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USA/1319: Paul Ryan wird Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner (SB)


Paul Ryan wird Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner

Mitt Romney geht auf die Tea Party und die Neokonservativen zu



Nach wochenlangen Spekulationen über den optimalen Vizepräsidentschaftskandidaten der Republikaner steht nun fest, daß Mitt Romney mit Paul Ryan als "running mate" an seiner Seite gegen den amtierenden demokratischen Präsidenten Barack Obama und dessen Stellvertreter Joseph Biden antreten wird. Derzeit liegt Romney in allen Umfragen deutlich hinter Obama zurück. Offenbar ist es ihm nicht gelungen - und es wird ihm in den verbliebenen zweieinhalb Monaten bis zum Urnengang am 6. November aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht mehr gelingen - Vertrauen bei den Wählergruppen, die Obama im wesentlichen zum Sieg vor vier Jahren verholfen haben, nämlich bei den Frauen, Liberalen und Nicht-Weißen - zu gewinnen. Mit der Kür Ryans zum republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten hat Romney demonstrativ den Kampf um die "Mitte" aufgegeben. Ryan, der seit 14 Jahren einen Wahlkreis in Wisconsin im Washingtoner Repräsentantenhaus vertritt und dort den Vorsitz des Finanzausschusses innehat, gilt als Verfechter eines rigiden Sparkurses zur Sanierung des amerikanischen Staatshaushaltes. Bei der Präsidentenwahl soll er den Mormonen Romney vor allem für konservative, christlich-fundamentalistische und libertäre Wähler attraktiv machen. Doch ob deren Stimmen ausreichen werden, um Romney den Einzug ins Weißen Haus zu ermöglichen, muß sich noch zeigen.

In den zurückliegenden Wochen konnte das Team Obama recht erfolgreich Romney als Vertreter derjenigen Geldelite darstellen, die durch die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer sowie durch ruinöse Spekulationen am Kapitalmarkt Amerika wirtschaftlich zugrunde gerichtet haben. Der Gründer und Ex-Vorstandsvorsitzende des Finanzunternehmens Bain Capital ist in der Tat seit Mitte der achtziger Jahre durch die Übernahme und Ausschlachtung amerikanischer Betriebe ein sehr reicher Mann geworden. Der Wert seines Vermögens wird auf mehr als 250 Millionen Dollar geschätzt. Durch die Weigerung, seine Steuererklärungen der letzten Jahre offenzulegen, zementierte Romney den vorherrschenden Verdacht, er habe sich über Steueroasen wie die Cayman Inseln auf Kosten der Allgemeinheit bereichert.

Doch während sich der 51jährige Obama als Vertreter des "kleinen Mannes" präsentiert und dadurch seine bisherige Führung in den Umfragen erfolgreich verteidigt, liegt der 66jährige Romney, was die Summe der erhaltenen Spendengelder betrifft, deutlich vorne. Romney bietet sich der schwerreichen Oberschicht als Interessensvertreter an und hofft mit deren Spendenmillionen in den kommenden Wochen genügend Fernsehwerbung zu schalten, um mehr Wähler rechts von der Mitte mobilisieren zu können als Obama von links. Romneys Kalkül könnte aufgehen, denn viele Menschen, die dem Politbetrieb in Washington skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen und vor vier Jahren in der Hoffnung auf wirkliche Veränderungen dennoch und erstmals zur Wahl gingen, um Obama ihre Stimme zu geben, sind vom ersten schwarzen Präsidenten schwer enttäuscht und werden diesmal wohl zuhause bleiben.

In den letzten Jahren ist Ryan hauptsächlich durch einen eigenen Entwurf zur Sanierung des US-Staatshaushalts aufgefallen. Sein 99seitiger Haushaltsplan, der den irreführenden Titel "Path to Prosperity" ("Pfad zum Wohlstand") trägt, sieht für die kommenden zehn Jahren drastische Kürzungen der Staatsausgaben im Wert von 5,4 Billionen Dollar hauptsächlich in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Renten vor. Wenn es nach Ryan ginge, würden die Sozialausgaben Washingtons praktisch auf Null gesenkt werden. Wegen dieses Vorhabens, das aus Sicht von Befürwortern wie Kritikern gleichermaßen als "radikal" gilt, hatte das Wall Street Journal Romney fast dazu gedrängt, Ryan zu seinem "running mate" zu machen. Entsprechend begeistert reagierte die Hauspostille des amerikanischen Großkapitals auf die Ernennung des 42jährigen Kongreßabgeordneten und pries ihn sowohl wegen vermeintlichen fiskalischen Sachverstands als auch seiner jugendlichen Frische.

Von Ryan sind auch die in der Außen- und Sicherheitspolitik tonangebenden Neokonservativen schwer angetan, erstens, weil er den monströsen Etat des Pentagons nicht antasten will, und zweitens, weil er deren Vorstellungen von der geschichtlichen Mission der USA, die "Freiheit" in die Welt hinauszutragen und die gesamte Menschheit damit zu beglücken, teilt. Um sich in den entsprechenden Kreisen wie beispielsweise bei der Weekly Standard, dem wichtigsten Propagandamedium der Neocons, zu empfehlen, hielt Ryan im vergangenen Jahr eine vielbeachtete Grundsatzrede vor der Alexander Hamilton Society in Washington, in der er sich zur Aufrechterhaltung der diplomatischen Führungsrolle der USA und des technologischen Vorsprungs der amerikanischen Streitkräfte bekannte. Daher überrascht es nicht, daß Rupert Murdoch, der Herausgeber sowohl des Wall Street Journal als auch des Weekly Standard die Kür Ryans zum republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten als "fast perfekt" bezeichnete.

In den letzten Jahrzehnten verzeichnete der reaktionäre Murdoch ungeheure Erfolge bei der Beeinflussung von Wahlen - zuerst in seinem Heimatland Australien, seit Ende der siebziger Jahren in Großbritannien, wo ihm die Times-Gruppe und das Boulevardblatt Sun gehören, und ab den achtziger Jahren auch in den USA, wo sein Unternehmen News Corporation neben dem Wall Street Journal und dem Weekly Standard auch das Massenblatt New York Post und den Nachrichtensender Fox News kontrolliert. Man kann davon ausgehen, daß die Medien des alternden Verlegers, dessen Ansehen infolge eines großen Abhörskandals in Großbritannien schwer angekratzt ist, alles unternehmen werden, um die Wähler der von Massenverelendung bedrohten weißen Mittelschicht Amerikas für Romney und Ryan zu begeistern.

Den Bürgern in den USA steht in nächsten Wochen also das bevor, was man in Deutschland als Lagerwahlkampf bezeichnen würde. In den vergangenen vier Jahren hat Obama beim vergeblichen Bemühen, die ideologischen Gräben zwischen Demokraten und Republikanern zu überwinden, das eigene Lager, vor allem die progressiven Wähler, stark vernachlässigt. Das könnte ihm nun die zweite Amtszeit kosten. Soviel steht jedenfalls fest, daß den USA, sollten Romney und Ryan die Wahl gewinnen, ein Schwenk nach rechts bevorsteht, der demjenigen nach der Machtübernahme von George W. Bush und Dick Cheney im Jahr 2001 in nichts nachstehen nachstehen dürfte.

13. August 2012