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NAHOST/1684: Jemen - Rückzug und unbemerkt ... (SB)


Jemen - Rückzug und unbemerkt ...


Für Saudi-Arabien gestaltet sich der Rückzug aus dem Krieg im Jemen, der im März 2015 so verheißungsvoll begonnen hat, nur um sich langsam aber sicher in ein militärisches Fiasko zu verwandeln, äußerst schwierig. Die Blamage könnte sogar Kronprinz Mohammed den saudischen Thron nach dem Ableben seines alten und gebrechlichen Vaters, König Salman, kosten. Schließlich war es damals Mohammed bin Salman selbst, der nur wenige Wochen nach der Ernennung zum Verteidigungs- und Wirtschaftsminister und damit zum De-Facto-Regierungschef in Riad den Einmarsch saudischer Truppen in den Jemen an der Spitze einer sunnitischen Staatenallianz anordnete. Mit einem raschen und glorreichen Sieg über die schiitischen Huthi-Rebellen, die Ende 2014 Jemens Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi wegen Amtsanmaßung gestürzt hatten, sollte Riads Hegemonialanspruch auf der arabischen Halbinsel und MbS' Position als kommender starker Mann Saudi-Arabiens unterstrichen werden. Für MbS ist das Kalkül leider voll nach hinten losgegangen.

Über vier Jahre lang unfähig, in den von den Huthis kontrollierten, gebirgigen Nordwesten vorzustoßen und sie aus der Hauptstadt Sanaa zu vertreiben, haben bereits im Juni die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabiens wichtigster Verbündeter im Jemenkrieg, mit dem Abzug ihrer schätzungsweise 5000 Soldaten begonnen. Ihre Stellungen am Roten Meer südlich der von den Huthis kontrollierten Hafenstadt Hudeida gingen an die Saudis. Doch als die VAE-Soldaten ihre Stützpunkte in der Südosthälfte des Jemens räumten, welche die Koalitionsstreitmacht 2014 mit Hilfe von al-kaida-nahen Milizen und Kämpfern des Südlichen Übergangsrats (Southern Transitional Council - STC) rasch erobert hatte, brach im August ein blutiges Ringen um Macht und Einfluß aus. In die schweren Kämpfen in Aden mit seinem strategisch enorm wichtigen Tiefseehafen griff die VAE-Luftwaffe auf der Seite der STC-Soldaten gegen die Truppen der Hadi-Regierung ein. Zahlreiche Kombattanten sind auf beiden Seiten gefallen. Inzwischen sind die Kämpfe in Aden abgeflaut. Saudische Truppen sollen dort diejenigen der VAE ersetzen und für Frieden zwischen den verschiedenen bewaffneten Gruppierungen sorgen. Vorher mußte Hadi dem STC einige Kabinettsposten einräumen.

Ein nicht unwichtiger Anlaß für die Emirater, aus dem Jemenkrieg auszusteigen, war die gestiegene Wahrscheinlichkeit, die Huthis könnten Dubai und Abu Dhabi mit Drohnen und Raketen angreifen. Riad hat dagegen die Gefahr ignoriert - und das trotz wiederholter Angriffe mit solchen Waffen in den Monaten zuvor auf saudische Flughäfen und Ölterminals, die sich zum Teil Hunderte von Kilometern von der Nordgrenze des Jemens entfernt befanden. Endgültig haben die Huthis den Glauben der Saudis an einen Sieg im Jemenkrieg ins Wanken gebracht, als sie am 14. September einen kombinierten Drohnen- und Raketenangriff auf zwei der wichtigsten Ölraffinieren Saudi-Arabiens im Osten des Landes nahe dem Persischen Golf durchführten und beide Anlagen schwer beschädigten. Sofort schoß der Ölpreis an den Weltbörsen in die Höhe. Berichten der arabischen Presse zufolge könnte es Monate dauern, bis beide Terminals den Betrieb wieder voll aufgenommen haben.

In einer ersten Reaktion hat US-Außenminister Mike Pompeo trotz einer entsprechenden Erfolgsverlautbarung der Huthis deren Verbündeten Iran für den spektakulären Vorfall verantwortlich gemacht. Teheran hat den Vorwurf weit von sich gewiesen. Wie man inzwischen weiß, haben im September sowohl die USA als auch Saudi-Arabien erste informelle Sondierungsgespräche mit den Huthis aufgenommen. Für Riad kann eine Beilegung des Kriegs im Nachbarland, der dort mehr 100.000 Menschen das Leben gekostet und Millionen in eine Hungersnot gestürzt hat, nicht schnell genug kommen. Ende September haben die Huthis erstmals umfangreiches Videomaterial von einer Schlacht veröffentlicht, bei der sie Ende August im saudischen Südwesten Hunderte von gegnerischen Soldaten getötet und Tausende gefangengenommen haben wollen. Den Aufnahmen nach zu urteilen, scheinen die Huthi-Angaben von der gewaltsamen Auflösung dreier Brigaden der saudischen Nationalgarde bei einem sorgfältig geplanten Überfall auf einen größeren Militärkonvoi entlang einer langen Gebirgsstraße zu stimmen.

Der Ausgang besagter Schlacht deutet auf eine stark sinkende Moral bei den saudischen Streitkräften hin. Als weiteres Indiz für Zerfallserscheinungen bei den Saudis gilt der mysteriöse Tod von König Salmans persönlichem Leibwächter General Abdul Asis Al Faghem am 29. September in Dschidda am Roten Meer. Bekannt ist lediglich, daß Al Faghem erschossen wurde. Über Hintergrund und Ablauf der mörderischen Tat herrscht bei allen Außenstehenden Rätselraten. Am 6. Oktober berichtete die iranische Nachrichtenagentur Fars unter Verweis auf Twitter-Meldungen des im deutschen Exil lebenden saudischen Prinzen Khalid Bin Farhan Al Saud, der 47jährige Al Faghem sei auf Geheiß von MbS liquidiert worden, weil er den König über die katastrophale militärische Lage im Jemen und die schweren Angriffe auf die Ölraffinerien richtig informiert habe. Möglicherweise hat Al Faghem von angeblichen Plänen von MbS, demnächst seinen 83jährigen Vater für unzurechnungsfähig und sich selbst zum saudischen König zu erklären, erfahren und mußte deshalb à la Jamal Khashoggi beseitigt werden. Vor diesem Hintergrund scheint die Entscheidung der Regierung von US-Präsident Donald Trump vom 11. Oktober, 3000 US-Soldaten nach Saudi-Arabien zu entsenden weniger mit einer "gestiegenen Bedrohung" seitens des Irans als vielmehr mit dem Wunsch zusammenhängen, die saudische Monarchie, die in pro-MbS- und Anti-MbS-Palastfraktionen zu zerfallen droht, zu stützen.

19. Oktober 2019


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