenten gewarnt, daß ein "Team B", bestehend aus Bibi (Netanjahu), (John) Bolton, dem emiratischen Kronprinzen (Mohammed) Bin Zayed und dem saudischen Kronprinzen (Mohammed) Bin Salman, "die Zerstörung des Irans" anstrebe. Jarifs Wortwahl war eine meisterhafte Anspielung, die hoffentlich Trump auch verstanden hat. Das ursprüngliche "Team B" war eine Gruppe angeblich "unabhängiger" Experten, die in den siebziger Jahren mit haarsträubenden Fantasiegeschichten die realistischen Einschätzungen der CIA über die militärische Stärke der Sowjetunion für unglaubwürdig erklärten, um seitens der USA das Aufrüsten voranzutreiben. Aus Team B gingen jene neokonservativen Kriegstreiber hervor, die seitdem in der Militär- und Sicherheitspolitik der USA den Ton angeben.

8. Mai 2019


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