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USA/1291: Streit um Legalität des Libyenkrieges voll entbrannt (SB)


Streit um Legalität des Libyenkrieges voll entbrannt

McCain und Kerry stellen sich hinter Obama in der Libyen-Frage


Seit am 19. Juni Präsident Barack Obama die 90tägige Frist verstreichen ließ, innerhalb derer er gemäß der War Powers Act von 1973 die Zustimmung des Kongresses zur Teilnahme der US-Streitkräfte am NATO-Krieg gegen Libyen hätte einholen müssen, tobt in Washington und in den amerikanischen Medien ein heftiger Streit. Obama hat sein Verhalten mit dem Argument begründet, in Libyen beteiligten sich die US-Streitkräfte an keinem Krieg, sondern leisteten aus der Luft und vom Meer aus lediglich Unterstützung bei einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten, begrenzten Operation zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Truppen Muammar Gaddhafis.

In einem furiosen Kommentar, der bereits am 16. Juni unter der Überschrift "Obama, wir befinden uns im Krieg; Hören Sie auf uns zu beleidigen" auf der Website Foreignpolicy.com hat Stephen Walt, Professor für internationale Beziehungen an der John F. Kennedy School of Governance der Harvard Universität und Nestor der außenpolitischen Pragmatisten bzw. Realisten in den USA, das Verständnis nicht nur der meisten Politiker und Medienkommentatoren, sondern auch der Mehrheit der Bürger der USA dessen, was derzeit in Libyen passiert, wie folgt auf den Punkt gebracht:

Nach jeder vernünftigen, nachvollziehbaren Meßlatte befinden wir uns, kurzum, im Krieg. Es spielt keine Rolle, daß wir nicht unsere ganze Kraft aufwenden, um den Rebellen zu helfen, oder daß andere Staaten mehr leisten als wir. Tatsache ist, daß die Vereinigten Staaten ihre Streitkräfte und ihre Geheimdienstfähigkeiten einsetzen, um die libyische Armee anzugreifen. In einfachen Worten heißt das, wir töten (oder helfen zu töten) die Anhänger Gaddhafis (und gelegentlich unschuldige Zivilisten) im Rahmen der offensichtlichen Kampagne, ihn zu stürzen. Für mich und jeden anderen, der nicht dafür bezahlt wird, Wege zu finden, die Wirklichkeit zu bestreiten oder die Sicht darauf zu versperren, klingt das nach Krieg.

Das vernichtende Urteil, das Walt damit fällte, erhielt zusätzliche Bestätigung, als am 18. Juni die New York Times unter der Überschrift "2 Top Lawyers Lost to Obama in Libya War Policy Debate" von dem erstaunlichen juristischen Streit zum Thema Libyen innerhalb der Obama-Regierung berichtete. Demnach haben bereits vor Wochen Jeh C. Johnson, der Chefjustitiar des Pentagons, und Caroline D. Krass, Leiterin des Office of Legal Counsel beim Justizministerium, das Weiße Haus wissen lassen, daß nach ihrem Dafürhalten der Einsatz der US-Streitkräfte im Luftraum über Libyen und vor dessen Küste sehr wohl das Kriterium der "Feindseligkeiten" im Sinne des War Powers Act erfülle und daß deshalb der Präsident die Zustimmung vom Repräsentantenhaus und Senat einholen müßte. Statt sich danach zu richten, hat Obama die Position von Robert Bauer, dem Rechtsbeistand des Weißen Hauses, und von Harold Koh, dem Rechtsberater des Außenministeriums, dessen Leiterin Hillary Clinton, neben UN-Botschafterin Susan Rice und Menschenrechtsreferentin Samantha Power vom Nationalen Sicherheitsrat, bekanntlich zu den eifrigsten Befürwortern des Anti-Gaddhafi-Feldzugs gehört, zu eigen gemacht. Demnach findet in Libyen kein Krieg, sondern eine begrenzte Militäroperation statt, von der praktisch keine Gefahr für die beteiligten US-Militärangehörigen ausgeht.

Was letztere Behauptung betrifft, so straft ihr das Verhalten des US-Verteidigungsministeriums Lügen. Wie die Washington Post am 21. Juni berichtete, erhalten alle US-Militärangehörigen, die entweder Lufteinsätze über Libyen fliegen oder an Bord von Schiffen vor der Küste des nordafrikanischen Landes in bis zu einer Entfernung von 110 Seemeilen ihren Dienst verrichten, zum regulären Sold eine Gefahrenzulage von 225 Dollar monatlich - und zwar auch rückwirkend ab Beginn der Militärintervention am 19. März. Zudem nehmen die US-Streitkräfte am Krieg nicht nur in einer unterstützenden Rolle in den Bereichen Logistik und Aufklärung teil, seit Mitte April die NATO den Oberbefehl der Operation übernommen hat, sondern führen mit Flugzeugen und unbemannten Drohnen nach wie vor regelmäßig Angriffe auf feindliche Ziele durch. Und in einem Gastkommentar, der am 21. Juni bei der Washington Post erschienen ist, hat Bruce Ackerman, Professor für Jura und politische Wissenschaft an der Universität Yale, Obama offen bezichtigt, durch seine Ignorierung der Expertenmeinung des in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts geschaffenen Office of General Counsel, die in regierungsinternen Streitfragen rechtlicher Natur für den Präsidenten wenn nicht zwingend bindend, so jedoch richtungsweisend sein soll, "den traditionellen gesetzlichen Prozeß, den die Exekutive erfunden hat, um in den vergangenen 75 Jahren den Rechtsstaat zu bewahren, zerschmettert" zu haben.

Im Repräsentantenhaus ist die Verärgerung über Obamas Mißachtung des verfassungsmäßig verbrieften, alleinigen Rechts des Kongresses, im Namen der USA den Krieg zu erklären, groß. Es hat sich eine breite Koalition aus libertären Republikanern wie auch linken Kriegsgegnern aus Obamas Partei der Demokraten gebildet, die damit droht, eine Resolution zu verabschieden, welche die weitere Finanzierung des Militärabenteuers des Weißen Hauses in Nordafrika mit einem Schlag beenden würde. Gegen das Vorhaben laufen neokonservative Kriegstreiber und humanitäre Interventionisten Sturm, für die militärische Gewalt, ausgeübt von der größten Friedensmacht der Erde - wie Obama bei seiner Dankesrede anläßlich des Erhalts des Friedensnobelpreises Ende 2009 die Streitkräfte der USA bezeichnete - ein unverzichtbares Mittel der internationalen Herrschaftsicherung Washingtons ist. Deswegen haben zwei der prominestesten Vertreter der außenpolitischen Elite in Washington, die langjährigen Senatoren und früheren Präsidentschaftskandidaten John McCain von den Republikanern und John Kerry von den Demokraten, sozusagen am 21. Juni dem Oberhaus des US-Kongresses im Eilverfahren eine Resolution vorgelegt, die "den begrenzten Einsatz" von amerikanischen Streitkräften in Libyen für zwölf Monate legitimieren soll. Beobachter gehen davon, daß der Senat die Resolution in den nächsten Tagen mit großer Mehrheit verabschiedet wird.

22. Juni 2011