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USA/1273: Washington will Julian Assange wegen Spionage anklagen (SB)


Washington will Julian Assange wegen Spionage anklagen

Bradley Manning wird zur Aussage gegen den Wikileakschef weichgeklopft


Auch nach der Freilassung auf Kaution am 16. Dezember sieht die Lage für Julian Assange, den 39jährigen Chef des Enthüllungsportals Wikileaks, das seit dem 28. November täglich vertrauliche, zum Teil hochpeinliche Depeschen des US-Außenministeriums veröffentlicht, nicht rosig aus. Derzeit kämpft Assange in Großbritannien gegen die Auslieferung nach Schweden, wo die Behörden ihn in Verbindung mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung seitens zweier junger Frauen vernehmen wollen. Die Beweislage gegen Assange ist so dürftig, daß die Schweden gegen ihn nicht einmal Anklage erhoben haben. Die erstaunliche Energie, mit der die schwedischen Justizbehörden bisher einen eigentlich minderbedeutenden Fall verfolgen, vor dem High Court in London eine Auslieferung des Australiers betreiben und sich gegen seine Freilassung auf Kaution gesperrt haben, deutet darauf hin, daß hier Stockholm Washington zuarbeitet. Ihrerseits wollen die Amerikaner eine Auslieferung Assanges in die USA bewirken, um ihm dort wegen Spionage den Prozeß zu machen.

Nach eigenen Angaben hat Barack Obamas Justizminister Eric Holder bereits eine Sonderermittlungsgruppe mit der Aufgabe, alle erdenklichen rechtlichen Schritte gegen Assange auszuloten, betraut. In einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera am 16. Dezember hat Assanges Anwalt Mark Stephens behauptet, über schwedische Behördenkreisen erfahren zu haben, daß man in Arlington, Virginia, bereits eine Grand Jury zur Erörterung der Anklage gegen den Wikileaksgründer heimlich eingeschworen hat. Auf direkte Nachfrage der britischen Tageszeitung Guardian wollte das Justizministerium die Behauptung von Stephens nicht kommentieren. Jedenfalls leben im Justizbezirk Arlington, der gleich neben der Hauptstadt Washington D. C. liegt und in dem sich auch das Pentagon befindet, überdurchschnittlich viele Menschen, die für das US-Militär bzw. bei einer Bundesbehörde arbeiten. Und weil deshalb Geschworene aus dieser Region dazu tendieren, die Dinge aus Regierungssicht zu sehen, führt das Justizministerium dort gerne wichtige Prozesse, in denen es angeblich um Fragen der nationalen Sicherheit geht, durch.

In einem Bericht über den Assange-Fall für die World Socialist Web Site zitierte am 17. Dezember Ann Talbot Toby Harnden, den Washingtoner Korrespondenten der konservativen britischen Zeitung Daily Telegraph, der davon ausgeht, daß eine "versiegelte", sprich geheime, Anklage in den USA gegen Assange vorliegt, mit den Worten: "Derzeit warten die US-Behörden den richtigen Zeitpunkt und den richtige Ort ab, um ihn zu schnappen. Das ganze dürfte sich zu einer großen transatlantischen Kontroverse entwickeln, sollte, was immer wahrscheinlicher wird, eine Anklage in den USA wegen Spionage gegen ihn erhoben werden und man entweder in Großbritannien oder Schweden die Auslieferung beantragt.

Am 15. Dezember wurden mehrere namhafte US-Rechtsgelehrte vor einem Kongreßausschuß zu den Aussichten einer Anklage gegen Assange befragt. Im Senat und Repräsentantenhaus machen vor allem die Republikaner aus den Wikileaks-Veröffentlichungen eine große Sache, werfen der Obama-Regierung Untätigkeit vor und bauschen Assange zum "Informationsterroristen" auf, den man entweder als "illegalen feindlichen Kombattanten" nach Guantánamo Bay verschleppen oder im Ausland gleich von Spezialisten der CIA oder der US-Armee liquidieren lassen sollte. Jedenfalls stellte sich bei der Anhörung heraus, daß eine Verurteilung Assanges aufgrund der von ihm veranlaßten Veröffentlichung der vertraulichen diplomatischen Depeschen extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich zu erzielen wäre.

Zu derselben Einschätzung scheint man im US-Justizministerium gekommen zu sein, weshalb man dort eine Anklage gegen Assange wegen der Anstiftung zum Diebstahl der geheimen Daten für aussichtsreicher hält und entsprechend vorbereitet. Dies berichtete am 16. Dezember Charlie Savage in der New York Times unter der Überschrift "U.S. Tries to Build Case for Conspiracy by WikiLeaks". Doch damit die Anklage von Erfolg gekrönt wird, braucht die Staatsanwaltschaft die Kooperation von Bradley Manning, dem 23jährigen Militärgeheimdienstler, der während eines Einsatzes im Irak in der zweiten Hälfte 2009 und der ersten Hälfte 2010 große Mengen vertraulicher Regierungsdaten kopiert und an Wikileaks zur Veröffentlichung weitergereicht hat.

Zu diesen Daten soll zum Beispiel das umstrittene Video "Collateral Murder", Bilder der Erschießung einer Gruppe Zivilisten 2007 auf offener Straße in Bagdad durch eine US-Kampfhubschrauberbesatzung, gehören, weshalb Manning kurz nach dessen Veröffentlichung im Mai verhaftet wurde. Man verlegte den Obergefreiten zunächst in ein Militärgefängnis in Kuwait. Seit Juli befindet er sich in Isolationshaft in einem Hochsicherheitstrakt der US-Marineinfanterie in Quantico, Virginia. Glenn Greenwald, ein Anwalt und Bürgerrechtler, der sich von Anfang an für Manning stark gemacht hat, hat am 16. Dezember auf seinem angesehehen Blog "Unclaimed Territory" bei der Internetzeitschrift Salon die These glaubhaft vertreten, daß hier die US-Behörden die Isolationshaft, die nach Meinung der meisten Psychiater als Folter gilt, gezielt als Mittel einsetzten, um belastende Aussagen gegen Assange zu erwirken. Folter gegen die eigenen Bürger und nicht nur gegen "islamische Terroristen" - so hat man sich den 2008 vom Präsidentschaftsbewerber Obama versprochenen "Wandel, an den man glauben könne", nicht vorgestellt.

18. Dezember 2010