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INTERVIEW/044: Energiekonferenz - Alexis Passadakis von Attac (SB)


Interview am 4. September 2010 in der Hamburger Fabrik


Am Rande der Energiekonferenz der Partei Die Linke in Hamburg am 3./4. September 2010 hatte der Schattenblick Gelegenheit, ein Interview mit Alexis Passadakis zu führen. Der Politikwissenschaftler ist Mitglied des Attac-Koordinierungskreises und arbeitet vor allem zu den Themen Weltwirtschaft und Umwelt/Klimagerechtigkeit. Er ist derzeit aktiv in der bundesweiten Projektgruppe "Krisen", arbeitet bei AttacBerlin in der "Projektgruppe Krise & Protest" und hat auf der Energiekonferenz ein Impulsreferat gehalten.

Alexis Passadakis - © Schattenblick

Alexis Passadakis
© 2010 by Schattenblick

Schattenblick: Sie sind in der Organisation Attac aktiv. Haben Sie die Ziele von Attac hier auf dem Kongreß der Partei Die Linke wiedergefunden?

Alexis Passadakis: Zunächst einmal ist es so, daß sich Attac im Rahmen einer Stromkonzernkampagne, die vor einigen Jahren startete, mit dem Thema Energiekonzerne beschäftigt hat. Dabei war die Stoßrichtung aufgrund der Erfahrung mit Privatisierung, daß es eine demokratische Kontrolle in der Energiewirtschaft geben muß. Das heißt, daß Stromversorgung nicht privat profitorientiert sein darf, aber daß es auch kein Zurück zu der alten obrigkeitsstaatlichen Form von Stadtwerken mit ihrem Filz geben soll. Ich habe den Eindruck, daß das Bewußtsein dafür gewachsen ist, daß neue Formen von öffentlichem Eigentum mit einer Kontrolle über Mechanismen partizipativer Demokratie sinnvoll und wichtig sind. Inwieweit das dann aber in dem realen politischen Prozeß eine Rolle spielen wird, würde ich erstmal noch offenhalten. Im Prinzip habe ich hier sehr viel Interesse wahrgenommen, aber da es dafür in Deutschland bislang noch keine Beispiele gibt, handelt es sich um eine neue Qualität. Es ist eben die Frage, ob es im politischen Alltag möglich ist, das auch umzusetzen.

SB: Attac ist auch für den Atomausstieg - kann man das sagen oder gibt es da innerhalb der Bewegung unterschiedliche Meinungen?

AP: Nein, Attac hat keine explizite Antiatompolitik. Es besteht jedoch ein nicht ausartikulierter Konsens darüber, und Attac beteiligt sich immer an Antiatomprotesten, auch wenn wir derzeit keine eigenständige Politik zu diesem Thema entwickeln.

SB: Inwiefern verfolgt Attac die Idee einer Ökonomie ohne Wachstum?

AP: Seit es Attac gibt, gibt es auch immer wieder Diskussionen zum Thema Wachstumskritik. Sie standen nicht im Vordergrund, haben aber immer eine Rolle gespielt. Seit ganz kurzer Zeit gibt es eine zweite Welle des Interesses an diesem Thema, wobei in Attac kein Konsens darüber besteht, wie diese Frage von Wirtschaftswachstum letztendlich zu beantworten ist. Es existiert jedoch eine breite Strömung, die sich für eine Postwachstums-Ökonomie einsetzt, zu der ich auch gehöre. Ich glaube, daß es jetzt angesichts der Krise der Weltwirtschaft, angesichts der ökologischen Grenzen, zwingend ist, sich mit einem neuen Horizont von Ökonomie, mit einer neuen Grammatik von Ökonomie zu beschäftigen. Ich glaube, daß Postwachstums-Ökonomie da eine Fluchtlinie darstellt, die sehr plausibel ist.

SB: Gibt es weltweit irgendwo Beispiele, wo so etwas bereits auf lokaler oder höherer Ebene praktiziert wird?

AP: Abgesehen davon, daß es gewisse traditionelle Residuen von teilweise indigener Ökonomie gibt, die nicht auf Wachstum beruht, sind ja in den letzten Jahrzehnten vermehrt Erfahrungen mit solidarischer Ökonomie hinzugekommen, die auch nicht unbedingt auf Wachstum zielt. Allerdings gibt es das auf der Ebene einer ganzen Volkswirtschaft, auf der Ebene einer ganzen Wirtschaftsregion, noch nicht. Das wird dann tatsächlich ein neuer Horizont, wenn sich Staaten oder ganze Regionen entschließen, in diese Richtung Politik zu machen. Das wäre ein Novum und ein massiver Umbruch dessen, was wir bisher an Wirtschaftspolitik kennen.

SB: Könnten Sie sich einen sanften Kapitalismus vorstellen, der für Sie akzeptabel wäre?

AP: Ich kann mir verschiedene Formen von Kapitalismus vorstellen, die akzeptabler sind, aber gleichzeitig gibt es ein grundsätzliches Nein von mir, weil ich der Überzeugung bin, daß die Grundmechanismen der kapitalistischen Ökonomie mit ihrem Privateigentum, dem Drang nach Profitmöglichkeit, der Ausbeutung von Natur und Mensch, dem Wachstumszwang, der im Kapitalismus drinsteckt, grundsätzlich einer solidarischen Gesellschaft widersprechen. Aber natürlich geht es darum, im Hier und Jetzt um Formen zu ringen, die eine Alternative darstellen. Grundsätzlich müssen diese Mechanismen so weit wie möglich zurückgedrängt werden.

SB: Haben Sie den Eindruck, daß in der Europäischen Union, aber auch in den USA, die Sicherheitsapparate schärfer gegen Klimaaktivisten der Anti-AKW-Bewegung vorgehen? Ich denke da an die Vorfälle bei der Klimakonferenz in Kopenhagen - ist in dieser Hinsicht eine Zunahme zu beobachten?

AP: Ja. Vielleicht noch ein ganz kleiner Nachtrag zur vorangegangenen Frage. Grundsätzlich ist es so, daß es in Attac darüber keinen Konsens gibt wie eine zukünftige Ökonomie aussehen sollte. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen, unterschiedliche Ideen, das wollte ich noch hinzufügen. Zur Frage der staatlichen Repression im Bereich von Klimaaktivismus ist mein Eindruck, daß es tatsächlich verstärkt dazu kommt, daß Bürgerrechte grundsätzlich ausgehebelt werden, in Frage gestellt werden, daß es eben diese Formen von Massenverhaftungen gibt, wie sie in Kopenhagen stattgefunden haben, wo die Polizei als Ganzes, als politische Polizei funktioniert, die unliebsame Meinungsäußerungen verhindert, und es auch in der Öffentlichkeit so anerkannt ist und nicht wirklich in Frage gestellt wird. Das erachte ich als sehr, sehr bedrohlich, und mein Eindruck ist auch, daß dies durch europäische und internationale Polizeikooperation gefördert wird, daß es ein Trend ist, der sich so fortsetzt. Und damit werden wir in Zukunft weiter zu rechnen haben. Wenn man Klimapolitik macht, klimapolitisch agiert, ist es wichtig, gleichzeitig ein klares Bild davon zu haben, welche Funktion der Staat hat, und daß man diese Repression auch im Blick hat. Der Staat ist kein neutrales Terrain.

SB-Redakteur im Gespräch mit Alexis Passadakis - © Schattenblick

SB-Redakteur im Gespräch mit Alexis Passadakis
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SB: Stichwort Klimagerechtigkeit - was verstehen Sie darunter?

AP: Für mich ist klar, und das wird auch in Attac und in den Netzwerken, auch in den internationalen Netzwerken, in denen Attac aktiv ist, so diskutiert, daß die Klimafrage nicht technisch zu lösen ist. Und sie ist auch nicht zu lösen mit dem Energiemarkt, mit marktbasierter Umweltpolitik, vielmehr muß die soziale Frage integraler Bestandteil von Klimapolitik sein. Denn sowohl Klimazerstörung als auch Klimapolitik oder Umweltpolitik haben immer eine Klassendimension, eine Geschlechterdimension und sicherlich auch eine ethnische Dimension oder eine Race Dimension, wenn man das jetzt beispielsweise auf die USA bezieht oder global sieht. Klimagerechtigkeit muß für diese Fragen sensibilisiert werden. Das bedeutet vor allen Dingen, daß Gerechtigkeit sozialökologisch gedacht wird, was eine ganz andere Klimapolitik zur Folge hat als diejenige, die bisher gemacht wird. Es geht um lokale demokratische Kontrolle von Ressourcen, lokale demokratische Kontrolle von Energiesystemen, es geht um die Frage von Ernährungssouveränität, um Landfragen, Zugang zu Ressourcen. All diese Fragen stehen im Zentrum und weniger die Frage, was konkret mit dem CO2 passiert ist, weil die dahintersteckende These jene ist, daß man die Produktions- und Konsummuster grundsätzlich verändern muß.

SB: Welche Bedeutung messen Sie der Auseinandersetzung mit der politischen Theorie im Verhältnis zu Aktionsformen wie beispielsweise dem Klimacamp bei? Überwiegt für Sie die Theorie oder in welchem Verhältnis sehen Sie Theorie und Praxis für die Klimafrage?

AP: Es gab ja eine Phase nach der Entstehung der Umweltbewegung, in der unterschiedliche Konzepte, unterschiedliche Theorieformen, wichtige Debatten befeuert haben. Dies hat auch dazu geführt, daß es eine radikale Kritik an der bisherigen Form von Staat und grundsätzlich an der Frage gab, wie eine kapitalistische Ökonomie funktioniert. Diese Debatten sind mit dem Ende des Ostblocks, mit dem Ende des Ost-West-Konflikts, abgebrochen so wie viele andere emanzipatorische Debatten auch. Dann kamen die neoliberalen 1990er Jahre, in denen solche Debatten tot waren. Ich habe den Eindruck, daß es jetzt ein Bedürfnis gibt, neue Konzepte zu entwickeln, wie das Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie gedacht werden kann und soll und dann natürlich insbesondere der Brückenschlag zur sozialen Frage im engeren Sinne. Das erfordert natürlich auch Theoriearbeit, die Arbeit an Konzepten, und ich glaube, daß dies eine sehr, sehr wichtige Rolle spielt. Ich glaube, daß man nur dann die notwendige Transformation anschieben kann, wenn man parallel zu Aktionen daran arbeitet. Ein Aktionismus, der sich nur gegen gewisse Technologien richtet wie zum Beispiel die Kohlekraft, ist auch wichtig, wird aber allein nicht reichen. Man braucht Konzepte, wie sich die Gesellschaft verändern sollte. Deshalb ist die Theoriearbeit sehr, sehr wichtig, und ich habe das Gefühl, daß dies noch zu wenig geschieht.

Alexis Passadakis - © Schattenblick

Konzentriert zur Sache
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SB: Rajendra Pachauri, der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, hat aus Klimaschutzgründen dazu aufgerufen, einmal die Woche einen fleischfreien Tag einzulegen. In der medialen Weiterverbreitung solcher Appelle schleicht sich manchmal ein bezichtigender Tonfall ein. Halten Sie es für legitim, mehr Druck auf die Verbraucher auszuüben, damit sie weniger Fleisch kaufen?

AP: Ich halte nichts davon, wenn Verbraucher, Bürger und Bürgerinnen, von staatlichen Stellen dazu aufgerufen werden, dies oder jenes zu unterlassen. Ich glaube auch, daß es nicht wirkt. Ich glaube, daß der primäre Mechanismus eine andere Landwirtschaftspolitik ist, bei der es auch um Machtverhältnisse geht, weil Massentierhaltungsbetriebe mit transnationalen angekoppelten Funktionsketten natürlich sehr profitträchtig sind. Ich glaube, das ist der dominante Mechanismus. Aber natürlich ist es gut, wenn auch Werbung dafür gemacht wird, vegetarisch zu leben, aber ohne einen moralischen Druck daraus zu machen. Die Frage ist im wesentlichen, wie die europäische Landwirtschaft funktioniert, und da müßte man eigentlich viele Dinge ändern. Es gibt jedoch Lobbyinteressen, die dem entgegenstehen, die sind verankert im Landwirtschaftsministerium, der Bauernverband spielt da eine wichtige Rolle, verschiedene große Konzerne, das sind die eigentlichen Gegner und nicht der Verbraucher.

SB: Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

9. September 2010