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BERICHT/264: Gegenwartskapitalismus - für Kurden und für alle Menschen ... (SB)




Weitläufige Berglandschaft - Foto: No machine-readable author provided. Mr. minoque assumed (based on copyright claims), licensed under Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license, via Wikimedia Commons

Kurdistan - nie ein eigener Staat
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"Die kurdische Tragödie" - diesen Titel gab der in Berlin lebende iranische Publizist und Autor Bahman Nirumand dem von ihm 1991 herausgegebenen Buch mit dem Untertitel "Die Kurden - verfolgt im eigenen Land". Aus dieser Sammlung von unterschiedlichen Autoren verfaßter historischer wie gegenwartsbezogener Texte kristallisierte sich schon damals eine Feststellung heraus, die nach wie vor, von geringen Einschränkungen abgesehen, ihre Gültigkeit hat: Das kurdische Volk, dessen Zahl in Ermangelung konkreter Zählungen in den verschiedenen Staaten zugehörenden Siedlungsgebieten schwer zu beziffern ist, jedoch auf 20 bis 30 Millionen geschätzt wird, verfügt über keinen eigenen Staat. Weltweit gibt es wohl kein weiteres Volk einer annähernd vergleichbaren Größenordnung, dem ungeachtet all seiner Bemühungen, Forderungen und Bitten das Staatsgründungsrecht stets verwehrt wurde.

Auf der Suche nach historisch begründbaren Erklärungsansätzen würde zu Tage treten, daß nach vorherrschender Faktenlage der Name "Kurde" im 7. Jahrhundert Erwähnung fand als Bezeichnung für die Angehörigen der in den Bergen des türkisch-irakisch-iranischen Grenzgebiets unterworfenen Stämme. Das Osmanische Reich unterwarf im 16. Jahrhundert die meisten kurdischen Dynastien und Clans, sei es durch offene militärische Gewalt, Diplomatie oder Versprechungen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Balkankriege von 1910 bis 1913 sowie der Erste Weltkrieg zum Zusammenbruch des Osmanischen Reichs und einer Neuaufteilung seiner Territorien durch die Siegermächte führten, konnten sich die Kurden der Erfüllung ihres langgehegten Wunsches nach Eigenstaatlichkeit - für eine kurze Zeit - sicher wähnen. [1]


Nicht für Kurden - das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Im Namen der Alliierten hatte der damalige US-Präsident Woodrow Wilson eine 14-Punkte-Erklärung vorgelegt, die eine neue internationale Friedensordnung aus der Taufe zu heben versprach, basierend auf dem in ihren Mittelpunkt gestellten Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das Osmanische Reich bzw. die wenige Jahre später gegründete Republik Türkei verlor ihre nicht-türkischen Provinzen, allerdings, wie sich bald herausstellte, mit einer Ausnahme. Als am 11. Mai 1920 am Tagungsort Sèvres, einem Außenbezirk von Paris, der osmanischen Delegation das zu unterzeichende Vertragswerk überreicht wurde, schien eine eigene Region der Kurden zum Greifen nah zu sein. In zwei Paragraphen war von einem kurdischen Autonomiegebiet mit kultureller und politischer Selbstverwaltung die Rede, geplant in einem Teil Anatoliens. [2]

Doch Siegerpolitik blieb Siegerpolitik. Die Alliierten fühlten sich keineswegs an ihre Versprechungen gegenüber den Kurden gebunden. Gegen die Territorialverluste durch den Vertrag von Sèvres führte die türkische Nationalbewegung - sogar mit kurdischer Unterstützung - einen Unabhängigkeitskrieg, der am 24. Juli 1923 mit dem Vertrag von Lausanne endete. In ihm wurden die vorherigen Zusagen gegenüber den Kurden aufgehoben, zugleich bot dieser Vertrag der am 29. Oktober 1923 von Kemal Atatürk ausgerufenen Republik Türkei die Grundlage für eine Kurdenpolitik, die aus der vollständigen Nicht-Anerkennung dieser Volksgruppe besteht und bis heute Staatsdoktrin der Türkei ist. Die kurdischen Aufstände zwischen 1920 und 1938 wurden mit brutalster militärischer Gewalt und Zwangsassimilation niedergeschlagen, und es gab auf der internationalen Politikbühne jener Zeit nicht einen Akteur, der sich für die Sache der Kurden stark gemacht oder auch nur aus humanitären Gründen ihren Schutz eingefordert hätte.


Landkarte, aus der die verschiedenen kurdischen Gebietsansprüche hervorgehen - Foto: By Maximilian Dörrbecker (Chumwa) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Ein Traum blieb unerfüllt
Foto: By Maximilian Dörrbecker (Chumwa) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Die türkische Regierung negierte die Existenz des kurdischen Volks, verbot den "Bergtürken" den Gebrauch der eigenen Sprache und setzte alles daran, die kurdische Kultur auszulöschen. Von einer kurdischen Autonomie konnte nicht einmal mehr geträumt werden. An dieser Realität sollte sich über Jahrzehnte hinweg nichts ändern. Die Republik Türkei wurde in die NATO aufgenommen, ohne daß diese Zugehörigkeit zu Forderungen der neuen Partner geführt hätte, der kurdischen Bevölkerung kulturelle und politische Autonomierechte zuzugestehen. Abdullah Öcalan, den die türkische Regierung um Recep Tayyip Erdogan noch heute so sehr mit dem ihr verhaßten kurdischen Befreiungskampf gleichsetzt, daß die Hinrichtung des PKK-Führers und langjährigen Gefangenen zu befürchten steht, hatte am 27. November 1978 die Kurdische Arbeiterpartei PKK gegründet.

Ihr zunächst gewaltfrei geführter Widerstand führte zu keinen aus kurdischer Sicht positiven Ergebnissen, weshalb sich die PKK um Öcalan 1984 veranlaßt sah, von da an mit Waffengewalt gegen die türkische Armee zu kämpfen. Der De-facto-Bürgerkrieg im Südosten des Landes wurde in den Folgejahren noch verschärft, da die Armee nun mit vollentbrannter Härte gegen ihre Widersacher vorging und dabei, wie zu vermuten steht, auf die Rückendeckung ihrer NATO-Partner zählen konnte. Angebote über politische Verhandlungen wie auch einseitige Waffenstillstandserklärungen der kurdischen Seite blieben ohne jede Resonanz. Die Forderung nach einem eigenen Staat war heruntergeschraubt worden auf die Forderung, innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen eine kurdische Autonomie verwirklichen zu können, doch das Resultat blieb dasselbe.

Eine gewisse Ironie der Geschichte liegt wohl darin, daß ausgerechnet Erdogan, der jetzt zu einer kompletten Vernichtung der kurdischen Bewegung ausgeholt zu haben scheint, im Zuge seiner Offensive gegen die gesamte Opposition des Landes, wo und in wem auch immer er sie zu vermuten scheint, vor einigen Jahren gewisse Anzeichen einer Entspannung gezeigt hatte, indem er glauben gemacht hatte, diesen jahrzehntealten Konflikt entschärfen oder sogar lösen zu wollen. 2013 setzte ein Friedensprozeß zwischen der Regierung Erdogan und der PKK ein, von Geheimverhandlungen mit Öcalan war die Rede. Doch durch Umstände, die mit Blick auf ihre mutmaßlichen und tatsächlichen Hintergründe fast unmöglich zu ergründen sind, zerbrach zwei Jahre später der zwischen Regierung und PKK vereinbarte Waffenstillstand.


Das Prinzip Staat hinterfragen ...

Im Laufe seiner wechselvollen Geschichte blieb dem kurdischen Volk ungeachtet seiner unbestreitbaren Existenz und Größe, der eigenen Sprache und langen Kulturgeschichte die Manifestation als Staat verwehrt, mit der Folge, daß sich die kurdische Gesellschaft in Ermangelung eigener staatlicher Exekutiven und ohne die Möglichkeit, ein eigenes Militär aufzustellen, nicht als ein Staat unter anderen behaupten konnte. Über Generationen hinweg schien das Ziel eines eigenen Staates, zu dem sich im Idealfall die auf vier Staaten aufgeteilten kurdischen Siedlungsgebiete würden vereinigen können, am Zenit der Wünsche, Hoffnungen und Perspektiven gestanden zu haben, wurde jedoch perforiert durch die auf Realerfahrungen gewaltsamer Unterdrückung und Entwürdigung beruhende Einschätzung, daß dies für die Kurdinnen und Kurden unerreichbar sei.

Aus dieser Not heraus, wenn man denn so wollte, lag es in dem langen Verlauf dieser Prozesse nahe, das Prinzip Staat zu hinterfragen. Die kurdische Befreiungsbewegung, die sich auf Abdullah Öcalan und andere beruft und dessen Ideen als für sich maßgeblich akzeptiert, strebt bis heute keineswegs "nur" ihre sozusagen nationale Befreiung an, sondern vertritt sehr viel weitreichendere antikapitalistische, antistaatliche und antipatriarchale Positionen, die sie auch in der Praxis umzusetzen versucht.


Z. Yagmur in Großaufnahme, mit Mikro - Foto: © 2017 by Schattenblick

Zilan Yagmur spricht über revolutionäre Gefühle
Foto: © 2017 by Schattenblick


Zukunftsfragen und Gegenwartskämpfe auf der Hamburger Konferenz

Davon haben sich viele Interessierte, die den Weg ins Audimax der Universität Hamburg fanden, wo vom 14. bis 16. April die Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern III - Demokratische Moderne entfalten - Widerstand, Rebellion, Aufbau des Neuen" stattfand, ein eigenes Bild machen können. In Session III [3], die unter den inhaltlichen Generaltitel "Wege, das Neue aufzubauen und zu verteidigen" gestellt worden war, trat mit Zilan Yagmur eine Repräsentantin des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK/JXK) als erste Referentin ans Mikrophon, um über "Widerstand, Rebellion, Aufbau des Neuen" zu sprechen. [4]

Das kapitalistische System befände sich, so begann die Referentin, in einer Existenzkrise. Ob die demokratischen und sozialistischen Werte es schaffen würden, es in die Vergangenheit zu treiben, werde sich erst zeigen. "Berxwedan jiyan e" werde von der kurdischen Bewegung schon seit Jahrzehnten immer wieder gerufen, diese beiden Worte, ins Deutsche übersetzt mit "Widerstand heißt Leben", seien längst ein Bestandteil der kurdischen Geschichte und Widerstandskultur. Aus diesem Grunde, so erklärte Yagmur, wolle sie auf dieser Konferenz an die Gefühle appellieren, die schon immer in einer Revolution eine große Rolle spielten, um davor zu warnen, bei der Suche nach Fakten, wissenschaftlichen Analysen und Theorien den Überblick zu verlieren.

Der Mensch habe in seinem Bestreben, die Welt zu kontrollieren, die Natur zum Objekt und sich selbst zum Subjekt erklärt. Aber bedeute ein solches Dasein, so fragte die Referentin, auch Leben? Was sei der Sinn des Lebens? Philosophische Fragen dieser Art seien sehr wohl wichtig. Lenin habe bereits versucht, ihnen auf den Grund zu gehen und ausführliche Analysen über die politische Praxis verfaßt. Heute jedoch seien diese Ansätze weiterentwickelt und verfeinert worden. In der kapitalistischen Moderne sei uns das Leben unmöglich gemacht worden, nur der Kampf gegen das bestehende System halte uns am Leben und zeige uns Tag für Tag, daß eine bessere Welt möglich ist. Wie uns schon Rosa Luxemburg vor hundert Jahren zu erklären versucht habe, könnten wir uns nur im Widerstand gegen die Fesseln des Systems daran erinnern, daß wir noch am Leben sind.

Aus diesen Gründen sehe sich die kurdische Bewegung nicht getrennt von anderen und agiere in dem Bewußtsein, eine Weiterführung früherer Kämpfe zu sein, da diese Kämpfe miteinander in Verbindung stünden. Der ihnen allen gemeinsame Feind trage heute viele Gesichter, er klassifiziere nicht nur die Menschen, sondern habe die Art der Ausbeutung und Herrschaft unglaublich verfeinert und perfektioniert. Selbstverständlich könne er Probleme wie die wachsende Armut und die Umweltzerstörung nicht lösen und den Kollaps des Ökosystems nicht aufhalten. Die kapitalistische Moderne befände sich längst wieder in einem Chaosintervall, das sich von Tag zu Tag zuspitze. Im Zuge dessen seien die Gesellschaft homogenisiert und ihre Individuen voneinander getrennt worden.

Die allgegenwärtigen Ergebnisse der kapitalistischen Moderne offenbarten sich uns in den leeren Blicken der Flüchtlinge und Obdachlosen, und wie tief das im Kapitalismus vorherrschende Denken auch in uns verankert ist, zeige sich daran, daß wir uns nicht einmal dafür interessierten, daß es Menschen gibt, die unter diesen Umständen zu leben gezwungen sind. Um Widerstand zu leisten, zu rebellieren und ein neues Haus aufzubauen, sei allerdings ein revolutionäres Bewußtsein erforderlich. Widerstand und Rebellion seien zwei ineinandergreifende Arme, die nicht voneinander getrennt werden könnten. Sie seien wie die Zweige einer Pflanze, die blühen will, dafür aber einen Nährboden braucht, was in revolutionären Prozessen, um im Bilde zu bleiben, der Aufbau des Neuen sei.


Die Genannten nebeneinander am Tisch sitzend, über ihnen das Konferenzlogo - Foto: © 2017 by Schattenblick

Session III mit Zilan Yagmur, Raul Zibechi, David Graeber, Simon Dubbins, Fuat Kav, Miguel Juaquin (v.l.n.r.) und Reimar Heider am Rednerpult
Foto: © 2017 by Schattenblick

Dieser Aufbau sei zugleich, so erläuterte die Referentin, die mentale Revolution der Gesellschaft, sei doch die Frage, wie das herrschende System überwunden werden könne, nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine der Mentalität. Der Kapitalismus könne nur überwunden werden, wenn es gelänge, auf allen Ebenen und in allen Bereichen zu rebellieren, die Kräfte zu organisieren und Alternativen zu den Institutionen des Staates zu entwickeln. Nur so könne es möglich werden, die demokratische Moderne ins Leben zu rufen und am Leben zu erhalten. Wenn wir unter Demokratie eine Form gesellschaftlichen Lebens außerhalb staatlicher Strukturen verstehen, müsse ein demokratisches Gesellschaftssystem aufgebaut werden, in dem die verschiedenen Identitäten anerkannt und diese Vielfalt auch verteidigt werden kann.

Dafür müsse die Abhängigkeit der Menschen vom Staat gebrochen werden, damit sie über ihre eigenen Lebensbereiche selbst entscheiden und zu einer gestaltenden und das alte System ablösenden Kraft werden können, zu Subjekten der Revolution. Erst dann könne der Fetischcharakter des Staates erstickt werden. In der Geschichte habe es bereits viele Kämpfe, Proteste und Widerstandsbewegungen gegeben, die jedoch alle vom Kapitalismus und Patriarchat absorbiert werden konnten, weil es versäumt worden sei, etwas Neues aufzubauen und ein Gesellschaftssystem hervorzubringen, das diese Mentalitätsrevolution ermöglichen könne. Dies könne nicht gelingen, wenn sich nicht auch jedes Individuum verändert, weshalb wir uns die Frage stellen müßten, inwieweit wir das System in uns bekämpfen?

Die kurdische Bewegung, so Yagmur, sei eine universelle, weil sie sich immer wieder durch neue Perspektiven und Diskussionen erweitere und all dies direkt in die Praxis umsetze. So laufe sie nicht Gefahr, dem Dogmatismus zu verfallen und bleibe lebendig. All dem liege ein Verständnis des Lebens oder der Gesellschaft zugrunde, das weder starr noch homogen ist. So wie der Frühling nach dem Winter die Kälte vertreibt und dafür sorgt, daß die Welt in neuen Farben erblüht, brauche auch die Gesellschaft eine treibende Kraft, die immer wieder aufs Neue rückständige Tendenzen aus der Gesellschaft heraustreibe - und das sei die Jugend!

Der Staat greife sehr die Jugend an, weil sie dynamisch ist und offen für Veränderungen. Sie kritisiere das Bestehende, suche nach neuen Lebensformen und stelle immer alles in Frage, weshalb sie der Motor der Revolutionen sei. Der kapitalistische Staat versuche, mit seiner Ideologie die Jugend in seine Richtung zu pressen, doch der Wunsch nach Freiheit, die Suche nach der Wahrheit, komme immer irgendwann ans Licht. Der Wunsch des Menschen nach einem kollektiven Leben könne niemals wirklich in Vergessenheit gebracht werden, liege doch genau darin seine eigentliche Stärke. Das Streben nach Freiheit und Wahrheit sei ein nie endender Kampf, der die Gesellschaft revolutioniere und zu ihrer Entwicklung beitrage.

Die kurdische Bewegung sei eine Bewegung der Jugend, aber auch der Frauen. Die Menschheitsgeschichte habe uns gezeigt, daß der Kapitalismus durch das Patriarchat begründet wurde. Die Frau, deren Identität vor über 5000 Jahren angegriffen wurde, trägt die gesellschaftlichen demokratischen und ökologischen Werte in sich, weshalb gerade sie aus Sicht des herrschenden Systems eine Gefahr darstelle. Bis heute seien diese Werte das Gegengift zum Patriarchat und zum Kapitalismus, die eng miteinander verflochten sind.

Und doch werden wir unserer gesellschaftlichen Stärke und unserer Geschichte beraubt, fuhr die Referentin fort, denn es fände eine unglaubliche Individualisierung statt. Die kapitalistische Moderne ersetze Freiheit und Wahrheit durch staatliche Definitionen, als neue Wahrheit gilt nur ihre eigene Geschichte, und die sei eine der Männer und der Sieger. Die neue Freiheit sei der einsame Mensch, der niemandem mehr trauen zu können glaube außer dem Staat, der den Willen der Menschen vereinnahme und ihnen die Legitimation, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, nehme. Die Jugend merke dies am stärksten und versuche, aus diesem Gefängnis auszubrechen. Durch das vom Staat vorgegebene Denken hätten viele Menschen den Mut und das Selbstbewußtsein verloren, an Utopien zu glauben und um sie zu kämpfen. Der Wunsch nach einem kollektiven Leben in Freiheit und Selbstbestimmung könne für eine gewisse Zeit unterdrückt werden, doch niemals, so das Fazit Zilan Yagmurs, sei es möglich, den Funken des Widerstands vollständig zum Erlöschen zu bringen.


Nicht nur ein kurdischer Aufbruch ...

Von einer kurdischen Tragödie zu sprechen, wie Bahman Nirumand es einst tat, ließe sich zwar immer noch mit der Geschichte des kurdischen Volkes begründen, hieße aber zu ignorieren, daß die heutige kurdische Bewegung längst im Begriff steht, sich von den ideologischen Fesseln eines Staatskonzeptes vollständig zu lösen zugunsten einer in Richtung Zukunft offenen Gesellschaftsentwicklung. Dies könnte für Menschen in sehr vielen Teilen der Welt von großem Interesse sein, zumal die Behauptung, daß das global vorherrschende neoliberale Konzept, mittels staatlicher wie auch überstaatlich strukturierter Gewalt optimalste Kapitalakkumulationsbedingungen herzustellen, weil nur so das Optimum für Mensch und Natur erreicht werden könne, an rasant anwachsenden Glaubwürdigkeitsverlusten leidet und weltweit zu implodieren droht.


Blick von oben auf das vollbesetzte Audimax - Foto: © 2017 by Schattenblick

Großes Interesse am Aufbau des Neuen
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/politik/ausland/article112666625/Der-kurdische-Traum-vom-eigenen-Staat.html

[2] http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Kurden-sind-eines-der-aeltesten-Kulturvoelker-Geschichte-und-Hintergruende/21103

[3] Zum Verständnis der inhaltlichen Struktur der dreitägigen Konferenz sei hier einmal aufgelistet, daß am ersten Tag Session I und II unter den Titeln "Die Mentalität der kapitalistischen Zivilisation aufbrechen" bzw. "Jenseits des Staats: Alternativen denken und aufbauen" standen. Der zweite Tag begann mit Session III ("Wege, das Neue aufzubauen und zu verteidigen") und wurde in Session IV mit einer Arbeitsgruppen- und Workshop-Phase fortgesetzt, während am letzten Tag Session V und VI mit den programmatischen Themen "Auswege aus dem Kapitalismus - Das 'Undenkbare' denken" und "Demokratische Moderne: Perspektiven für die Zukunft" folgten und eine Schlußansprache im Audimax den Abschluß der Konferenz bildete.

[4] Siehe auch das Interview mit Zilan Yagmur im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
INTERVIEW/353: Gegenwartskapitalismus - im Namen der Revolution ...    Zilan Yagmur im Gespräch (SB)


Beiträge zur Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern III" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/262: Gegenwartskapitalismus - den Droh- und Vernichtungswuchten revolutionär entgegen ... (SB)
INTERVIEW/351: Gegenwartskapitalismus - fundamentale Gegenentwürfe ...    Yavuz Fersoglu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/352: Gegenwartskapitalismus - unterdrückt und totgeschwiegen ...    Mako Qocgiri im Gespräch (SB)
INTERVIEW/353: Gegenwartskapitalismus - im Namen der Revolution ...    Zilan Yagmur im Gespräch (SB)

3. Mai 2017


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