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BERICHT/175: Herrschaft in der Krise - Populismus, Funktion und Konsequenzen (SB)


Paradigmenwechsel im Zeichen des globalen Mangelregimes

Vortrag von Phillip Becher im Magda-Thürey-Zentrum in Hamburg-Eimsbüttel am 18. November 2013



Das uneinlösbare Versprechen kapitalistischer Vergesellschaftung, die bestmögliche Ordnung zu schaffen und Wohlstand für alle zu generieren, hat ausgedient. In einem Paradigmenwechsel nimmt das globale Mangelregime den Charakter unabweislicher Schicksalhaftigkeit an. Was weniger denn je für alle reicht, wird unter forcierter Expansion des Raubes und gestützt von innovativer Verfügungsgewalt im Prozeß unausgesetzter Umlastung den Unterworfenen und Ausgegrenzten abgepreßt. Durfte der Mensch vordem zumindest davon träumen, sein Dasein in Würde und bescheidenem Wohlergehen zu fristen, so unterliegt er nun einem Zwangsdiktat, das ihn ausschließlich nach seiner Verwertbarkeit bis ins Mark und seinem Nutzen für die Esse der Unwertproduktion bemißt. Sein Anspruch auf Einkommen, Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung und Altersrente ist Makulatur, muß er doch seine Existenz auf immer niedrigerem Niveau durch Duldsamkeit, Verzicht und Übernahme wachsender Lasten rechtfertigen.

Nach dieser Maxime hat die Klassenfrage unwiderruflich ausgedient, weil das Vorhandensein einer Klasse, die unveräußerliche Rechte und in Sozialkämpfen erstrittene Ansprüche gegenüber der auf ihrem Rücken prosperierenden anderen Klasse geltend machen könnte, ideologisch geleugnet und praktisch pulverisiert wird. Um zu verhindern, daß sich dennoch aus dieser Asche der Phönix unbeugsamen Aufbegehrens von neuem erhebt, werden Fronten eröffnet, Feindbilder produziert und Denkweisen zementiert, die kulturalistisch und sozialrassistisch das Verhängnis anderer als einzig verbliebenen Ausweg zur eigenen Rettung postulieren.

Muten Kampf der Kulturen, Religionskriege und Chauvinismen jeglicher Couleur wie ein Rückfall in überwunden geglaubte Epochen menschheitsgeschichtlicher Entwicklung an, so repräsentieren sie zugleich die Spitze zukunftsträchtiger Herrschaftssicherung. Reaktionäre Bewegungen wie der Rechtspopulismus sind daher weit mehr als Versatzstücke aus dem Inventar des vielzitierten Monopolkapitalismus, die dieser bei Bedarf hervorholt, um sie später wieder zugunsten seines Normalbetriebs zurückzufahren. Sie gedeihen vielmehr im Windschatten zentraler gesellschaftlicher Prozesse, deren Sachwalter wirkmächtiger als die grobschlächtige Apologetik solcher Populismen vordenken und vorexerzieren, was man Menschen antun kann und muß, um sie unwiderruflich zu entmächtigen.

Slide mit Titel des Vortrags - Foto: 2013 by Schattenblick

Foto: 2013 by Schattenblic


"Völkisch" oder "populär-demokratisch"? Der moderne Rechtspopulismus

In der Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" [1] hatte die Assoziation Dämmerung am 18. November Phillip Becher ins Magda-Thürey-Zentrum (MTZ) eingeladen. Er ist Sozialwissenschaftler an der Universität Siegen, wobei Faschismus vor und nach 1945, Rechtspopulismus und Neue Rechte zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören. In seinem Vortrag zum Thema "Völkisch oder populär-demokratisch? Der moderne Rechtspopulismus" nahm er von einer historischen Kontroverse ausgehend eine Begriffsbestimmung vor, um daraus politische Handlungskonsequenzen abzuleiten.

Da der Rechtspopulismus ein Spektrum im rechten Lager repräsentiert, das einer genaueren begrifflichen und mithin politischen Bestimmung bedarf, kreiste Phillip Becher den Themenkomplex zunächst anhand einer historischen Debatte ein. Ende der 1970er Jahre wurde in der von Wolfgang Fritz Haug und seinem Team herausgegebenen Zeitschrift "Das Argument" eine Kontroverse ausgetragen, aus der die beiden maßgeblichen Positionen zu dieser Frage in der damaligen Diskussion hervorgehen. Die Kontrahenten waren auf der einen Seite der 1986 gestorbene Reinhard Opitz, ein westdeutscher marxistischer Sozialwissenschaftler, der den Populismusbegriff verwirft. Auf der anderen Seite standen Ernesto Laclau, ein argentinischer Diskursanalytiker, und die Soziologin Karin Priester, inzwischen emeritierte Professorin an der Universität Münster. Es ging dabei um die Klärung der Begriffe "Populismus" und "Faschismus", wobei letzterer in der damaligen Diskussion viel prominenter als heutzutage war.

Opitz hatte fünf Jahre zuvor im Argument einen Aufsatz über Entstehung und Verhinderung von Faschismus geschrieben. Im Argument 117 mit dem Themenschwerpunkt "Faschismus und Ideologie", das Beiträge von Fritz Haug, Ernesto Laclau und Karin Priester enthielt, gingen insbesondere Haug und Priester kritisch auf die Faschismustheorie von Opitz ein. In Argument 121 folgte eine Erwiderung von Opitz, wobei man die Kontroverse vor dem Hintergrund der damaligen Diskussion in der westdeutschen Linken sehen muß. Seinerzeit war eine der ersten Gramsci-Wellen en vogue, die sich zumeist aus Versatzstücken und rudimentären Übersetzungen seiner Werke speiste, als ließe sich daraus der Marxismus neu definieren. Opitz faßte die Ergebnisse von Haug, Laclau und Priester als "einen in der Summe nur katastrophal zu nennenden Rückfall hinter einstige Erkenntnisresultate" zusammen und nannte seine Replik deswegen "Über vermeidbare Irrtümer". Er arbeitete zwei grundlegende Linien hinsichtlich des Begriffs "Rechtspopulismus" heraus, ihn nämlich entweder als eine Art populärdemokratische Anrufung zu verstehen oder seinen völkischen, also bürgerlichen Kern aufzudecken.

Karin Priester spricht sich dafür aus, den Faschismus auch über seine Massenbewegung zu definieren, und will ihn nicht zuletzt aus der Ideologie seiner Anhängerschaft erklären. Opitz kritisiert daran, daß die faschistische Ideologie dadurch in ein heterogenes Mosaik aufgelöst wird, und verweist darauf, daß der Faschismus nicht immer eine Massenbewegung braucht, wie das Beispiel des Militärputsches 1973 in Chile belegt. Er selbst hebt demgegenüber auf den monopolkapitalistischen Charakter des Faschismus ab.

An Laclau kritisiert Opitz, er wende sich von dem marxistischen Ideologiebegriff ab. Für Laclau ist der Widerspruch zwischen dem Volk und dem Block an der Macht maßgeblich, wobei er beide nicht näher definiert. Jeder Mensch ist demnach Mitglied eines Volkes, doch vermengt Laclau dabei den ethnischen und den plebejischen Volksbegriff. Ideologien haben Laclau zufolge keinen klassenspezifischen Inhalt. Die Enttarnung des faschistischen Popanz als bürgerliche Ideologie wäre demnach eine falsche Analyse, weil der Faschismus eine Volksideologie sei. Klassenkräfte bemühten sich zwar, diese Volksideologien aufzugreifen und in den jeweils eigenen Diskurs einzubinden, aber nur zur Mobilisierung gegen den jeweils herrschenden Machtblock. Laclau hantiert auf diese Weise mit vielen unhinterfragten Begriffen und liefert ein Konstrukt gesellschaftlicher Realität, ohne es zu begründen.

Den Versuch, vorhandene Ideologien einzubinden, nennt er populärdemokratische Anrufung. Der deutsche Faschismus sei 1933 deswegen erfolgreich gewesen, weil er es mit seinem populärdemokratischen Anruf verstanden habe, den Mittelstand einzubinden. Die Anrufung des Volkes und der Rasse sei so wirkmächtig gewesen, daß die Nazis erfolgreich waren. Den Machtblock in der späten Weimarer Republik faßt Laclau als eine Antithese zum Faschismus auf. Demnach gab es keine Kontinuität der Eliten zwischen der Weimarer Zeit und dem Dritten Reich, was schlichtweg unzutreffend ist. Bezeichnenderweise zählt Laclau Rassismus und Antisemitismus zum populärdemokratischen Diskurs, obgleich diese zur Verschleierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Ablenkung auf konstruierte Feindbilder eingesetzt werden.

Karin Priester, die sich auf Laclau bezieht, verweist auf das Beispiel des Ruhrkampfs 1923, als die Kommunistische Internationale diskutierte, man müsse unter bestimmten Voraussetzungen den Kampf gegen den Imperialismus mit Unterstützung durch bürgerliche Nationalisten führen. Als Beispiel galt Leo Schlageter, ein Mitglied der Großdeutschen Arbeiterpartei, einer Ersatzorganisation der NSDAP, der im Ruhrkampf umkam und von Karl Radek, einem Funktionär der KPD, als Wanderer ins Nichts und mutiger Soldat der Konterrevolution apostrophiert wurde. An der Basis der KPD war diese Verbrüderung mit Klassenfeinden nicht gerade populär. Karin Priester hingegen fragt, warum man dieses Bündnis nicht noch einmal ins Auge fassen sollte. Opitz verwirft dies als den Versuch, erneut eine Art Querfront zu propagieren.

Reinhard Opitz spricht hingegen von völkischem Bewußtsein als einer bürgerlichen Ideologie, die sich mit der Herausbildung des Imperialismus etabliert hat, da sie besser integriere, als es mit Hilfe des liberalen Kapitalismus zu bewerkstelligen war. Völkisch sei nicht demokratisch und könne nicht Teil einer linken Politik sein. Deshalb verneble auch die Suche nach revolutionären oder linken Elementen im Faschismus dessen realen gesellschaftlichen Charakter. Deswegen lehnt Opitz den damals verwendeten Populismusbegriff als verharmlosend und irreführend ab.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Phillip Becher
Foto: © 2013 by Schattenblick

Phillip Becher plädiert dafür, den Populismusbegriff dennoch zu verwenden, ohne allerdings die Positionen von Laclau oder Priester zu übernehmen. Es ließen sich unter Bezug auf Opitz heutige antidemokratische Bewegungen analysieren, die man nicht als neofaschistisch bezeichnen kann. Opitz entwickelt die sogenannte Dimitrow-These dahingehend weiter, daß er den Faschismus als diejenige terroristische Form der monopolkapitalistischen Herrschaft bezeichnet, die alle politischen Organisationen der Arbeiterklasse und der demokratischen Bewegung illegalisiert und der Verfolgung aussetzt. Er schrieb 1984 das Buch "Faschismus und Neofaschismus", in dem er sich damit beschäftigt, daß der Faschismus nicht an der Macht ist, jedoch in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung bestimmte Funktionen erfüllt, die es zu benennen gilt.

Opitz nimmt acht Funktionsbestimmungen des Faschismus vor:
1) Auffangbecken, nämlich Ableitung von Protestpotentialen.
2) Barometer, das die Zustimmung zu antiparlamentarischen Lösungen der Krise bemißt.
3) Alibi für reaktionäre Regierungspolitik, wie etwa 1992 die Abschaffung des Asylrechts unter Verweis auf rassistische Gewalttaten.
4) Antreiber in der Rechtsentwicklung der bürgerlichen Parteien.
5) Langfristige ideologische Orientierung.
6) Terroristische Einschüchterung.
7) Destabilisierung.
8) Straßenkampf und Bürgerkrieg.

Der Rechtspopulismus unterscheidet sich aufgrund der drei letztgenannten Funktionen vom Faschismus, weil er diese im Unterschied zu den ersten fünf nicht erfüllt. Was aber ist unter "rechts" zu verstehen? Opitz ist als Marxist der Auffassung, daß aufgrund der Entwicklung der Produktivkräfte die Bedürfnisse aller Menschen in der jetzigen Gesellschaft befriedigt werden könnten. Das Privateigentum an Produktionsmitteln und die sich daraus ergebenden Produktionsverhältnisse verhinderten dies jedoch. Opitz versteht unter Linken diejenigen, die zu ihrer Zeit auf den historisch objektiv möglichen nächsthöheren Verwirklichungsgrad von Demokratie hin drängen. Demgegenüber seien rechte Bewegungen solche, die hinter den schon erreichten Grad von Demokratie zurückdrängen und den Artikulationsspielraum von Demokraten einengen wollen.

Der Populismusbegriff ist insofern schillernd, als er oftmals beliebig auf alles und jedes angewendet wird. Um den Begriff "Rechtspopulismus" einzugrenzen, nennt Becher als drei wesentliche Parameter Struktur, Ideologie und Funktion.

Strukturell tritt der Rechtspopulismus bewegungsförmig auf und hat keine klassische Parteienstruktur samt entsprechenden Mitgliedsrechten. Beispielsweise hat die Partei von Geert Wilders genau zwei Mitglieder, nämlich ihn selbst und eine Stiftung, über die das Geld gesammelt wird. Silvio Berlusconis Partei Forza Italia war eine Umwidmung seiner Firma Fininvest. Die Satzung der AfD in Deutschland enthielt vor der offiziellen Parteigründung nur einen Passus zu Mitgliedspflichten, jedoch keinen zu Mitgliedsrechten. Um dem deutschen Parteiengesetz Genüge zu tun, wurde auf dem Gründungsparteitag dann doch noch eine entsprechende Ergänzung beschlossen. Zudem weisen solche Strömungen oftmals charismatische Führungspersönlichkeiten auf, da sie eine Komplementärstrategie des Neoliberalismus sind. Wie letzterer dem individuellen Aufstieg das Wort redet, bedient sich auch der Rechtspopulismus persönlicher Mythen.

Ideologisch appelliert der Rechtspopulismus an das sogenannte gemeine Volk, womit er sich als eine völkische Ideologie erweist, die gesellschaftliche Konfliktlinien nicht nach sozialen Gesichtspunkten identifiziert, sondern bestimmte Gruppen ausgrenzt. Er geriert sich als Verteidiger des kleinen Mannes gegen die unfähige derzeitige Elite und zugleich gegen Einwanderer, Erwerbslose und Randgruppen. Die vertikale Kritik an der Führung folgt keinem egalitären Standpunkt, sondern repräsentiert selbst ein elitäres Politikverständnis. Diese Stoßrichtung ist also im Spannungsfeld zwischen neoliberaler Wirtschaftskonzeption und antiliberaler autoritärer Ideologie anzusiedeln. Vorgedacht wurde diese Ideologie von Vertretern der sogenannten Neuen Rechten, die vor allem in Frankreich ab den späten 1960er Jahren virulent wurde und bis heute wirkmächtig ist. Grob gesprochen lassen sich zwei Flügel ausmachen, nämlich eher Nationalrevolutionäre und eher Konservative. Der konservative Flügel ist inspirierend für den Rechtspopulismus, und zwar über ein bestimmtes Ideologem, das sich Ethnopluralismus nennt. Bei diesem handelt es sich im Prinzip um die Idee des Multikulturalismus mit umgekehrten Vorzeichen. Menschen werden vor allem als Kulturträger gesehen, also als Träger eines bestimmten Volkscharakters. Man könne zwar Rassen nicht von vornherein als ungleich bezeichnen, doch seien die Individuen durch den Bezug zu ihrer kulturellen ethnischen Identität definiert. Diese beinhaltet zugleich einen Raumbegriff wie etwa den des Abendlandes, das dieser Ideologie zufolge auch nur von abendländischen Kulturträgern bewohnt werden sollte.

Hinsichtlich der Funktion unterschied Opitz in neofaschistische Gruppierungen, CDU-Mainstream und dazwischen die Strauß-CSU. Letztere verortete er im Spannungsfeld zwischen Partei und Sammlungsbewegung. Das Feld der damaligen Strauß-CSU beackern heute diverse rechtspopulistische Bewegungen. In den USA ist seit vielen Jahren die Tea-Party-Bewegung aktiv, die fälschlich als Gruppe von Hinterwäldlern oder White Trash abqualifiziert wird. Zu ihr gehört vielmehr der Think Tank "Americans for Prosperity" der Gebrüder Charles und David Koch. Die zwei Ölindustriellen nutzen ihn, um politische Strategien zur Durchsetzung ihrer Interessen zu entwickeln. Was sich im Dunstkreis dieser Einflußnahme bewegt, kann als sozialer Träger des Rechtspopulismus in den USA betrachtet werden. Die Massenbasis der Tea Party vertritt ein breiteres Spektrum an Ideologien, die auf den ersten Blick mitunter irrational wirken. So lehnen Segmente der christlichen Rechten den Umwelt- und Naturschutz mit der Begründung ab, dieser greife in den göttlichen Plan ein. Rückgekoppelt auf die Interessen der Ölindustrie ergibt sich indessen ein durchaus zweckrationaler Sinn.

Auch in anderen Ländern mit rechtspopulistischen Formationen spiegeln diese in der Regel sozioökonomische Konflikte wider, die kulturell aufgeladen werden. In Italien forciert die Lega Nord einen spezifischen Sozialrassismus gegenüber Süditalienern, Sinti und Roma wie auch Moslems. Sie propagiert die Sezession des Nordens, da Segmente des norditalienischen Kapitals ihren Reichtum nicht mit den unterentwickelten Regionen des Südens teilen wollen. Neofaschismus, Postfaschismus und Berlusconi-Populismus haben ihre Interessen zusammengeführt, um das Land weit nach rechts zu verschieben.

Aus Zeitgründen beschränkte sich der Referent auf die genannten Beispiele, denen sich weitere hinzufügen ließen. Wie seine Ausführungen deutlich machten, läßt sich der Rechtspopulismus ungeachtet teilweiser Übereinstimmungen vom Faschismus abgrenzen. Beiden gemeinsam ist die Rückführbarkeit auf eine Strategie kapitalistischer Vergesellschaftung, namentlich in Zeiten der Krise Klassenwidersprüche und soziale Konflikte zu verschleiern und zu negieren, indem rassistische und kulturalistische Fronten eröffnet werden.

Phillip Becher im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Sozialrassistische Ideologien auf dem Vormarsch
Foto: © 2013 by Schattenblick


Antifaschistische Linke in der Defensive?

Für Reinhard Opitz war "Formierung" ein zentraler Begriff, worunter er eine Integration unter Preisgabe der eigenen objektiven Interessen verstand. Dementsprechend könnte man den Rechtspopulismus als eine mögliche Antwort auf die Notwendigkeit der Formierung in der gegenwärtigen Epoche bezeichnen. Er ist ohne den Neoliberalismus nicht zu denken, den er als antidemokratische Bewegung flankiert. So geriert er sich als Opposition gegen die Auswüchse des Neoliberalismus, schlägt aber selbst forcierte neoliberale Schritte als angebliche Lösung vor.

Hier schließen sich allerdings Fragen an, die über eine solche begriffliche und konzeptionelle Definition hinausweisen. Offensichtlich hat die politische Linke bestimmte Traditionen und Bezüge preisgegeben, die sie als völkisch mißdeutet. Sie hat nicht nur wie die Kommunistische Partei Italiens Volkshäuser, alternative Projekte und eigene Freizeiteinrichtungen aufgegeben, weil sie diese für nicht mehr zeitgemäß hielt, bis sie schließlich 1991 zur Selbstauflösung schritt. Die politische Linke in Deutschland ist vielmehr dabei, etwa die eigene Sprache zugunsten der Anglifizierung zu entsorgen und Kultur als solche mit dem Stigma reaktionärer Gesinnung zu belegen. So überläßt man der Rechten Felder, die durch deren Kontaminierung vollends unbegehbar erscheinen.

Auch sitzt die Scheidung von Produktiven und Unproduktiven nicht selten tiefer, als es die Linke wahrhaben will. Oftmals verabsolutiert sie Arbeit zu einem positiven Wert, was nicht zuletzt Neue Rechte wie etwa Jürgen Elsässer begünstigt, der in der Sortierung brauchbaren Menschenmaterials den Schulterschluß mit Thilo Sarrazin übt. Wenn Besitzstandswahrung zur Ultima ratio wird, beißt sich der Vorhalt andersgearteter objektiver Interessen schnell die Zähne aus. Wo bleibt demgegenüber eine emanzipatorische, nicht konkurrenzgetriebene Position, der es nicht darum gehen kann, den andern zu übertrumpfen?


Fußnote:

[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

Bisherige Beiträge zur Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/165: Herrschaft in der Krise - Wo steht der Feind? (SB)
BERICHT/166: Herrschaft in der Krise - Mangel, Druck und Staatsräson (SB)
BERICHT/167: Herrschaft in der Krise - Zweckform Euro (SB)
BERICHT/174: Herrschaft in der Krise - Synthese im Widerspruch (SB)
INTERVIEW/196: Herrschaft in der Krise - Bündnisse der Arbeit, Hans-Peter Brenner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/197: Herrschaft in der Krise - der Lackmustest, Markus Bernhardt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/198: Herrschaft in der Krise - türkisch-linke Bündnisfragen, Duran Kiymazaslan im Gespräch (SB)
INTERVIEW/199: Herrschaft in der Krise - am linken Schlaf vorbei, Sylvia Brennemann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/201: Herrschaft in der Krise - Wo der Mumm fehlt! Wolfgang Erdmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/202: Herrschaft in der Krise - Ratio des Mehrgewinns, Andreas Wehr im Gespräch (SB)
INTERVIEW/204: Herrschaft in der Krise - Horizont der Mühen, Dr. Heinz-Jürgen Schneider im Gespräch (SB)
INTERVIEW/205: Herrschaft in der Krise - Kampfverstand und Korrektur, Jürgen Lloyd im Gespräch (SB)

17. Dezember 2013