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INTERVIEW/030: Claudia Grothe, Bündnis für die Einstellung der §129-Verfahren (SB)


Interview mit Claudia Grothe am 14. Oktober 2009 in Berlin


Begründet wurde die Höhe der am 16. Oktober vom Staatsschutzsenat am Berliner Kammergericht über Florian L., Axel H. und Oliver R. verhängten Haftstrafen von drei und dreieinhalb Jahren wegen Mitgliedschaft in der als kriminelle Vereinigung eingestuften "militanten gruppe" unter anderem mit der Absicht der Abschreckung. Richter Josef Hoch erklärte, damit ein Zeichen gegen linksextremistische Brandstiftungen setzen zu wollen. Große Teile der bürgerlichen Presse sekundierten, indem sie das Extremismusstigma in ihren Titelzeilen kolportierten, während sie den begründeten Einwand der Verteidiger, der Verfassungsschutz habe den Prozeß gesteuert, gänzlich unerwähnt ließen. Letzteres verwies Hoch als "Verschwörungstheorie" ins Feld paranoider Wahnvorstellungen, obwohl Geheimdienste häufig auf eine Weise Einfluß auf Staatschutzverfahren nehmen, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ebensowenig zu vereinbaren ist wie ein Strafrecht, das Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit und ihrer Gesinnung kriminalisiert.

In Anbetracht dieses Ausgangs des mg-Prozesses und der in seinem Verlauf aufgetretenen Widersprüche und Ungereimtheiten ist eine öffentliche Debatte um die Kriegführung der Bundesrepublik in Afghanistan, den demokratischen Widerstand gegen Militarismus und Imperialismus sowie die Bedeutung des politischen Strafrechts als Instrument der Exekutive zur Einschüchterung der Bevölkerung dringender denn je erforderlich. Der Schattenblick hatte zwei Tage vor der Urteilsverkündigung die Gelegenheit, Claudia Grothe als Vertreterin des Einstellungsbündnisses (https://einstellung.so36.net/), das die Solidaritätsarbeit im mg-Prozeß organisiert hat, einige Fragen zum Verlauf des Verfahrens und den Perspektiven antimilitaristischen Engagements zu stellen.

Schattenblick: Frau Grothe, wie sind die Anwälte im mg-Prozeß ihrer Ansicht nach dazu gekommen, mit ihrem Nicht-Plädoyer einen krassen Schnitt zu machen?

Claudia Grothe: Das ist eher etwas, das die Anwälte unter sich und natürlich mit den Beschuldigten besprochen haben. Auch wir haben das so diskutiert, daß es der einzig wirklich konsequente Schritt am Ende dieses Prozesses war. Die Anwälte konnten ihn die ganze Zeit nur begleiten, indem sie versucht haben herauszufinden, welche Akten fehlen noch, indem sie versucht haben, diese leidliche Spitzelgeschichte aufzuklären, bei der doch nur herauskam, daß es sich um jemanden handelte, der irgendetwas vom Hörensagen mitbekommen hat. Die Verteidigung war eigentlich die ganze Zeit mit derartigen Dingen beschäftigt. Es war ihr nicht möglich, den Prozeß in dem Sinne politisch zu führen, daß sie zum Beispiel mit den politischen Beweisanträge durchgedrungen wäre, so daß es zu einer Debatte darüber gekommen wäre, was den Beschuldigten vorgeworfen wird.

Natürlich hätten die Anwälte in einem Plädoyer jedes einzelne Indiz, die ja sehr schwach sind, auseinandernehmen können. Doch die Staatsanwaltschaft hat selbst in ihrem Plädoyer eingestanden, daß die einzelnen Indizien sehr schwach sind. Ihrer Ansicht nach reicht es jedoch in der Gesamtschau für eine Verurteilung aus, so daß das gar keinen Sinn gemacht hätte. Von daher halte ich das für einen konsequenten und guten Schritt, um damit der Öffentlichkeit ein ganz anderes Signal zu geben, um zu sagen "wir machen das nicht mehr mit" , anstatt zu sagen "ja, wir spielen den uns zugedachten Part".

SB: Also ging es schon darum deutlich zu machen, daß die Verfahrenshindernisse so groß waren, so daß man gar nicht zum Kern der Sache hätte vorstoßen können? Es war ja ein wenig wie eine Demonstration der Anwälte gegen die Behinderung, die sie etwa in Bezug auf die Schikanierung der Besucher, die wir erleben konnten, auch angesprochen haben.

CG: Ja, und diese Maßnahmen haben Wirkung gezeigt. Ich kenne Leute, die gehen nicht zu dem Prozeß, weil vorher ihr Paß kopiert wird und weil dort Beamte vom BKA sitzen, die genau mitschreiben, wer wie reagiert hat, ob man vielleicht geklatscht hat oder nicht.

SB: Kann man sagen, daß zu Beginn des Prozesses mehr Zuschauer kamen als in der Endphase?

CG: Ja. Ich glaube, daß liegt auch daran, daß der Prozeß jetzt schon eine ganze Weile lief und es natürlich auch Prozeßtage gibt, die aus der Sicht der ZuschauerInnen einfach langweilig sind.

SB: Immerhin waren heute die Schlußplädoyers der Verteidigung angesetzt und es sind nicht mehr als höchstens 20 Personen gekommen.

CG: Ja, am Anfang des Prozesses kamen sehr viele, und dann hat das nachgelassen. Man muß schon sagen, daß das Interesse im Lauf der Zeit geringer geworden ist. Ich denke aber, daß es am Freitag noch einmal richtig voll wird. Es sind ja drei Demonstrationen angekündigt, in Berlin, Hamburg und Stuttgart, und ich gehe schon davon aus, daß viele Leute hingehen werden.

SB: Daß die Anwälte versucht haben, Antimilitarismus mit politischen Beweisanträgen als legitime Einstellung und Handlung darzustellen, war ja ein sehr interessanter Schritt. Damit haben sie in gewissem Ausmaß selbst Position bezogen, was ein normaler Strafverteidiger eher nicht machen machen würde. Wie seht ihr das als Einstellungsbündnis, haben die Anwälte diese Vorgehensweise erwogen, weil sie selbst stärker politisiert sind? Oder handelte es sich eher um einen strategischen Winkelzug, der aus praktischen, aus verfahrenstechnischen Gründen gewählt wurde?

CG: Wir als Einstellungsbündnis arbeiten auch mit den Anwälten zusammen, zwar nicht die ganze Zeit, aber an bestimmten Punkten. Ich würde davon ausgehen, daß die Angeklagten sich ihre Anwälte so ausgesucht haben, daß es sich nicht um Strafverteidiger handelt, die überhaupt nichts in ihrem Sinne für sie tun würden.

SB: Also ist diese Strategie auch unter Beteiligung der Beschuldigten zu Stande gekommen?

CG: Ja, genau. Auf jeden Fall auch unter Beteiligung des Solikreises, weil wir mit unserer Öffentlichkeitsarbeit immer versucht haben, das Thema Antimilitarismus in den Prozeß einzubringen.

SB: Sind die politischen Beweisanträge von den Medien zur Kenntnis genommen worden? Hat der Schritt zu versuchen, Staatschefs vorzuladen, um Kriegsschuldfragen zu klären, über das Umfeld des Prozesses hinaus Reaktionen erzeugt?

CG: Sehr wenig. Was eigentlich in allen Berichten, die es gab, vorkam, war ein Satz wie "die Anwälte versuchen darüber, die politische Dimension dieses Prozesses deutlich zu machen". Aber dann war auch Schluß. Welche politischen Dimensionen sie damit meinten, welches Thema sie damit aufgreifen wollten, ob sie womöglich die Frage stellen wollten, ob sich dieses Land im Krieg befindet oder nicht, ob man nicht eine Debatte darüber führen müßte, das geht für die gutbürgerlichen Medien zu weit. Leider.

SB: Auf einer Infotour des Einstellungsbündnisses wurde erklärt, daß ihr euch aus Freunden, Verwandten und Genossen der Beschuldigten gebildet habt. Ist eure Unterstützungsarbeit eher Bestandteil des antimilitaristischen Widerstands, oder seit ihr mehr aus persönlichen Gründen zusammengekommen?

CG: Ich würde sagen, der Anfangspunkt bestand schon darin, daß sich FreundInnen und GenossInnen zusammenfanden, aber natürlich sind die meisten von uns auch irgendwo anders politisch aktiv. Wir verstehen uns auch als AntimilitaristInnen und wollen das, was den Beschuldigten vorgeworfen wird, thematisieren. Warum kommt überhaupt jemand auf die Idee zu versuchen, Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden, dies gilt es eben auch zu vermitteln. Und der Wunsch, darüber eine Debatte zu führen, ist nicht gleichbedeutend damit, daß wir sagen, das war richtig und alle anderen sagen es auch, aber ich finde, wir brauchen einfach eine Debatte darüber und es muß möglich sein zu sagen, was wichtiger Widerstand ist. Das Bündnis versucht, auf die politische Ebene des Prozesses zu verweisen. Es geht auch darum, was da verhandelt wird und nicht nur, wie es verhandelt wird.

SB: Inwieweit ist euch gelungen, Kreise über die direkten Aktivisten hinaus anzusprechen? Gibt es irgendwelche Resonanz in der bürgerlichen Presse, in linksliberalen Medien oder unter Politikern?

CG: Ich würde sagen, auf einer Parteienebene gibt es nur die Linkspartei, von denen Abgeordnete immer wieder einmal den Prozeß beobachtet oder von sich aus Stellungnahmen dazu abgeben haben. Wenn ich mir unseren Pressespiegel anschaue, dann finde ich schon, daß es eine Resonanz gibt, daß Artikel erscheinen. Die informieren aber in erster Linie über den Stand des Prozesses. Man kann nicht davon ausgehen, daß es Interesse gibt, das Thema Antimilitarismus anzusprechen.

SB: Seid ihr ansonsten zum Beispiel mit Anti-NATO-Aktivisten vernetzt, oder kämpft ihr mehr an eurer Front und die anderen an einer anderen?

CG: Ich würde das nicht als Netzwerk bezeichnen, das nicht, aber es gab durchaus Sachen, die wir nicht selber organisiert haben, sondern die andere Gruppen gemacht haben. Wir hatten diese Veranstaltung, zu der ihr über diese Flyer berichtet hattet (siehe INFOPOOL/POLITIK/REPORT-INTERVIEW/009), die wurde einfach von Berliner AktivistInnen organisiert, die nicht im Einstellungsbündnis sind, und die gesagt haben, wir brauchen einmal eine Veranstaltung darüber. Wir hatten Leute aus den Niederlanden und aus Irland eingeladen, die über ihre Aktionen berichtet haben. Es gibt durchaus Unterstützung aus antimilitaristischen Kreisen, die ja nun nicht so wahnsinnig groß sind, aber wenn sie etwas machen, dann sagen sie Bescheid, worum es geht, und wir machen dann auch Werbung dafür, aber das kommt eben von ihnen und nicht von uns.

SB: Richtet sich eure Arbeit auch generell gegen das politische Strafrecht nach § 129/a/b?

CG: Die Beschäftigung damit war am Anfang viel mehr unser Anliegen, später ging es eher darum, das Thema Antimilitarismus nach vorne zu bringen, und jetzt würde ich sagen, läuft es zweigleisig. Allerdings ist das Einstellungsbündnis nach zwei Jahren nicht besonders groß, doch es werden schon beide Sachen behandelt. Zum Beispiel hatten wir einen Redebeitrag bei der "Freiheit statt Angst"-Demo zum Thema politisches Strafrecht.

SB: Besteht unter dem Teil der Bürgerrechtsbewegung, der sich dort speziell auch in Hinsicht auf elektronische Überwachung formiert hat, Interesse am mg-Prozeß und der damit zusammenhängenden Entwicklung des politischen Strafrechts?

CG: Nein, aber es war umgekehrt auch nicht so, daß wir bei diesem Bündnis bei Vorbereitung unwillkommen waren.

SB: Die Frage stellt sich insofern, weil diese Bürgerrechtsbewegung ja einen gewissen Zulauf hat, wie man zum Beispiel an der Piratenpartei sieht, aber gleichzeitig in anderen Fragen recht unpolitisch ist. Wie paßt das zusammen, wenn man es mit Leuten zu tun hat, die aus politischen Gründen verfolgt werden? Ich habe den Eindruck, da werden durchaus in einem gewissen Ausmaß Grenzen gezogen oder es herrschen zumindest Distanzen vor, so daß die Linke doch ziemlich auf sich gestellt ist.

CG: Da kann man einfach nur ja sagen und Punkt. Natürlich, das ist so, und trotzdem fand ich es gut, daß wir die Möglichkeit hatten, unseren Beitrag zu halten. Am Anfang hat diese Form der Unterstützung beim Prozeß noch eine viel größere Rolle gespielt, da hat etwa das Komitee für Grundrechte von sich aus Stellungnahmen abgegeben. Ich bin gespannt, ob sie sich zur Urteilsverkündung von sich aus mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit wenden oder nicht.

SB: Inwiefern hat die Bundesanwaltschaft in einem politischen Sinn, sozusagen zur Verteidigung des herrschenden Systems, argumentiert? Oder haben sich die Bundesanwälte strikt an die Gesetzestexte und das juristische Prozedere gehalten?

CG: Ich finde, daß sie sich nicht besonders viel Mühe gegeben haben. Ich finde, sie haben sich nicht die Mühe gemacht so zu tun, als würden sie tatsächlich rechtsstaatlich agieren. Sie haben eher demonstriert, daß die Macht auf ihrer Seite ist und daß sie es auch nicht nötig haben, sehr intensiv auf die konkreten Fragen einzugehen. Bestimmte Dinge wie etwa die Fragen, welche Akten eigentlich zugänglich sind und welche nicht, wie es um die Zusammenarbeit mit Verfassungsschutz und Polizei bestellt ist, waren für sie nicht wichtig. Die Ankläger haben eher vermittelt, daß sie es sich leisten können, darüber hinwegzugehen, ohne sich darum zu kümmern, ob damit die Glaubwürdigkeit der Demokratie angekratzt wird.

SB: Die Bundesanwaltschaft war sich also relativ sicher, daß es keine größere Öffentlichkeit geben würde, die dagegen protestierte, wenn zum Beispiel das Trennungsgebot von Geheimdienst und Polizei verletzt wird oder Zeugen der Anklage anonym auftreten?

CG: Diese linksliberale Öffentlichkeit, die das in den vergangenen Jahren getragen hat, ist ja auch ziemlich zusammengebrochen. Es gibt auf der Ebene keine große Diskussion. Ich denke schon, daß sich die Ankläger sicher sind, daß da nicht viel kommen wird. Sie demonstrieren aber auch einfach, daß das für sie keine wirklich wichtige Frage ist.

SB: Wie sehen Sie die Entwicklung des antimilitaristischen Aktivismus?

CG: Ich würde schon sagen, daß sich auf dem Feld des Antimilitarismus etwas getan hat. Das kann jetzt die Berliner Sicht auf die Dinge sein, aber ich habe schon das Gefühl, daß sich plötzlich mehr Leute interessieren, wie etwa im Fall der Auseinandersetzung um die DHL, die sich bei der Bundeswehr als Logistikdienstleister bewirbt. Wenn sich so eine Kampagne plötzlich herausbildet wie "Bundeswehr wegtreten!" in Köln, die zum Beispiel in den Schulen dagegen angehen, daß die Bundeswehr dort immer mehr agitiert, dann sind das relativ neue Initiativen. Ich glaube tatsächlich, daß diese Debatte kommen wird, schon alleine deshalb, weil die Bundeswehr immer aktiver wird, weil sie Dinge macht wie diesen Angriff auf den Tanklastzug.

SB: Möglicherweise könnten die Menschen genau gegenteilig reagieren. Angenommen, in Afghanistan sterben viele Bundeswehrsoldaten und das wird in den Boulevardmedien entsprechend aufbereitet, dann könnte dies auch einen revanchistischen Charakter annehmen, so daß die Mobilisierung in eine ganz andere Richtung läuft. Ich weiß nicht, ob die Deutschen sich noch gut genug an ihre eigene Vergangenheit erinnern. Es heißt zwar immer, die Bundesbürger wären mehrheitlich gegen Krieg eingestellt, und das sind sie Umfragen gemäß auch, aber sie sind auch nicht bereit, sich dagegen stark zu machen, nicht einmal an der Wahlurne. Wenn dieses Thema Priorität hätte, dann hätte die Linke als einzige Partei, die relativ deutlich gegen den Afghanistankrieg auftritt, theoretisch sehr viel mehr Stimmen bekommen müssen. Ich bin da leider nicht nur optimistisch.

CG: Nein, dieser Teil wird mit Sicherheit auch zunehmen.

SB: Frau Grothe, vielen Dank für das Gespräch.

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19. Oktober 2009