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NAHOST/1680: Jemen - saudische Kalküle ... (SB)


Jemen - saudische Kalküle ...


Für Saudi-Arabien gerät der Krieg im Jemen, von dem sich im März 2015 der Initiator, Kronprinz und Thronfolger Mohammed bin Salman, einen Blitzsieg als Demonstration der eigenen Herrlichkeit erhofft hatte, immer mehr zum Desaster. Trotz uneingeschränkter Luftüberlegenheit, der Zerstörung weiter Teile der zivilen Infrastruktur und mehr als 100.000 Toten haben es Riads Truppen bis heute nicht geschafft, die schiitischen Huthi-Rebellen zu bezwingen und den von ihnen Ende 2014 gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi wieder an die Macht zu bringen. Wegen der militärischen Pattsituation haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabiens wichtigster Verbündeter im Jemenkrieg, Anfang Juni mit dem Abzug ihrer schätzungsweise 5000 Soldaten begonnen. Nun steht Riad vor einem Dilemma - entweder weiterhin einen extrem kostspieligen Krieg ohne Aussicht auf Erfolg zu führen oder eine Verständigung mit den Huthis zu suchen, was mit einem erheblichen Prestigeverlust für Saudi-Arabiens neuen "starken Mann" MbS einherginge.

Am 8. Juli hatte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Abu Dhabi zwar anonym, dafür aber offiziell gegenüber der Presse den Abzug der emiratischen Truppen aus dem südlichen, von der sunnitischen Interventionsstreitmacht kontrollierten Teil des Jemens bekanntgegeben, nachdem in den Tagen zuvor die arabische Presse von den ungewöhnlichen Bewegungen berichtet hatte. Etwas verworren klang die mitgelieferte Begründung des Schritts, nämlich der Übergang von einer "Krieg-zuerst-Strategie" zu einer "Frieden-zuerst-Strategie". Inzwischen haben die Emirater ihre sämtlichen Stützpunkte im Südjemen geräumt. Die beiden an der Küste des Roten Meeres bei Al Mokha und al Khoka sollen bereits von der saudischen Armee übernommen worden sein. Die anderen Basen in der Hafenstadt Aden und Umgebung sollen dem Südlichen Widerstand und anderen Milizen überlassen werden, welche die Emirater in den letzten Jahren aufgebaut haben und die den Einfluß der VAE im jemenitischen Süden langfristig sichern sollen, unabhängig davon, ob der Staat bestehen bleibt oder nach dem Krieg wieder in Nord- und Südjemen zerfällt.

Auslöser des Abzugs der Emirater aus dem Jemen ist das grandiose Scheitern der letztjährigen Offensive gegen Hudeida, mit der die Koalitionäre den Huthis den letzten Handelszugang zum Roten Meer entreißen, den Belagerungsring um den jemenitischen Norden einschließlich der Hauptstadt Sanaa endlich schließen und den Gegner damit zur Kapitulation zwingen wollten. Trotz monatelanger heftiger Kämpfe konnten die Huthis, auch Ansarullah-Bewegung genannt, Hudeida halten und sich der Übermacht der Koalitionstruppen und der mit ihnen kooperierenden südlichen Milizionäre widersetzen. Noch im Dezember 2018 vereinbarten beide Seiten bei Verhandlungen in Stockholm unter Aufsicht der Vereinten Nationen einen Waffenstillstand für Hudeida und eine Räumung der dortigen Hafenanlagen durch die Huthis. Obwohl die Huthis ihren Teil der Abmachung erfüllt haben, bleibt die Feuerpause bei Hudeida brüchig.

Vor dem Hintergrund des Abflauens der Kämpfe bei Hudeida haben die Huthis in den letzten Monaten ihre Bemühungen an anderen Fronten verstärkt wie zum Beispiel in der Landesmitte um die Stadt Taiz, die auf der wichtigsten Verbindungsstraße zwischen Aden im Süden und Sanaa im Norden liegt. Hinzu kommen Angriffe auf saudische Armeestellungen an der gemeinsamen Staatsgrenze sowie Drohnen- und Raketenangriffe auf Flughäfen, Pipelines und andere wichtige Objekte im Landesinnern Saudi-Arabiens.

Seit Beginn des Krieges behaupten die Gegner der Huthis, diese seien die Handlanger Teherans und bekämen ihre Raketen und Drohnen aus dem Iran. Für die Richtigkeit dieser Behauptung hat es bis heute keinen zwingenden Beweis gegeben. Was ballistische Raketen betrifft, haben die Huthis beim Ausbruch des Kriegs den größten Teil des Arsenals der jemenitischen Armee an solchen Waffen durch Beschlagnahmung in ihren Besitz gebracht. Vor wenigen Tagen hat das Verteidigungsministerium in Sanaa stolz die jüngsten Modelle aus der eigenen Drohnenproduktion der Weltpresse vorgestellt. Offenbar haben die Operationen der saudischen und emiratischen Spezialstreitkräfte hinter den feindlichen Linien zur Zerstörung der unterirdischen Drohnen- und Raketenbestände der Huthis nichts gebracht. Laut Medienberichten sollen auch westliche Soldaten - Mitglieder des britischen Special Air Service (SAS) und Spezialstreitkräfte aus den USA - teilgenommen haben.

Einen nicht unwichtigen Aspekt der Entscheidung der VAE zur Beendigung ihrer Teilnahme am Jemenkrieg stellen die steigenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA dar. Im Mai und Juni kam es zu Sabotageaktionen gegen sechs Öltanker am Persischen Golf - gegen vier, als sie vor der Küste der VAE im Golf von Oman vor Anker lagen und gegen zwei weitere, als sie gerade die Straße von Hormus durchquerten. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump macht den Iran für die Vorfälle verantwortlich. Die Iraner weisen jedoch jede Beteiligung von sich. Ende Juni schoß die iranische Revolutionsgarde eine US-Spionagedrohne ab, nachdem sie über der Straße von Hormus in den Luftraum der Islamischen Republik eingedrungen war. Nur in letzter Minute soll Trump eine geplante Vergeltungsaktion in Form begrenzter Raketenangriffe auf militärische Ziele im Iran abgebrochen haben.

Aus diplomatischen Kreisen heißt es, innerhalb der emiratischen Führung tobe seit Monaten ein heftiger Streit. Vor allem die Vertreter Dubais, das vom Handel mit dem Iran profitiert und an guten Beziehungen zu Teheran interessiert ist, sollen den eher martialisch ausgerichteten Kollegen in Abu Dhabi Vorwürfe hinsichtlich des Sinns und Zwecks der Kriegshandlungen im Jemen gemacht haben. Sollte die Konfrontation zwischen Teheran und Washington in Waffengewalt ausarten, wollen die Emirater nicht zwischen die Fronten geraten und auf gar keinen Fall, daß ihre Städte am Persischen Golf von iranischen Raketen in Schutt und Asche gelegt werden. Aus diesem Grund sollen die VAE letzte Woche eine Delegation nach Teheran geschickt haben, die geheime Gespräche mit der Vertretern der iranischen Regierung führte.

Für Saudi-Arabien stellt sich die Lage immer unwägbarer dar. Riad tut sich im Streit zwischen Teheran und Washington seit langem neben Israel als Scharfmacher hervor und verlangt bei jeder Gelegenheit von den Vereinigten Staaten scharfe Maßnahmen, um den "unheilvollen Einfluß" des Irans in der Nahost-Region "einzudämmen". Man kann deshalb davon ausgehen, daß im Falle eines Kriegsausbruchs am Persischen Golf die saudischen Ölanlagen sowie die amerikanischen Militärstützpunkte in Saudi-Arabien ganz oben auf der Zielliste der iranischen Streitkräfte rangieren. Angesichts dieser Gefahr raten deshalb einige Nahost-Kommentatoren den Saudis bereits, sich so schnell wie möglich mit den Huthis auf eine Beilegung des Konflikts im Jemen zu verständigen, um bloß nicht in einen Zwei-Fronten-Krieg zu geraten. Unverrichteter Dinge das Schlachtfeld Jemen zu verlassen wäre jedoch König Salmans Plänen, nach seinem Ableben den saudischen Thron seinem Sohn Mohammed zu überlassen, sicherlich abträglich. Ein saudischer Rückzug aus dem Jemen, ohne dort einen Sieg eingefahren zu haben, könnte sogar einen neuen Machtkampf um die Thronfolge in Riad auslösen. Außenpolitisch hat sich die saudische Führung durch Selbstüberschätzung, Hasardeurtum und ein unnötiges Festhalten am Feindbild Iran in eine ausgesprochen mißliche Lage gebracht, aus der es keinen einfachen Ausweg gibt.

13. Juli 2019


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