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BERICHT/139: Demo Liebknecht Luxemburg - Mutationen der Märsche - I (SB)


Sozialistisches Gedenken in einer antikommunistischen Gesellschaft


Gedenkstein Friedhof Friedrichsfelde - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts am 15. Januar 1919 diente dem Zweck, die gegen Kriegsherren und Kapitalisten gerichtete revolutionäre Erhebung wirksam zu brechen. Die Konterrevolution wurde unter Gutheißung und Beteiligung führender SPD-Politiker zum Erfolg geführt [1], was den herrschaftsopportunen Charakter der Sozialdemokratie bis heute festschrieb. Ihr Einschwenken auf den kaiserlichen Kriegskurs 1914 hatte das Verbluten von Millionen zugunsten eines nachholenden Imperialismus möglich gemacht, der nun, wo er kurz vor seiner Niederlage stand, von Reichskanzler Friedrich Ebert und dem Volksbeauftragten für Heer und Marine, Gustav Noske, gerettet wurde. Im Scheitern der Novemberrevolution und der dadurch anwachsenden Stärke ihrer rechten Gegner zeichnete sich bereits der Aufstieg des Faschismus ab, der die Welt 20 Jahre später mit einem noch katastrophaleren Krieg überziehen sollte.

Anstatt dieses historische Versagen zum Anlaß zu nehmen, nach der Einigkeit im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu fragen, zerlegt sich eine Linke, die es vom Anspruch her ernst meint mit der Überwindung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, immer weiter. Offensichtlich führen objektiv inakzeptable Verhältnisse nicht per se dazu, daß die Ohnmacht des einzelnen im andern erkannt wird und zur gemeinsamen Kampfkraft heranwächst. Es gehört mehr dazu, sich gegen einen übermächtigen, mit allen Mitteln staatlicher Exekutivgewalt und materieller Handlungsfähigkeit ausgestatteten Gegner zu stellen, als den erlittenen Mangel in eine neue Form der Teilhaberschaft am gesellschaftlichen Reichtum verwandeln zu wollen. Die naturhafte Logik des Überlebensprimats richtet sich stets gegen den anderen, der als Konkurrent um Lebensressourcen und -räume ausgemacht wird. Die Überwindung des Primats der Stärke zugunsten der Lebensmöglichkeiten nicht nur aller Menschen, sondern aller schmerzempfindenden Wesen kann als Grundgedanke eines Kommunismus auf der Höhe einer Zeit verstanden werden, in der die Entwicklung der Produktivkräfte droht, die Versklavung des Menschen und die Zerstörung der Lebensgrundlagen nicht mehr umkehrbar machen zu können.

Transparent der KKE - Foto: © 2013 by Schattenblick

Gegen die Troika in Athen wie Berlin
Foto: © 2013 by Schattenblick

Vor der sich daraus ergebenden Fülle an Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die die Überwindung herrschender Miß- und Notstände vorantreiben, zu erleben, daß die emanzipatorische und revolutionäre Linke weiter zerfällt, stellt die Haltbarkeit der Tradition ebenso in Frage wie die Bestimmung von Positionen, die der veränderten gesellschaftlichen Lage hierzulande wie weltweit gerecht werden. So wäre das Gedenken an die Opfer des antifaschistischen Kampfes bloßes Ritual, wenn die Entschiedenheit, mit der sie sich für die Aufhebung herrschender Verhältnisse eingesetzt haben und dafür umgebracht wurden, der pragmatischen Strategie wiche, die Erreichbarkeit linker Ziele über ihre prinzipielle Gültigkeit zu stellen. Im Bewußtsein eigener Schwäche und Unterlegenheit Zugeständnisse zu machen korrumpiert nicht nur das eigene Anliegen, sondern kappt auch die Verbindung zu den Beweggründen revolutionären Handelns, das immer den ganzen Menschen meint und nicht nur Attribute seiner materiellen und kulturellen Vergesellschaftung.

Den einmal bezogenen Ausgangspunkt widerständigen Handelns zu verlassen, nicht um eine notwendige Kurskorrektur in seinem Rahmen zu vollziehen, sondern um sich auf attraktiver erscheinende gesellschaftliche Angebote einzulassen, richtet auf jeden Fall mehr Schaden an als das Bekenntnis zur revolutionären Geschichte inklusive ihrer Sackgassen und Irrwege. Daher gilt es genau zu überprüfen, was die Angriffe auf revolutionäre Bekenntnisse und Traditionen allem Anschein nach bezwecken. Die Unterschätzung der Adaptions- und Transformationsfähigkeit herrschender Ideologieproduktion könnte in Anbetracht dessen, daß die radikale Linke dem atomisierten, von doktrinärer Sachzwanglogik genötigten und auf Überlebenskonkurrenz zugerichteten Menschen kaum Handhabe bietet, seine fragmentierte und fremdbestimmte Situation gegen die Urheber seiner Misere zu kehren, nicht fataler sein.

Fronttransparent - Foto: © 2013 by Schattenblick

Nichts ist unmöglich ... drittes "L" und Fahne der Linkspartei
Foto: © 2013 by Schattenblick

Internationalismus gegen Klassenherrschaft und Nationenkonkurrenz

Trotz der angekündigten Gegendemo fanden sich am 13. Januar mehrere Tausend Menschen zur traditionellen, in der Tradition des Gedenkens bis vor 1933 zurückreichenden LL-Demonstration am Frankfurter Tor ein. In der Vielfalt der Organisationen und Gruppen aus dem ganzen Spektrum der Marxistischen Linken fiel besonders die starke Präsenz migrantischer Aktivistinnen und Aktivisten auf. Hätte sich das Gesamtverhältnis zwischen der sogenannten herkunftsdeutschen Mehrheit und migrantischen Minderheit adäquat abgebildet, dann hätte der ohnehin lange Zug auf mehrere Zehntausend Demonstrantinnen und Demonstranten anschwellen müssen. Die radikale Linke ist in der Bundesrepublik so schwach, wie Deutschland sich anschickt, in der EU und darüber hinaus stark zu sein. Die Anwesenheit vieler kurdischer und türkischer Gruppen im Land des Sarrazynismus verweist denn auch auf den internationalistischen Kern der linken Bewegung.

Gleich zu Beginn des Marsches in Richtung des Friedhofs Friedrichsfelde erklärte sich die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Ulla Jelpke, zu einer kurzen Stellungnahme bereit. Daß dieses Jahr eine zweite Demonstration parallel zur LL-Demo stattfinde, empfinde sie als Versuch der Spaltung. Toleranz für das gesamte politische Spektrum sei notwendig. Man müsse nicht mit allem einverstanden sein, was auf der LL-Demo geschehe, aber zu einer anderen Demonstration aufzurufen halte sie für grundfalsch und politisch spalterisch.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Ulla Jelpke
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Die Avancen einiger Politikerinnen und Politiker ihrer Partei Die Linke gegenüber der SPD hält Ulla Jelpke für "puren Opportunismus". Der Glaube, damit politisch erfolgreicher zu sein, produziere geradewegs das Gegenteil, wie man schon an einer SPD sehe, die einen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück auserkoren habe, der der kapitalistischen Bürokratie verfallen sei. Damit werde Die Linke keinen Blumentopf gewinnen. Sie müsse vielmehr weiterhin konsequent für linke Positionen kämpfen und keine Anbiederung an SPD und Grüne betreiben.

Explizit kritisierte Ulla Jelpke den Vorschlag der Parteivorsitzenden Katja Kipping, einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten für SPD, Grüne und Die Linke aufzustellen. Es könne nicht funktionieren, mit einem Kandidaten in die Wahl zu gehen, der etwa gegen Krieg, aber für Hartz 4 vice versa wäre. Die Linke müsse auf die eigenen Kräfte setzen, indem sie diejenigen Menschen im Parlament vertritt, die materiell benachteiligt sind, in prekären Arbeitsverhältnissen überleben müssen und vom Kapitalismus unterdrückt werden. Nur wenn Die Linke dies konsequent machte, hätte sie auch insgesamt als Linke eine Chance, zu einer starken politischen Kraft zu werden und Einfluß auf die Verhältnisse zu nehmen.

Auch vor dem Hintergrund der Rolle, die die SPD bei der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs gespielt hat, vor allem aber als Sachwalterin der deutschen Beteiligung am Überfall auf Jugoslawien und der Durchsetzung der Agenda 2010 könnte die Frage der Regierungsfähigkeit nach dem Erfurter Programmbeschluß kaum anders als so beantwortet werden. Daß dies dennoch immer wieder versucht wird, scheint seinen Widerhall darin zu finden, daß Die Linke bis auf die Linksjugend ['solid] auf dieser Demo mit keinem eigenen Block präsent ist.

Transparente türkischer Parteien - Foto: © 2013 by Schattenblick Transparente türkischer Parteien - Foto: © 2013 by Schattenblick Transparente türkischer Parteien - Foto: © 2013 by Schattenblick Transparente türkischer Parteien - Foto: © 2013 by Schattenblick

Bei allen ideologischen Unterschieden gemeinsam stark
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Dafür ist etwa der Demokratische Arbeiterverein (DIDF) mit zahlreichen Mitgliederinnen und Mitgliedern vertreten. Die deutschlandweit organisierte, 1980 von Türken und Kurden gegründete Migrantenselbstorganisation ist ein gutes Beispiel dafür, daß der propagierte Leitsatz, man müsse Migrantinnen und Migranten "integrieren", vor allem ihrer Unterwerfung unter die obrigkeitsstaatliche Pflicht dient, sich auf keinen Fall den Anweisungen der Regierung zu widersetzen. DIDF versucht, gemeinsame Arbeitskämpfe mit deutschen Kolleginnen und Kollegen zu initiieren, und legt damit ein eher unerwünschtes Zeugnis demokratischer Praxis ab.

Ein ausdrücklich nicht an kulturidentischer Politik interessierter Kurde vom eingetragenen Verein Freiheit und Solidarität kritisiert das Verhältnis zwischen Bundesrepublik und Türkei vor allem in Hinsicht auf die Interessen der NATO. So betreibe die türkische Regierungspartei AKP eine weniger an türkischen als an westlichen Interessen orientierte Politik. Auf die Frage nach der starken Präsenz migrantischer Organisationen auf der Demo antwortete er, daß der Internationalismus eine sehr große Rolle spiele. Unter Verweis auf die Aussage Che Guevaras, daß Solidarität die Zärtlichkeit der Völker sei, erinnert der Aktivist daran, daß das hochgradig konzentrierte Kapital weltweit aktiv ist. Daß es nicht zwischen den Völkern und Sprachen unterscheide, bedinge die internationalistische Strategie der Linken. Die Menschen, die sich dem Kapital entgegenstellten, müßten sich solidarisieren, anders hätten sie keine Chance.

Von der Partei die Linke hätte er mehr erwartet, auch wenn sie nach wie vor eine Hoffnung sei. Insgesamt habe sich die deutsche Linke den Migranten gegenüber noch nicht geöffnet. In der Integrationsdebatte sei das Vordringen kleinbürgerlicher Merkmale zu erkennen. Migrantinnen und Migranten bauten dieses Land seit 50 Jahren mit ihrer Seele und Kraft auf, doch sie würden immer noch nicht als Einheimische anerkannt. Warum es überhaupt eine Migrantenpolitik geben müsse, wären in den migrantischen Communities hierzulande doch längst alle Berufszweige und sozialen Strukturen der deutschen Mehrheitsgesellschaft präsent, fragt der Vertreter von Freiheit und Solidarität eine Gesellschaft, die nicht wirklich bei diesen Werten angekommen zu sein scheint.

Palästina-Flagge - Foto: © 2013 by Schattenblick

Okkupation, Oligarchie - Palästinensern bleibt nichts erspart
Foto: © 2013 by Schattenblick

Eine palästinensische Aktivistin bestätigt, daß die Mutation der Linken auch in ihrer Gesellschaft stattfindet. Die Islamisierung der arabischen Welt habe zu einer Schwächung der Linken geführt. Dies drücke sich unter anderem in der Politik des in Katar, des größten US-Militärstützpunkts in der Region, angesiedelten Senders Al Jazeera aus, vor allem den islamischen Gruppen Öffentlichkeit zu verschaffen und linke Initiativen und Aktivitäten zu ignorieren. Gefragt nach der innerpalästinensischen Auseinandersetzung mit der eigenen Oligarchie bedauert die Aktivistin, daß die meisten Kader linker Organisationen in Haft säßen und daher nur begrenzt Möglichkeiten hätten, sich mit der eigenen Basis auszutauschen und so zu diesem Kampf beizutragen.

Die soziale Ungerechtigkeit werde durch die israelische Besatzung zwar vertieft, doch die Tatsache, daß sich der Kampf gegen die Besatzungsmacht mit dem für sozialen Rechte in der eigenen Gesellschaft überlagere, mache die Situation nicht eben überschaubarer. Für die Aktivistin spiegelt sich in den Problemen der Palästinenserinnen, die durch die Besatzung zusätzlich verschärft würden, eine allgemeine Verschlechterung der Situation arabischer Frauen wider. Gleichzeitig entstehe auch bei den Frauen in Gaza, wo die dort regierende Hamas das Rad der Emanzipation zurückdrehe, eine neue Form des Selbstbewußtseins. Viele palästinensische Frauen behaupteten sich im Alltag mit einer Kraft, die Zuversicht in die Zukunft gebe.

Von der deutschen Linken fühlt sich die Palästinenserin im Stich gelassen. Sie hätte sich vor einigen Jahrzehnten nicht vorstellen können, daß die heute einflußreichen Kräfte in der Linken so wenig Solidarität mit dem Anliegen der palästinensischen Befreiung zeigten. Wenn sie den Anschein erweckten, eine neutrale Position zu beziehen, dann nähmen sie tatsächlich Partei für die Besatzungsmacht.

Mit ihrem Kommentar legt die Palästinenserin den Finger in eine Wunde, die die linke Bewegung mehr schmerzt, als meist eingestanden wird. Den Staat Israel in seiner wichtigen Rolle für die imperialistische Politik im Nahen und Mittleren Osten nicht anprangern, sondern Kritik lediglich unter Verzicht auf jegliche radikale Polarisierung leisten zu dürfen, ist ein Denk- und Handlungsverbot von erheblicher Auswirkung auf die grundlegende Fähigkeit, Macht- und Gewaltverhältnisse in Sicht auf ihre Überwindung konsequent bestimmen zu können. Es ist wohl kein Zufall, daß die Aufspaltung des LL-Gedenkens nicht zuletzt im Rahmen dieser Polarisierung erfolgt.

Erdogan & Merkel - Hände weg von Syrien! - Foto: © 2013 by Schattenblick

Deutsch-türkische Aggression verhindern
Foto: © 2013 by Schattenblick

Ein Aktivist der Kommunistischen Partei in der Türkei kritisierte das Verhalten der AKP-Regierung gegenüber Syrien, habe man doch im Irak und in Libyen bereits erleben können, was imperialistische Politik bezwecke. Seiner Ansicht nach solle die syrische Bevölkerung das Problem selbst lösen. AKP, NATO und EU schützten in Syrien nicht die Menschenrechte, sondern unterstützten dort diejenigen Kräfte, die eine imperialistische Einmischung erst möglich machten. Nicht nur die Migranten hierzulande, sondern die Bevölkerung in der Türkei seien gegen die Politik der AKP, sich im Syrienkonflikt einzumischen.

Die türkischen Kommunisten erwarteten von ihren deutschen Genossinnen und Genossen, im eigenen Land stärker zu werden und dort dafür zu sorgen, die Werktätigen gegen die soziale Unterdrückung und das kapitalistische Massenelend zu organisieren. Der Feind stehe im eigenen Land, das betreffe auch die migrantische Bevölkerung der Bundesrepublik, die eigentlich Teil des Kampfes der Arbeiterklasse in Deutschland sei. Auf die Frage nach der Linken in der Türkei gab er an, daß diese in den 70er und 80er Jahren verhältnismäßig stark und die Bevölkerung auch stärker politisiert gewesen sei. Die Linke habe allerdings zwei große Niederlagen erlitten, den faschistischen Militärputsch 1980 in der Türkei und den Zusammenbruch der realsozialistischen Staatenwelt.

Transparente - Foto: © 2013 by Schattenblick

Dissidenten der Dissidenz
Foto: © 2013 by Schattenblick

Zwar hat die Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken zur Demo des Rosa & Karl-Bündnisses aufgerufen, doch eine kleine Delegation dieser Organisation ist auch auf der LL-Demo vertreten. Ein Aktivist erklärt ihre Anwesenheit damit, daß die nach 1945 als parteiübergreifende Organisation gegründeten Falken in jedem Orts- und Landesverband sehr unterschiedlich orientiert seien. So gebe es in einigen große Gemeinsamkeiten mit der SPD, in anderen wiederum gar nicht, wozu auch der eigene Verband im Bezirk Niederbayern/Oberpfalz gehöre. Der Demo im Tiergarten lastet er kleinbürgerlichen Antikommunismus an und bekennt sich zur LL-Demo und zum Antiimperialismus.

Gedenkstein in Menschenmenge - Foto: © 2013 by Schattenblick

Verankert in Haltlosigkeit
Foto: © 2013 by Schattenblick

Angekommen auf der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde reihen sich viele Demonstrantinnen und Demonstranten ein, um am Gedenkstein innezuhalten und eine Nelke in Ehrung der Opfer ihres Kampfes hinzulegen. Hier mischen sich militante Aktivistinnen und Aktivisten mit ganz normalen Bürgern, die schon seit dem frühen Morgen den Gefallenen ihrer politischen Überzeugung gemäß Reverenz erweisen. Trotz großen Gedränges gehen die Menschen respektvoll miteinander um, was in einer mit Massenevents aufwartenden Unterhaltungskultur längst nicht mehr selbstverständlich ist.

Eine Feministin erklärt gegenüber dem Schattenblick, daß die Befreiung der Frau ihrer Ansicht nach nur in einer sozialistischen Gesellschaft erfolgen könne. In der kapitalistischen Gesellschaft herrsche immer noch eine besondere Unterdrückung der Frauen vor, sie verdienten im gleichen Beruf fast ein Viertel weniger als Männer, müßten in ihrer Karriere größere Hürden überwinden, verrichteten immer noch den größten Teil der Hausarbeit und seien in den Medien mit erheblichem Sexismus konfrontiert. Auf dem Papier sei die Frau zwar gleichgestellt, aber die Unterschiede im realen Leben belegten das Gegenteil. Eine Gesellschaft könne nur frei sein, wenn alle ihre Teile frei wären, daher sei die Befreiung der Frau immanenter Teil der Befreiung der Gesellschaft. Sie gedenke der Opfer auch im frauenpolitischen Sinn, sei doch Lenin auch ein Vorkämpfer für Frauenrechte gewesen.

Kranz der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Staat setzt seine Marke
Foto: © 2013 by Schattenblick

Diametral gegenüber dem Gedenkstein wurde mit der Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus ein Zeichen des Sieges der Bundesrepublik über die DDR gesetzt. In zahlreichen mit öffentlichen Mitteln aufgebauten Institutionen und Gedenkstätten wird inzwischen auf den keineswegs nur in der DDR gegebenen Widerspruch zwischen demokratischem Anspruch und staatsautoritärer Herrschaft hingewiesen. Der untergegangene Staat wird vor allem deshalb als negativer Konterpart zur BRD in Szene gesetzt, weil die Bevölkerung ansonsten auf den Gedanken kommen könnte, daß die sozialen und kulturellen Errungenschaften des Realsozialismus keineswegs dem für viele Menschen längst nicht mehr verfügbaren Füllhorn kapitalistischer Produktivkraft unterlegen waren. Daß auch der Friedhof Friedrichsfelde nicht ohne die demonstrative Zurschaustellung der politischen Legitimation der Bundesrepublik auskommt, kann daher nicht anders als Provokation gegenüber denjenigen Menschen verstanden werden, die es vorziehen, an ihrer Erinnerung an die DDR festzuhalten und ihre politische Überzeugung dort zu demonstrieren.

Hundeführer der Polizei - Foto: © 2013 by Schattenblick

Abgerichtet
Foto: © 2013 by Schattenblick

So konnte ein kleines Gerangel an der antikommunistischen Gedenkstätte nicht ausbleiben, was mit Hunden bewaffnete Einsatztruppen der Polizei auf den Plan rief. Die Präsenz der Staatsmacht an diesem Ort besiegelt den Triumph, der in Form eines Deutschland zu sich selbst kommt, das sich anschickt, endlich die ihm von anderen europäischen Kolonialmächten streitig gemachte Ernte imperialistischer Expansion einzufahren. Die berüchtigten, als Anlaß zur Distanzierung von der LL-Demo heranzitierten Konterfeis Josef Stalins waren so gut wie nicht zu sehen, und selbst wenn es vermehrt der Fall gewesen wäre, hätte man seine Anhänger fragen können, was den langjährigen Generalsekretär im ZK der KPdSU ihrer Ansicht nach auszeichne. In einem solchen Diskussionsprozeß könnte man zu Fragen grundstürzender Art gelangen, die zu stellen ein affirmativer staatsbetriebener Opferkult in allererster Linie verhindern soll.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Victor Grossmann
Foto: © 2013 by Schattenblick

Der 84jährige jüdische Publizist Victor Grossmann erklärt dem Schattenblick, daß man schon seit Jahrzehnten versuche, die Demo kaputtzumachen. Früher sei dies mit Hubschraubern und berittener Polizei erfolgt, heute hätte man mit der anderen Demo in Berlin einen Schwachpunkt der linken Bewegung getroffen. Dies mache ihn sehr traurig, denn es sei so wichtig, diese jährliche Demo zu behalten. Er selbst sei seit Mitte der 80er Jahre regelmäßig bei dem Gedenken präsent. Zur Zeit der DDR hatte diese Feier zwar staatsoffiziellen Charakter, aber es hätte dennoch ein anderer Geist geherrscht als auf den sonstigen offiziellen Demonstrationen. Er sei immer besonders gern auf den Friedhof gegangen, weil er dort Menschen getroffen habe, die aus Überzeugung und nicht aus Anpassung Sozialisten und Kommunisten waren. An Karl und Rosa zu denken lohne sich heute immer noch.

Gefragt nach den Angeboten der Partei Die Linke an die SPD forderte er, sie solle sich nicht nur im Bundestag, sondern auf der Straße dafür einsetzen, daß die Menschen gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Mieterhöhungen und Soldaten im Ausland kämpfen. Die SPD enttäusche immer wieder, wenn sie an die Macht kommt, davor habe er immer noch Angst. Das gelte nicht für die meisten SPD-Mitglieder, aber mit den Parteiführungen habe er zu viele schlechte Erfahrungen gemacht. Die Menschen müßten ihre Interessen selbst in die Hand nehmen. Grossmann befürchtet, daß nach den Wahlen im Herbst große soziale Härten auf die Bevölkerung zukämen. "Wir müssen zusammenhalten", beschwört er mit der Lebenserfahrung eines Menschen, der im Kapitalismus wie Sozialismus lebte und Linker geblieben ist.

Bilder von der Gedenkstätte - Foto: © 2013 by Schattenblick Bilder von der Gedenkstätte - Foto: © 2013 by Schattenblick Bilder von der Gedenkstätte - Foto: © 2013 by Schattenblick

Gedenken ohne jenseitige Erlösungshoffnung
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die ebenfalls auf der LL-Demo anwesende Abgeordnete der Linken im EU-Parlament, Sabine Wils, verneint die Frage des Schattenblick, ob das stille Gedenken führender Politikerinnen und Politiker der Linkspartei im Vorfeld der Demo eine Art von Distanzierung zu dieser darstelle. Das habe eher damit zu tun, daß die Demo von anderen Kräften organisiert werde, zudem habe sie viele bekannte Gesichter aus ihrer Partei auf der LL-Demo gesehen. Auf die Frage nach den Angeboten der Linkspartei in Richtung SPD erklärte sie, daß diese ohnehin nicht mit der Linken koalieren wolle. Wenn einige Linke der SPD das Angebot machten, mit ihr zusammenzugehen, wenn sie nach links rücke, die Sozialdemokraten dieses Angebot aber nicht annähmen, dann sei das auch eine Aussage. Darin schwinge auch die Botschaft mit, daß die Politik der SPD zu keinen positiven Veränderungen der gesellschaftlichen Situation führe.

Auf jeden Fall würden die in Erfurt festgelegten Haltelinien halten, denn das sei das Programm der Partei, und sie werde sich als Mitglied im Parteivorstand persönlich dafür einsetzen, daß dies auch erfolge. Auch andere Mitglieder des Parteivorstandes achteten darauf, daß diese Haltelinien respektiert würden. So werde das, was in Brandenburg mit Stellenabbau und CCS-Abscheidung geschehe, nicht von der Mehrheit des Vorstands geteilt.

Sabine Wils unterstützt auch die Aktivistinnen und Aktivisten, die gegen die Rodung des Hambacher Forstes in NRW kämpfen und sich damit auf ihre Weise gegen die Interessen des Kapitals positionieren. Darin, daß dort die Arbeitnehmerinteressen von RWE-Beschäftigten gegen Umweltinteressen stünden, könne sie langfristig keinen Widerspruch erkennen. Allerdings wären die Energiekonzerne stets auf kurzfristige Gewinne aus, doch sei es keine Lösung, den starken CO2-Emittenten Braunkohle weiter abzubauen. Man brauche eine Energiewende. Parteiverbände aus der Region wie in Aachen und Düren ständen hinter dem von der Wald- zur Wiesenbesetzung gewandelten Widerstand, und sie selbst werde sich auch weiterhin für die Verteidigung des Hambacher Forstes einsetzen.

Transparente zu ermordeten Kurdinnen - Foto: © 2013 by Schattenblick Transparente zu ermordeten Kurdinnen - Foto: © 2013 by Schattenblick Transparente zu ermordeten Kurdinnen - Foto: © 2013 by Schattenblick

Sakine, Fidan, Leyla ... die kurdische Bewegung trauert
Foto: © 2013 by Schattenblick

Noch weit auf dem Weg ins Zentrum Berlins zurück kreuzten sich die Wege der Demonstrantinnen und Demonstranten in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Was sich in den Weiten der Metropole verläuft, könnte trotz des gegen die LL-Demo geltend gemachten Gesinnungsverdachts das Ferment unkorrumpierbaren solidarischen Handelns sein. Man muß kein Freund von Parteien sein, um die befristete Zweckmäßigkeit einer solchen Organisationsform anzuerkennen. Die Machtfrage in einer von hochkomplexen administrativen Strukturen und technokratischen Prozessen verfügten Welt zu stellen bedarf taktischer und strategischer Überlegungen, die die stets drohende Verflüchtigung des widerständigen Zusammenhalts nicht ignorieren können. So ist auch ein solches Gedenken nicht in einer Art von Traditionspflege zu verorten, über die jeder Verein und Staat verfügt. Es erhält seine Wirksamkeit aus der gesellschaftlichen Gegenposition, die an der Gedenkstätte durch die Anwesenheit bewaffneter Kräfte dieses Staates hinlänglich unter Beweis gestellt wird, und ihrer Weiterentwicklung im Rahmen solidarischer und internationalistischer Zusammenhänge. Viele Menschen, die es ernst damit meinen, gegen den Versuch vorzugehen, die anwachsende Barbarei kapitalistischer Herrschaft für die davon Betroffenen unumkehrbar zu machen, waren an diesem Tag auf der Frankfurter Allee und dem Friedhof Friedrichsfelde in Bewegung.

Seitentransparent - Foto: © 2013 by Schattenblick

Kein Antifaschismus ohne Antikapitalismus
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Fußnote:
[1] http://www.trend.infopartisan.net/trd0199/t180199.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0946.html

(wird fortgesetzt)

17. Januar 2013