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USA/1272: Krokodilstränen für R. Holbrooke (SB)


Krokodilstränen für R. Holbrooke

Nachruf in der New York Times weist verräterische Lücke auf


Diejenigen, die sich bewußt oder unbewußt zur außenpolitischen Elite der USA zählen, trauern in diesen Stunden um Richard Holbrooke, der am 13. Dezember überraschend verstorben ist. Der 69jährige New Yorker, der seit Anfang 2009 den Posten des Sonderbeauftragten der Regierung Barack Obamas für die Region Afghanistan-Pakistan (Af-Pak) innehatte, war am 10. Dezember, kurz nach einem Treffen im Außenministerium mit seiner Vorgesetzten Hillary Clinton, deren Bewerbung um die Präsidentschaft er 2008 unterstützt hatte, zusammengebrochen. Bei der Einlieferung ins Universitätskrankenhaus George Washington stellten die Ärzte eine gerissene Aorta fest. Trotz einer 20stündigen Operation konnte Holbrooke nicht gerettet werden.

Noch während die Ärzte um das Leben ihres prominenten Patienten kämpften, bezeichnete Präsident Obama ihn als eine "überragende Figur" und einen "Giganten der US-Außenpolitik". Im Nachruf im heutigen Londoner Guardian wird Holbrooke als einer der wenigen Vertreter der US-Diplomatie der letzten vierzig Jahren bezeichnet, "die mit den Giganten der 'Gründergeneration' der amerikanischen Hegemonie wie Dean Acheson und George Kennan verglichen werden können". Bis die Trauerfeierlichkeiten vorbei sind, dürfte seitens westlicher Geschichtsschreiber an der Hagiographie Holbrookes, ganz als hätte in den neunziger Jahren "der Bulldozer" mit seiner ruppigen Art allein Frieden nach Bosnien-Herzegowina gebracht, weiter gestrickt werden.

Zweifelsohne hat Holbrooke als Sondergesandter Bill Clintons im Bosnien-Krieg eine wichtige Rolle gespielt. In den eigenen Memoiren rechnet er selbst es dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic als Verdienst an, daß die Verhandlungen von Dayton 1995 die Beendigung der Kämpfe zwischen Serben, Kroaten und bosnischen Muslimen herbeiführten. Hinzu kommt, daß die USA entgegen allgemeiner Überlieferung auf dem Balkan nicht als unparteiische Vermittler, sondern als Kriegspartei auftraten. Die Clinton-Regierung hat 1993 die bosnischen Muslime dazu angestiftet, dem von den EU-Großmächten favorisierten Vance-Owen-Plan, der eine Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in Kantone à la Schweiz vorsah, nicht zuzustimmen, und damit das gegenseitige Töten früherer Nachbarn und Bürger der ehemaligen Republik Jugoslawien erst richtig entfacht. Die Amerikaner haben auch dafür gesorgt, daß trotz eines UN-Embargos größere Mengen Waffen - illegalerweise - an die Kroaten und Muslime geliefert wurden. 1995 haben Flugzeuge der US-Luftwaffe sogar auf der Seite der Kroaten eingegriffen, als diese die Operation Sturm durchführten und die Krajina-Serben zu den Opfern der größten "ethnischen Säuberung" des ganzen Krieges machten. Als drei Jahre später das Pentagon das Kosovo vom Restjugoslawien trennen wollte, war es Holbrooke, der sich mit militanten albanischen Separatisten von der UCK fotografieren ließ und diese von einem Moment auf den nächsten von dem Makel, "Terroristen" im Sinne des Washingtoner Außenministeriums zu sein, befreite.

Daß Holbrooke eine schillernde Figur war und während des Auseinanderbrechens des ehemaligen Jugoslawien Washington den "Mann fürs Grobe" gab, wird von niemandem bestritten, auch wenn in den ganzen Nachrufen dem Treiben des späteren US-Botschafters bei den Vereinten Nationen stets ein positiver Glanz verliehen wird. Auf das dunkelste Kapitel im Leben Holbrookes geht man gar nicht erst ein. So heißt es lediglich im heutigen Nachruf in der New York Times, Holbrooke, der drei Jahre in Vietnam während des Krieges dort als Diplomat arbeitete, sei als Belohnung dafür, daß er 1976 Jimmy Carter bei der erfolgreichen Bewerbung um die US-Präsidentschaft geholfen habe, zum Staatssekretär für Ostasien und pazifische Angelegenheiten ernannt worden. Ganz, als sei Holbrookes Zeit auf diesem Posten völlig ereignislos gewesen, heißt es gleich im nächsten Satz: "Als Ronald Reagan und die Republikaner 1981 die Kontrolle über das Weiße Haus übernahmen, verließ Holbrooke für mehr als ein Jahrzehnt den Staatsdienst, um sich auf das Schreiben und die Tätigkeit als Investitionsbankier zu konzentrieren."

Es verwundert überhaupt nicht, daß Amerikas "Paper of Record" so wenig über Holbrookes Arbeit als Staatssekretär für Ostasien und pazifische Angelegenheiten berichtet, handelt es sich doch eventuell um die blutigste Phase in der Karriere des später berühmten Diplomaten. 1975 hatte die republikanische Regierung Gerald Fords, der Henry Kissinger als Außenminister angehörte, dem Suharto-Regime Indonesiens grünes Licht für den Einmarsch in die ehemalige portugiesische Kolonie Osttimor gegeben. Während der vierjährigen Amtszeit von Jimmy Carter - von 1977 bis 1981 - hat das indonesische Militär gewütet und zwischen 100.000 und 200.000 Osttimoresen ermordet. Wie zum Beispiel Joshua Frank in dem am 26. Januar 2009 bei antiwar.com erschienenen Artikel "The Blood on Holbrooke's Hands" und Jeremy Scahill in dem am 20. November 2008 von Alternet.org veröffentlichten Bericht "This is Change? 20 Hawks, Clintonites and Neocons to Watch for in Obama's White House" schilderten, sorgte Holbrooke während des Massenmords auf Osttimor dafür, daß Suhartos Truppen die Waffen nicht ausgingen. So war es auch eine verklausulierte wie zynische Bemerkung, als Holbrooke im Jahr 2000 - damals ein Unterstützer des Demokraten Al Gore - bei einer Veranstaltung an der Johns Hopkins University zu Ehren von Paul Wolfowitz, seinem Vorgänger ein Vierteljahrhundert davor als Staatssekretär für Ostasien und pazifische Affären, der damals den republikanischen Präsidentschaftkandidaten George W. Bush beriet, erklärte, die beiden außenpolitischen Rivalen würden dafür sorgen, daß Osttimor nicht zum Wahlkampfthema werde.

14. Dezember 2010