Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

SOZIALES/2095: "Anwalt der Jugend" - Bremser des Aufbegehrens (SB)


Jugendversteher Gründinger gibt sich ideologiefrei


"Der Aufstand der Jungen hat gerade erst begonnen", sieht sich Wolfgang Gründinger in seinem Anliegen bestätigt, als Sprachrohr der Jugend für seine Generation ein nicht minder großes Stück vom Kuchen wie das der Eltern einzufordern. In einem Beitrag für Zeit Online [1] schreibt der Politik- und Sozialwissenschaftler, daß "überall auf der Welt immer mehr junge Menschen wütend auf die Straße gehen, um für ihre Zukunft zu kämpfen". Wie er selbst einräumt, sei es gewagt, den Arabischen Frühling und die Jugendproteste in Europa als transnational vereinte Bewegung sehen zu wollen. Schließlich hätten "die plündernden Banden in England (...) wenig mit den studentischen Zeltlagern in Spanien oder den Demonstranten vom Tahrir-Platz gemein". Die Umstände seien zu komplex, die Lebenswelten der Jugendlichen zu unterschiedlich und ihre Motive zu vielfältig, als daß man sie über einen Kamm scheren könnte.

Ohne näher darauf einzugehen, woran sich die konstatierte Verschiedenheit festmachen ließe, überspringt der Autor das Unvereinbare mit einem Satz, um sogleich auf das Gemeinsame zu sprechen zu kommen. Das erschöpfe sich nicht im gleichen Alter, denn "politische Frustration und ökonomische Perspektivlosigkeit" seien "die verbindenden Wurzeln der Jugendbewegungen". Der tagtägliche ökonomische Druck erzeuge "ein dumpfes Gefühl von Ohnmacht, Ungerechtigkeit und Ausgrenzung. Jugendarbeitslosigkeit und soziale Spaltung, gepaart mit Misstrauen gegenüber einer impotenten politischen Elite", bereiteten "einen guten Nährboden für Wut und Verbitterung, in Europa wie in Nahost". Die junge Generation sei die größte Verliererin der Krise. Diese Generation habe "den Glauben verloren, dass sie vom Kuchen mehr abbekommt als ein paar Krümel".

Der zu verteilende Kuchen bleibt denn auch Gründingers Leitmotiv, der zwar mit 16 Jahren in die SPD eingetreten ist, längst aber den Status des gefragten Lobbyisten der Jugend vorzieht. Wenn frischgebackene Schulabgänger keinen Job fänden, Universitätsabschlüsse keine Türen mehr öffneten, junge Beschäftige zuerst entlassen würden, eine Generation ihr Leben lang für die Schulden der Bankenrettung haften müsse, beklagt er die abhanden gekommene Garantie bundesdeutscher Mittelschichten auf wachsenden Wohlstand. Nach Veröffentlichung seines Buches "Aufstand der Jungen. Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können" vor zwei Jahren vom Spiegel als "Deutschlands Vorzeige-Mittzwanziger" ausgewiesen, mahnte er damals im Interview mit dem Nachrichtenmagazin Generationengerechtigkeit an: Den nachrückenden Generationen müsse es mindestens genauso gut gehen wie der vorherigen Generation. Und genau das sei eben bei den Jungen nicht mehr der Fall. [2]

Wer wie Gründinger Verteilungskämpfen im vorgegebenen Rahmen den Zuschlag gibt, sucht zwangsläufig nach dem Freßfeind, den zu verdrängen ihm opportun erscheint. Wenngleich der "Anwalt der Jugend" (Ernst Ulrich von Weizsäcker) den von ihm propagierten Aufstand "nicht gegen die Alten, sondern gegen einen unfairen Zustand" gerichtet wissen will, nennt er an anderer Stelle die vollständige Beseitigung von Altenprivilegien auf dem Arbeitsmarkt eine seiner drei radikalsten Forderungen. Er hält es für unfair, daß die Alten mehr Lohn für die gleiche Arbeit und mehr Urlaub bekommen und oftmals auch noch praktisch unkündbar seien. Respekt vor der Lebensleistung sollte man durchaus würdigen, wobei ihm offenbar nicht mehr als beispielsweise ein Tag mehr Urlaub als Geburtstagsgeschenk vorschwebt.

Sein Grundansatz, den Sozialkampf in Konkurrenz der Generationen abzuwickeln, hat Gründinger zahlreiche Türen zu Vorträgen, Expertisen, Konferenzen und Stiftungen geöffnet und diverse Auszeichnungen beschert. Er beurteile seine Positionen nicht nach rechts oder links, sagte er dem Spiegel: "Ich kann mit allen." Ob Evangelischer Kirchentag, Klimagipfel oder Atomforum, Attac oder McKinsey - überall spannt er den Jugendprotest ins Geschirr der Legitimität.

Wie es heutzutage gang und gäbe ist, geißelt er "den Kapitalismus, wie wir ihn kennen" und fragt anklagend, wo "das menschliche Antlitz eines solchen Kapitalismus" sei. Profitgierige Banker und Spekulanten hätten sich in einer beispiellosen Orgie bereichert und seien dabei selbst in einem System gefangen, das von der Profitmaximierung auf anonymen Märkten getrieben sei. Sorge niemand mehr dafür, daß Anstand und Moral auch auf den Märkten gelten, zockten die da oben das Land in den Ruin, während die unten dafür bezahlen müßten, könne das auf Dauer nicht gutgehen. Mit dem Bankensystem sei auch das Weltbild des freien Marktes, auf dem Leistung sich lohnt und der Wohlstand für alle bringt, in die Legitimationskrise geraten.

Indem Gründinger dem Kapitalismus einen Verlust des menschlichen Antlitzes anlastet, Profitgier der Finanzwirtschaft geißelt und dem freien Markt eine Legitimationskrise attestiert, erweist er sich als Protagonist der von ihm unhinterfragten Gesellschaftsordnung. So stimmt er ein in den Chor der Reformisten, die um die Rettung der herrschenden Verhältnisse wetteifern, weil sie ihre Anstrengungen nicht genügend mit dem eigenen Vorteil zu Lasten anderer belohnt sehen.

Der Aufstand der Jungen ist kein heroisch oder ideologisch aufgeladener Widerstand gegen das "System" (...). Die junge Generation weiß um die Vorzüge von Marktwirtschaft und Demokratie, doch sie hält nicht viel von Kapitalismus und Staat. Sie weiß aber auch nicht, wie es besser gehen soll. Sie rennt keinen Heilsutopien hinterher. Sie hat keine Wortführer, keinen arabischen oder spanischen Rudi Dutschke. Sie hat kein gemeinsames Manifest; allenfalls gibt es viele Manifeste vieler Gruppen. Die konkreten Ziele und Forderungen bleiben aus guten Gründen im Nebel. Es geht um ein gemeinsames "Nein!" zu einer klaffenden Ungerechtigkeit und sehr viele "Jas!" zu einer anderen Gesellschaft.

Ideologiefreiheit für sich zu reklamieren, kann nur dem Versuch geschuldet sein, die herrschende Ideologie zu verschleiern und sich in ihr einzurichten. Dem "Aufstand der Jungen" explizit ideologisch begründeten Widerstand gegen das System abzusprechen, weist Gründingers Leitmotiv aus, sich als Sachwalter kanalisierten und gebändigten Protests zu plazieren, um alle darüber hinausführenden Denk- und Handlungsprozesse im Keim zu ersticken. Wenn er behauptet, die rebellierende Jugend habe keine Wortführer, ignoriert er in seinem zweckdienlichen Wunschdenken profilierte Gegenbeispiele wie etwa Camila Vallejo, Präsidentin des chilenischen Studierendenverbands und Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation. Die Schüler und Studierenden Chiles bieten in Zuge ihrer Politisierung inzwischen der Regierung die Stirn und sind Teil einer breiten Bewegung, die von den streikenden Arbeitern der Kupferminen bis zu den rebellierenden Mapuche reicht. Da zieht es Gründinger zwangsläufig vor, "die konkreten Ziele und Forderungen (...) aus guten Gründen im Nebel" zu lassen, um für seine hiesige Leserschaft nachhaltig zu vernebeln, was seines Erachtens keinesfalls sein soll und darf.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-08/jugend-revolte-aufstand

[2] http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,630758,00.html

24. August 2011