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USA/1370: Kriegstreiber werfen Obama Versagen in Syrien vor (SB)


Kriegstreiber werfen Obama Versagen in Syrien vor

US-Militaristen sehen Amerikas Glaubwürdigkeit auf dem Spiel


Das militärische Eingreifen Rußlands in den syrischen Bürgerkrieg, das Ende September mit Luftangriffen auf Stellungen der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) und anderer Rebellengruppen begann, hat die Kriegsfalken in den USA in Rage versetzt. Sie werfen Präsident Barack Obama vor, durch Zögerlichkeit und einen Mangel an Führungsstärke Kremlchef Wladimir Putin zu seiner spektakulären Intervention zugunsten des "Regimes" Baschar Al Assads ermutigt zu haben. Obama sei demnach ein Weichling, der sich als unfähig erwiesen habe, Amerikas Führungsanspruch im Weltgeschehen geltend zu machen.

Nach der von den Neokonservativen und Liberalinterventionisten verbreiteten, in den US-Medien herrschenden Version der Ereignisse in Syrien hätte Obama im Spätsommer 2013 lediglich seine angedrohten Luftangriffe auf die syrischen Streitkräfte wegen deren angeblicher Verwendung von Chemiewaffen gegen die Rebellen durchführen müssen - dann wäre Assad gestürzt worden und der ersehnte "Regimewechsel" in Damaskus geglückt. Daß eine solche Entwicklung - wäre sie so in Erfüllung gegangen - die Lage in Syrien womöglich verschlimmert und zu einem Chaos wie im Libyen der Nach-Gaddhafi-Ära geführt hätte, blendet die Kriegstreiberfraktion aus. Sie hat Obama bis heute nicht verziehen, daß er vor zwei Jahren in die von Moskau vermittelte Lösung der Krise, die den Verzicht Syriens auf sein komplettes C-Waffenarsenal vorsah, einwilligte.

Dafür hat Obama seinen Kritikern offen bescheinigt, in Bezug auf Syrien nur "unausgegorene Ideen" und "Kauderwelsch" zu produzieren. Zu den Gescholtenen gehören auch zwei prominente Ex-Kabinettskollegen Obamas: der frühere CIA-Chef David Petraeus und die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton. Der Afghanistan- und Irakkriegsveteran sowie die einstige First Lady führten 2011 jene Fraktion in Washington an, die umfassende finanzielle und militärische Hilfe für die syrischen Rebellen befürwortete. Beide sind zutiefst in die umstrittene CIA-Operation verstrickt gewesen, mit der große Mengen Waffen aus den Beständen der früheren Gaddhafi-Armee in Libyen über das Mittelmeer in die Türkei und weiter nach Syrien geschmuggelt wurden. Jene Aktion bildet den Hintergrund des Überfalls auf das US-Konsulat in Benghazi im September 2012, der Botschafter Christopher Stephens und drei seiner Mitarbeiter das Leben kostete.

Aktuell geht Petraeus mit dem Vorschlag hausieren, die USA sollten in Syrien mit "gemäßigten" Al-Kaida-Elementen zusammenarbeiten, um das "Regime" Assads zu stürzen, während Clinton, die gerade um die Ernennung zur Kandidatin der Demokraten für die Präsidentenwahl 2016 kämpft, für die Einrichtung von "Flugverbotszonen" plädiert, um dem "rabaukenhaften Benehmen Putins" ein Ende zu setzen. Ein enger Vertrauter von Petraeus, General a. D. John Keane, der die neokonservative Denkfabrik Institute for the Study of War leitet und häufig als Militärexperte beim hurrah-patriotischen Nachrichtensender Fox News auftritt, hat vor wenigen Tagen bei einer Anhörung im US-Senat allen Ernstes empfohlen, die USA sollten für die Aufständischen in Syrien "Schutzzonen" einrichten und dort Kriegsflüchtlinge als menschliche Schutzschilde gegen die russische Luftwaffe unterbringen.

Auch wenn Obama in den letzten Tagen erklärt hat, sich keinen "Stellvertreterkrieg" mit Rußland in Syrien liefern zu wollen, steht er seitens der Militaristen im eigenen Land unter enormem Druck, gerade diesen hochgefährlichen Kurs einzuschlagen. Dies zeigt das denkwürdige Fernsehinterview mit Obama, das am Abend des 11. Oktober in der populären Politsendung "60 Minutes" von CBS ausgestrahlt wurde. Voll neokonservativer Inbrunst ereiferte sich Moderator Steve Kroft darüber, daß Rußland unter Putin zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Militäroperationen im Nahen Osten durchführe, um Obama gleich an den Kopf zu werfen: "Er stellt Ihre Führungsfähigkeit in Frage, Herr Präsident. Er stellt Ihre Führungsfähigkeit in Frage". Anschließend behauptete Kroft, wegen des Abzugs der amerikanischen Streitkräfte aus dem Irak und des Aufkommens von IS hätten Washingtons "Freunde" im Nahen Osten das Gefühl, daß sich die USA in der Region "auf dem Rückzug" befänden; "Sie" hätten den Eindruck, der amtierende US-Präsident strahle "Schwäche und keine Stärke" aus. Als Obama fragte, wen Kroft mit "Sie" meine, nannte der Journalist wenig überraschend "die Israelis" und "die Saudis" - die bekanntlich wegen des Atomabkommens der P5+1 mit dem Iran auf Washington schlecht zu sprechen sind.

Die in der vergangenen Woche von der Obama-Regierung gefällte Entscheidung, das Pentagonprogramm zur Ausbildung syrischer Aufständischer wegen fehlender Erfolge vorerst auszusetzen und statt dessen andere "gemäßigte" Rebellengruppierungen, die mit der CIA in Kontakt stehen, aus der Luft mit schweren Waffen und Munition zu versorgen, birgt die Gefahr einer beschleunigten Eskalation im Syrienkrieg. Zu den bevorzugten Waffen der Rebellen gehören TOW-Anti-Panzerraketen, die sie nicht nur von der CIA, sondern offenbar auch in großer Stückzahl von Riad erhalten. In einem Artikel, der am 13. Oktober in der New York Times unter der beunruhigenden Überschrift "U.S.-Made Weaponry Is Turning Syrian Conflict Into Proxy War With Russia" erschienen ist, hieß es dazu:

Rebellenkommandeure äußerten sich auf die Frage nach der Lieferung von 500 TOW-Raketen aus Saudi-Arabien abschätzig und meinten, jene Zahl sei unbedeutend im Vergleich zu der, die ihnen zur Verfügung stünde. 2013 hat Saudi-Arabien mehr als 13.000 solcher Raketen bestellt. Angesichts der Tatsache, daß amerikanische Waffenverträge der Offenlegung des "Endverbrauchers" bedürfen, erklärten die Aufständischen, sie würden mit der Zustimmung Washingtons beliefert werden.

Man kann davon ausgehen, daß diese und andere Waffensysteme entweder direkt oder indirekt in die Hände islamistischer "Terroristen" gelangen werden. Mit dem Beginn des russischen Einsatzes haben die USA und mit ihnen praktisch die gesamte westliche Presse alle Rebellengruppierungen in Syrien bis auf den IS mit dem Etikett "gemäßigt" versehen. Schließlich setzen die Geheimdienste der USA, der Türkei, Jordaniens, Großbritanniens, Frankreichs, Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Katars seit vier Jahren sunnitische Dschihadisten von der Al-Nusra-Front und ähnliche Formationen für ihre eigenen Zwecke in Syrien ein. Daher dürfte Syrien-Experte Joshua Landis mit seiner von der Nachrichtenagentur Associated Press am 10. Oktober zitierten Einschätzung, wonach "60 bis 80 Prozent der Waffen", welche die USA den Aufständischen in Syrien zur Verfügung gestellt haben, "bei Al Kaida und deren Verbündeten gelandet" sind, nicht falsch liegen. So gesehen weist Washingtons Syrien-Politik mehr Kontinuität auf, als man im Westen vielleicht wahr haben möchte.

14. Oktober 2015


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