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BERICHT/109: Quo vadis Antifa? - NSU im toten Winkel staatlicher Observanz (SB)


Markus Bernhardt zu Widersprüchen bei der Aufklärung des Rechtsterrorismus

Buchvorstellung und Vortrag am 4. Mai 2012 in Hamburg-Eimsbüttel



Die Bundesrepublik, von den Westmächten als deutscher Gegenentwurf in der Konfrontation der Gesellschaftssysteme und Frontstaat gegen den Einflußbereich der Sowjetunion in Stellung gebracht, war von Anbeginn antikommunistisch determiniert und ausgerichtet. Wenngleich die Geschichte eine klare Abgrenzung vom Nationalsozialismus gebot und die neu justierte Staatlichkeit eine demokratische Mitte unter Gleichsetzung und Ausgrenzung radikal rechter und linker Gesinnung und Organisierung postulierte, handelte es sich bei der freiheitlich-demokratischen Grundordnung doch um die Fortschreibung und Beflügelung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. So wurden im Grundgesetz insbesondere die bestehenden Eigentumsverhältnisse zementiert und die Freiheitsrechte dahingehend beschränkt, daß diese Herrschaftsdoktrin unanfechtbar und unter allen Umständen zu verteidigen sei. Dies wurde dann in den späten 1960er Jahren mit den Notstandsgesetzen als legalisierter Ausnahmezustand präzisiert.

Ein geheimdienstlicher Schutz dieser Verfassung richtet sich angesichts solcher Voraussetzungen in erster Linie gegen die Linke, die sich eine grundsätzliche Umwälzung der Herrschaftsverhältnisse auf die Fahnen geschrieben hat. Hingegen teilt die Rechte mit ihrem Antikommunismus, ihrem Ruf nach dem starken Staat, ihrem Nationalismus und schließlich auch ihrem Rassismus wesentliche Paradigmen mit der bürgerlichen Gesellschaft. Daher liegt es aus Perspektive des Inlandsgeheimdienstes nahe, die Rechte nicht etwa konsequent zu bekämpfen, sondern sie vielmehr zu infiltrieren und sich ihrer zu bedienen, zumal sie als Werkzeug gegen die ideologisch mit ihr gleichgesetzte Linke überaus brauchbar ist.

Nachdem der Verbotsantrag gegen die NPD gescheitert war, weil das Bundesverfassungsgericht nicht zwischen der Partei und den eingeschleusten V-Leuten des Verfassungsschutzes in ihrer Führungsetage unterscheiden konnte, reifte selbst in Kreisen bürgerlicher Kritiker die Erkenntnis, daß die Szene bundesdeutscher Neonazis geheimdienstlich durchdrungen ist und in einem mehr oder minder großen Ausmaß sogar gesteuert wird. Als dann im November 2011 die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) an die Öffentlichkeit kam, sahen Kommentare in Mainstreammedien darin "die größte Schande der Republik seit ihrem Bestehen". So schrieb Nils Minkmar in der FAZ zum angeblichen Abtauchen des Trios:

Sie tauchten nicht besonders tief. Es war mehr so ein Schnorcheln, ein Untertauchen in der Badewanne: Sie pflegten ein soziales Leben in Zwickau, unterhielten Kontakte zu einem weiten Unterstützerkreis und besuchten Demonstrationen, Konzerte und Veranstaltungen. Viele wussten, wo die drei waren. Und wenn die rechte Szene in Deutschland ein Problem hat, dann sicher nicht jenes, allzu opak und abgeschottet zu agieren, sondern in hohem Maße von V-Leuten durchsetzt zu sein. "Hauptsache, es macht Peng"! [1]

Zu diesen und weitreichenderen Schlüssen gelangt auch Markus Bernhardt, freier Journalist und Mitglied der VVN-BdA, der den "größten Geheimdienstskandal der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte" recherchiert und seine Analyse in dem im März erschienenen Buch "Das braune Netz" zusammengefaßt hat. Er nimmt darin unter die Lupe, warum der neofaschistische "Nationalsozialistische Untergrund" mehr als dreizehn Jahre lang ungehindert morden konnte. Zweifellos gibt es in Deutschland Netzwerke militanter Neonazis, deren Straftaten von Inlandsgeheimdiensten gefördert, vertuscht und verharmlost werden. Bernhardt problematisiert in seinem Buch auch die "Begriffslosigkeit" und "Staatsfrömmigkeit" von Organisationen, die sich dem antifaschistischen Spektrum zuordnen, aber die zur Staatsdoktrin erhobene Gleichsetzung von Rot und Braun unterstützen, sich an der Diffamierung von Antikapitalisten und Kriegsgegnern beteiligen und somit den grassierenden Antikommunismus nähren.

Referent beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Markus Bernhardt
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Hamburger Bündnisses gegen Rechts (HBgR) zur Verhinderung des Aufmarsches am 2. Juni hatte die Assoziation Dämmerung Markus Bernhardt am 4. Mai zu einer Buchvorstellung mit Vortrag ins Magda-Thürey-Zentrum in Hamburg-Eimsbüttel eingeladen. Im Anschluß vertiefte Michael Sommer als zweiter Referent diese Kritik und ging der Frage nach, ob die antifaschistische Linke den Herausforderungen eines immer autoritärer werdenden Kapitalismus gewachsen ist, wenn sie ihren Antifaschismus auf die Gegnerschaft zu den Neonazis verengt, indem sie lediglich die bürgerliche Ordnung gegen diese verteidigt. [2]

Markus Bernhardt sprach unter dem Thema "Das braune Netz - Naziterror: Hintergründe, Verharmloser und Förderer" maßgeblich zu seinem Buch, wobei er den Schwerpunkt auf die politische Bewertung des sogenannten NSU-Skandals legte. Wesentlich wichtiger als die Darstellung einzelner rechtsradikaler Vorkommnisse sei es, Zusammenhänge mit staatlichen Interessen zu entschlüsseln. Grundsätzlich gelte, daß die Erkenntnisse zum NSU mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben. Indessen sollten diese Fragen, so sie denn konsequent aufgeworfen werden und sich nicht mit kurzschlüssigen Interpretations- und Lösungsschablonen abspeisen lassen, durchaus geeignet sein, Verdachtsmomente zu erhärten, die sich im Kontext einer fundierten Gesellschaftskritik analytisch vertiefen lassen.

Als die in Thüringen eingesetzte Untersuchungskommission um den ehemaligen BGH-Richter Gerhard Schäfer vor wenigen Tagen ihren Bericht vorlegte, wurde den Sicherheitsbehörden des Landes ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Bei den Ermittlungen zum NSU habe es sowohl an der notwendigen Abstimmung zwischen Behörden und Justiz als auch an der Auswertung, der Informationsweitergabe, der Dokumentation sowie der Kontrolle gemangelt, ja mitunter hätten beinahe "chaotische Zustände" geherrscht. Laut Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) legt das Schäfer-Gutachten "sowohl individuelles als auch strukturelles Versagen schonungslos offen", da es "massive Abstimmungsmängel zwischen den Behörden sowie Führungsversagen oder Inkompetenz auf verschiedenen Ebenen" gegeben habe. [3]

Dem Kommissionsbericht zufolge verfügte der Landesverfassungsschutz von Anfang an über "gute Kenntnisse" hinsichtlich des Trios, doch unterließ er es, diese Erkenntnisse gemäß nachrichtendienstlicher Grundsätze auszuwerten. Es wäre früh erkennbar gewesen, daß Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen 1998 beinahe im Monatsrhythmus über Geldsorgen klagten und später regelmäßig in der Szene nach Waffen anfragen ließen. Ebenso wäre erkennbar gewesen, daß die Drei ab etwa November 1999 ihren Geldbedarf vermutlich mit Banküberfällen decken konnten. An Anhaltspunkten, daß es sich um eine terroristische Vereinigung handelte, habe es also nicht gefehlt. Damit nicht genug, habe der thüringische Verfassungsschutz sogar eine rechtsextreme Quelle mehrfach vor der Polizei gewarnt und deren Arbeit gezielt behindert. [4]

Was im Gestus rückhaltloser Aufklärung dem Übel auf den Grund zu gehen versprach, zog indessen schon im Ergebnis und erst recht in dessen Auslegung den nächsten Vorhang um so nachhaltigerer Verschleierung zu. So zeigte sich Innenminister Jörg Geibert (CDU) zufrieden darüber, daß kein einziges Mitglied des Trios von staatlichen Stellen gedeckt worden sei oder gar im Sold des Verfassungsschutzes gestanden habe. Diese Behauptung erklärt den Verdacht, der NSU sei vom Geheimdienst gedeckt und gesteuert worden, für widerlegt und lenkt die Diskussion ins seichte Fahrwasser persönlicher Verfehlungen oder organisatorischer Pannen in den Behörden. Dies öffnet zugleich die Tür für eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdienst. So soll in einem novellierten Verfassungsschutzgesetz die Informationsweitergabe verpflichtend werden, wie sich Thüringen auch auf Bundesebene für eine bessere behördliche Zusammenarbeit einsetzen will.

Wie Markus Bernhardt eingehend darlegte, konnten die Aktivitäten des NSU schon in einer frühen Phase dem Verfassungsschutz schwerlich ein Geheimnis gewesen sein. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe waren Teil des militanten "Thüringer Heimatschutzes", der maßgeblich vom V-Mann und NPD-Mitglied Tino Brandt geleitet wurde. Im Jahr 1996 hängte Böhnhardt einen Puppentorso mit der Aufschrift "Vorsicht Bombe!" und einem sogenannten Judenstern an die Autobahnbrücke in Jena und wurde dafür 1997 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, die jedoch nie vollstreckt werden konnte, weil er untergetaucht war. Im September 1997 deponierten die drei NSU-Täter einen Koffer mit Sprengsatz und aufgesprühtem Hakenkreuz vor dem Theater in Jena, im Dezember 1997 einen weiteren an einem antifaschistischen Mahnmal ebenfalls in Jena. Am 26. Januar 1998 kam es zu einer Razzia in drei Garagen, eine von denen hatte Beate Zschäpe angemietet. In dieser wurden 1,4 kg TNT nebst einigen Rohrbomben sichergestellt. Kurz zuvor war Uwe Böhnhardt in einer der beiden anderen Garagen angetroffen worden, man las ihm den Durchsuchungsbeschluß vor, hinderte ihn jedoch nicht daran, sich ins Auto zu setzen und davonzufahren.

Auf das Konto des NSU gehen nach derzeitigen gesicherten Erkenntnissen insgesamt neun Morde an Migranten, maßgeblich Einzelhändlern, in den Jahren 2000 bis 2006. Medien und Polizei hatten daraus die sogenannten "Döner-Morde" gemacht und vermuteten darin Auseinandersetzungen im Drogenmilieu oder zwischen türkischen Faschisten und PKK-Mitgliedern. Neben diesen Morden an Migranten wurde 2007 die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen und ihr Streifenkollege durch einen Kopfschuß schwer verletzt. Gesichert ist ebenfalls der Nagelbombenanschlag 2004 in Köln und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Anschlag auf die S-Bahnstation Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000, bei dem vor allem jüdischstämmige Migranten aus Osteuropa die Opfer waren. Neun Menschen wurden schwer verletzt, eine Frau verlor ihr ungeborenes Kind.

Enthüllt wurden die Machenschaften des NSU jedoch erst am 4. November 2011, als man Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem Wohnmobil in Eisenach tot auffand. Die Mittäterin Beate Zschäpe hatte zeitgleich ein Haus in Zwickau in Brand gesetzt, das bis dahin von den drei Personen bewohnt worden war. Natürlich stellt sich die Frage, warum man nicht früher nach einem möglichen Zusammenhang mit dem rechtsradikalen Milieu gesucht hatte und den Tätern damit vermutlich rasch auf die Spur gekommen wäre. Geht man davon aus, daß Polizei und Geheimdienste die rechte Szene von außen und innen beobachten, ist kaum nachvollziehbar, warum man zahlreichen Hinweisen nicht nachgegangen ist. So wurden beispielsweise die Büro- und Privaträume eines NPD-Abgeordneten in Mecklenburg-Vorpommern durchsucht, der für eine Nazipostille presserechtlich verantwortlich gezeichnet hatte, in der dem NSU weit vor dessen Enthüllung gedankt wurde. Auch fand sich bereits 2010 auf dem Album "Adolf Hitler lebt" der Band "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" der Song "Döner Killer". Die Bekenner-DVD, die in Teilen des abgebrannten Hauses in Zwickau gefunden wurde, enthielt verschiedene Lieder unter anderem der inzwischen offiziell aufgelösten Nazi-Band "Neue Werte", die 2000 Teil des militanten Netzwerks "Blood and Honour" war. Der Bassist und Gitarrist dieser Gruppe war bis 2008 ehrenamtlicher Richter am Amtsgericht Stuttgart. Der Sänger arbeitete in einer Rechtsanwaltskanzlei in Baden-Württemberg bis Dezember 2011 mit Nicole Schneiders zusammen, die selbst zeitweise der NPD angehörte und mit Ralf Wohlleben einen der derzeit inhaftierten Hauptunterstützer der NSU verteidigte.

Dabei geht Markus Bernhardt nicht davon aus, daß man es beim NSU nur mit drei Personen und einem ganz engen Umfeld zu tun hat. Er hält die Schätzung Bodo Ramelows für realistisch, daß der feste Kern aus 20 Personen besteht und es ein Umfeld von etwa 140 Unterstützern gibt. Wie seinerzeit nach dem Oktoberfest-Attentat stelle die offiziell vertretene Einzeltäterthese ein Verschleierungsmanöver dar. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatten Verbindungen zum "Freien Netz" in Sachsen, das ähnlich wie der "Thüringer Heimatschutz" aufgebaut und eine Mischszene aus NPD-Mitgliedern, Jungen Nationaldemokraten und Autonomen Nationalisten ist. Auch existierte eine Anbindung an den Westen wie etwa zu Manfred Roeder, der 1982 als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden war. Roeder nahm unter anderem 1996 an einem nicht angemeldeten "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" Seite an Seite mit dem sächsischen Fraktionsvorsitzenden und heutigen Bundeschefs der NPD, Holger Apfel, den beiden derzeit als Hauptunterstützer der NSU inhaftierten Ralf Wohlleben und Holger Gerlach sowie dem mittlerweile verstorbenen Friedrich Busse, damals FAP-Chef, teil.

Die ARD spekulierte, ob es nicht auch Verbindungen zu dem Neonazi Michael Berger gibt, der am 14. Juni 2000 drei Polizeibeamte im Raum Dortmund und dann sich selber getötet hat. Diese drei Morde finden sich nicht in den offiziellen Statistiken der Straftaten mit rechtsgerichteter und politisch motivierter Gewalt, obgleich die örtliche Nazi-Szene damals konkret Stellung bezogen hatte: "3:1 für Deutschland. Berger war ein Freund von uns!", stand auf Aufklebern, die damals vielerorts im Stadtgebiet verbreitet wurden. In Dortmund, einer Hochburg der Rechten in Nordrhein-Westfalen, hat damals der örtliche Polizeichef Hans Schulze (SPD) ein Konzert von fast 2000 militanten Neonazis mit einer Silberhochzeitsfeier verglichen, weswegen er es nicht verbieten wollte. Im Jahr 2005 fiel ebenfalls in Dortmund der Punker Thomas Schulz einem politischen Mord zum Opfer, der trotz eines entsprechenden Antrags der Linkspartei nicht in die Statistik rechter Straftaten aufgenommen wurde.

Daß sich die Taten der NSU auf den deutschen Raum beschränken, hält Markus Bernhardt für unwahrscheinlich. Aufgrund der Andockung an "Blood and Honour" sei es sicherlich zu internationalen Verflechtungen gekommen. Es gab in Großbritannien Bombenanschläge und Morde, die von "Combat 18", dem Terrorarm von "Blood and Honour", verübt wurden. Genau wie der NSU setzte "Combat 18" auf den sogenannten führerlosen Widerstand, das heißt kleine Aktionsgruppen verüben gezielte Morde, für die es keine Bekennerschreiben gibt. Die theoretischen Grundlagen waren spätestens seit Ende der 1990er Jahre jeder Antifa-Gruppe bekannt. Warum sie den Geheimdiensten unbekannt gewesen sein sollen, ist unerklärlich, zumal "Blood and Honour"-Konzerte mit oftmals 2000 Teilnehmern in verschiedenen Ländern stattfinden.

Markus Bernhardt beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Blut und Ehre ... nur der Verfassungsschutz wußte von nichts?
Foto: © 2012 by Schattenblick

Eine weitere Schlüsselfigur in dieser Affäre ist Helmut Roewer, ehemaliger Verfassungsschutzchef Thüringens. Der frühere Panzeroffizier der Bundeswehr publiziert heute im rechtsextremen Ares-Verlag in Graz und vertritt die Auffassung, daß Neonazis im Unterschied zu autonomen Antifaschisten harmlose Gruppen seien. Der Thüringer Verfassungsschutz gründete Tarnfirmen, die Schulungsmaterial für Schülerinnen und Schüler herstellten, in dem vor Extremismusgefahr gewarnt wurde. In dem "Antiextremismusfilm" trat auch der V-Mann Tino Brandt auf und erklärte, daß Neonazis im Gegensatz zur politischen Linken nicht gewalttätig seien und keinen gewaltsamen Umsturz der Gesellschaftsordnung planten. Roewer mußte 2000 wegen anderer Skandale sein Amt räumen und wurde erst 2010 wegen Untreue zur Zahlung von 3.000 Euro verurteilt. Er hat neben Tino Brandt, der als V-Mann in wenigen Jahren 200.000 DM erhielt, auch Thomas Dienel geführt, der ebenfalls einen hohen Rang im "Thüringer Heimatschutz" bekleidete. Dienel hat öffentlich kundgetan, daß nicht er vom Verfassungsschutz abgeschöpft worden sei, sondern umgekehrt diesen abgeschöpft habe, was Markus Bernhardt für glaubwürdig hält. So stellte das Landesamt Geld für eine Flugblattkampagne gegen den damaligen HBV-Chef Angelo Lucifero bereit, der im antifaschistischen Kampf aktiv war. Roewer hat auch auf Anweisung des damaligen CDU-Innenministers Christian Köckert ein Dossier über den damaligen PDS-Politiker Steffen Dittes angelegt, dem vorgeworfen wurde, er arbeite mit autonomen Antifaschisten zusammen und habe Verbindungen zur kurdischen Befreiungsbewegung PKK.

Im hessischen Verfassungsschutz war Andreas Temme aktiv, der V-Leute bei den Neonazis und im Bereich des sogenannten Ausländerextremismus führte. Temme wurde 2006 kurzzeitig festgenommen, weil er am Tatort eines der NSU-Morde, nämlich in Kassel, anwesend war. Daß er wie von der Bild-Zeitung behauptet, an mehreren NSU-Tatorten präsent gewesen sei, bestreitet der Verfassungsschutz. Eigenartig ist jedoch, daß die Morde an den Migranten mit der Festnahme Temmes aufgehört haben, was bis heute ungeklärt ist. Das Verfahren gegen Temme wurde 2007 eingestellt, obwohl man bei einer Hausdurchsuchung Nazi-Material fand. Das geheime Protokoll der Bundestagsinnenausschußsitzung, die sich 2011 erstmals mit diesem Komplex befaßte, wurde von der Ostseezeitung ins Internet gestellt. Daraus geht hervor, daß Catrin Rieband, stellvertretende Chefin des Verfassungsschutzes in Hessen, erklärte, daß Temme in vier Fällen ein Alibi gehabt habe, in vier anderen jedoch nicht. Es gebe aber Indizien, die gegen eine Anwesenheit an diesen Tatorten sprächen. Trotz dieser ungeklärten Beweislage stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Hinsichtlich des bei Temme konfiszierten Materials sagte Rieband, dieser habe sich in seiner Jugend intensiv für den Nationalsozialismus interessiert.

Wäre der Geheimdienst nicht in die militante Nazi-Szene involviert, wären diese Morde nicht möglich gewesen, so Markus Bernhardt. Dabei hätten die Rechten seit 1990 in Deutschland mindestens 187 Menschen ermordet, während für die Linke im selben Zeitraum kein einziger derartiger Fall vorliege. Derzeit untersuchen mehr als 500 Ermittler alle Delikte seit den 1990er Jahren auf einen rechten Hintergrund wie auch direkte Verbindungen zum NSU. Dabei würden allein in Berlin nicht weniger als 63 Tötungsdelikte neu untersucht. Aufklärung wird nicht zuletzt dadurch verhindert, daß die parlamentarischen Kontrollgremien geheim tagen und es deren Mitgliedern unter Strafandrohung untersagt ist, sich beispielsweise von einem Bundesland zum andern auszutauschen oder gar Inhalte öffentlich zu machen. Es gibt also Geheimnisträger, die möglicherweise von begangenen Morden wissen, aber nicht darüber sprechen dürfen. Der Linkspartei wurde in westdeutschen Bundesländern der Sitz im parlamentarischen Kontrollgremium verwehrt, womit man potentielle Fragesteller von vornherein ausschloß. Wo aber Anfragen wie jene eines CDU-Politikers eingebracht werden, ob der Dortmunder Polizistenmörder Michael Berger V-Mann des Verfassungsschutzes war, blieben sie bis heute unbeantwortet.

In ideologischer Hinsicht gehörte die Gleichsetzung von Rechten und Linken bereits zum Gründerkonsens der Bundesrepublik, die im Gegensatz zur DDR den Antifaschismus nicht explizit in die Verfassung aufnahm. Als ein Ideologieproduzent ist in diesem Zusammenhang der Veldensteiner Kreis zu nennen mit den Hauptakteuren Prof. Uwe Backes aus Dresden und Eckhard Jesse aus Chemnitz. Letzterer trat 2003 gegen das NPD-Verbot in Erscheinung und fiel später durch Sätze wie folgenden auf: Der weiche Extremismus der Linkspartei sei gefährlicher als die NPD. Angegangen wurden von der neokonservativen Denkfabrik unter anderem Bodo Ramelow, Angelo Lucifero und Frank Spieth, MdB Die Linke. Unter den Referenten des Veldensteiner Kreises findet man Joachim Gauck, Helmut Roewer und Hubertus Knabe von der Gedenkstätte in Hohenschönhausen.

Hinsichtlich des gesellschaftlichen Umfelds verweist Markus Bernhardt auf den antimuslimischen Rassismus eines Thilo Sarrazin oder Henryk M. Broder, der sich längst in der Mitte der Gesellschaft breitmacht. Wie sei es sonst zu bewerten, daß Horst Seehofer im Januar 2011 wörtlich gesagt hat, er wolle die deutschen Sozialsysteme bis zur letzten Patrone vor Einwanderung schützen? Und wie sei es um die Aufklärung bestellt, wenn Harald Range als neu eingesetzter Generalbundesanwalt nur eineinhalb Wochen nach den ersten NSU-Enthüllungen Mitte November 2011 feststellte, daß es keine Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden und dem NSU gegeben habe?

Es gebe keinen staatlichen Willen, ernsthaft gegen Rechte vorzugehen, so der Referent. Das NPD-Verbot sei bestenfalls ein Ablenkungsmanöver, weil im gleichen Atemzug das Verbot der Linkspartei gefordert wurde. Die Trennung von Polizei und Geheimdienst bestehe nicht mehr. Im gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, das vermutlich bald auch gegen die Linke in Stellung gebracht werde, säßen die Dienststellen zusammen, legten Verbundsdateien an, tauschten sich aus, ohne daß dies eine nennenswerte Resonanz in den Parlamenten und in der Öffentlichkeit hervorriefe.

Aufklärung sei dringend erforderlich, doch während die sogenannten Bürgerrechtler bei der Erstürmung der Geheimdienstzentralen der ehemaligen DDR in Jubel ausbrachen, scheint es sie nicht im geringsten zu interessieren, was der gesamtdeutsche Inlandsgeheimdienst treibt. Waren nach den Anschlägen in Rostock, Mölln und Solingen seinerzeit Zehntausende Bürger auf die Straße gegangen, so sind es heute nur noch wenige Migranten und linke Splittergruppen, die gegen Rechtsextremismus demonstrieren. In Berlin habe selbst die örtliche Linkspartei zum Boykott einer Demonstration am Abend des 1. Mai aufgerufen und sich später mit der Polizei solidarisiert, als diese zahlreiche Teilnehmer niedergeprügelt hatte, so Bernhardt.

Unterdessen agiere die Antifa nicht nur wortkarg, sondern orientierungslos, da von ihr kaum mehr als die Forderung nach einem NPD-Verbot zu hören sei. Es gelte, Antifaschismus wieder mit dem Kampf gegen soziale Deklassierung und Krieg zu verbinden, denn wer diese Kernelemente aufgebe, sei nicht links. Markus Bernhardt schloß seinen Vortrag mit der Empfehlung, sich bei der Auseinandersetzung mit den Neonazis keinesfalls auf den Staat zu verlassen, sondern nach dem Dresdner Vorbild den Antifaschismus wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Fußnoten:

[1] http://www.wildcat-www.de/wildcat/92/w92_bosporus.html

[2] http://www.assoziation-daemmerung.de/home/

[3] http://www.welt.de/newsticker/news3/article106319058/Behoerden-machten-erhebliche-Fehler-bei-Suche-nach-NSU-Terroristen.html

[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nsu-untersuchungsausschuss-katastrophale-und-erbaermliche-fehler-der-behoerden-11752378.html

24. Mai 2012