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USA/1214: Schließung des Lagers Guantánamo nicht absehbar (SB)


Starkes Interesse am Erhalt einer legalen Folterstätte


Wer sich der Hoffnung hingegeben haben mochte, daß mit dem Übergang zur Präsidentschaft Barack Obamas zumindest die extremsten Auswüchse der Bush-Administration zügig beseitigt würden, sieht sich eines Schlechteren belehrt. So ist auch die vollmundig angekündigte Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo nach wie vor nicht absehbar, ja man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, Zeuge eine ausgeklügelten Farce zu sein, bei der die beteiligten Fraktionen einander Knüppel zwischen die Beine werfen, um eine unlösbare Situation zu generieren. Wie sich immer deutlicher abzeichnet, wurde mit dem System Guantánamo das innovative Modell einer legalen Folterstätte geschaffen, auf welche die Strategen der Herrschaftssicherung nicht mehr verzichten wollen. Die Bedeutung für Kriegsführung, Geheimdienstarbeit, Justiz und Strafvollzug ist so fundamental und weitreichend, daß es sich aus Perspektive der beteiligten Interessengruppen geradezu verbietet, diese Errungenschaft vollständig zurückzufahren.

In diesem Zusammenhang ist besonders erschreckend, in welchem Maße das Prinzip Guantánamo im Denken der Bevölkerung Fuß gefaßt hat. Meinungsumfragen in den USA lassen auf deutliche Mehrheiten für den Weiterbestand des Lagers schließen, da bei den Bürgern die jahrelange Suggestion auf fruchtbaren Boden gefallen ist, daß dort gefährliche Menschen unter Verschluß gehalten werden, die man keinesfalls auf freien Fuß setzen sollte. Die Euphorie jener Kreise, die Worte aus Obamas Mund mit einer Veränderung der Wirklichkeit verwechseln, macht ihre Rechnung ohne den Wirt einer Kontinuität der Staatsgewalt und überstaatlicher Machtkomplexe, die von einem Wechsel im Weißen Haus kaum gehemmt, ja eher noch im Betreiben ihrer Geschäfte beflügelt werden. Es ist vor allem die mediengenerierte Öffentlichkeit, die sich von dem simulierten Neubeginn blenden läßt.

Repräsentanten der Demokraten und Republikaner im US-Kongreß verlangen von Präsident Obama einerseits einen detaillierten Plan zur Schließung des Lagers Guantánamo, die der Kongreß andererseits mit einem jüngst gefaßten Beschluß außerordentlich erschwert hat. So wurde der Regierung nicht nur die beantragte Zuteilung der erforderlichen Haushaltsmittel verweigert, sondern auch eine Entlassung oder Inhaftierung der Lagerinsassen auf dem Staatsgebiet der USA untersagt. Überdies dürfen diese Gefangenen nur dann zu Prozessen ins Land geholt werden, wenn das Justizministerium bestätigen kann, daß sie kein Sicherheitsrisiko darstellen. Damit bliebe als einzig gangbarer Weg eine Verlegung freigelassener Insassen ins Ausland, dem der US-Kongreß jedoch ebenfalls Steine in den Weg gelegt hat. So muß der Präsident vor einer derartigen Abschiebung in ein anderes Land dem Kongreß sowohl detaillierte Informationen über den Freigelassenen, als auch getroffene Absprachen mit den Asylländern vorlegen. (NZZ am Sonntag 21.06.09)

Daß es sich bei dieser Blockade keineswegs um ein spezifisch amerikanisches Problem handelt, dokumentiert der inszenierte Eiertanz der europäischen Regierungen um die Aufnahme von Gefangenen aus Guantánamo. Wäre man diesseits des Atlantiks tatsächlich der Auffassung, das berüchtigte Folterlager müsse besser heute als morgen verschwinden, fänden sich zweifellos Mittel und Wege, dies in eigener Initiative zu beschleunigen wenn nicht gar zu erzwingen. Dem ist jedoch nicht so. Wenngleich die EU-Kommission beschlossen hat, Obama bei der Schließung des Lagers zu unterstützen, ist mit dieser Absichtserklärung kein konkretes Hilfsangebot verbunden.

Derzeit bereist der US-Sonderbeauftragte für die Schließung Guantánamos, Daniel Fried, die Länder Europas, um für jene 50 Insassen, die nach gründlicher Prüfung als völlig ungefährlich eingestuft wurden, Aufnahmemöglichkeiten zu finden. Verbindliche Zusagen hat er bislang jedoch keine erhalten, wobei die Kosten offenbar von untergeordneter Bedeutung sind. Wie man den Ball spielt, ohne sich irgend etwas zu vergeben, hat bekanntlich der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble vorgemacht: Ehe die Bundesregierung zu einer Aufnahme bereit sei, müsse geklärt werden, warum die USA unschuldigen Lagerinsassen kein Asyl gewähren, erklärte Schäuble schon vor einiger Zeit, als habe er den nächsten Zug des US-Kongresses vorhergesehen.

22. Juni 2009