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INTERVIEW/014: Otmar Steinbicker zur Organisation der Anti-NATO-Proteste (SB)



Anläßlich des NATO-Gipfels in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden organisierten die Gegner der Militärallianz nicht nur mehrere Demonstrationen, auf dem die Bürger ihren Einspruch gegen die fortdauernde Existenz dieses Kriege begünstigenden und führenden Militärbündnisses artikulieren konnten. Sie richteten auch einen zweitägigen Kongreß aus, auf dem die theoretischen Grundlagen der notwendigen Kritik nicht nur an der NATO, sondern auch der Demontage des internationalen Völkerrechts, der Militarisierung der EU und der Umwidmung klassischer Landesverteidigung in aggressive Präventionsdoktrinen erarbeitet und vertieft wurden. Sie sorgten für die Unterbringung Tausender aus aller Welt anreisender Demonstranten in einem internationalen Widerstandscamp, sie unterstützten Aktionen zivilen Ungehorsams, mit dem der Ablauf des NATO-Gipfels auf gewaltfreie Weise behindert werden sollte, und etablierten eine informationelle Logistik persönlicher, gedruckter und elektronischer (www.no-to-nato.org) Art, um den Aktivisten allen Widrigkeiten, mit denen die Behörden das Zustandekommen eines machtvollen Protests zu verhindern suchten, zum Trotz einen Leitfaden an die Hand zu geben.

Im Unterschied zu den Herren des Krieges verfügen die NATO-Gegner weder über bürokratische Institutionen noch administrative Befugnisse, weder über staatliche Gelder noch über exekutive Gewaltorgane, um ihrem Widerstand Geltung zu verschaffen. Ihr Protest ist auf die zusehends von repressiver Staatsräson belagerte und von konformistischen Medien in ihrer elementaren Bedeutung für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft ignorierte Basis demokratischer Rechte beschränkt. Die dazu erforderliche Arbeit der Organisation und Mobilisierung wurde größtenteils aus persönlichem Interesse und zivilgesellschaftlichem Engagement geleistet.

Über 400 Organisationen unterzeichneten den internationalen Aufruf "Nein zum Krieg - Nein zur NATO", Zehntausende Menschen aus aller Welt nahmen an den Veranstaltungen und Aktionen gegen den NATO-Gipfel teil, allein das ist ein großer Erfolg der internationalen Bewegung gegen den Krieg. Besonders auffällig war die politische Vielschichtigkeit des Protests. Sie erstreckte sich von der klassischen Friedensbewegung über Mitglieder etablierter Parteien bis hin zur radikalen Linken, ohne daß es in dem gemeinsamen Anliegen, die NATO abzuschaffen, einen Dissens gegeben hätte. Was sich im Verlauf der Hauptdemonstration in Strasbourg an Problemen auftat, hat sehr viel mit den weit im Vorfeld greifenden staatlichen Maßnahmen gegen die Demonstranten zu tun. Hier schnelle Urteile über Sinn und Zweck eines so breiten Aktionsbündnisses zu fällen wäre ganz im Sinne derjenigen, gegen die sich die Proteste vor allen Dingen richteten.

Am Rande des Internationalen Kongresses, der in diesem Rahmen in Illkirch-Graffenstaden nahe Strasbourg abgehalten wurde, hatte der Schattenblick die Gelegenheit, dem Friedensaktivisten Otmar Steinbicker einige Fragen zum organisatorischen Hintergrund der Gegenveranstaltungen zu stellen. Steinbicker ist Mitglied des dafür zuständigen International Coordinating Committee (ICC), Vorsitzender des Aachener Friedenspreis e. V. und Mitglied der Kooperation für den Frieden.

Otmar Steinbicker - © 2009 by Schattenblick

Otmar Steinbicker
© 2009 by Schattenblick
Schattenblick: Könnten Sie unseren Leser etwas über die Vorgeschichte des ICC als Koalition der Organisatoren mitteilen?

Otmar Steinbicker: Das ICC hat sich im ersten Vorgespräch während des Afghanistankongresses in Hannover im Juli 2008 zusammengefunden. Dort wurde die Idee geboren, auch zu 60 Jahren NATO aktiv zu werden. An diesem Kongreß nahmen wichtige Personen, die heute als prominente Teilnehmer auftreten, teil. Wir haben am Vorabend der Afghanistan-Konferenz zusammengesessen und erste Gedanken in diese Richtung entwickelt. Das hat sich dann im Oktober letzten Jahres in Stuttgart konkretisiert. Dort wurden die wesentlichen Strukturen geschaffen. Wir haben mit dem Material, das wir bekommen haben, den Appell von Stuttgart formuliert. Mit dieser inhaltlichen Bestimmung wurden auch die strukturellen Voraussetzungen geschaffen.

Es sollte vier Schwerpunkte geben - die Demonstration, der Kongreß, das Camp und die Aktionen zivilen Ungehorsams. Diese Maßgabe war schon im Oktober Konsens, und das mußte dann natürlich gefüllt werden. Den Kongreß mit seinen Referenten und mit seinen vielen Workshops auszurichten war ein Prozeß, der im weiteren stattfand, das gleiche gilt für andere Bereichen wie die Demonstration, eine auch komplexe und schwierige Geschichte, zu dem komplizierte Verhandlungen geführt werden mußten.

SB: Wer tritt hauptsächlich als Ansprechpartner für die deutschen und französischen Behörden auf?

OS: Rainer Braun ist derjenige, der den Mietvertrag für das Camp unterzeichnet hat, er ist einer der Sprecher des ICC.

SB: Aber alle Vertreter des ICC kommen sozusagen aus ihren eigenen organisatorischen Zusammenhängen?

OS: Richtig. Rainer Braun gehört zu IALANA, beziehungsweise ist auch einer der Sprecher der Kooperation für den Frieden, einem Zusammenschluß von 50 Friedensorganisationen in Deutschland, für den ich auch als Sprecher aktiv bin.

SB: Sind Mitglieder der Linken sozusagen in Doppelfunktion dabei, oder tritt die Linke eher als eigenständige Organisation auf?

OS: Es treten hier auch Mitglieder aus den organisatorischen Bezügen der Linken auf, also nicht nur Vertreter der klassischen Friedensbewegung. Das sehen Sie auch bei den Workshops, an denen sich diese und jene Organisationen der weltweiten und nationalen Friedensbewegungen beteiligen. Hin und wieder ist die Linke als Partei mit dabei, auch auf französischer Seite, das wird offen und locker gehandhabt.

SB: Wie steht es um die deutsch-französische Zusammenarbeit?

OS: Die ist gut und ist natürlich in dem ganzen Vorbereitungsprozeß sehr gestärkt worden.

SB: Damit wird auch der positive Effekt des PR-Gags, den NATO-Gipfel als deutsch-französische Veranstaltung durchzuführen, ein wenig gekontert.

OS: Natürlich, es hat vorher auch Kontakte zwischen der deutschen und der französischen Friedensbewegung gegeben. Das war die Grundlage dafür, daß wir sagen konnten: "Wir machen das." Und wir konnten das in vergleichsweise kurzer Zeit machen, aber natürlich sind diese Beziehungen durch ein solches Zusammenwirken, auch durch das Lösen komplizierter Probleme, gewachsen.

SB: Verstehen sie dies womöglich auch als Basis der zukünftigen Perspektive einer breiteren Friedensbewegung, die über einen belastbaren, organisatorischen Kern verfügt?

OS: Ja, unbedingt. Wenn ich sehe, wie wir in Hannover angefangen haben, wo es natürlich die strukturellen Bezüge gab, wo man diesen oder jenen kannte, dann ist die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Organisationen, die als Grundlage dafür fungierte, daß man das überhaupt in der Breite machen konnte, deutlich gestärkt worden. So ist eine sehr enge, persönliche Zusammenarbeit entstanden. Wenn man über Stunden, über Wochen, über Monate miteinander arbeitet, da wächst einfach etwas heran, und das ist dann die Basis für weitere Aktionen. Und man weiß, zu was man in der Lage ist, man weiß dann auch exakter, wer was einbringt, und das trägt zu einer unheimlichen Verstärkung der internationalen Kontakte bei und auch der Möglichkeiten, gemeinsam zu agieren. Das ist ein Riesengewinn.

SB: Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich über Spenden und Beteiligungen der Mitglieder?

OS: Vor allen Dingen über die Beteiligung der Mitgliedsorganisationen, jetzt wird noch versucht, über Spenden der Teilnehmer etwas beizusteuern.

SB: Herr Steinbicker, vielen Dank für das Gespräch.

15. April 2009