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USA/1337: Im Kongreß regt sich Widerstand gegen die NSA-Spionage (SB)


Im Kongreß regt sich Widerstand gegen die NSA-Spionage

Weißes Haus und Sicherheitsapparat sehen sich in der Defensive



Rund sechs Wochen nach Beginn der Affäre um die billionenfache Abspeicherung von Telefon- und Internetdaten aus der ganzen Welt durch den elektronischen Nachrichtendienst der USA, die National Security Agency (NSA), mit Sitz in Fort Meade, Maryland, regt sich im Washingtoner Kongreß nicht geringer Widerstand bei linksliberalen Demokraten und libertären Republikanern, die sich der vermeintlichen Staatsräson und eigenen Parteiführung widersetzen. Nur mit größter Mühe und knappem Stimmergebnis konnte am 24. Juli im Repräsentantenhaus ein Antrag abgeblockt werden, der ansonsten zum Verbot der Abspeicherung der Telefonverbindungsdaten - sogenannter "Metadaten" - amerikanischer Bürger geführt hätte.

Ziemlich unerwartet für die Regierung Barack Obamas war es dem republikanischen Abgeordneten Justin Amash aus Michigan am 22. Juli gelungen, dem aktuellen Haushaltsentwurf 2014 des Repräsentantenhauses für das Verteidigungsministerium einen Zusatz beizufügen, der der NSA und den anderen 16 US-Geheimdiensten strikt untersagt hätte, die Telefonverbindungsdaten und Daten von US-Bürgern zu erfassen; es sei denn, es läge im Einzelfall ein konkreter, von einem Richter für überzeugend erklärter Verdacht der feindlichen Spionage- oder Terrorismusaktivität vor. Künftig hätten sich CIA, FBI, NSA et cetera nicht mehr auf die vom Justizministerium vertretene, extrem weit gefaßte Auslegung von Paragraph 215 des USA-PATRIOT-Gesetzes aus dem Jahr 2011 berufen dürfen. Bei Verstoß gegen die neue Regel wären dem jeweiligen Geheimdienst die Finanzmittel gekürzt worden. Unterstützt wurde Amash bei seiner Initiative zur Wiedereinhaltung der US-Verfassung, welche die staatliche Überwachung des Bürgers prinzipiell verbietet, unter anderem vom langjährigen demokratischen Abgeordneten John Conyers aus Michigan, der während der laufenden Legislaturperiode den Vorsitz im Justizausschuß des Repräsentantenhauses innehat.

Die Nachricht von der plötzlich anberaumten Abstimmung über den Amash-Zusatz hat bei den Antiterrorkriegern hektische Aktivität ausgelöst. Gleich am darauffolgenden Tag, dem 23. Juli, schickte das Weiße Haus NSA-Chef Keith Alexander zum Kapitol, wo er die Kongreßabgeordneten in geheimer Beratung, das heißt unter Ausschluß der Medien und sämtlicher Stabsmitarbeiter des Repräsentantenhauses, zu beschwichtigen versuchte. Am selben Abend kritisierte Präsidentensprecher Jay Carney den Vorstoß Amashs als mißraten und Gefährdung der nationalen Sicherheit. Carney behauptete, der "stumpfe" Zusatz sei "kein Produkt eines informierten, offenen oder überlegten Prozesses" und rief im Namen von Obama die Mitglieder des Repräsentantenhauses dazu auf, nicht für den Zusatz zu stimmen.

Dem Standpunkt des Präsidenten schlossen sich die republikanischen Vorsitzenden von sieben Ausschüssen, ihr Fraktionsvorsitzender John Boehner aus Ohio, der zugleich Sprecher des Repräsentantenhauses ist, sowie die demokratische Parteiführung im Unterhaus um Nancy Pelosi aus Kalifornien öffentlich sogleich an. Medialen Rückenwind bekamen die Bewahrer des Status quo vom Wall Street Journal, dem Sprachrohr der US-Rüstungs- und Sicherheitsindustrie, von der konservativen Heritage Foundation und mehreren namhaften Veteranen der Regierung George W. Bush, die bei Auftritten im Radio und Fernsehen wahre Untergangsszenarien für den Fall an die Wand malten, daß die NSA an die Kandare gelegt werden sollte. Unterdessen gingen bei den Kongreßabgeordneten tausendfach E-Mails und Faxe von aufgebrachten Bürgern ein, die nicht einsahen, warum sie ohne jeglichen Verdacht ein Beobachtungsobjekt der eigenen Geheimdienste geworden waren.

Am Ende fiel die Abstimmung sehr knapp aus. Für den Amash-Zusatz stimmten am 24. Juli 205 Kongreßabgeordnete und 217 dagegen. Hätten sich sieben Volksvertreter anders entschieden, wäre der Zusatz durchgekommen. Die Abstimmungsanalyse ergab, daß eine Mehrheit der Demokraten, also Obamas Parteikollegen, für den Zusatz votiert hatte. Also waren es die vermeintlich oppositionellen Republikaner - vom libertären Kreis um Amash einmal abgesehen -, die dem Aufruf des Weißen Hauses gefolgt waren und Obama samt Sicherheitsapparat vor einer peinlichen Niederlage gerettet hatten.

Nach Bekanntwerden des Ergebnisses hatte die demokratische Minderheitsanführerin im Repräsentantenhaus, Pelosi, größte Schwierigkeiten zu erklären, warum sie gegen die Mehrheit in der eigenen Fraktion votiert und sich dafür auf die Seite bornierter Islamophoben wie Peter King aus New York und Michelle Bachmann, der aus Minnesota stammenden "Königin der Tea Party", geschlagen hatte. Pelosi meinte, sie sei natürlich gegen "überbordende Überwachung", nur sei der Amash-Zusatz nicht der richtige Weg gewesen; Weißes Haus und Kongreß müßten gemeinsam die Frage der Erfassung der telefonischen "Metadaten" neu und natürlich behutsam regeln. Der Versuch Pelosis, sich dennoch als Gegnerin staatlicher Schnüffelpraxis zu stilisieren, überzeugte nicht im geringsten und wirkte nur peinlich, gehört die Kalifornierin wegen ihrer Position im Repräsentantenhaus während der Bush-Ära als Vorsitzende des Geheimdienstausschusses und Mehrheitsanführerin doch zu denjenigen, die von Anfang an in die illegale Überwachung der US-Telefonnetze eingeweiht waren und diese stillschweigend abgesegnet hatten.

Trotz der Niederlage sehen sich die Kritiker des Antiterrorkrieges und der seit dem 11. September 2001 ausufernden, milliardenteuren Zusammenarbeit zwischen staatlichen Geheimdiensten und der privaten Sicherheitsindustrie in den USA im Aufwind. Patrick Leahy, Demokrat aus Vermont und Vorsitzender des Justizauschusses im Senat, rechnet sich nun gute Chancen für einen Gesetzesentwurf aus, den er im Juni auf die Tagesordnung gesetzt hat und bei dem es darum geht, den USA PATRIOT Act bis 2015 auslaufen zu lassen. Währenddessen hat die American Civil Liberties Union, die älteste und mitgliedstärkste Menschenrechtsorganisation der USA, bei einem Bundesgericht in New York erneut Klage wegen der staatlichen Telefonüberwachung eingereicht.

Bei einer ähnlichen Klage war die ACLU noch im Februar vor dem Obersten Gerichtshof und damit in letzter Instanz gescheitert. Die Richter wiesen damals die Klage deshalb als unbegründet ab, weil die ACLU und die anderen Beschwerdeführer nicht nachweisen konnten, von der NSA-Telefonüberwachung betroffen zu sein. Doch seit Edward Snowden am 5. Juni eine geheime Anweisung des Justizministeriums an das Telefonunternehmen Verizon, die Verbindungsdaten von Millionen Kunden auszuhändigen, publik machte, hat sich die Lage schlagartig verändert. Die ACLU ist Kundin bei Verizon und ficht nun als solche die bislang geheime Praxis gerichtlich an.

26. Juli 2013