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BERICHT/229: Treffen um Rosa Luxemburg - die Pläne des Feindes ... (1) (SB)


Vernichtungsgewalt in Krieg und Frieden

Podiumsdiskussion "Antiimperialismus heute" am 9. Januar 2016 in Berlin


Die auch unter Linken weitverbreitete Auffassung, es seien genügend Ressourcen wie Atemluft, Wasser und Nahrungsmittel für die gesamte Menschheit vorhanden, sofern sie nur gerecht verteilt würden, kolportiert zwei verhängnisvolle Fehleinschätzungen. Zum einen zeugt das katastrophale Ausmaß verdurstender und verhungernden Menschen, das angesichts des Klimawandels in bislang ungekannte Extreme forciert wird, von einem fundamentalen Mangel, dem die strategische Überlebenssicherung globaler Eliten zu Lasten der übergroßen Mehrheit unerbittlicher denn je Rechnung trägt. Zum anderen läßt sich Verfügung als Herzstück der Herrschaftssicherung nicht ökonomistisch in gegeneinander verrechenbare Kategorien von Reichtum und Armut fassen. Wenngleich es zutrifft, daß unermeßlicher Reichtum in Händen einer verschwindend kleinen Minderheit angehäuft wird, während das Milliardenheer in bitterster Armut lebender Menschen tagtäglich wächst, sind damit weder die maßgeblichsten Sachwalter der Verfügungsgewalt und deren Steuerungsfunktionen identifiziert noch die tatsächlich zur Verfügung stehenden stofflichen Mittel bilanziert.

Bekanntlich übersteigt die in Umlauf befindliche Menge an Geld oder geldwerten Forderungen das weltweite wirtschaftliche Gesamtprodukt um ein Vielfaches, so daß dieser Anspruch unmöglich eingelöst werden kann. Reichtum ist folglich nicht identisch mit Macht, von der nur dort die Rede sein kann, wo die Bestandssicherung von Herrschaft erfolgreich durchgesetzt wird. Diese beruht ihrem Wesen nach nicht etwa darauf, sich im Verteilungskampf größere Stücke des Kuchens anzueignen, um sie im exzessivem Überkonsum zu verschlingen, sondern dem Konkurrenten den Besitz grundsätzlich zu verwehren. Erst auf Grundlage des vollendeten Raubes ist die Wiedergewährung eines Bruchteils des zuvor Geraubten nicht etwa als Besitzstand, sondern als befristetes und an Konditionen gebundenes Lehen praktikabel. Löhne und Sozialleistungen, Landrechte und Immobilien, Subsistenzwirtschaft und informelle Erwerbsmöglichkeiten - nichts davon garantiert den grundsätzlich Besitzlosen und Unterworfenen eine gesicherte Existenz in Würde, die ihnen nicht genommen werden könnte.

Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitalismus, der bislang höchstentwickelten Form der Herrschaft des Menschen über den Menschen, zeigt dessen Grundprinzip, den eigenen Vorteil ausschließlich über den den Nachteil des anderen zu definieren und zu generieren, in aller Deutlichkeit. Ob sich der Wert des spanischen Silbers an der Verfügungsgewalt bemaß, Hunderttausende Leben in den Bergwerken auszulöschen, oder die massenhafte Vernichtung der Existenzmöglichkeiten im ländlichen Britannien die Voraussetzung einer unter Zwang rekrutierten Industriearbeiterschaft war, stets schufen Unterwerfung und eine Produktion des Mangels das Fundament der Wertschöpfung, die man daher unter Berücksichtigung aller dafür erforderlichen Bedingungen präziser als die Schaffung von Unwert charakterisieren kann.

Was nun den Imperialismus als dem Kapitalismus immanente Verlaufsform seiner an ihre Grenzen stoßenden Kapitalverwertung betrifft, folgt aus dem eingangs angerissenen Gedankengang, mit welcher Unaufhaltsamkeit und exponentiell wachsenden Vernichtungsgewalt seine Expansion voranschreitet, sofern es nicht gelingt, ihn grundsätzlich aus den Angeln zu heben und zu stürzen. Die Doktrin des "Kampfs der Kulturen", deren Umsetzung je nach Quelle zwischen vier und sechs Millionen oder mehr muslimische Zivilisten zum Opfer gefallen sind, oder der Entwurf des "Kreativen Chaos", das den Nahen Osten mit einem Flächenbrand überzogen hat, künden von einem unablässigen Waffengang der westlichen Mächte mit dem strategischen Ziel, die verbliebenen globalen Rivalen Rußland und China einzukreisen und niederzuwerfen.

Koexistenz, Kooperation und gemeinsame Anstrengungen zur Überlebenssicherung möglichst vieler Menschen sind mit dem global aus- und zugreifenden Kapitalismus deswegen unvereinbar, weil er seinen Fortbestand aus dem Gegenteil schöpft und zu sichern trachtet. Wenngleich der antikapitalistische Kampf einer Staffelung der vordringlichen Kämpfe und Ziele bedarf, darf dies nicht in eine Unterscheidung in verschiedene Erscheinungsformen der Verfügungsgewalt münden, die dem vorherrschenden System gute und schlechte Seiten andichtet. Wer den Krieg beenden möchte, aber am Frieden wenig auszusetzen hat, wer das Finanzkapital geißelt und zugleich das hohe Lied des produktiven Kapitals singt, wer den US-Imperialismus verdammt und im deutschen Imperialismus ein Opfer des Hegemons sieht, redet einer Versöhnung mit den hiesigen Verhältnissen das Wort, unter denen es sich nur deswegen noch relativ besser leben läßt, weil andernorts mehr gehungert und schneller gestorben wird.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Diether Dehm
Foto: © 2016 by Schattenblick


Antiimperialismus statt Antikapitalismus?

Am Vorabend des Jahresauftakts der Europäischen Linken in Berlin fand am Franz-Mehring-Platz 1 eine prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Thema "Antiimperialismus heute" statt. Unter Moderation von Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der Niedersächsischen Linken, diskutierten Maite Mola, Vizepräsidentin der Europäischen Linken, Dov Khenin, kommunistisches Mitglied der Knesset in Israel, Rainer Rupp, ehemals meistgesuchter deutscher Spion des Kalten Krieges und ein Kundschafter des Friedens, der Völkerrechtler Prof. Dr. Gregor Schirmer, der griechische Sozialminister Prof. Dr. Georgios Katrougalos sowie der italienische Marxist Prof. Dr. Domenico Losurdo. Wäre das namhafte Podium durchaus eines mehrtägigen Symposiums würdig gewesen, so korrespondierte damit ein interessiertes Publikum im bis auf den letzten Platz gefüllten Münzenbergsaal, unter dem sich zahlreiche bekannte Expertinnen und Experten des linken Spektrums eingefunden hatten, was von der Bedeutung dieser derzeit so brisanten Thematik zeugte.

Da der Rahmen der Veranstaltung aus konzeptionellen und organisatorischen Gründen zeitlich begrenzt war, lag der Schwerpunkt der Debatte bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Podiums. Wenngleich auch das Publikum mit Fragen und Stellungnahmen zu Wort kam, hätte man sich doch eine ausgiebigere Diskussion unter breiterer Beteiligung gewünscht. So hatte das Gespräch eher den Charakter einer Präsentation unterschiedlicher Aspekte der Problematik, die für sich genommen aufschlußreich war, aber durchaus vorhandene Kontroversen eher andeutete als austrug.

Das galt insbesondere für die Stoßrichtung Diether Dehms, der nach einem einführenden Plädoyer des Europaabgeordneten Fabio De Masi, die Begriffe "Kapitalismus" und "Imperialismus" nicht zu scheuen und die Verantwortlichen beim Namen zu nennen, dafür warb, einmal weniger "Antikapitalismus" und einmal mehr "Antiimperialismus" zu sagen, zumal das strategische Vorteile habe. Auf eine gewisse Weise heimatlos, definiere sich Antiimperialismus heute gegen die USA, die um die Weltspitze miteifernde EU und mit Abstrichen China, wobei er zwischen diesen drei Blöcken seine eigene Stellung suche. Er sei eine Art Netzwerk, in dem man sich die griechische Regierung ebenso vorstellen könne wie andere linke Regierungen, die vor Schwierigkeiten stünden, ihre Agenda sofort umzusetzen. Nehme man Antikapitalismus zum Maßstab, fielen selbst Regierungen durch, an denen die Europäische Linke beteiligt sei. Stelle man hingegen Antiimperialismus ins Zentrum, sei man eher in der Lage, auch mit den kleinen Schritten des Erfolges, sofern sie sich gegen die Ausplünderung der Ware Arbeitskraft richten, vorlieb zu nehmen. Man solle sich hüten, die griechische Regierung zu kritisieren, habe man doch hier in Deutschland kam etwas zu ihrer Unterstützung auf die Straße gebracht. Der Begriff "Antiimperialismus" mache die Bündnisse breiter, was notwendig sei, um tolerant miteinander umzugehen, wie dies die Linke gelegentlich vermissen lasse. Wie Martin Luther die Bibel für das sogenannte gemeine Volk übersetzt habe, müsse man die Ziele des Antiimperialismus populär übersetzen, so Dehm.

Der eigentümliche Kunstgriff, den aus dem Kapitalismus abgeleiteten Imperialismus mit der Begründung abzukoppeln, er sei für sich genommen vermittelbarer und folglich bündnisfähiger, wirft zwangsläufig die Frage auf, mit welchem Konzept von Antiimperialismus man es dabei zu tun hat. Wenn Dehm das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen scheint, indem er für ein breites Bündnis plädiert, das dem Antikapitalismus nicht geopfert werden dürfe, ahnt man, woher der Wind weht. Der angeblich heimatlose Antiimperialismus seiner Lesart verortet sich neu im Fahrwasser reformistischer Übereinkünfte, die den Preis der Regierungsfähigkeit längst entrichtet haben. Wer sich selbst die so dringend notwendige Kritik an der Syriza-Regierung verbittet und sie nach wie vor bedenkenlos ins Boot holt, wirft den als Ballast empfundenen Antikapitalismus nur zu gern über Bord.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Maite Mola
Foto: © 2016 by Schattenblick


Wider den Pakt mit dem Erdogan-Regime

Maite Mola konnte Dehms Vorschlag nichts abgewinnen und setzte sich in ihrem Beitrag insbesondere mit der Situation in der Türkei auseinander, wo ein Gerichtsverfahren gegen sie eröffnet worden ist. Ihr und zehn türkischen Genossen wird vorgeworfen, am 21. Februar 2015 auf einer Großdemonstration in Istanbul gegen die Annahme des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das seinerzeit im Parlament behandelt wurde, den Präsidenten Erdogan beleidigt zu haben. Das Gesetz erweitert die willkürlichen Zugriffsmöglichkeiten der Polizei, verlängert die vorläufige Haftzeit und gestattet der Regierung die Verhängung des Ausnahmezustands.

Wer den massiven Ausbau des repressiven türkischen Sicherheitsstaats kritisiert und dagegen protestiert, sieht sich unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes der Strafverfolgung ausgesetzt, mit deren Hilfe das Erdogan-Regime jegliche Opposition verfolgt und zum Schweigen zu bringen versucht. Obgleich der Vernichtungs- und Vertreibungskrieg gegen die Kurden zahllose Opfer fordert und bereits mehr als 200.000 Binnenflüchtlinge nach sich gezogen hat, hält der Pakt zwischen Berlin und Ankara zum Zweck der europäischen Flüchtungsabwehr Erdogan den Rücken frei.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dov Khenin
Foto: © 2016 by Schattenblick


Wenn die Kanonen donnern ...

Dov Khenin mochte Dehm allenfalls in der Bedeutung der Bündnisfrage als solcher folgen, kehrte aber dezidiert zu einer antikapitalistischen Analyse zurück. Die Möglichkeiten des kapitalistischen Systems, seine inneren Widersprüche auf externe Märkte zu exportieren, seien zunehmend beschränkt, da sich der Kapitalismus zum Herrscher der Welt aufgeschwungen habe. Gewalt als ein integraler Bestandteil dieses Systems sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel, sie sei kein Fehler, sondern die Norm. Obgleich Krieg Teil des Systems sei, löse er die zugrundeliegenden Probleme nicht, sondern schaffe neue und größere. Der Krieg gegen den Terror beschwöre viel größere Gefahren herauf, als der Terrorismus selbst. So sei der IS keine Opposition gegen den Imperialismus, sondern strukturell und politisch aus diesem hervorgegangen. Strukturell sei er eine Folge des Irakkriegs, politisch werde er von Katar und der Türkei unterstützt, den beiden wichtigsten Verbündeten des US-Imperialismus in dieser Weltregion.

Progressive Politik stehe vor der Aufgabe, die Furcht vor Terrorismus in politische Aktivitäten zu verwandeln, die sich gegen den Krieg richten, statt ihn zu unterstützen. Krieg habe verheerende Folgen für den demokratischen Raum, von dem der moderne Kapitalismus ohnehin nichts halte. Samuel Huntington zufolge sei der Exzeß an Demokratie die größte Bedrohung der westlichen Gesellschaft. Für deren Fortbestand sei es unerläßlich, die Menschen davon zu überzeugen, sich weniger mit Politik zu befassen. Dieser Ansatz sei zentral für die konservative politische Agenda. Krieg sei ein mächtiges Werkzeug, politische und demokratische Partizipation zu unterdrücken. Wenn die Kanonen donnern, sollte man schweigen, bekomme man ständig in Israel zu hören. Und da dort ständig Krieg geführt werde, liefe das auf unablässiges Schweigen hinaus. Indem wir die Kriegspolitik bekämpfen, kämpfen wir für den demokratischen Raum, so Dov Khenin.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Rainer Rupp
Foto: © 2016 by Schattenblick


Neokonservative Wechselbälge

Rainer Rupp erinnerte daran, in welchem Ausmaß sich in der Linken als Bewegung wie auch in den Parteien die Tendenz Bahn gebrochen hat, sich stromlinienförmig in die neue Gesellschaft einzubringen. Er führte als Paradebeispiele die beiden Hauptexponenten der Neokonservativen, Richard Perle und Paul Wolfowitz, an, die die jüngste virulente Phase des Imperialismus konzeptionell auf den Weg gebracht hätten. Beide seien in jungen Jahren links und später Linke in der Demokratischen Partei gewesen, wo sie sich für progressive Bewegungen, Gewerkschaften und Bürgerrechte eingesetzt hätten. Zugleich hätten sie sich jedoch rabiat antikommunistisch positioniert und politisch nach oben gearbeitet, bis sie schließlich unter Ronald Reagan Schlüsselpositionen im Verteidigungs- und Außenministerium innehatten und sich dort als einflußreiche Kriegstreiber hervortaten.

Man nenne sie Neokonservative, weil sie aus der linken Ecke kommend neue Konservative wurden. Entsprechende Entwicklungen finde man in allen Parteien auch in Europa: Sie sprechen nicht mehr von Antiimperialismus, sehen von den Ursachen der Kriege ab und unterscheiden nicht mehr zwischen Angreifern und Angegriffenen, wie wir das in der Linken immer getan haben, so Rupp. Es seien definitiv keine Linken mehr, die beispielsweise im EU-Parlament für eine Flugverbotszone in Libyen gestimmt haben. Es gelte daher, Klarheit zu schaffen und diese Leute nicht mehr Linke, sondern allenfalls Neocons in der Linken zu nennen.

(wird fortgesetzt)


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