Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

USA/1303: CIA kommt mit Vernichtung von 9/11-Beweismaterial durch (SB)


CIA kommt mit Vernichtung von 9/11-Beweismaterial durch

Amerikas Justiz beugt sich dem nationalen Sicherheitsstaat


Seit Oktober 2003 geht die American Civil Liberties Union auf gerichtlichem Wege Vorwürfen nach, wonach Menschen, die als mutmaßliche "Terroristen" oder "feindliche Kombattanten" im Sinne des nach den Anschlägen vom 11. September 2001 von Präsident George W. Bush ausgerufenen "Global War on Terror" gefoltert worden sind. Dank der Bemühungen der ältesten und wichtigsten Menschenrechtsorganisation der USA ist vieles über die menschenunwürdigen Praktiken auf dem Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba, dem US-Militärgefängnis auf dem Fliegerhorst Bagram bei Kabul in Afghanistan und in den sogenannten "black sites" der CIA bekanntgeworden. Die weltweite Empörung darüber war auch der Grund, warum Barack Obama gleich nach seinem Einzug ins Weiße Haus Ende Januar 2009 die geheimen CIA-Foltergefängnisse im Ausland - vermutet wurden sie in Thailand, Polen, Rumänien sowie auf dem US-Militärstützpunkt Diego Garcia im indischen Ozean - schließen ließ.

Seit einigen Jahren steht außer Zweifel, daß die CIA und Teile der Spezialstreitkräfte Folter eingesetzt haben, weniger zum Zwecke der Terrorabwehr, sondern vielmehr um ihre Opfer zu Aussagen zu zwingen, mit denen Washington seine aggressive Außenpolitik begründen könnte. Die Hinweise über eine Zusammenarbeit zwischen Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" und Saddam Hussein zum Beispiel, die der damalige US-Außenminister Colin Powell im Februar 2003 auf einer Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen der Weltöffentlichkeit präsentierte und die den kurz darauf erfolgten Einmarsch in den Irak legitimieren sollten, wurden aus einem Islamisten namens Ibn Al Scheich Al Libi herausgepresst, der Ende 2001 in Pakistan festgenommen und nach der "außergewöhnlichen Überstellung" durch die CIA Anfang 2002 an die Kollegen vom ägyptischen Geheimdienst schwerst - das heißt bis an den Rand des Todes - mißhandelt worden war.

Doch es steht auch der Verdacht im Raum, daß die Folter mutmaßlicher Al-Kaida-Mitglieder der Vertuschung der Hintergründe der unzählige Rätsel aufweisenden 9/11-Flugzeuganschlägen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington diente. Aus diesem Grund mutet es mehr als bedenklich an und riecht verdächtig nach Gleichschaltung, daß fast alle Politiker und Medienvertreter das Geständnis von Khalid Sheikh Mohammed, des mutmaßlichen "Chefplaners" des 11. September unterhinterfragt übernehmen, obwohl der aus Belutschistan in Pakistan stammende Mann die ihm belastenden Aussagen in der Zeit zwischen seiner Verhaftung in Karatschi 2003 und der Überstellung nach Guantánamo Bay 2006, als er auf einer "black site" der CIA unter anderem 83mal der Wasserfolter unterzogen wurde und tagelang an den Armen gekettet von der Decke herunterhing, gemacht hat. Der mangelnde juristische Wert solcher Aussagen erklärt, warum die Obama-Regierung auf einen ordentlichen Prozeß gegen KSM vor einem Gericht in den Vereinigten Staaten verzichtet hat und seinen Fall mehr oder weniger hinter verschlossenen Türen vor einem Militärtribunal in Guantánamo Bay verhandeln will.

Den jüngsten Hinweis auf den begründeten Verdacht der Verwendung der Folter zum Zwecke der Vertuschung der Hintergründe des 11. September lieferte David Kravets in einem am 6. Oktober auf der Website der Technologiezeitschrift Wired erschienenen Artikel. Unter der Überschrift "Judge Refuses to Sanction CIA for Destroying Torture Tapes" berichtete Kravets über die am 5. Oktober gefällte Entscheidung des Richters Alvin Hellerstein vom US-Bundesgericht in New York, die Klage der ACLU gegen die CIA wegen der Vernichtung der Videoaufnahmen von Foltervernehmungen aus den Ära der Regierung von Bush jun. zurückzuweisen. Hellerstein ist derjenige, der vor acht Jahren aufgrund der ursprünglichen Klage der ACLU die Sicherstellung und Vorlage sämtlicher im Besitz der US-Regierungsbehörden befindlicher Beweismittel zum Thema Folter sogenannter "Terrorverdächtiger" angeordnet hatte. Den Umstand, daß die CIA danach fast 100 Folteraufnahmen vernichtet hat, sieht er nun lediglich als "Übertretung" und nicht als "Mißachtung der Würde des Gerichtes" an, wie es die ACLU angeprangert hatte. In seinem am 5. Oktober verkündeten Urteil ließ Hellerstein gegenüber den Verantwortlichen bei der CIA eine bemerkenswerte Milde walten, als er sich hinter dem Standpunkt verschanzte, daß diejenigen, welche 2005 die Vernichtung der wichtigen Beweismittel angeordnet hatten, eventuell "von der gerichtlichen Verfügung bezüglich der Identifizierung und der Vorlage der Videobänder nichts gewußt" hätten.

Die Worte Hellersteins zeugen von einem bodenlosen Zynismus, bedenkt man die Umstände des von ihm nun endgültig zu den Akten gelegten Skandals. Als Ende letzten Jahres das US-Justizministerium die fünfjährige Frist, innerhalb derer man Jose Rodriguez, den früheren Leiter der Abteilung Sonderoperationen bei der CIA, und seine Kollegen wegen der Verfeuerung Hunderter Stunden magnetischer Aufzeichnungen über die Vernehmung bzw. Folter mutmaßlicher Al-Kaida-Mitgliedern strafrechtlich hätte belangen können, ungenutzt verstreichen ließ, stellte am 11. November 2010 der Schattenblick folgendes fest:

Das Datum der Beseitigung der CIA-Folter-Videobänder [9. November 2005 - Anm. d. Red.] ist von keiner geringen Bedeutung. Gerade sechs Tage davor hatte Leonie Brinkema, Richterin am Bundesgericht in Alexandria, Virginia, die US-Behörden um die Aushändigung allen Materials aus den Vernehmungen gefangengenommener, "illegaler Kombattanten" des "Antiterrorkrieges" gebeten, das zur Entlastung von Zacarias Moussaoui, dem mutmaßlichen "20. Highjacker" des 11. September, beitragen könnte. Ausdrücklich hatte Brinkema die Frage gestellt, ob die US-Regierung "Video- oder Audiobänder von diesen Vernehmungen hat". Am 14. November beantwortete das Justizministerium die Frage mit Nein - schließlich waren in der Zwischenzeit die fraglichen Bänder auf immer dem Feuer übergeben worden.

Moussaoui, ein Franzose marokkanischer Herkunft, war am 16. August 2001 in Egan, Minnesota, aufgrund seines seltsamen Verhaltens an einer Flugschule zunächst wegen Verstoßes gegen die US-Einreisebestimmungen festgenommen worden. Die Versuche der Mitarbeiter des FBI-Büros in Minneapolis, die in Moussaoui einen potentiellen Flugzeugattentäter sahen, den Fall zu lösen, wurden von ihren Vorgesetzten in Washington regelrecht torpediert - selbst nachdem die Ermittler in Minnesota von der Staatspolizei in Paris umfangreiche Hinweise auf Kontakte des Verdächtigen zur islamistischen Szene in Frankreich übermittelt bekommen hatten.

Als Ende 2007 der Skandal um die Vernichtung der CIA-Folteraufnahmen losbrach, hatte dies für Moussaoui keine Relevanz mehr. 2006 hatte er sich dazu bekannt, 2001 zum Zwecke der Flugzeugentführung bzw. des Flugzeuganschlags in die USA eingereist zu sein, und wurde von Brinkema zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Ein Jahr später kamen jene Fragen auf, auf die es nach der jüngsten Entscheidung, auf eine Anklageerhebung gegen die unmittelbar Verantwortlichen bei der CIA zu verzichten, niemals eine ausreichende Antwort geben wird: inwieweit Rodriguez vor der Vernichtung der Videobänder Rücksprache mit dem damaligen CIA-Chef Porter Goss, dem damaligen Justizminister John Ashcroft oder dem Weißen Haus gehalten hat.

Ein wichtiger Aspekt des Skandals von 2007 war neben der Vernichtung der Bänder die Tatsache, daß ihre Existenz einschließlich der Abschriften der Aussagen der gefolterten Personen, von denen einige eine führende Rolle bei der Vorbereitung der Flugzeuganschläge gespielt haben sollen, nicht nur beim Moussaoui-Prozeß, sondern auch den Mitgliedern der "unabhängigen" 9/11-Untersuchungskommission verschwiegen wurde, die 2004 ihren Abschlußbericht vorgelegt und den US-Sicherheitsapparat zwar wegen Funktionsuntüchtigkeit kritisiert, jedoch von jeder Verwicklung in die Angriffe auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington freigesprochen hatte.

Vor diesem Hintergrund hat sich am 11. Dezember 2007 Coleen Rowley, die im Sommer 2001 als FBI-Anwältin in Minneapolis an den erfolglosen Ermittlungen gegen Moussaoui beteiligt gewesen ist, mit einem bemerkenswerten Leserbrief in der New York Times zu Wort gemeldet. In dem Schreiben warf Rowley der "Bush-Bande" offen vor, durch die Vernichtung von Beweismaterial, das für die Aufklärung des 11. September höchst relevant wäre, "die Wahrheit zu unterdrücken". Angesichts der Diskussion um Bushs Memoiren und der Entscheidung, daß die Vernichtung der CIA-Folteraufnahmen kein strafrechtliches Nachspiel haben wird, scheint den zuständigen Stellen in Washington die von Rowley angeprangerte Unterdrückung der Wahrheit inzwischen recht gut gelungen zu sein.

11. Oktober 2011