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NAHOST/1674: Jemen - Kriegsausweitung ... (SB)


Jemen - Kriegsausweitung ...


In der gefährlich eskalierenden Konfrontation zwischen den USA und dem Iran spielen nicht nur die brenzligen Ereignisse am Persischen Golf, sondern auch die im Jemenkrieg, der seit 2015 andauert, Zehntausenden Menschen das Leben gekostet und Millionen in die Hungersnot gestürzt hat, eine wichtige Rolle. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) heizen durch einseitige Schuldzuweisungen die Spannungen zwischen Washington und Teheran nicht zuletzt deshalb an, weil sich Riad und Abu Dhabi im Jemen militärisch schwer blamiert haben. Die Saudis und Emirater können sich keinen baldigen Frieden in der Region erlauben, denn die Fragen, die sich dann aufdrängen, könnten - wozu das ganze Gemetzel im Jemen gut gewesen sein soll und warum die hochgerüsteten Streitkräfte Saudi-Arabiens und der Vereinten Arabischen Emirate trotz waffentechnologischer Überlegenheit es nicht geschafft haben, die schiitischen Huthi-Rebellen in die Knie zu zwingen - könnten zum Sturz der absolutistischen Königshäuser Saud und Al Nahyan führen.

Die Operation Entscheidender Sturm, die Ende März 2015 mit dem Ziel begann, innerhalb weniger Wochen den von den Huthis gestürzten Interimspräsidenten im Jemen, Abd Rabbu Mansur Hadi, wieder an die Macht zu hieven, die pro-iranischen Huthis in ihre Schranken zu weisen und den jungen saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman der Welt als mächtigen Feldherrn zu präsentieren, hat sich zum militärischen Fiasko entwickelt, dessen enorme Kosten die Staatshaushalte in den Petromonarchien in Saudi-Arabien und den VAE schwer belasten. Angesichts der eigenen Unfähigkeit, die entscheidende Wende auf dem Schlachtfeld herbeizuführen, machen um so energischer die Saudis und Emirater den Iran für alle Übel in der Region verantwortlich, sei es mysteriöse Bombenanschläge auf einen Öltanker im Golf von Oman oder Drohnen- und Raketenangriffe der Huthis auf Ziele in Saudi-Arabien und den VAE.

Ende letzten Jahres kamen unter Vermittlung der Vereinten Nationen in Stockholm die Teilnehmer des Jemenkriegs zu Verhandlungen zusammen. Um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, hatten sich damals die Huthis bereiterklärt, ihre Truppen aus den Hafenstädten Hudeida, Salif und Ras Issa am Roten Meer, über die die meisten Hilfsgüter für den Nordwesten des Jemens laufen, abzuziehen und unter UN-Aufsicht zu stellen. Zuvor hatten die Truppen Hadis sowie Saudi-Arabiens und der VAE trotz einer monatelangen Offensive es nicht geschafft, die Huthis aus Hudeida, von wo sie laut Riad und Abu Dhabi Waffen aus dem Iran erhalten würden, zu vertreiben. So gesehen war der Rückzug der Ansarullah-Bewegung - so nennen sich die Huthis selbst - ein wichtiges Zugeständnis.

Mitte Mai hatte der britische UN-Sondergesandte Martin Griffiths den kompletten Abzug der Huthis aus allen drei genannten Städten bescheinigt. Vor wenigen Tagen hat er den Umstand des huthi-freien Betriebs der drei Hafenanlagen erneut bestätigt. Doch dies genügt der Gegenseite nicht. Offenbar war der Vorwurf des iranischen Waffenschmuggels nur der Vorwand, um Hudeida einzunehmen und den Belagerungsring um den jemenitischen Nordwesten samt der Hauptstadt Sanaa zu schließen, um die Huthis durch Aushungerung zur Aufgabe zu zwingen. Deswegen haben die Huthi-Gegner bis heute ihren Teil der Abmachungen von Stockholm nicht erfüllt und ihre Soldaten von ihren Positionen im Süden von Hudeida auch nicht abgezogen. Statt dessen werfen Riad, Abu Dhabi und Hadis Exilregierung in der südjemenitischen Hafenmetropole Aden den britischen Diplomaten Griffiths vor, er sei nicht unparteiisch und käme den Huthis zu sehr entgegen.

Wegen der nicht eingehaltenen Zusagen ihrer Gegner gehen die Huthis seit Ende Mai militärisch gegen die ausländischen Invasoren vor und treiben den Krieg nach Saudi-Arabien hinein. Sie haben wiederholt Raketenangriffe auf die beiden Flughäfen Nadschran und Abha durchgeführt. Bei den Aktionen sollen Waffenlager und Raketenabwehrstellungen das Ziel gewesen sein. Tatsächlich aber ist die Rakete, die am 12. Juni den Flughafen Abha traf, in das Abfertigungsgebäude für Passagiere eingeschlagen und hat 26 Zivilisten verletzt - zum Teil schwer. Sanaa äußerte darüber sein Bedauern und wies gleichzeitig auf die unzähligen Zivilisten hin, die infolge der rund 17.000 saudischen und emiratischen Luftangriffe seit Beginn des Kriegs ums Leben gekommen sind.

Die Huthis haben auch mehrere spektakuläre Drohnenangriffe durchgeführt - sowohl Mitte Mai auf zwei nahe Riad befindliche Pumpstationen der saudischen Ost-West-Ölpipeline als auch am 2. Juni auf eine Militärparade saudischer und emiratischer Truppen in Aden. Am 5. Juni sollen die Huthis sogar eine kleine Bodenoffensive in der saudischen Provinz Nadschran unternommen haben. Nach eigenen Angaben haben sie bei den Kämpfen dort 200 saudische Soldaten entweder getötet oder gefangen genommen sowie größere Mengen Waffen und Kriegsmaterial erbeutet. Seit Monaten versuchen saudische Spezialstreitkräfte, die angeblich von britischen Kameraden unterstützt werden, jene unterirdischen Lager, wo die Huthis ihre Drohnen und Raketen aufbewahren, zu zerstören - offenbar ohne großen Erfolg. Allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz handelt es sich bei den ballistischen Raketen und Drohnen der Huthis um Waffen, welche diese nicht aus dem Iran, sondern selbst in eigenen Werkstätten herstellen und/oder auf dem Schwarzmarkt besorgen. Dies geht aus früheren Untersuchungen der CIA klar hervor.

Währenddessen verschlimmert sich aktuell die ohnehin prekäre humanitäre Situation in Sanaa und Umgebung. Dort hat am 16. Juni das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, auf dessen Hilfe Millionen jemenitische Familien angewiesen sind, seine Arbeit in der Region Sanaa teilweise ausgesetzt. Hintergrund ist ein Streit zwischen den Vertretern des World Food Programms vor Ort und den Huthis um die Zuteilung der dringend benötigten Lebensmittel. Die WFP-Mitarbeiter verlangen von allen Empfängern der Hilfspakete die biometrischen Daten, die Huthis lehnen das Ansinnen als ungesetzlich und gegen die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen ab. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die "internationale Gemeinschaft" durch bürokratische Tricks und technokratische Scheinargumente mit daran arbeitet, der Aushungerungsstategie von Saudi-Arabien und der VAE zum Erfolg zu verhelfen.

21. Juni 2019


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