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USA/1254: Neocon-Lobby unterstellt eine Achse Teheran-Taliban (SB)


Neocon-Lobby unterstellt eine Achse Teheran-Taliban

Die Medien Rupert Murdochs blasen zum Krieg gegen den Iran


Als es 2002 und Anfang 2003 der republikanischen Regierung von George W. Bush darum ging, in der amerikanischen Öffentlichkeit Zustimmung für den von ihr längst beschlossenen Krieg gegen den Irak zu erzeugen, behaupteten der Präsident selbst, Vizepräsident Dick Cheney, Außenminister Colin Powell, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Saddam Hussein und Osama Bin Laden steckten unter einer Decke, womöglich sei der "Butcher of Baghdad" sogar in die Anschläge vom 11. September verwickelt, auf jeden Fall dürfe man nicht zulassen, daß er "Massenvernichtungswaffen" an die islamistischen "Terroristen" gebe, sonst könnte es zu einem "Atompilz" über einer US-Großstadt kommen.

Nun, inzwischen hat sich der von Colin Powell bei seinem berühmten Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 5. Februar 2003 fabulierte "finstere Nexus" zwischen der säkularen Baath-Regierung in Bagdad und dem religiös-fundamentalistischen Al-Kaida-"Netzwerk" als Ammenmärchen entpuppt, und wie schon vor dem Einmarsch Millionen von Kriegsgegnern richtig vermutet haben, existierte Saddam Husseins furchterregendes Arsenal an atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen gar nicht. Dessen ungeachtet versuchen dieselben neokonservativen Kräfte mit einer leicht geänderten, von ihren Grundelementen her gleichen Gruselgeschichte Stimmung für einen Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Iran zu machen. Die Dreistigkeit, die Entschlossenheit und die Rücksichtslosigkeit dieser Kräfte läßt vermuten, daß sie in ihren Bemühungen nicht ruhen werden, bis auch in Teheran der von ihnen schon länger ersehnte "Regimewechsel" vollbracht worden ist. Leider steht jedoch zu befürchten, daß Abertausende von Menschen das Streben nach diesem Ziel mit dem Leben bezahlen werden.

Seit der Veröffentlichung von Tony Blairs Memoiren am 1. September warnt der ehemalige britische Premierminister in einem Medienauftritt nach dem anderem vor der großen Bedrohung, die angeblich vom Iran und dessen Atomprogramm für den Nahen Osten und die Welt ausgeht. Dies gilt auch für das erste Interview mit einem US-Fernsehsender, das er ABC News am 5. September gab und von dem Ausschnitte in den abendlichen Nachrichten jenseits des Atlantiks zu sehen waren. In nur leicht abgewandelter Form verbreitet Blair die von Bush jun. in dessen erster Rede zur Lage der Nation im Januar 2002 aufgestellte These, daß die größte Gefahr für die Menschheit Massenvernichtungswaffen in den Händen der Radikalislamisten wäre. Er behauptet, daß der Iran der wichtigste Förderer des militanten Islams sei und daß man deshalb mit allen Mittel verhindern müsse, daß sich Teheran die Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen beschaffe, weil ansonsten die "Mullahkratie" die Bin-Laden-Truppe damit ausrüsten könnte.

Die schiitische Führung in Teheran steht traditionell den afghanischen Taliban feindlich gegenüber. Wegen der Ermordung mehrerer iranischer Diplomaten und Massaker an Schiiten standen die Iraner Ende der neunziger Jahren, als die paschtunischen Taliban in Kabul noch das Sagen hatten, kurz davor, Afghanistan den Krieg zu erklären. Bin Laden tritt für eine extrem puritanische Form des Sunnitentums namens Salafismus ein. Für ihn und seine Anhänger gelten die Schiiten, welche den überwiegenden Teil der iranischen Bevölkerung ausmachen, als Ungläubige. Deshalb ist es zum Beispiel in den letzten Tagen in Pakistan zu schweren Bombenanschlägen der dortigen Taliban auf schiitische Moscheen gekommen, die Dutzenden der dort Betenden das Leben gekostet haben. Darüber hinaus wirft Teheran Al Kaida und den Taliban vor, die sunnitische Separatistengruppe Jundallah, die in den letzten Jahren in der südöstlichen iranischen Provinz Sistan-Belutschistan durch Überfälle und schwere Bombenanschläge auf sich aufmerksam gemacht hat, zu unterstützen. Nichtsdestotrotz wartete am 5. September die Sunday Times, das britische Flaggschiff des Medienimperiums von Rupert Murdoch, mit der Geschichte auf, Teheran bezahle den afghanischen Taliban für jeden getöteten US-Soldaten 1000 Dollar und für jedes zerstörte US-Militärfahrzeug 6000 Dollar.

Der Inhalt des Artikels "Iran pays the Taliban to kill US soldiers" aus der Feder des Kabuler Sunday-Times-Korrespondenten Amile Moor wirkt nicht besonders plausibel. Als Quellen werden nicht namentlich genannte Kontakte bei den Taliban und beim afghanischen Geheimdienst angeführt. Statt die Prämien den Taliban in bar per Koffer direkt zukommen zu lassen, was auch diskreter und weniger leicht aufspürbar wäre, bezahlt Teheran sie angeblich aus Geldern, die iranische Baufirmen in Afghanistan, die am Wiederaufbau des Landes beteiligt sind, aus internationalen Hilfsfonds erhalten. Dieses Detail klingt nicht nur unrealistisch, sondern erweckt den Anschein, als sollte es in erster Linie die Perfidie der Iraner unterstreichen, was natürlich dem Vorwurf, unter dem Vorwand der Nutzung der zivilen Kernergie bastelten die Iraner heimlich an der Atombombe, Glaubwürdigkeit verleihen soll. Das Beste kommt aber noch... Allen Ernstes schreibt Moor, der "Schatzmeister", der die iranischen Gelder annimmt und sie den erfolgreichen Schützen zukommen läßt, sei ein armer afghanischer Bauer, der erst seit vier Jahren bei den Taliban sei und erst im letzten Winter Lesen, Schreiben und rudimentäre Buchhaltung gelernt habe. Über solche Angaben kann man nur lachen. Die beschriebene Aufgabe wäre viel zu heikel und von zu großer politischer Brisanz, als daß der iranische Sicherheitsapparat, würde er tatsächlich die Taliban finanziell zu größeren Anstrengungen gegen die Truppen des "großen Satans" antreiben wollen, es einer solch minderqualifierten Person überlassen würde.

Wenn es hier um irgendwelche Unterstützung geht, dann in erster Linie um die der Murdoch-Medien für die neokonservativen Kriegstreiber in Washington in Form der durchsichtigen Propagandaartikel Moors und der Anti-Iran-Hetze Blairs. Die Sunday Times und Random House, das Blairs Memoiren verlegt, gehören beide zu Murdochs News Corporation. Als Premierminister sprach Blair nach Angaben seines damaligen PR-Beraters Alastair Campbell die britische Außenpolitik regelmäßig mit Murdoch ab. Dafür bekam er für seinen aggressiven Kurs in der Irakfrage von Murdochs britischen Medien, Times of London, Sunday Times, den Boulevardblättern Sun und News of the World sowie dem Nachrichtensender Sky News volle Rückendeckung.

Bereits im Vorfeld des drohenden Sturzes Saddam Husseins machte Murdoch in der Öffentlichkeit keinen Hehl aus seinen großen Erwartungen bezüglich einer für den Westen zum Positiven veränderten strategischen Landschaft im Nahen Osten und eines niedrigeren Ölpreises. Deshalb leisteten seine Medien in den USA, der Nachrichtensender Fox News, das Boulevardblatt New York Post und die Politzeitschrift Weekly Standard, die als Hauspostille der Neokonservativen gilt, wichtige Flankierungsarbeit für die Bush-Regierung an der Desinformationsfront. Später ergaben Umfragen, daß die Zuschauer der patriotisch ausgerichteten Fox News im Vergleich zur übrigen Bevölkerung im weit größeren Ausmaß glaubten, daß Saddam Hussein in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt war bzw. über Massenvernichtungswaffen verfügte - und daß nicht nur vor der Irakinvasion, sondern auch Monate danach. In Großbritannien war es die Sun, die im September 2002 Blairs erfundene Geschichte von der Möglichkeit eines irakischen Angriffs mit Giftgas beladener Raketen auf die britischen Basen auf Zypern in Großbuchstaben auf ihre Titelseite brachte.

Wenn Blair dieser Tage bei der Vorstellung seines Buchs behauptet, die Welt befinde sich nun in einer ähnlichen Situation bezüglich des Irans wie vor acht Jahren in Bezug auf den Irak, dann hat er im gewissen Sinne auch Recht. Denn dieselben Kräfte, die damals Saddam Hussein zum Wüstenhitler aufbauschten, um den Irak erobern zu können, sind genau dieselben, die behaupten, die Mullahs in Teheran arbeiteten mit den Taliban und Al Kaida zusammen, seien die größten Hindernisse eines Friedens zwischen Israelis und Palästinensern, weil sie Hamas und Hisb Allah unterstützen, und ihnen sei hinsichtlich Nukleartechnologie nicht zu trauen, weil sie heimlich mittels eines Atomkrieges die Rückkehr des zwölften Mahdis herbeizuführen trachteten. Seit Wochen schlachten Fox News, die New York Post und die Weekly Standard die Kontroverse um den Bau eines muslimischen Kulturzentrums in der Nähe von Ground Zero aus, um in den USA eine neue Welle der Islamophobie auszulösen, während rechtzeitig zum diesjährigen 9/11-Jahrestag Blair über den Atlantik fliegt, um auf der PR-Tour für seine Memoiren vor der großen iranischen Gefahr zu warnen. Blair verlangt, daß der Westen den "rückwärtsgewandten und bösen" Kräften des Islams seinen Willen aufzwingt. Das ist keine Sprache der Diplomatie, sondern die des Krieges.

7. September 2010