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BERICHT/254: Alle Truppen stehen still - wenn das ganze Volk es will ... (SB)


Kriegstrommeln in Norddeutschland

Kundgebung "Nein zum Säbelrasseln - Truppenaufmarsch stoppen" am 13. Januar 2017 in Hamburg



Blaues Transparent mit Friedenstaube und der Aufschrift 'Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Antikriegstransparent auf dem Hamburger Jungfernstieg am Rande der Friedenskundgebung
Foto: © 2017 by Schattenblick

Nie wieder Krieg - das war, auf eine griffige Kurzformel gebracht, das Credo von Millionen Menschen, die den Zweiten Weltkrieg und seine mannigfaltigen Schrecken überlebt hatten, nun vor Trümmerlandschaften standen und sich nichts sehnlicher wünschten als eine bessere Zukunft, in der es nie wieder ein solches Inferno geben würde. Eine (Kriegs-) Generation vor ihnen hatte dasselbe Verlangen lautstark zum Ausdruck gebracht. In der Weimarer Republik waren Anfang der 1920er Jahre pazifistische und linke Kräfte zu einer Friedensbewegung zusammengewachsen, in der sich auch viele Kriegsheimkehrer engagierten. Im Berliner Lustgarten fand 1922 eine Friedensdemonstration unter dem Motto "Nie wieder Krieg" statt, an der Hunderttausende Menschen teilnahmen.

Doch offenbar reicht auch ein vieltausendfach zum Ausdruck gebrachter Friedenswunsch nicht aus, wie diese Kriegsgeneration keine zwanzig Jahre später erfahren mußte, um die "Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel", so der vielzitierte preußische Militärhistoriker Carl von Clausewitz zum Krieg, verhindern zu können. Was sagt dies mit Blick auf die heutigen Ereignisse, militärischen Zuspitzungen und möglichen Kriegsabsichten über den "politischen Verkehr" aus, sprich die gesellschaftlichen Gewalt- und Eigentumsverhältnisse oder auch die neoliberale weltweite Verwertungsordnung, von deren Krisenhaftigkeit so oft gesprochen wird? Nicht nur sinnbildlich steht die Welt in vielen Regionen bereits heute "in Flammen", ohne daß in Kriegs- und Krisenregionen wie Syrien oder auch der Ukraine eine Deeskalation der Lage oder Beendigung der Konfliktspannungen absehbar wäre.

Heute noch zu reklamieren, von deutschem Boden solle nie wieder Krieg ausgehen, wirkt ein wenig geschichtsvergessen, ist doch dieser Fall spätestens mit der aktiven Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Krieg gegen Jugoslawien längst eingetreten. Eine ständig zunehmende Militarisierung und Aufrüstung in der Bundesrepublik wie auch in EU und NATO, gepaart mit immer mehr Auslands- und Kriegseinsätzen in aller Welt, sprechen zudem eine unmißverständliche Sprache. Ungeachtet dessen, daß aus diesen wie vielen weiteren Gründen der Begriff Frieden längst obsolet geworden ist, scheint auch die relative Stabilität, derer sich die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands wie auch weiterer westlicher Staaten glauben sicher sein zu können, brüchig geworden zu sein.


Kundgebungsteilnehmende stehen vor Lautsprecherwagen, links Transparent 'Es gibt keinen gerechten Krieg' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Blick auf die Kundgebung "Nein zum Säbelrasseln - Truppenaufmarsch stoppen"
Foto: © 2017 by Schattenblick


Januar 2017 - Panzer rollen gen Rußland

Vor diesem Hintergrund mutet der gegenwärtige Truppenaufmarsch der NATO an die Westgrenze Rußlands kontraproduktiv an. Friedensaktivistinnen und -aktivisten sehen darin den Versuch, Öl ins Feuer zu gießen, und geben zu bedenken, daß durch die NATO-Operation "Atlantic Resolve" (Atlantische Entschlossenheit) die Sicherheitslage auch der baltischen Staaten, mit deren vermeintlichen Ängsten vor einem russischen Angriff der Aufmarsch begründet wird, keineswegs verbessert, sondern verschlechtert werden könnte, sollte sich Rußland, weil es die Verlegungen als Beleg aggressiver Absichten der NATO (miß?)interpretiert, seinerseits zu weiteren militärischen Maßnahmen veranlaßt sehen.

Die NATO wiederum behauptet, der Aufmarsch sei eine notwendige Reaktion auf die Aggression Rußlands, das, so der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, Generalleutnant Frederick 'Ben' Hodges, keinen Frieden wolle. Nach Angaben der US-Armee in Europa sollen die zusätzlich in Osteuropa stationierten 4000 Soldaten und 2000 Panzer ein "Zeichen der Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit" setzen. Mit der Verlegung einer vollständigen US-Panzerbrigade, die in Bremerhaven anlandet und dann auf dem Landwege durch den norddeutschen Raum nach Polen und von dort auch in die baltischen Staaten transportiert wird, wurde zu Beginn des neuen Jahres begonnen.

Unter Friedensbewegten stellt die Vorbereitung eines Krieges auch dessen Beginn dar. Der Krieg beginne hier und jetzt, so die mahnenden Worte vieler Aktivistinnen und Aktivisten, die sich angesichts des aktuellen Truppenaufmarsches zu Protestveranstaltungen, Demonstrationen und Kundgebungen formieren. Ihnen ist nicht plausibel zu machen, daß die Aggression Rußlands, die in der Annexion der Krim und der Invasion in der Ukraine liegen soll, zur Letztbegründung dieser NATO-Operation gemacht wird, ohne die Sicherheitslage, wie sie sich für Rußland darstellen könnte, auch nur in Erwägung zu ziehen. Viele Friedensbewegte sehen diese durch die aktuellen Truppenverlegungen beeinträchtigt und machen geltend, daß sich die NATO-Staaten in der Rußland-NATO-Akte von 1997 im Gegenzug zum Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR dazu verpflichtet hätten, keine dauerhafte Militärstationierung im vormals russischen Einflußgebiet vorzunehmen.


Transparent mit der Aufschrift 'NATO-Manöver beenden, US-Truppenaufmarsch stoppen - Für Frieden in Europa und überall!' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kernbotschaft der Kundgebung am Hamburger Jungfernstieg
Foto: © 2017 by Schattenblick


Nein zum Säbelrasseln, den Truppenaufmarsch stoppen

Organisiert vom Hamburger Forum, einem Bündnis verschiedener Friedensgruppen, fand am 13. Januar in Hamburgs bester Einkaufsmeile eine Kundgebung statt unter dem Motto: "Nein zum Säbelrasseln, Truppenaufmarsch stoppen! Krieg beginnt mit Manövern - wir erklären der Bevölkerung Rußlands den Frieden!" Auf dem Jungfernstieg kamen am Flaggenplatz rund 50 Friedensaktivistinnen und -aktivisten zusammen, um ihren Protest kundzutun und ein Ende der Transporte zu fordern.

Andreas Grünwald vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung veranschaulichte in seinem Redebeitrag den Umfang des gegenwärtigen Truppentransportes. Wenn man die Waggons der Bahn aneinanderreihe, ergäbe das eine Länge des Schreckens von fast 15 Kilometern, der sich durch Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, aber auch Hamburg mit der Bahn und auf der Straße bewege. "Atlantic resolve" - atlantische Entschlossenheit - bedeute, daß die NATO gewillt sei, ihre gefährliche Einkreisungs- und Destabilisierungspolitik gegenüber Rußland fortzusetzen. "Das wollen wir nicht", erklärte Grünwald und forderte Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier auf, die Transporte zu stoppen. In Hamburg sollten sich Senat und Bürgerschaft dagegen zur Wehr setzen.


A. Grünwald während seines Redebeitrags - Foto: © 2017 by Schattenblick

Andreas Grünwald vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung
Foto: © 2017 by Schattenblick

Angefangen habe diese gefährliche Entwicklung schon vor vielen Jahren mit der Ost-Erweiterung der NATO und der EU bis hin zur russischen Grenze. Sie habe sich fortgesetzt mit der einseitigen Weigerung der NATO-Staaten, den von Rußland und weiteren Nachfolgestaaten der Sowjetunion bereits ratifizierten Vertrag zur Reduzierung konventioneller Streitkräfte zu unterzeichnen. Desweiteren kündigten die USA wiederum einseitig den mit Rußland geschlossenen ABM-Vertrag zur beiderseitigen Begrenzung der Raketenabwehrsysteme und beschlossen die Modernisierung ihrer eigenen Atomwaffen. Grünwald bezeichnete die in Aussicht gestellte Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO sowie den Aufbau eines neuen NATO-Raketenabwehrsystems als weitere Bestandteile einer aggressiven Politik zur Einkreisung Rußlands.

Deutsche Politiker, aber auch Repräsentanten der NATO würden immer wieder betonen, die Politik des Kalten Krieges gegenüber Rußland nicht wieder aufleben lassen zu wollen. Warum aber, so fragte der Friedensaktivist, werde dann alles genau dafür getan? Warum wurde im Rahmen der NATO Response Force eine Truppenerhöhung von 13.000 auf über 40.000 Soldaten beschlossen, warum die Einrichtung einer Schnellen Eingreiftruppe mit über 5.000 Soldaten, die innerhalb von zwei Tagen am jeweiligen Einsatzort sein könnten, und warum jetzt der Beschluß, viermal eintausend Soldaten in verschiedenen Ländern Osteuropas zu stationieren?

Auch die russischen Gegenmaßnahmen, so stellte er klar, könnten das Herz eines Friedensaktivisten überhaupt nicht erfreuen. Es müsse allerdings darauf hingewiesen werden, daß Rußland sich in einer schwächeren Position befände. Den 900.000 Soldaten der Russischen Föderation stünden 3,5 Millionen Soldaten in den NATO-Staaten gegenüber, davon allein 2 Millionen in Europa. Die Militärausgaben der NATO-Staaten seien 13mal so hoch wie die der Russischen Föderation. Dies alles sei ein sehr gefährliches Spiel, an dem sich die deutsche Bundesregierung beteilige, um ihre Rolle in den internationalen Verteilungskämpfen auszubauen und zu behaupten, so Grünwald.


A. Müller mit Mikrophon während ihres Vorlesens - Foto: © 2017 by Schattenblick

Angela Müller liest aus dem Buch Eugen Drewermanns "Warum Krieg?"
Foto: © 2017 by Schattenblick

Im Anschluß an diesen Redebeitrag las Angela Müller von attac Hamburg aus dem Buch des bekannten Theologen und Friedensaktivisten Eugen Drewermann "Warum Krieg?" vor. In den Textpassagen ging es nicht zuletzt auch um die globalen Vormachtansprüche der USA sowie die Feststellung, daß die Ausdehnung der NATO gen Osten die meisten der derzeitigen Probleme erst geschaffen habe. Die einzige Alternative zu Aufrüstung und Kriegsgefahren bestünde darin, miteinander zu reden, so der Appell Drewermanns.


Transparent mit der Aufschrift 'Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kundgebungstransparent gegen Krieg und Waffenhandel - Solidarität mit Kriegsflüchtlingen
Foto: © 2017 by Schattenblick


Friedensgrüße aus Bremen...

Sebastian Rave, der friedenspolitische Sprecher der Partei Die Linke in Bremen [1], berichtete auf der Hamburger Kundgebung über die jüngsten Ereignisse in Bremerhaven, wo am vergangenen Samstag rund 400 Interessierte gegen die Einschiffung der US-Panzerbrigade protestiert hatten. Er gehört zu den Initiatoren der Bremerhavener Appells. [2] In Bremen sei ihnen klar gewesen, daß die Transporte gestoppt werden müßten und daß das Säbelrasseln zwischen den Großmächten den Frieden gefährde. Dies sei allerdings ein Frieden, der diesen Namen nicht verdiene, da Jahr für Jahr 15.000 Tonnen Munition den Hamburger Hafen verlassen und 41 Tonnen pro Tag den Hafen Bremerhavenes.

Bei den jetzigen Truppenverlegungen gehe es darum, einen Konkurrenten im Kampf um den Reichtum der Welt einzuschüchtern. Rußland habe, so der Bremer Linkspolitiker, auf der Krim seine Muskeln spielen lassen und in Syrien seinem Verbündeten Assad geholfen, mit aller Brutalität an der Macht zu bleiben. Doch wer stünde in dieser Reihe ganz vorne? Der Krieg im Irak beispielsweise, angefangen unter Führung der USA, habe bis heute 600.000 Tote gekostet. Dieser furchtbare Krieg mit einer anschließenden barbarischen Besatzung des Landes habe die gesamte Region destabilisiert und dem Islamischen Staat zur Geburt verholfen. Mit all diesen Kriegen müsse endlich Schluß sein, so der Appell Raves.


S. Rave spricht auf der Hamburger Kundgebung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Sebastian Rave, friedenspolitischer Sprecher der Bremer Linkspartei
Foto: © 2017 by Schattenblick

Nun ließen die USA in Osteuropa ihre Muskeln spielen. Hunderte Panzer rollen durch Deutschland und offenbar auch durch Hamburg. Sie an die russische Grenze zu verlegen, sei das größte Manöver seit dem Kalten Krieg. Zu seiner Hoch-Zeit, im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses, wurden in Bremerhaven US-Pershing-Raketen angeliefert. Die damalige Hafenblockade durch zehntausende Kriegsgegnerinnen und -gegner sei ein inspirierender Akt massenhaften zivilen Ungehorsams, der nicht in Vergessenheit geraten dürfe. Heute sei die Situation eine andere, es herrsche kein Systemgegensatz mehr. Trotzdem werde wieder aufgerüstet. Der Grund für die heutige massive Aufrüstung bestehe darin, daß sich in der Krise des Kapitalismus auch die Konkurrenz zwischen den Staaten zugespitzt habe.


Straßenbild, rechts im Hintergrund das Hamburger Rathaus - Foto: © 2017 by Schattenblick

Was sagt der Hamburger Senat? Blick aufs Rathaus vom Kundgebungsplatz aus
Foto: © 2017 by Schattenblick


... und Erinnerungen an Rosa Luxemburg

Die gewöhnlichen Menschen in Deutschland, in Rußland, in China und in den USA hätten sehr viel gemeinsam. Sie alle gingen Tag für Tag zu schlechtbezahlter Arbeit und machten sich Sorgen um die Zukunft. Wir sind es, erklärte der Bremer Linkspolitiker, die in Kriegen aufs Schlachtfeld geführt werden, die hungern und leiden, während die Reichen, die da oben in ihren sicheren Bunkern säßen, von ihren blutigen Geschäften profitierten. Für uns stehe deshalb fest, daß die Grenzen nicht zwischen den Völkern verlaufen, sondern zwischen "oben" und "unten". Rosa Luxemburg habe kurz vor dem Ersten Weltkrieg gesagt, daß Kriege unmöglich werden würden, käme die Arbeiterklasse zu dem Entschluß, sie nicht länger zuzulassen. Unsere Aufgabe sei es, die Kriege der Zukunft unmöglich zu machen und am besten schon heute damit anzufangen, so Raves Schlußwort unter dem Beifall der rund 50 Friedensbewegten, die an diesem Tag um "3 vor 12" zu der Kundgebung in der Hamburger Innenstadt unweit des Rathauses gekommen waren.


Kundgebungstransparent mit der Aufschrift 'Krieg ist Terror - Kein G20 in Hamburg' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Hamburger Proteste gegen Kriegsvorbereitungen und das G-20-Treffen
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Siehe auch das Interview mit Sebastian Rave im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
INTERVIEW/333: Alle Truppen stehen still - wenn die ganze Welt es will ...    Sebastian Rave im Gespräch (SB)

[2] www.bremerfriedensforum.de


17. Januar 2017


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