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NAHOST/1700: Jemen - strategische Fremdinteressen ... (SB)


Jemen - strategische Fremdinteressen ...


Im Jemen bestätigt sich abermals eine alte Weisheit. Einen Krieg zu beenden ist um ein vielfaches schwieriger als ihn anzufangen. Diese Lehre wird gerade Saudi-Arabiens Verteidigungsminister und De-facto-Staatschef Mohammed bin Salman zuteil. Im März 2015, zwei Monate nach dem Aufstieg seines alternden Vaters Salman auf den saudischen Thron brach der junge Heißsporn den Krieg im Jemen vom Zaun. Das erklärte Ziel war die Wiedereinsetzung des pro-saudischen Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi, der vor den Huthi-Rebellen aus der nördlichen Hauptstadt Sanaa in die südliche Hafenmetropole Aden geflohen war. Doch in erster Linie ging es darum, Saudi-Arabien als unwiderstehliche High-Tech-Militär- und Ordnungsmacht auf der Arabischen Halbinsel zu etablieren und die glorreiche Ära des Möchtegern-Modernisierers MbS anzukündigen. Deshalb trug die Operation den Namen Entscheidender Sturm. Fast fünf Jahre danach ist gar nichts entschieden bis auf die Tatsache, daß sich die Saudis im Jemen militärisch bis auf die Knochen blamiert haben.

Unfähig, die gegnerische Ansarullah-Bewegung am Boden zu bezwingen, haben sich die sunnitischen Saudis darauf verlegt, aus der Luft die Bevölkerung der von den Huthis kontrollierten Nordwesthälfte des Jemens zu terrorisieren und die Infrastruktur der Region zu zerstören. Das ist ihnen dank US-amerikanischer und britischer Rüstungshilfe auch gelungen. Inzwischen hat der Jemenkrieg mehr als 100.000 Todesopfer gefordert. Mehr als die Hälfte der 28 Millionen Jemeniten leidet an akutem Nahrungsmangel. Vergeblich haben die saudischen Streitkräfte versucht, die Stadt Hudeida, den letzten Zugang der Huthis zum Roten Meer, zu erobern, um das Herrschaftsgebiet der Ansarullah wirtschaftlich zu strangulieren. Bis heute ist ihnen das nicht gelungen.

Nach den schweren Drohnen- und Raketenangriffen der Huthis auf zwei wichtige Ölraffinerien an der weit entfernten saudischen Küste am Persischen Golf im vergangenen September flaute der Krieg im Jemen ab. Es kam zu ersten informellen Verhandlungen zwischen den Vertretern Riads und Sanaas in Muskat, der Hauptstadt des Omans, dessen Herrscherhaus traditionell eine Vermittlerrolle zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran einnimmt, der in diesem Fall als Verbündeter der Ansarullah gilt. Gleichzeitig begannen die wichtigsten Partner von MbS beim großen Anti-Huthi-Feldzug, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und der Sudan, ihre Truppen aus dem südlichen Jemen abzuziehen. In Khartum ließ sich die Zahl der gefallenen sudanesischen Soldaten durch die finanziellen Zuwendungen Riads nicht mehr rechtfertigen. Die Emirater sahen ihren Einfluß im Jemen bereits durch die Zusammenarbeit mit der mächtigen Miliz der südlichen Separatisten sowie den Ausbau mehrerer Basen auf der am Horn von Afrika strategisch gelegenen Insel Sokotra gesichert. Der Umstand, daß die VAE 2020 das erste Kernkraftwerk der arabischen Welt in Betrieb nehmen wollen, dürfte auch ein Anlaß für Abu Dhabi gewesen sein, mittels eines Truppenabzugs der Gefahr möglicher Raketenangriffe der Huthis vorzubeugen.

Durch den Drohnenangriff der USA, der am 3. Januar in Bagdad den iranischen General Qassem Soleimani tötete, ging auch eine mögliche Verständigung zwischen Teheran und Riad zu Bruch. Nach Angaben der irakischen Regierung war Suleimani mit der Antwort des Irans auf einen Friedensvorschlag Saudi-Arabiens in diplomatischer Mission unterwegs, als er im Auftrag der Regierung von US-Präsident Donald Trump ermordet wurde. Wenige Tage darauf flammten die Kämpfe im Jemen wieder auf. Eine Blitzoffensive der von den Saudis und Al-Kaida-nahen Gruppen unterstützten Hadi-Truppen in Richtung Sanaa wurde jedoch von den Huthis zurückgeschlagen. Seitdem setzt die Ansarullah dem Gegner in den nordöstlich respektive östlich von Sanaa liegenden Gouvernements Al Jauf und Marib zu. Marib ist von großer Bedeutung, liegen dort die wichtigsten Öl- und Gasreserven des Landes.

Am 18. Januar wurden 111 Hadi-Anhänger bei einem Raketenangriff der Huthis auf einen Stützpunkt nahe der Ortschaft Al Nasr in Marib getötet und mehr als 200 schwer verletzt. Am 11. Februar tötete ein weiterer Huthi-Raketenangriff, diesmal im südlichen Gouvernement Abyan, drei Soldaten und ließ 15 schwer verletzt zurück. Am 14. Februar verlor die saudische Luftwaffe einen Kampfjet vom Typ Tornado über Al Jauf. Die Meldung der Huthis, sie hätten den Tornado abgeschossen und damit erstmals im Jemenkrieg mit einer eigenen Boden-Luft-Rakete eine gegnerische Maschine vom Himmel geholt, haben die Saudis umgehend dementiert und den Vorfall als Absturz aufgrund eines Pilotenfehlers oder einer technischen Panne heruntergespielt. Die militärische Reaktion Riads sprach jedoch eine andere Sprache. Zur Vergeltung bombardierte die saudische Luftwaffe gleich am darauffolgenden Tag die Ortschaft Hayjah in Al Jauf. Dabei wurden laut UN-Angaben mehr als 31 Zivilisten, viele von ihnen Frauen und Kinder, getötet und zwölf weitere verletzt.

Inzwischen werden auch wieder schwere Kämpfe aus Hudeida und Umgebung gemeldet, wo zuletzt ein brüchiger Waffenstillstand geherrscht hatte. Offenbar wollen die Saudis die über Hudeida laufende Versorgung von Sanaa und dem jemenitischen Nordwesten mit Lebensmitteln und Medikamenten doch noch kappen und auf diesem Weg die Huthis in die Knie zwingen. Die Ansarullah zeigt sich bislang unbeeindruckt. Am 20. Februar haben die Huthis nach eigenen Angaben eine große Ölanlage von Saudi Aramco in der saudischen Stadt Janbu am Roten Meer mit Raketen und Drohnen attackiert. Ob das stimmt, läßt sich schwer sagen. Die Saudis behaupteten ihrerseits, an dem Tag mehrere Raketen der Huthis, die sich gegen zivile Ziele im Königreich richteten, erfolgreich abgefangen und unschädlich gemacht zu haben.

Interessanterweise haben am 18. Februar saudische Truppen Stammeskämpfer in der Stadt Shahan im östlichen Gouvernement des Jemens, Al Mahra, das bislang weitgehend vom Krieg verschont geblieben ist, angegriffen. Der sonderbare Vorfall, für den es bislang keine Erklärung gibt, erinnert an ein anderes lang vermutetes Vorhaben der Saudis im Jemen, nämlich an den eventuellen Bau einer Ölpipeline, die westlich an Oman vorbeiliefe, die saudischen Ölfelder am Persischen Golf mit der Küste am Indischen Ozean verbände und damit den Schiffstransport durch die vom Iran kontrollierte Straße von Hormus überflüssig machte.

22. Februar 2020


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