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BERICHT/147: Als wir Häuser besetzten - Geschichten der Ekhofstraße (SB)


Erfahrungen aus 40 Jahren Häuserkampfbewegungen

Veranstaltung am 23. März 2013 in Hamburg



Im Hamburger Centro Sociale fand vom 16. bis 24. März die Ausstellung "Kultur und Widerstand von 1967 bis heute" statt. Initiiert und organisiert wurde sie von der Künstlerin und politischen Aktivistin Flori, die im Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen aktiv ist, und dem politischen Aktivisten Wolfgang Lettow, der ebenfalls im Netzwerk tätig ist und auch das Gefangenen Info vertritt. Während der Ausstellung fanden täglich Veranstaltungen zu wechselnden Schwerpunkten statt. Am 23. März berichteten und diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Thema "Geschichte und Erfahrungen von 40 Jahren Häuserkampfbewegungen bundesweit".

Am selben Tag befaßte sich die Hamburger Morgenpost im Rahmen ihrer Sonnabendserie "Hamburg historisch", in der "unsere Stadt" auf "mehr als 1000 Jahre mit Höhen und Tiefen" zurückblickt, mit der Räumung des besetzten Hauses in der Ekhofstraße. Wie sich aus heutiger Sicht der Morgenpost-Redaktion damals die Höhen und Tiefen verteilten, wird schon aus der Schlagzeile klar: "Der Tag, an dem ... das MEK die ersten Hausbesetzer vertrieb" - 23.05.1973 Elite-Polizisten und Linke liefern sich eine blutige Schlacht in Hohenfelde". Versucht der zur Hälfte aus historischem Fotomaterial bestehende Kurzbeitrag zumindest eingangs den Eindruck zu erwecken, "Vertreibung angestammter Bewohner, steigende Mieten, Luxus-Neubauten" würden hier ernsthaft erörtert, so verflüchtigt sich diese vage Hoffnung alsbald im abgehackten Stakkato reißerischer Fragmente. Am 19. April 1973 sei es zur "ersten militanten Besetzung eines Altbaus" gekommen, fünf Wochen später das Haus Ekhofstraße 39 vom Mobilen Einsatzkommando geräumt worden, wobei diese Ende 1972 aufgestellte Truppe erstmals zum Einsatz gekommen sei.

Wenigstens vergißt der Beitrag nicht zu erwähnen, daß die gewerkschaftseigene Hausbesitzerin "Bewobau", eine Tochter der "Neuen Heimat", in Hohenfelde "Altbauten großflächig plattmachen und unter anderem ein 19-geschossiges Hochhaus mit bis zu 600 'Komfortwohnungen' bauen" wollte. Der für damalige Verhältnisse enorm hohe Quadratmeterpreis sei für angestammte Bewohner unerschwinglich gewesen. Ziel des damaligen SPD-Senats sei es gewesen, einkommensschwache Hamburger in gesichtslose Stadtrandsiedlungen zu verdrängen.

Daß damit gute und nachvollziehbare Gründe genannt sind, sich gegen die Vertreibung und Vernichtung angestammten Wohnraums und gewachsener Quartiere zur Wehr zu setzen, will dem Verfasser des Artikels jedoch nicht über die Lippen kommen. Offenbar wäre ihm selbst dieser naheliegende Schluß schon der Parteinahme zuviel gewesen. Über die damals noch in SPD-Besitz befindliche Morgenpost wagt er lediglich zu berichten, daß es redaktionsintern heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben habe, wie man mit den Besetzern publizistisch umgehen sollte. Die seinerzeit wegen ihrer Sympathien für die Hausbesetzung entlassenen Redakteure erwähnt er nicht, könnte dies doch die unangenehme Frage provozieren, wie es um die journalistische Parteinahme in aktuellen sozialen Konflikten bestellt ist.

Mit der Vergangenheit ist denn auch rasch abgerechnet: "Sie tragen schwarze Helme, sind mit Tüchern maskiert und mit Stöcken bewaffnet: Am Gründonnerstag 1973 stürmen etwa 60 Menschen das leer stehende Haus (...) Im Gepäck haben sie das 'Handbuch für Hausbesetzer'. Getreu dem kleinen Büchlein verbarrikadieren sie Fenster und Türen. Die Besetzer legen Stacheldraht und Nagelbretter im Treppenhaus aus. In Eimern werden Wurfgeschosse und Benzin bereitgestellt. Daneben steht ein Schild: 'Genossen, seid sparsam mit Wurfgeschossen. Mollis immer in Gruppen von 10-15 auf das gleiche Ziel werfen.'"

Der damalige Hamburger Polizeichef Günter Redding habe Straßenschlachten um besetzte Häuser wie jene in Frankfurt befürchtet und als Rädelsführer "zwei bis drei Mann der Mao-treuen KPD" ausgemacht. Die säßen "wie die Spinnen im Netz". Zeitungen hätten damals von "Politik-Rockern" geschrieben und einen "Doktor mit der schwarzen Maske" als Boss der Besetzer ausgemacht. Damit seien die Fronten klar, so der Autor, als habe er auch die Interessen und Absichten der Besetzer hinreichend skizziert.

Die hätten ihren Ruf rasch selber ruiniert, als sie mit Zwillen auf Nachbarhäuser schossen und Streifenwagen angriffen. Aufrufe zur Unterstützung durch die Nachbarn seien fruchtlos geblieben, da diese genug von dem Spektakel gehabt hätten. Den Rest seiner Geschichte widmet der Autor in unverhohlener Begeisterung der Erstürmung des Hauses durch die Polizei. Ablenkungsmanöver, eingeschleuster Undercover-Polizist öffnet die Tür, Stürmung durch das MEK, immer aus Sicht der Einsatzkräfte. Wurfgeschosse im Treppenhaus: "Das war dramatisch. Wir waren tierisch aufgeregt. Die schmissen sogar Möbelstücke auf uns, unterm Schutz unserer Schilde stürmten wir die Treppen hoch." Ein Kollege feuert "zur Abschreckung zwei Mal in eine Decke. Mehrere Besetzer machen sich vor Angst in die Hose. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei, das Haus geräumt."

Augenscheinlich zufrieden zählt der Autor die Folgen auf: "40 Besatzer landen im Untersuchungsgefängnis. Später gibt es harte Urteile von bis zu 16 Monaten Haft ohne Bewährung. Unter den Hausbesetzern sind Karl-Heinz Dellwo, Susanne Albrecht, Stefan Wisniewski und Christa Eckes. Alle gehen wenig später in den Untergrund und werden RAF-Terroristen. Das Haus Ekhofstraße 39 wird kurz nach der Räumung abgerissen. Das geplante Luxus-Hochhaus wird nie gebaut".

So wird im platten Boulevardstil der Eindruck von Authentizität erweckt und Geschichte umgeschrieben. Die Hausbesetzer werden als gewaltbereite Krawallmacher diskreditiert, deren einzig nennenswertes Interesse eine Auseinandersetzung mit der Polizei gewesen sei. Zugleich verhöhnt sie der Autor als Feiglinge, die man mit einem energischen MEK-Einsatz binnen weniger Minuten abräumen konnte. Auch wird die schon damals erhobene Behauptung kolportiert, die Besetzer hätten es sich gründlich mit der Nachbarschaft verdorben und bei dieser keine Unterstützung gehabt.

Berichte von Menschen, die damals dabeigewesen sind, sprechen indessen eine ganz andere Sprache. Die Besetzung zog wie ein Magnet die radikale Linke Hamburgs an und war ein Kontrapunkt zu den vielen Achtundsechzigern, die sich längst in den herrschenden Verhältnissen eingefunden hatten. Die Besetzerinnen und Besetzer betrieben Stadtteilarbeit für die Bevölkerung, boten Beratung in Mietfragen an, praktizierten kostenlose medizinische Hilfe und wehrten sich gegen Polizeikontrollen. Dadurch sprachen sie vor allem viele Jugendliche an, die selbst unzufrieden mit dem herrschenden System waren. Es kamen Lehrer mit ihren Schulklassen zu Besuch, Jugendliche wurden aus der repressiven Heimerziehung geholt und erhielten eine Bleibe, wobei einige von ihnen ihrerseits losgezogen, um die Insassen anderer Heime zu agitieren. Die Hausbesetzung in der Ekhofstraße fand weit über die Hamburger Linke hinaus enormen Widerhall. Gewerkschafter und Journalisten bekundeten ihre Sympathie, Nachbarn hießen die Verteidigung ihres Viertels gegen den Abriß gut und empörten sich gegen die Polizeiaktionen. Kurz vor der Räumung erhielt das Projekt den Namen "Petra Schelm-Haus", benannt nach der ersten Militanten aus der RAF, die am 15. Juli 1971 in Hamburg während einer Fahndung erschossen worden war.

Diese Wirkung der Ekhofstraße mag die Wut entschlüsseln, mit der die Besetzerinnen und Besetzer schon damals von vielen Medien verteufelt wurden, wie auch den massiven Polizeieinsatz erklären, der im Zuge der Räumung und bei der nachfolgenden Demonstration nicht zuletzt unter den Anwohnerinnen und Anwohnern wütete. Diese Hausbesetzung war in mehrfacher Hinsicht bahnbrechend und ein Fanal, das der Senat der Hansestadt mit geballter Staatsmacht zum Schweigen bringen wollte.

Das Haus wurde am 23. Mai von einem Mobilen Einsatzkommando der Hansestadt geräumt. Als neueste Truppe zur Lösung von politischen Problemen demonstrierte das MEK erstmals seine Schlagkraft im Einsatz und öffnete damit das Tor für die Etablierung weiterer Spezialkräfte. Man erwog, den Paragraphen 129 (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) gegen die Besetzerinnen und Besetzer einzusetzen, 12, 14 und 16 Monate waren im anschließenden Verfahren die verhängten Höchststrafen. Die örtliche Bevölkerung wurde erfolgreich eingeschüchtert, Teile der radikalen Hamburger Linken wurden kriminalisiert. Dem Protestzug gegen die Räumung am folgenden Wochenende schlossen sich zahlreiche linke politische Organisationen der Hansestadt an. Während die Mehrzahl der Demonstranten eine Schlußkundgebung in der Ekhofstraße abhielt, zog ein kleinerer Teil zum Untersuchungsgefängnis. Dort wurde er von rund 400 Polizisten aufgehalten, wobei es zu 17 Festnahmen kam.

Diese Besetzung in der Ekhofstraße reihte sich in eine ganze Welle von Hausbesetzungen des Frühjahrs 1973 ein, die nicht zuletzt unter dem Eindruck der Frankfurter Häuserkämpfe erfolgten, soweit sie nicht eher, wie etwa in Bielefeld und Dortmund oder bei der Hamburger "Fabrik", durch die Jugendzentrumsbewegung erfolgten. In der Hansestadt fanden seit Anfang der 1970er Jahre Hausbesetzungen aus unterschiedlichen Beweggründen und in verschiedener Form statt. Vordringlich war der Erhalt von Gebäuden und bezahlbarem Wohnraum wie auch die Errichtung von Gemeinschaftseinrichtungen, Kultur- und Stadtteilzentren. Auch richteten sich Besetzungen häufig gegen die Hamburger Stadtplanungs- und Sanierungspolitik, teilweise aber auch direkt gegen Hauseigentümer.

Die Bewohner des Hauses Haynstraße in Eppendorf werden oft als die ältesten Hausbesetzer in Hamburg bezeichnet. Sie schlossen sich bereits 1970 zusammen, um eine drohende Räumung zu verhindern. Dies gelang den fünfzig Mietern nur deshalb, weil sie sich trotz unterschiedlichster politischer Vorstellungen in einer Art rätedemokratischem Modell organisierten. Bis zum Frühjahr 2013 folgten fast 60 weitere Hausbesetzungen, wobei neben jener in der Ekhofstraße Aktionen und Projekte in der Hafenstraße, beim Schröderstift, bei der Roten Flora und im Gängeviertel die bekanntesten sein dürften. Hinzu kamen Wagenplätze, Besetzungen im entsiedelten Altenwerder, Kirchen- und Platzbesetzungen sowie Baumhäuser gegen das Fällen alter Baumbestände.

In einer Hochphase von Hausbesetzungen in den 1980er Jahren stellten die privaten oder staatlichen Eigentümer häufig Strafanzeigen, und der Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk prägte die nach ihm benannte Doktrin: Jedes besetzte Haus sollte innerhalb von 24 Stunden geräumt werden. Ab Ende der 1980er Jahre ging die Hausbesetzerbewegung mehr und mehr dazu über, sich in oftmals öffentlich geförderten Wohnprojekten zu organisieren, Verhandlungen zu führen und teils in Eigenleistung Sanierungen durchzuführen. Daraufhin gingen Hausbesetzungen in Hamburg fast vollständig zurück. Seit 2009 kommt es im Zuge der Debatte um die Gentrifizierung, vor dem Hintergrund einer Wohnungsnot und bei gleichzeitigem Wohnungsleerstand erneut zu öffentlich beachteten Hausbesetzungen.

Vortrag mit Videounterstützung - Foto: © 2013 by Schattenblick

Ums Wohnen kämpfen ... auch 40 Jahre später hochaktuell
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Veranstaltung im Centro Sociale schlug einen Bogen von der Ekhofstraße bis zu den jüngsten Hausbesetzungen in Hamburg. Historische Filmdokumente vermittelten Eindrücke von den damaligen Ereignissen und machten insbesondere deutlich, welche Lebensqualität das gewachsene Quartier Hohenfelde vor seiner Zerstörung aufgewiesen und welchen Rückhalt die Besetzung in der Nachbarschaft erfahren hatte. Anwohner schildern darin ihre Politisierung in den Auseinandersetzungen und sprachen angesichts der Angriffe auf das Viertel von einem Polizeistaat. So vermittelten die gezeigten Filme weit über eine bloße Information hinaus auch das damalige Lebensgefühl, das Ausmaß der Repression und nicht zuletzt Radikalisierungsprozesse in den Kämpfen um den Erhalt des Viertels. Dokumentarisches Filmmaterial von Hamburger Hausbesetzungen jüngeren Datums vervollständigte und aktualisierte den Blick in die Geschichte dieser Aktionsformen.

Eine Gruppe jüngerer Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer ging auf einige wesentliche Aspekte dieser Thematik ein. Die Zusammenfassung siedelte den Auftakt dieser Bewegung gegen Ende der sechziger Jahre an, als der Protest gegen die Situation in geschlossenen Heimen, der Kampf gegen die Abriß- und Leerstandspolitik wie auch die Suche nach neuen Lebensformen zusammentrafen. Anfang der 1970er Jahre kam es im Frankfurter Westend und in Berlin zu den ersten Hausbesetzungen. Es wurden selbstverwaltete und selbstorganisierte Wohnkollektive in besetzten Häusern gegründet, die teilweise heute noch in einem legalisierten Status Bestand haben.

Unterschiedliche Motive wie die Suche nach Wohnraum, der Protest gegen Mietwucher, spekulativen Leerstand und Vernichtung von Wohnraum sowie die Wohnungspolitik insgesamt verschmolzen mit der Schaffung von öffentlich zugänglichen Räumen für politische Kämpfe und alternative Lebensformen. Neben öffentlich bekanntgemachten gab es auch eine ganze Reihe heimlicher Besetzungen, wobei zahlreiche Verbindungen zur Antikriegs- und Anti-AKW-Bewegung bestanden. Als in Berlin Flächensanierungspläne massenhaft Wohnraum zu vernichten drohten, kam es dort 1980/81 zu insgesamt 160 Hausbesetzungen. Ähnlich wie in Hamburg setzte der Berliner Senat ab 1981 eine Räumung binnen 24 Stunden durch. Die Besetzerszene spaltete sich in einen verhandlungsbereiten Teil, der Mietverträge einging, und eine radikalere Fraktion, die ihre politischen Ziele nicht aufgeben wollte. Durch Verhandlungen wurden 80 Häuser legalisiert, andere nach und nach geräumt. Ab 1983 setzte ein neues Konzept der sogenannten behutsamen Stadterneuerung, in dem Sanierungen in Absprache mit den Mietern vorgenommen wurden, ein, um weniger Anlaß für neue Hausbesetzungen zu geben. Nach 1989 wurden zahlreiche leerstehende Häuser in Ostberlin besetzt, indem sich die Aktivistinnen und Aktivisten die ungeklärten rechtlichen Bedingungen der sogenannten Wendezeit zunutze machten.

Die 1983 besetzte Hafenstraße war die wohl bekannteste Adresse für selbstorganisierte befreite Räume in Hamburg. Auch dort ging die Stadt nach heftigen Kämpfen schlußendlich dazu über, Nutzungsverträge abzuschließen. Der öffentliche Druck, die in einer wertvollen Lage am Hafenrand gelegenen Häuser nicht vollständig mit Gewalt zu räumen, wurde durch eine Massenmobilisierung verstärkt, der breitere Kreise der Hamburger Bevölkerung dazu brachte, den Erhalt der Häuser zu unterstützen. Es kam zu einer Wiederbesetzung und Verteidigung, die in den Barrikadentagen im November 1987 gipfelten. Vermeintliches Entgegenkommen des Senats mündete in Knebelverträge und eine Kriminalisierung der unbotmäßigen Fraktionen. 1991 erfolgte die Räumung des Bauwagenplatzes, und nur ein Bruchteil der Hafenstraßenbewohnerinnen und -bewohner erhielten Genossenschaftsverträge. Es kam zu fragwürdigen Bündnissen mit prominenten Politikern, Befriedungsstrategien wurden eingeübt.

Bundesweit gibt es noch immer viele ehemals besetzte Häuser, die teilweise legal bewohnt werden. Selbstverwaltete soziale Zentren und verbliebene Bauwagenplätze finden sich in einer Reihe von größeren Städten. Allerdings gibt es aktuell keine besetzten Häuser, Zentren wie die Rote Flora in Hamburg haben einen geduldeten Status. Hinsichtlich des Gängeviertels muß man von einer Sondersituation sprechen. Ob man von Erfolgen der Bewegung ausgehen kann, gilt es zu diskutieren. Während die Geschichte der Besetzungen von teilweise massenhafter Mobilisierung zeugt, gibt es heute nur noch wenige fest entschlossene Besetzerinnen und Besetzer, denen es zudem häufig an starker Rückendeckung im jeweils betroffenen Stadtteil mangelt. Vieles ist offensichtlich verlorengegangen, so daß die Frage im Raum steht, wie man Menschen mobilisieren kann, die dringend Wohnraum benötigen.

An diesen Vortrag schloß sich eine ungewöhnlich lange und offen geführte Diskussion an, in der zahlreiche Probleme zur Sprache kamen und viele Ansätze zur Wiedergewinnung einer breiteren Bewegung erörtert wurden. Auffallend war insbesondere das Interesse aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer, nicht den müßigen Streit um unterschiedliche Auffassungen zu befeuern, sondern in einem solidarischen Gespräch den gemeinsam empfunden Mangel an Handlungsoptionen einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

So wurde darüber diskutiert, ob nicht ein besserer Informationsfluß über moderne Netzwerke zu erzielen sei und inwieweit themenbezogen Veranstaltungen wie diese geeignet sein könnten, die Bewegung auf breitere Füße zu stellen. Es herrsche weithin Vereinzelung, Angst und Hilflosigkeit vor, der man mit erlebter Solidarität in den Kämpfen begegnen könne. Eine Hausbesetzerin berichtete aus Düsseldorf, daß die Stadt dort befristete Verträge bis zum Abriß schloß, um Leerstand zu verhindern. So mußten Besetzerinnen und Besetzer immer wieder die Drecksarbeit der Renovierung übernehmen, bis sich einige schließlich dieser Praxis widersetzten und zu einer dauerhaften Besetzung übergingen. Auch in Hamburg gibt es offenbar ähnliche Pläne, eine Zwischennutzungspraxis zu fordern oder zu gewähren. Diese Strategie erinnert an die sogenannten Anti-Kraaker-Büros in den Niederlanden, die Wohnungssuchenden billigen Wohnraum vermittelten und diesen vorübergehend vor Besetzung schützten.

Ein anderer Diskussionteilnehmer berichtete von sogenannten Baugruppen in Berlin, in denen ehemalige Besetzer als alternative Bauherrn Wohnprojekte für sich einrichteten, die ihrerseits linksalternative Wohnprojekte vertreiben [1]. So spalten Strategien der Vereinnahmung die Bewegung. In diesem Zusammenhang kam auch zur Sprache, daß es bei der Besetzung in der Ekhofstraße klar gewesen sei, daß es mit diesem System keine Verhandlungen geben könne und somit eine klare Unterscheidung von bloßen Mieterinitiativen möglich war. Man habe sich damals auch von der Kriminalisierung nicht abschrecken lassen und sich selbst von der DKP und den K-Gruppen abgegrenzt. Das DKP-dominierte Studentenwerk schloß damals Nutzungsverträge ab und bremste so den Wunsch nach einer anderen Gesellschaft aus.

Thematisiert wurde auch, daß die Strategie der Räumung binnen 24 Stunden enormen Druck auf die Besetzerinnen und Besetzer ausübt und eine Mobilisierung nahezu verhindert. Generell stelle sich die Frage, warum ein Haus besetzt wird: Will man es selbst bewohnen, für andere freihalten, die dringend eine Wohnung brauchen, oder soll ein soziales Zentrum gegründet werden? Gesellschaftliche Veränderungen erfordern zweifellos einen langfristigen Kampf, und das macht viele Menschen hoffnungslos.

In einem zwischenzeitlich gezeigten Film über die Besetzung des Hauses Bleicherstraße 14 heißt es: "Wir haben nicht mehr dieselbe Stärke wie vor 25 Jahren in der Hafenstraße. Es gibt jedoch immer noch Menschen, die sagen, es reicht!" Daran anknüpfend widmete sich die weitere Diskussion insbesondere der gemeinsamen Überlegung, wie der politische Kampf zu beflügeln sei. Ob sich dieser entfalte, hänge von diversen Faktoren ab. Wo sind Wut, Empörung, Entschlossenheit geblieben? Obgleich gravierende Wohnungsnot herrscht, sind kaum Entrüstung und Widerstand zu erkennen.

Man müsse berücksichtigen, daß es heute den ganzen Tag kostenloses Entertainment gebe und die Menschen per Dauerunterhaltung befriedet werden. Sie seien daher viel abgestumpfter als noch vor dreißig oder vierzig Jahren. Man lebe sehr viel zersplitterter, Gegenstrategien seien verlorengegangen. Massive Existenzängste suchten die Leute heim, wer auf dem Arbeitsmarkt nichts zu verkaufen habe, besitze kein Lebensrecht mehr. Das führe zu einer ungeheuren Isolation.

Viele Linke der älteren Generation erkennen heute, daß sie allenfalls gegen Symptome gekämpft und im Grunde nichts verändert haben. Die meisten von ihnen versuchen, sich irgendwie zu arrangieren. Was kann man demgegenüber vorhalten, wofür es sich zu kämpfen lohnt? Ein anderer Teilnehmer gab zu bedenken, daß die Schwäche der Linken nicht zuletzt darauf zurückzuführen sei, daß es an sprachlicher Vermittlung mangle. Wie kann man Ideologiedebatten in eine Sprache überführen, die die Menschen verstehen? Gelinge die Vermittlung nicht, bleibe die marginale Bewegung isoliert.

Auch werde den Menschen systematisch ausgetrieben, zusammenzuleben. Beispielsweise treibe die Struktur der Bedarfsgemeinschaft die Leute in die Vereinzelung. Die Frage nach einer herrschaftsfreien Lebensform sei auf der Strecke geblieben. Zudem wurde angesprochen, daß alle wesentlichen Verschärfungen wie die deutsche Kriegsbeteiligung oder Hartz IV maßgeblich von ehemaligen 68ern konzipiert und umgesetzt wurden. Man habe es mit Individuen und Gruppen zu tun, die sehr gut gelernt haben, wie man spaltet und entmachtet. Der Gegner ist also aus den vermeintlich eigenen Reihen gekommen. Sich nicht spalten zu lassen, könne jedoch nicht als Moral oder Appell an andere herangetragen werden. Entscheidend sei doch, wofür man selber einstehe.

Bekanntlich kommt es aus Protest gegen die Arbeitsverwaltung mitunter zu teilweise spektakulären Einzelaktionen. Wie könnte man solchen Widerstand bündeln und nach zehn Jahren Agenda 2010 den tiefgreifenden Angriff auf die Autonomie und Souveränität der Menschen thematisieren, um sie der Bezichtigung durch die Arbeitsgesellschaft zu entreißen?

Diese und weitere Fragen wurden an diesem Abend aufgeworfen und glücklicherweise mit keiner schnellen Antwort zum Schweigen gebracht. So hat die Veranstaltung "Geschichte und Erfahrungen von 40 Jahren Häuserkampfbewegungen bundesweit" unter reger Beteiligung aller Anwesenden jedenfalls eines gezeigt: Ein zugewandtes Gespräch ohne Ausgrenzung, eine Offenlegung fehlender Lösungen und eine ungehinderte Formulierung gemeinsamer Interessen sind Errungenschaften, die allen Rückschlägen und Niederlagen zum Trotz keineswegs der Vergangenheit angehören.

Zitat von Karl Marx aus der Einleitung 'Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Schon vor 170 Jahren ... Rechtsfragen materialistisch gewendet
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0004.html

Historische Filmdokumente zur Ekhofstraßenbesetzung vor 40 Jahren:

http://www.youtube.com/watch?v=146v6DRIelM

http://www.youtube.com/watch?v=MskW7Glmitk

21. April 2013