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BERICHT/036: Energiekonferenz - Foren und Workshops zur Abschaffung der Atomkraft (SB)


Überlebensgroße Statue der leidenden Welt © 2010 by Schattenblick

Die Welt in Bedrängnis ... Klimagerechtigkeit jetzt!
© 2010 by Schattenblick

Nach dem dank kämpferischer Reden des BI-Sprechers Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, und des Präsidenten Eurosolar, Dr. Hermann Scheer, gelungenen Einstieg in den Samstag verteilten sich die Konferenzteilnehmer auf die sechs Foren der Landesverbände, in denen der bereits vorliegende Resolutionsentwurf "Atomkraft abschaffen! - Die Zukunft ist erneuerbar!" beraten und präzisiert werden sollte. Am Nachmittag wurde darüberhinaus zu mehreren Workshops und Vorträgen eingeladen, die aus räumlichen Gründen auch in anderen Ottenser Veranstaltungszentren wie der Werkstatt 3 im Nernstweg stattfanden.

Karikatur zum zivil-militärischen Charakter der Atomenergie - © 2010 by Schattenblick

"Friedliche Atomenergie" ... die Spitze des militärischen Eisbergs
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Uranabbau ... kolonialistischer Auftakt zu einer zerstörerischen Großtechnologie

Unter dem Titel "Uranabbau: Anfang vom Atom-Wahnsinn" klärte Günter Hermeyer über den Widerspruch auf, in Abgrenzung zur militärischen Verwendung des Uran von einer friedlichen Nutzung der Atomenergie zu sprechen. Da rund 70 Prozent der bekannten Uranvorkommen auf den Gebieten indigener Völker liegen und unter Bedingungen abgebaut werden, die für die dort lebenden Menschen in jeder Beziehung nachteilig sind, sorgt schon die Bereitstellung dieses für die militärische wie zivile Nutzung der Atomenergie essentiellen Rohstoffs für alles andere als friedliche Verhältnisse. In der Regel findet der Abbau auf Territorien statt, die sich zwar nominell in der Hand der dort lebenden Ureinwohner befinden mögen, praktisch jedoch ohne Rücksicht auf deren Eigentumsansprüche zugunsten großer Minenkonzerne ausgebeutet werden.

Die Adivasi in Indien, die Native Americans in Kanada und den USA, die Aboriginals in Australien sowie diverse indigene Völker in Afrika, Lateinamerika und den sibirischen, kasachischen und chinesischen Regionen Asiens werden in mehrfacher Hinsicht durch den atomar befriedigten Energiehunger der "Ersten Welt" in Mitleidenschaft gezogen. Zum einen werden ihre Landrechte systematisch von den nationalen Regierungen, die Hand in Hand mit weltweit aktiven Atommultis zusammenarbeiten, ignoriert. An der Wertschöpfung dieser knappen Ressource sind sie bestenfalls marginal beteiligt, und sollten sie sich beim Uranabbau verdingen, dann tun sie dies zum Preis einer Gesundheitsgefährdung, die durch keinen Lohn, zumal nicht so einen geringen, wie er üblicherweise bezahlt wird, aufgewogen werden kann.

Ob in unterirdischen Minen oder im Tagebau gefördert, das strahlende Uranerz entläßt eine Fülle toxischer und radioaktiver Substanzen in die Umwelt, von denen die in den Abbaugebieten lebenden und arbeitenden Menschen in erster Linie betroffen sind. Die Liste der dadurch verursachten Erkrankungen ist lang und enthält nicht nur die bei Verstrahlungen auftretenden Krebsarten, sondern auch schwerwiegende Schädigungen des lymphatischen und hämatologischen Systems, der Nieren und anderer Organe. Da die Gewinnung des Uran aus dem geförderten Erz unter Einsatz diverser Chemikalien und großer Wassermengen erfolgt, kommt es zu einer extensiven Nutzung und Verseuchung der in den Abbaugebieten vorhandenen Grundwasserbestände und Gewässer. Die Produktion der für die Nutzung der Atomenergie erforderlichen Uranoxid-Verbindung "Yellow Cake" hinterläßt große Mengen chemisch und radioaktiv kontaminierten Gesteins und Wassers, so daß die vom Uranabbau betroffenen Gebiete auf lange Sicht zu einer Gefahr für jedes Lebewesen, das in ihnen lebt, werden. Auf die erforderlichen Renaturierungsmaßnahmen wird in der Regel zugunsten der Profite verzichtet, die in die Taschen der Bergbaukonzerne und der Atomindustrie fließen.

Warnschild an verstrahltem Fluß - © 2010 by Schattenblick

Warnschild an verstrahltem Fluß
© 2010 by Schattenblick

Der Referent, der die zerstörerischen Auswirkungen des Uranabbaus am Beispiel diverser indigener Völker detailliert schilderte, stellte mehrere Initiativen auf internationaler Ebene vor, die der Eindämmung dieser Folgen gewidmet sind. Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) soll den indigenen Völkern zwar eine selbstbestimmte Zukunft, kulturelle Identität, Verfügungsgewalt über Land und Ressourcen sowie angemessene Arbeitsbedingungen zusichern [1]. Die Bundesrepublik jedoch hat diese Konvention nicht ratifiziert, weil das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Rohstoffinteressen geltend machte. Die rot-grüne Bundesregierung entzog sich der Relevanz des Schutzes indigener Völker mit dem Argument, daß es diese in Deutschland nicht gebe.

Günter Hermeyer verwies demgegenüber auf die 2007 verabschiedete Deklaration der Rechte indigener Völker [2], in denen laut einer Pressemitteilung der Vereinten Nationen das Recht dieser rund 350 Millionen Menschen umfassenden Gruppe "auf Selbstbestimmung" verankert wurde, so daß sie "frei seien, ihren politischen Status festzulegen und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu verfolgen". Daß lediglich Kanada, die USA, Australien und Neuseeland gegen die mit den Stimmen von 143 Staaten angenommene Deklaration votierten, obwohl sie unverbindlich ist, dürfte wesentlich mit den Rohstoffinteressen zusammenhängen, die diese Regierungen gegenüber ihren Ureinwohnern durchsetzen.

Der Referent verwies auch auf die Forderung der deutschen Sektion der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) an die Adresse der Bundesregierung, Informationen über Einfuhr und Herkunftsländer des in deutschen Akws verwendeten Uran endlich offenzulegen und zumindest seine Einfuhr aus Ländern zu stoppen, in denen durch den Uranabbau Menschenrechte verletzt werden und die Umwelt zerstört wird. Letztlich verlangt die Medizinerorganisation, die im August in Basel den Kongreß "Uranabbau, Gesundheit und indigene Völker" veranstaltete, die vollständige Ächtung des Uranabbaus [3].

Von besonderem Interesse war die Information, daß die Weltgesundheitsbehörde der Vereinten Nationen (WHO) 1959 einen Vertrag mit der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) schloß, in der sie dieser der Förderung der zivilen Nutzung der Atomkraft verpflichteten Organisation zugestand, vorrangig über alle diesbezüglichen Belange befinden zu können. Laut Hermeyer muß die WHO dementsprechende Forschungsprojekte mit der IAEA abstimmen, das gelte insbesondere für den Uranabbau. Nicht erstaunlich war es daher, daß die desaströsen Folgen der Atomkatastrophe von Tschernobyl von der WHO stark heruntergespielt wurden. Über das tatsächliche Ausmaß der dabei von Menschen erlittenen Schäden aufzuklären hat sich das Schweizer Kollektiv Independent WHO vorgenommen. Zu diesem Zweck halten seine Aktivistinnen und Aktivisten seit Jahren eine Mahnwache am Eingang des WHO-Hauptsitzes in Genf ab, bei der sie verlangen, die Unabhängigkeit der WHO von der IAEA wiederherzustellen [4].

Referent Günter Hermeyer - © 2010 by Schattenblick

Referent Günter Hermeyer
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Der Workshop zum Thema Uranabbau führte den Beteiligten auf eindringliche Weise vor Augen, daß sich das Problem der zivilen wie militärischen Nutzung der Atomenergie längst nicht auf die Belange der "Endverbraucher" beschränkt, sondern ihr zerstörerischer Charakter schon ganz am Anfang, beim Abbau und der Verarbeitung des Rohstoffs Uran, manifest wird. Es ist kein Zufall, sondern entspricht den politischen und strukturellen Bedingungen dieser Großtechnologie, daß sich in der Bereitstellung und Sicherung ihrer essentiellen Ressource kolonialistische Praktiken reproduzieren, die an die Frühzeit expansiven kapitalistischen Raubbaus erinnern.

Nicht zu vergessen hinsichtlich des angeblich klimaschonenden Charakters dieser Form der Energieerzeugung ist zudem der erhebliche Verbrauch an fossiler Energie beim Uranabbau, der Extraktion des Urans sowie aller daran anschließenden logistischen Erfordernisse. Äquivalent zur immer kostspieligeren und umweltschädlicheren Ausbeutung der verbliebenen Vorkommen an Rohöl wird auch bei dieser endlichen Ressource in zunehmendem Maße auf mineralische Lagerstätten zugegriffen, in denen der Urangehalt des Erzes weit weniger als ein Prozent beträgt. Je länger also die zivile Nutzung der Atomenergie beibehalten und ausgebaut wird, desto zerstörerischer nehmen sich die menschlichen und ökologischen Belastungen aus, die schon bei der Förderung des Brennstoffs für die Atommeiler anfallen.

Blick auf Vortragssaal - © 2010 by Schattenblick

Konzentriert beim Vortrag
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Proliferationsgefahren ... vom doppelbödigen Spiel der Atommächte

Ebenfalls mit der Aufklärung über den keineswegs friedlichen Charakter der Atomenergie befaßt war der Workshop "Proliferation: Atomkraft und Aufrüstung". Christina Hacker vom Umweltinstitut München [5], einem aufgrund der Folgen der Atomkatastrophe von Tschernobyl entstandenen unabhängigen Verein, leitete ihren Vortrag mit dem Verweis auf die militärische Genese der zivilen Nutzung der Atomenergie ein. Von deren Betreibern werde dieser Zusammenhang in der Regel in Abrede gestellt, daher gehe es in diesem Workshop um die Aufklärung der zivil-militärischen Verflechtung der Nukleartechnologie.

Zum Nichtverbreitungsvertrag für Kernwaffen (NPT) schilderte die Referentin die Entwicklung eines Dreiklassensystems, in dem sich zu den fünf offiziellen Atommächten mehrere Nichtunterzeichnerstaaten gesellten, die wie etwa Indien, Pakistan und Israel eigene Atomwaffenprogramme entwickelten. Im Rahmen ihrer Nonproliferationsdoktrin schufen die USA mit den sogenannten Schurkenstaaten eine Kategorie von Unterzeichnerstaaten, die wie der Iran und Nordkorea verdächtigt wurden, illegal Atomwaffen zu entwickeln oder dies zumindest zu beabsichtigen. Da die mit den Vetomächten des Weltsicherheitsrats identischen Atommächte ihrer im NPT verankerten Abrüstungsverpflichtung so gut wie nicht nachkommen, begünstigen sie die Verbreitung von Atomwaffen innerhalb wie außerhalb des Vertragsregimes.

Hier wäre zu ergänzen, daß die von US-Präsident Barack Obama in Prag gemachte Ankündigung, eine atomwaffenfreie Welt zu verwirklichen, den vertraglichen Verpflichtungen, die sein Land eingegangen ist, um andere Staaten von der atomaren Aufrüstung abzuhalten, ohnehin entspricht. Indem die atomar bewaffneten USA dieses Ziel im Rahmen ihrer Nichtverbreitungsdoktrin mit kriegerischen Mitteln verfolgen, ohne selbst der Abrüstungsforderung des Nichtverbreitungsvertrags zu entsprechen, provozieren sie widrige, im Ernstfall Kriege auslösende Reaktionen. Zwar hat Obama die nukleare Erstschlagoption auf Länder begrenzt, die sich angeblich nicht an die Regeln des NPT halten, doch allein die Tatsache, daß die USA ein solch aggressives Mittel in ihrem strategischen Arsenal behalten, ist kaum dazu geeignet, die Nichtverbreitung von Atomwaffen zu fördern. Im sogenannten Atomstreit mit dem Iran erweist sich das der Deeskalation gewidmete Konzept der Nonproliferation als eine im NPT nicht vorgesehene Ermächtigung, mit dem dieses internationale Vertragswerk, dessen Unterzeichner vom Grundsatz gleichberechtigter Völkerrechtssubjekte ausgehen, zum Werkzeug der Hegemonialinteressen eines einzigen Staats und seiner Verbündeten mutiert.

An der machtpolitisch beschleunigten Proliferation von Atomwaffen hat auch die Bundesrepublik teil, wie die Referentin unter Verweis auf die deutsche Urananreicherungsanlage Gronau und den eingestellten Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf belegte. Die Entscheidung, Wackersdorf nicht zu errichten, erfolgte kurz nach dem Ableben des ehemaligen Atomministers und einflußreichen Atomlobbyisten Franz-Josef Strauß. Christina Hacker hält dies für einen wesentlichen Faktor, der zum Scheitern dieses ehrgeizigen Projekts führte, was ihr den Widerspruch einbrachte, daß dies doch Ergebnis der heftigen Proteste 1988 gewesen sei.

Um beim Betrieb von Forschungsreaktoren nicht mehr auf hochangereichertes waffentaugliches Uran angewiesen zu sein, wurden im Rahmen des Abrüstungsprogramms Reduced Enrichment for Research and Test Reactors (RETR) Brennstoffe mit niedriger Anreicherung, aber höherer Dichte entwickelt. Lediglich Libyen, China und Deutschland haben sich daran nicht gehalten. So wurde dieser Brennstoff für den deutschen Forschungsreaktor in Garching im gegenteiligen Sinn modifiziert, indem der Faktor der höheren Dichte auch noch mit dem einer hohen Anreicherung kombiniert wurde. Die Bundesrepublik hat damit einen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich Länder wie der Iran berufen könnten, wenn sie Uran über das im NPT erlaubte Maß hinaus anreichern und damit waffenfähig machen wollten.

Referentin Christina Hacker - © 2010 by Schattenblick

Referentin Christina Hacker
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Christina Hacker ging auch auf die Dual-Use-Problematik ein, um daran zu erinnern, daß sich zivile und militärische Atomnutzung niemals vollständig entflechten lassen. Auch in diesem Fall ist zu ergänzen, daß man es mit einem ambivalenten Instrument der Nichtverbreitung von Atomwaffen zu tun hat. So war das Verbot der Einfuhr von Dual-Use-Gütern wesentlich für die Strategie der USA und Britanniens, das fast 13 Jahre währende UN-Embargo gegen den Irak in eine Wirtschaftsblockade zu verwandeln, die der irakischen Zivilbevölkerung Güter des täglichen Bedarfs wie medizinische Geräte, Medikamente, Materialien für den Schulunterricht, Düngemittel und Maschinen für die Landwirtschaft sowie Ersatzteile für die Wasserversorgung und andere Bereiche der im Krieg von 1991 weitgehend zerstörten zivilen Infrastruktur vorenthielt. Mit dem Argument der Nonproliferation wurde massiver materieller Druck auf die Zivilbevölkerung ausgeübt, indem man das Verbot von Dual-Use-Gütern so weitreichend interpretierte, daß damit nicht mehr der Bau von Massenvernichtungswaffen verhindert, sondern die zivile Reproduktion einer ganzen Bevölkerung sabotiert wurde.

Die beiden hier in ihren wesentlichen Schwerpunkten nachgezeichneten Workshops haben wichtige Einsichten in die hochgradige Affinität der zivilen Nukleartechnologie zu Formen von Ausbeutung und Krieg vermittelt, mit denen sich die Forderung nach Abschaffung der atomaren Energieproduktion wirksam untermauern läßt. Um eine sozial gerechte, umweltschonende und friedliche Energieerzeugung zu verwirklichen, bedarf es mehr als nur der Sorge um den eigenen Vorgarten. Die Einbeziehung emanzipatorischer Forderungen von Menschen, die an politischer Veränderung nicht nur im Umweltbereich interessiert sind, ist für die Partei Die Linke, in deren Reihen einflußreiche Kräfte auf die Relativierung ihrer bislang prinzipientreuen friedenspolitischen Positionen drängen, von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Bewegte Puppe symbolisiert Konzernmacht - © 2010 by Schattenblick

Unerschrocken gegen das Schreckgespenst der Konzernmacht
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Basisdemokratie befruchtet energiepolitischen Impuls

Dem Treppenwitz der parlamentarischen Demokratie, wonach alle Gewalt vom Volk ausgehe, um nie wieder dorthin zurückzukehren, mag sich Die Linke nicht fügen. Im Gegensatz zu den etablierten Parteien versteht sie sich als politischer Zusammenschluß, unter dessen Dach vorerst ausgeprägte Flügel existieren, die bislang nicht in die Klammer eines Parteiprogramms gezwungen und damit massiv beschnitten worden sind. Während die in Angriff genommene Programmdiskussion der innerparteilichen Demokratie breiten Raum gibt, beruht die Stärke der Linkspartei zugleich auf der Praxis, die außerparlamentarische Opposition einzubeziehen und so die endgültige Abkopplung der politischen Repräsentanten von der Basis, deren Interessen sie dann nur noch dem Schein nach verträten, zu verhindern.

Wie die Energiekonferenz eindrucksvoll bestätigt hat, setzt Die Linke auch dort auf eine ebenso breite wie lebendige Einbeziehung inner- wie außerparteilichen Engagements, wo Schritte zu einer maßgeblichen Erweiterung des Parteiprofils eingeleitet werden. Sollte es ihr gelingen, sich auf dem Feld der Umwelt- und Energiepolitik an die Spitze der bundesdeutschen Parteienlandschaft zu setzen und diese Thematik an die soziale Frage rückzubinden, wäre dies sowohl ein bedeutsamer Zugewinn für die gesamtgesellschaftliche Rezeption dieses Komplexes mit entsprechenden Handlungsfolgen in der praktischen Umsetzung, wie auch ein Meilenstein hinsichtlich der Besetzung wesentlicher Politikfelder durch Die Linke.

Angesichts des dramatischen globalen Klimawandels haben sich natürlich alle Parteien den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben und sehen sich befleißigt, die Erderwärmung zu bremsen und deren negative Auswirkungen zu begrenzen. Auch hat man sich allseits aus dem grünen Baukasten bedient und setzt auf erneuerbare Energien, Energiesparen und Energieeffizienz. Während jedoch die Unionsparteien auch in der Umweltpolitik stramm wirtschaftsorientiert marschieren und die Freidemokraten wie üblich den Markt für ein ideales Steuerungselement halten, favorisieren Sozialdemokraten und Grüne eine Mischung aus marktwirtschaftlichen und ordnungsrechtlichen Instrumenten. Letzteres gilt im Prinzip auch für Die Linke, die jedoch stärker soziale Fragen wie auch jene des Eigentums an Produktionsmitteln einbezieht.

An der Nutzung der Kernkraft scheiden sich am deutlichsten die Geister, wobei Die Linke die unverzügliche und unumkehrbare Stillegung sämtlicher Atomkraftwerke nicht erst seit gestern fordert. Während alle drei Oppositionsparteien den Atomausstieg fortsetzen wollen, sind nur noch die Grünen bedingt mit im Boot, wenn es gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke und die CCS-Technologie geht. Einschränkend muß man an dieser Stelle festhalten, daß die Grünen im Falle schwarzer Koalitionsgelüste durchaus zum Schlucken der Kohle bereit sind. Einsam auf weiter Flur lehnt Die Linke den Emissionshandel in seiner bisherigen Form ab, und ihr Alleinstellungsmerkmal gilt auch dort, wo es um die Überführung der Energiekonzerne in öffentliches Eigentum und deren demokratische Kontrolle geht. Wie sich klar abzeichnet, zeigt Die Linke dann am deutlichsten ein eigenes Profil in der Umwelt- und Energiepolitik, wenn sie konsequent Position bezieht und den sozialen Rückbezug entschieden vertieft.

So ist nicht auszuschließen, daß man eines nicht allzu fernen Tages rückblickend in der Hamburger Energiekonferenz jenen historischen Wendepunkt in der Geschichte der Partei verortet, an dem die in zweijähriger Vorbereitung diskutierte, formulierte und nicht zuletzt gegen Vorbehalte in den eigenen Reihen durchgesetzte energiepolitische Positionierung das Licht einer breiteren Öffentlichkeit erblickt hat oder besser gesagt von dieser wahrgenommen wurde. Dann müßte man insbesondere hervorheben, wie wenig sich die an diesem Prozeß beteiligten Personen, Gremien und Landesverbände gescheut haben, die Diskussion und Mitgestaltung für außerparteiliche Experten und Aktivisten zu öffnen, um Positionen und Forderungen zu erarbeiten, die von der Basis geteilt und gleichermaßen vertreten werden. Welche andere Partei fände den Mut, angesichts einer derart weitreichenden Weichenstellung nicht auf die ausschließliche Definitionsgewalt und Richtungskompetenz ihrer Führung zu setzen, sondern im Gegenteil eine von unten entwickelte Prioritätensetzung gutzuheißen, an der nicht zuletzt außerparteiliche Kräfte mitgewirkt haben!

Präsentation der Resolution durch die Landesverbände - © 2010 by Schattenblick

Präsentation der Resolution durch die Landesverbände
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Diese Offenheit fand auch in der Gestaltung der inhaltlichen Arbeit ihren Niederschlag. Die themenbezogenen Beiträge leisteten großenteils außerparteiliche Experten, wie auch die Mitarbeit bis hin zur Gestaltung der Resolutionsentwürfe allen Interessierten offenstand. Da in zweijähriger Vorarbeit wesentliche Stoßrichtungen vorgebahnt worden waren, drohte nicht die Gefahr zufallsbedingter Beliebigkeit. Andererseits schloß die fundierte Vorstrukturierung und Referentenbesetzung der Arbeitsgruppen Impulse durch Außenstehende keineswegs aus. Berücksichtigt man, daß die dabei entworfenen und später vom Plenum angenommenen Resolutionen die künftige energiepolitische Parteiarbeit maßgeblich prägen sollen, findet man in dieser Verfahrensweise ein hohes Maß an demokratischer Partizipation.

Die sechs beteiligten Landesverbände der Linkspartei boten jeweils ein Forum an, das mit einem kurzen Input eröffnet und sodann mit Impulsreferaten fortgesetzt wurde. War diese Konzentration auf das Thema samt wesentlich damit verbundenen Fragen und Problemen geleistet, folgte die ausgiebige Diskussion, die schließlich in die Formulierung der Resolutionsentwürfe mündete. Eine Zusammenfassung der später vom Plenum per Akklamation verabschiedeten Resolution mag verdeutlichen, welche thematischen Schwerpunkte bearbeitet wurden und wohin die grundsätzliche Stoßrichtung weist.

Annahme der Resolution per Akklamation - © 2010 by Schattenblick

Annahme der Resolution per Akklamation
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Wie es in der Präambel der Resolution heißt, bestehe angesichts einer weltweiten Renaissance der Atomkraft wie auch der zugespitzten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Energiepolitik in Deutschland die Notwendigkeit einer Systementscheidung zwischen der Zementierung des fossil-nuklearen Status quo auf der einen und dem konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien auf der anderen Seite. Die Entscheidung für eine Energiewende sei keine Frage der technischen Realisierung, sondern eine des politischen Willens. In den bestehenden marktradikalen kapitalistischen Strukturen werde es jedoch keine Energiewende, erst recht nicht eine sozial gerechte, geben. Diese sei nur durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen, durch die Demokratisierung der Energieversorgung und durch massive öffentliche Investitionen zu erreichen. Die Wende dürfe nicht in die Zukunft verschoben, sie müsse vielmehr sofort in Angriff genommen werden. Gemeinsam mit der Anti-Atom-Bewegung werde man für die richtige Weichenstellung kämpfen.

Gefordert werden im einzelnen die sofortige Stillegung aller Atomreaktoren, ein vollständiger Ausstieg aus der globalen Energiewirtschaft, das erneute Aufrollen der Frage der Endlagerung, die Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien, die Rückführung der Energieversorgung in öffentliche Verantwortung sowie eine konsequente Umsetzung der Energiewende durch Stadtwerke in öffentlicher Hand. Diese in den sechs Foren präzisierten Schwerpunkte decken nicht nur die Breite der energiepolitischen Thematik ab, sondern repräsentieren in ihrer inhaltlichen Festlegung zugleich eine Verknüpfung mit der sozialen Frage. Indem Energieversorgung als Grundrecht angemahnt und eine direkte demokratische Einflußnahme der Einwohner im Versorgungsgebiet gefordert wird, behandelt man die angestrebte Energiewende nicht nur in einem technischen und ökologischen Sinn, sondern holt sie zugleich in die Verfügung durch die Bevölkerung zurück.

Heiße Eisen anzufassen scheute man sich nicht: So wurde auch die Forderung nach Vergesellschaftung der vier großen Energiekonzerne RWE, Eon, Vattenfall und EnBW in die Resolution aufgenommen, was noch für innerparteiliche Bauchschmerzen sorgen dürfte, vor allem aber Kritiker der Linkspartei einmal mehr Zeter und Mordio schreien lassen wird. Es wäre der Partei im allgemeinen wie auch mit Blick auf ihre künftige energiepolitische Ausrichtung im besonderen zu wünschen, daß sie sich davon nicht beeindrucken läßt und eher der Fundamentalopposition und Basisbindung den Zuschlag gibt, als unter dem Fremddiktat der Koalitionsfähigkeit ihre Positionen und damit über kurz oder lang sich selbst zu verwässern.

Wo Form und Inhalt glücklich korrespondieren, soll man mit Lob nicht knausrig sein. Hochkarätig besetzt, thematisch anspruchsvoll und richtungsweisend in ihrem Ertrag, bot die Energiekonferenz ihren rund 400 Teilnehmern zugleich ein hohes Maß an gelungener Organisation, die maßgeblich dazu beitrug, daß sie als Stätte zahlreicher Begegnungen und Gespräche auch die nicht zu unterschätzende persönliche Kontaktnahme beförderte. Und da für das leibliche Wohl durchgängig und auf denkbar unkomplizierte Weise gesorgt war, stellte sich eine Atmosphäre ein, wie man sie sich für eine solche Tagung nur wünschen kann. Blickt man voraus, welchen Niederschlag die Beschlußlage der Konferenz in der künftigen deutschen Energiepolitik finden mag, so denkt man zugleich mit Behagen an die Zusammenkunft zurück, in deren Rahmen dieser Kurs angelegt wurde.

Fußnoten:

[1] http://www.ilo169.de/

[2] http://www.aktionsgruppe.de/news/53985599ae14e2f01/index.html

[3] http://schattenblick.net/infopool/umwelt/meinunge/umsp0006.html

[4] http://www.independentwho.info/Chan_22_04_09_DE.php

[5] http://www.umweltinstitut.org/

Literatur:

Armin Simon, .ausgestrahlt e.V.: Der schmutzige Atom-Brennstoff. www.ausgestrahlt.de

Anmerkungen:

Die Schattenblick-Redaktion wird die Berichterstattung zur Energiekonferenz in den kommenden Tagen mit weiteren Ausarbeitungen und Interviews zu diesem Thema vertiefen. Wir werden die Beiträge unter POLITIK -> REPORT -> BERICHT und POLITIK -> REPORT -> INTERVIEW einstellen.

Näheres unter: BERICHT/033: Energiekonferenz - sozialer Widerstand gegen Monopolanspruch der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/034: Energiekonferenz - Podiumsdiskussion zu Alternativen der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/035: Energiekonferenz - Fachvorträge mit Biß gegen Profitstreben und Kontrollzuwachs (SB)
INTERVIEW/044: Energiekonferenz - Alexis Passadakis von Attac (SB)

Ausklang im Abendrot - © 2010 by Schattenblick

Himmlisch illuminierter Ausklang
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10. September 2010