Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1078: Israel unglücklich über Ägyptens neue Außenpolitik (SB)


Israel unglücklich über Ägyptens neue Außenpolitik

Ägypten droht der Finanzhilfe der USA verlustig zu gehen


Zweifelsohne stellt der unfreiwillige Rücktritt des langjährigen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak Ende Februar und der anschließende Kollaps seines Machtapparats die bisher bedeutendste Entwicklung dessen, was manche Kommentatoren den "arabischen Frühling" nennen, dar. Die neue vom Militär eingesetzte Regierung hat, obwohl sie lediglich bis zu den Parlamentswahlen im September das Land administrieren soll, bereits jetzt wichtige außenpolitische Veränderungen vorgenommen, welche die strategische Landkarte im Nahen Osten neu zeichnen.

Nach einem Treffen in der ägyptischen Hauptstadt am 4. April mit dem iranischen Regierungsvertreter Mugtabi Amani erklärte Außenminister Nabil Elaraby, Kairo und Teheran wollten nach 30 Jahren die diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen und Botschafter austauschen. Im Frühjahr 1979 war es zum Bruch gekommen, als Ägypten unter Anwar Al Sadat mit Israel einen Friedensvertrag abschloß und es als erstes arabisches Land anerkannte sowie den von einer Revolution gerade gestürzten Schah vom Iran vorübergehendes Exil gewährte. Am 27. April sorgte Elaraby für einen weiteren Paukenschlag, als er in Kairo erklärte, ägyptischen Vermittlern sei es in zweimonatiger Arbeit gelungen, die verfeindeten palästinensischen Organisationen Fatah und Hamas zur Bildung einer Einheitsregierung zu bewegen, die im Herbst eventuell die staatliche Unabhängigkeit Palästinas erklären soll.

Trotz massiver Kritik aus den USA und Israel haben es sich die Ägypter nicht nehmen lassen, am 4. Mai in Kairo im Blitzlichtgewitter der versammelten Weltpresse den palästinensischen Versöhnungsvertrag vom Fatah-Vorsitzenden Mahmud Abbas und Hamas-Chef Khaled Meschal unterzeichnen zu lassen. Sowohl in dem von der Fatah regierten Westjordanland und in dem von der islamischen Hamas-Bewegung kontrollierten Gazastreifen hatte es in den letzten Monaten unter dem Eindruck der Massenproteste in den anderen arabischen Staaten Demonstrationen für die politische Einheit gegeben. Zu der politischen Trennung der beiden palästinensischen Gebiete war es ein Jahr nach dem Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen 2006 gekommen, als die USA und Israel die Fatah zu einem Putsch animierten, dem die Islamisten zumindest in ihrer Hochburg Gaza zuvorkommen und den sie niederschlagen konnten. Nach der neuen Vereinbarung sollen Westjordanland und Gazastreifen bis zu Parlamentswahlen im kommenden Jahr von einer Regierung verwaltet werden, die aus parteiunabhängigen Technokraten besteht.

In Israel ist man über Ägyptens neugewonnenes außenpolitisches Selbsbewußtsein alles andere als glücklich. Unter Mubarak hielt Ägypten den Israelis den Rücken für ihre Drohungen und gelegentlichen Militärinterventionen gegen den Libanon und Syrien frei und half sogar bei der wirtschaftlichen Abriegelung des Gazastreifens mit. Darüber hinaus bildete Ägypten zusammen mit dem ölreichen Königreich Saudi-Arabien ein wichtiges Bollwerk einer sunnitischen Autokratenallianz, die aus eigenen Motiven - etwa der religiösen Feindschaft gegenüber dem Schiitentum - wie auch aus Rücksicht auf die geopolitischen Ambitionen der USA am Persischen Golf eine aggressive Stellung gegenüber der Islamischen Republik Iran und dessen Verbündeten Syrien und der libanesischen Hisb-Allah-Bewegung einnahm.

Ägyptens Wiederentdeckung seiner traditionellen Rolle als wichtigste arabische Macht hat bei der konservativ-chauvinistischen Regierung Benjamin Netanjahus in Israel Hysterie ausgelöst. Ungeachtet der Tatsache, daß in Kairo niemand, selbst nicht die Moslembruderschaft, deren Vertreter nach den Wahlen im September bei der neuen Regierung mitreden dürften, den Friedensvertrag mit Israel in Frage stellt, sehen israelische Kommentatoren Ägypten bereits zum "Schurkenstaat" mutieren. Obwohl sich die Hamas bei dem bereits erwähnten Versöhungstreffen mit der Fatah in Kairo zur Einhaltung ihres Waffenstillstands mit den israelischen Streitkräften bekannte, werfen die Israelis den Ägyptern vor, durch die geplante Öffnung des Grenzübergangs Rafah den Gazastreifen dem Terrornetzwerk Al Kaida zu überlassen. Wenig überraschend hat Netanjahu, der seit zwei Jahren durch den fortgesetzten Ausbau jüdischer Siedlungen auf der Westbank und in Ostjerusalem alle Bemühungen von US-Präsident Barack Obama um einen "Friedensprozeß" torpediert und Mahmud Abbas in den Augen seines Volkes zum Hampelmann verkommen gelassen hat, die von Ägypten herbeigeführte, palästinensische Einigung als "einen schwerwiegenden Schlag gegen den Frieden und einen großen Sieg für den Terrorismus" bezeichnet.

Auch wenn in nächster Zeit mit keinerlei diplomatischen oder militärischen Konfrontationen zwischen Israel und Ägypten zu rechnen ist, dürfte man in Kairo recht bald den Unmut Tel Avivs und seiner mächtigen Gönner in den USA zu spüren bekommen. Wegen der Umbrüche der letzten Wochen einschließlich der vielen Streiks und der Einbußen im Touristiksektor macht Ägypten derzeit eine schwierige wirtschaftliche Phase durch. Seit dem Friedensabkommen mit Israel 1979 hat das Land jedes Jahr umfangreiche Finanz- und Militärhilfe aus den USA erhalten. Diese Hilfe steht jetzt plötzlich zur Disposition. In Washington erwägen die israelfreundlichen Kongreßabgeordneten und Senatoren - aus Gründen des politischen Überlebens sind das praktisch alle - die Streichung besagter Gelder für Kairo.

In einem Artikel, der am 5. Mai bei Inter Press Service erschienen ist, zitierte der erfahrene Kongreßbeobachter Jim Lobe den ehemaligen Staatssekretär und Rechnungsprüfer des Pentagons, Dov Zackheim, der heute als Vizevorstandsvorsitzender des mächtigen privaten Sicherheitskonzerns Booz Allen Hamilton arbeitet, mit folgender deutlicher Aussage: "Der Grund, warum Ägypten Gelder bislang bekommen hat, ist, weil sich die Israelis und AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) dafür stark gemacht haben. Sollten die Israelis davon abrücken, dann wird das das Zögern des Kongresses verstärken und es wird dann wenig Hilfe fließen."

6. Mai 2011