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USA/1284: Amerika feiert die Tötung des Erzfeindes Bin Laden (SB)


Amerika feiert die Tötung des Erzfeindes Bin Laden

Al-Kaida-Chef bei Razzia in Pakistan angeblich ums Leben gekommen


Als am Abend des 1. Mai die Nachricht vom Tod Osama Bin Ladens bei einer Razzia von US-Spezialstreitkräften in Pakistan durchsickerte, kam es sowohl in New York, auf dem Times Square und am Ground Zero, dem früheren Standort des World Trade Center, und vor dem Weißen Haus in Washington zu spontanen Jubelfeiern. Fast zehn Jahre nach den schrecklichen Anschlägen auf die WTC-Zwillingstürme und das Pentagon in Arlington war die Zufriedenheit und die Erleichterung der meisten Amerikaner über die Liquidierung des angeblichen Drahtziehers des 11. September riesengroß.

Es wäre zu wünschen, mit dem Tod des Al-Kaida-Chefs ginge eine Deeskalierung des sogenannten "Antiterrorkrieges" einher. Leider ist jedoch zu befürchten, daß dieser in eine noch blutigere Phase tritt. Angesichts der jüngsten, spektakulären Entwicklung haben Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates für alle Botschaften und Militärstützpunkte der USA im Ausland erhöhte Alarmbereitschaft angeordnet. Bereits am 25. April hatten mehrere seriöse Medien, darunter die New York Daily News und die Times of India, unter Berufung auf vertrauliche, von Wikileaks veröffentlichte Dokumente über die Vernehmung des 9/11-Chefplaners Khalid Sheikh Mohammed (KSM) im Sonderinternierungslager Guantánamo Bay auf Kuba, gemeldet, Al Kaida hätte eine Atombombe in Europa deponiert und würde einen "nuklearen Höllensturm" auslösen, sollte Bin Laden jemals von seinen Feinden gefangengenommen oder getötet werden.

Für Barack Obama ist die Nachricht vom Tod Bin Ladens ein sensationeller propagandistischer Erfolg, der zudem zu einem überaus günstigen Zeitpunkt kommt. Der ehemalige demokratische Senator aus Illinois, der vor wenigen Wochen seine Kampagne zur Wiederwahl im November 2012 offiziell eröffnet hat, wird seit zwei Jahren von der republikanischen Opposition dafür gegeißelt, daß er die Interessen Amerikas im Ausland angeblich nicht energisch genug vertritt. Seit einigen Wochen verweisen sie auf das militärische Eingreifen der NATO in den libyschen Bürgerkrieg, kritisieren die Luftangriffe als zu gering und verlangen drastischere Maßnahmen bis hin zum Einsatz von Bodentruppen, um Muammar Gaddhafi zu stürzen und in Tripolis einen "Regimewechsel" herbeizuführen. Nun kann Obama die republikanischen Hurrapatrioten in ihre Schranken weisen mit dem Argument, daß er in etwas mehr als zwei Jahren das geschafft hat, was Vorgänger George W. Bush trotz seiner markigen Sprüche - "tot oder lebendig" usw. - in acht Jahren nicht gelungen ist, nämlich Amerikas Volksfeind Nummer eins endgültig zur Strecke zu bringen.

Aus dem was Obama in seiner Fernsehrede an die Nation am Abend des 1. Mai und die New York Times am darauffolgenden Tag unter Verweis auf nicht namentlich genannte Regierungsmitglieder berichteten, setzt sich die offizielle Version vom Ende des Al-Kaida-Gründers wie folgt zusammen. Vor rund vier Jahren haben Ermittler in Guantánamo Bay von dort einsitzenden Al-Kaida-Mitgliedern die Identität von Bin Ladens vertrautestem Kurier, der sogar ein "Protegé" von KSM sein sollte, erfahren. Es dauerte aber mehrere Jahre, bis man den Mann ausfindig machen konnte. Doch sobald diese Aufgabe bewältigt war, führte der Kurier, der hauptsächlich in Pakistan unterwegs war, ohne es natürlich zu wissen, die US-Geheimdienste zu einer Villa in der Stadt Abbottabad, die rund 60 Kilometer nördlich von Islamabad liegt und wo sich ein Stützpunkt und ein Ausbildungszentrum der pakistanischen Armee befinden. Bei der Beobachtung des Anwesens fiel den Mitarbeitern der CIA und deren Schwesterdienste auf, daß das Haus viel größer als alle umliegenden und von hohen Mauern umgeben war sowie über keinen Telefon- oder Internetanschluß verfügte. Darüber hinaus verbrannten die Anwohner ihren Müll, bevor sie es zum Abholen auf die Straße stellten.

Aufgrund dieser und anderer Auffälligkeiten war man zu der Überzeugung gelangt, endlich das Versteck Bin Ladens gefunden zu haben, woraufhin Obama, nachdem die nötigen Einheiten in die Nähe Position bezogen hatten, am 1. Mai amerikanischer Zeit den Befehl zum Zugriff erteilte. Bei der Razzia, zu deren Anfang eine Gruppe Navy Seals von zwei Hubschraubern aus auf das Gelände des Anwesens gelangte, kam es zu einem Feuergefecht, das mit dem Tod von Bin Laden selbst, einem erwachsenen Sohn und zwei seiner Kuriere sowie einer Krankenschwester endete. Im Anschluß haben die US-Streitkräfte, die keine Verluste zu verzeichnen hatten, die Leiche Bin Ladens erst nach Afghanistan geflogen und sie dort aufgrund von DNA-Proben endgültig identifiziert, bevor man sie anschließend im Meer versenkte.

Ob sich alles tatsächlich so zugetragen hat, darf man bezweifeln. Allein um die operative Sicherheit zu gewährleisten, Quellen zu schützen und Mißtrauen beim Gegner zu säen, werden häufig in solchen Zusammenhängen irreführenden Angaben gemacht. Das gehört zum Geschäft im Informationskrieg. Vor allem die Behauptung, Hinweise aus Guantánamo hätten zum Untergang Bin Ladens geführt, dient, selbst wenn sie wahr ist, einer wichtigen Doppelfunktion. Erstens wird das Lager und die Sonderbehandlung von "Terrorverdächtigen" in den Augen vieler Kritiker rehabilitiert - weil angeblich "effektiv". Zweitens werden Ängste unter den früheren Kampfgefährten von KSM, Ramsi Binalschibh und den anderen in Guantánamo einsitzenden, mutmaßlichen, ehemaligen Al-Kaida-Führungsmitgliedern darüber ausgelöst, was diese alles den Verhörspezialisten des Pentagons und der CIA erzählt haben könnten.

Interessanterweise hat am Abend des 1. Mai, kurz bevor Obama seine Rede aus dem Weißen Haus hielt, Brian Ross, Chefkorrespondent der Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders ABC, im Interview erklärt, er habe von seinen Quellen bei der Regierung in Washington erfahren, daß Bin Laden bei einem der jüngsten, per Drohne durchgeführten Raketenangriffe der CIA im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan ums Leben gekommen sei und daß man dies bei der Untersuchung der DNA der vielen Getöteten festgestellt hatte. Gegen die These von KSM und Konsorten als Quelle des entscheidenden Hinweises, der zum Aufenthaltsort Bin Ladens führte, spricht der am 25. April bei der Asia Times Online unter der Überschrift "Bin Laden sets alarm bells ringing" erschienene Artikel. Darin berichtete AToL-Pakistan-Korrespondent Syed Saleem Shahzad, daß Bin Laden in den Wochen zuvor im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet an einer Reihe von Treffen mit ranghohen Kommandeuren der Anti-NATO-Allianz, darunter Gulbuddin Hekmatyar von der Hezb-e-Islami, teilgenommen habe, um über das weitere Vorgehen gegen die "westlichen Kreuzzügler" in Afghanistan und anderswo zu beraten. Möglicherweise war es die verstärkte Reisetätigkeit, die dem Al-Kaida-Chef zum Verhängnis wurde.

Nicht auszuschließen ist auch die Möglichkeit, daß Bin Laden, wie von vielen Experten vermutet, schon länger tot gewesen ist - zum Beispiel daß er Ende 2001, Anfang 2002 im Zuge der Kämpfe um Tora Bora starb -, und daß Washington die passende Gelegenheit abgewartet hat, um seinen Tod zu verkünden. Für diese Vermutung spricht die Beseitigung der Leiche auf Nimmerwiedersehen im Meer. Obama will im Juli mit dem Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan beginnen. Fast gleichzeitig soll Leon Panetta das Amt des CIA-Direktors an General David Petraeus, derzeit ISAF-Oberkommandeur, abgeben, um dafür anstelle von Robert Gates Pentagonchef zu werden. Rechtzeitig zu seiner Umgestaltung hat Obamas nationales Sicherheitsteam einen wichtigen Etappensieg im Kampf gegen den "Terrorismus" erzielt, und ohne Bin Laden berücksichtigen zu müssen, könnte nun irgendeine Art von Arrangement mit dessen Schwager, Talibanchef Mullah Muhammed Omar, leichter zu erzielen sein.

2. Mai 2011