Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

INTERVIEW/100: Petersberg II - Michael Aggelidis, Abgeordneter der Linken im Landtag NRW (SB)


Interview mit Michael Aggelidis am 5. Dezember 2011 in Bonn

Michael Aggelidis ist Abgeordneter im Landtag Nordrhein-Westfalen und Mitglied im Landesvorstand NRW der Partei Die Linke. Am Rande der Schiffsdemonstration anläßlich der Internationalen Afghanistankonferenz am 5. Dezember beantwortete der Anwalt mit Kanzlei in Bonn dem Schattenblick einige Fragen zur politischen Arbeit der Linken NRW.

Michael Aggelidis - Foto: © 2011 by Schattenblick

Michael Aggelidis
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Herr Aggelidis, wie ist die Landtagsfraktion Die Linke NRW darauf gekommen, diese Schiffsdemonstration abzuhalten?

Michael Aggelidis: Das ist im Grunde eine klare Orientierung. Der Landesverband und auch die Landtagsfraktion haben entschieden, daß wir uns auf die außerparlamentarischen Bewegungen beziehen und auch deren Aktionen unterstützen. Das hier heute erschien uns ein sehr praktischer Beitrag zu sein, um ein Zeichen friedenspolitischer Natur zu setzen. Auch wenn das jetzt kein klassisches landespolitisches Thema für die Fraktion ist, so ist es doch ein landespolitisches Thema für die Partei.

SB: Ist es vielleicht auch ein landespolitisches Thema, weil die Afghanistan-Konferenz in Bonn stattfindet?

MA: Sicherlich auch deswegen, aber wir als NRWler sind grundsätzlich bei außerparlamentarischen Aktionen dabei, unabhängig davon, ob sie jetzt zufällig in Nordrhein-Westfalen stattfinden oder woanders.

SB: Landespolitik beschränkt sich normalerweise auf kommunale und ähnliche Angelegenheiten. Letztlich ist aber die Frage des Krieges nicht gänzlich von sozialen Fragen zu trennen. Könnte es da möglicherweise einen Trend innerhalb der Linken geben, sich auf Länderebene stärker auch auf solche Fragen zu beziehen?

MA: Ich glaube, daß Die Linke überall gut daran tut, sich auf diese Themen zu beziehen, selbst wenn das Grundgesetz andere Kompetenzbeschreibungen vorsieht und das eher eine Sache der Bundestagsfraktion wäre, weil die Sache von Krieg und Frieden natürlich vor Ort verankert sein muß. Andererseits ist es kein abstraktes Thema, denn wenn wir Milliarden für Kriege in der Dritten Welt ausgeben, dann fehlen uns die Gelder hier bei Schulen oder für die öffentliche Infrastruktur. Insofern ist das natürlich in dieser Form betrachtet immer auch ein kommunal- und landespolitisches Thema.

SB: Sind Ihnen noch andere außerparlamentarische Bewegungen bekannt, die heute hier in Bonn Aktionen planen?

MA: Da bin ich nicht mehr in die operativen Einzelheiten eingeweiht. Ich weiß, es soll noch die eine oder andere Aktion geben, aber wir hier von der Landtagsfraktion sind anders orientiert, zumal wir diese kleine, aber für uns bedeutsame Aktion ordentlich machen wollen. Wir haben deshalb auch diese kleine Kundgebung draußen gemacht, die unter schwierigen Bedingungen zustande gekommen ist.

SB: Können Sie uns etwas über diese Bedingungen erzählen, zumal es für uns sehr schwer war, hierher vorzudringen. Wie ist es dazu gekommen, daß die Schiffsdemonstration überhaupt stattfinden konnte?

MA: Erst einmal war es eine gute Idee, daß wir das auf einem Schiff machen. Zum anderen war es auch eine der wenigen Möglichkeiten, öffentlichkeitswirksam zu dokumentieren und zu demonstrieren, denn die Polizei hat mehr oder weniger alles abgeriegelt. Wir als Landtagsfraktion haben insofern einen Sonderstatus und gewisse Sonderrechte. Das Demonstrationsrecht ist allerdings schon ein wenig eingeschränkt. Es gibt natürlich für alles gute Begründungen, aber nach meinem Gefühl ist hier sehr viel Polizei. So sind viele Straßen gesperrt worden. Und eigentlich ist es nicht in Ordnung, daß die Bürgerinnen und Bürger solche Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte hinnehmen müssen, und sei es auch nur, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

SB: Aber Sie hatten kein Problem, in diesem Bereich, der ganz in der Nähe des eigentlichen Konferenzortes liegt, das Schiff chartern und nutzen zu können?

MA: Das war im Ergebnis kein Problem, aber es hat sicherlich auch damit zu tun, daß die Parteien gewisse Privilegien im Sinne des Grundgesetzes genießen. Dann kommt noch das Demonstrationsrecht hinzu. Sie können das nicht ganz wegschließen. Insofern müssen sie uns diesen Freiraum geben, wenn wir darauf bestehen.

SB: Die Linke in NRW ist in der Opposition und unterhält gleichzeitig mit der rot-grünen Landesregierung eine Art informelle Zusammenarbeit. Wie funktioniert das für Sie? Es wurde ja im Vorfeld diskutiert, daß damit möglicherweise eine Politik unterstützt wird, die nicht im Sinne der Linken sein kann.

MA: Das ist ein Prozeß, der noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben hier die Situation einer Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten links als auch rechts sucht. In den ersten Monaten der Legislatur hat sich die rot-grüne Landesregierung ihre Mehrheiten eher bei uns gesucht. Sie war aber nur in sehr geringem Maße bereit, inhaltliche Zugeständnisse zu machen. Jetzt, wo der Begriff der Haushaltskonsolidierung an erster Stelle steht, sucht sie sich die Mehrheiten rechts. Sie wird, was schon jetzt abzusehen ist, mit der FDP den Haushalt verabschieden. Es wird aber nicht der brutale Kürzungshaushalt sein, wie das normalerweise der Fall ist, sondern aufgrund sprudelnder Steuereinnahmen noch ein moderater Haushalt. Es wird gekürzt, aber für die Betroffenen eben moderat, aber trotzdem schmerzhaft. Es wird aber kein Kahlschlagshaushalt sein, der Tausende auf die Straße treibt, und insofern ist für uns Linke trotzdem klar, daß wir diesem Haushalt, wenn er denn so kommt, wie er sich abzeichnet, so nicht zustimmen können. Es wird dafür eine Mehrheit von dieser Regierung und der bürgerlichen Opposition geben, und die Linke wird die Opposition bilden. Ich halte es aber nicht für schlimm, daß es Projekte gibt, die man gemeinsam machen kann, und andere Projekte, die man nicht mit uns machen kann. Dann muß sich die Regierung eben ihre Mehrheit meinetwegen auf der Rechten suchen.

SB: Auf dem Erfurter Parteitag war von Haltelinien die Rede. Gibt es solche auch in NRW?

MA: Wir haben solche Haltelinien, und sie lauten: kein Sozialabbau, kein Stellenabbau und keine Privatisierungen. Sofern wir das überblicken können, wird es in diesem Haushalt, wenn auch nur begrenzt, in bestimmten Bereichen punktuell das eine oder andere geben. Ich darf daran erinnern: Der letzte Haushalt hat die Einstellung von etwa 2000 Lehrern mit sich gebracht, so daß das jetzt schon ein bißchen kompensiert ist. Das heißt, man kann die nächsten Jahre durchaus ohne eine brutale Sparpolitik den einen oder anderen Akzent aus Sicht der Landesregierung setzen, aber nicht in dieser Form, daß wir dem jubelnd zustimmen können. Das würde unser Profil verwässern, was wir nicht zulassen werden. Wir wollen deutliche Akzente setzen, nämlich daß die Steuermehreinnahmen, die es gibt, nicht dafür verwendet werden dürfen, Haushaltskonsolidierung zu betreiben, sondern es muß eine Politik her für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Wenn wir uns hier manche Kommunen im Ruhrgebiet, aber auch im Rheinland anschauen, dann sehen wir wirklich Land unter, da regiert der Sparkommissar. Und jetzt soll es weitere Auflagen für die Kommunen geben - wir als Linke nennen das IWF-Auflagen. Die Kommunen sollen weiter sparen und bekommen von der Landesregierung Geld nur dann als Nothilfe, wenn sie eine Konsolidierungspolitik betreiben. Das ist aus unserer Sicht der völlig falsche Weg, den wir auch mit der Landesregierung nicht mitgehen werden. Da werden wir klare Akzente gegensetzen.

SB: Die Linke NRW vertritt innerhalb der Linken noch relativ radikale Positionen. Haben Sie aus Ihrem gewachsenen linken Selbstverständnis heraus, mit dem Sie auch zur Wahl angetreten sind, das Gefühl, daß es in der parlamentarischen Arbeit eine Kontinuität gibt, die Sie auch ganz persönlich vertreten können?

MA: Eindeutig ja. Wir sind mit dem Anspruch angetreten, daß wir Opposition und kein Mehrheitsbeschaffer sind, daß wir gemeinsame Projekte zwar verabschieden würden, aber nur dann, wenn wir uns tatsächlich darin wiederfinden. Das kann man bis jetzt von einigen Gesetzen durchaus sagen, aber die haben im klassischen Sinne nichts gekostet wie zum Beispiel das Gesetz zur Abwahl der Bürgermeister, was durchaus ein unspektakuläres Projekt war, das jetzt allerdings in Duisburg zufällig sehr prominent geworden ist. Es gibt andere Gesetze wie das Ladenöffnungsgesetz, wo sich vielleicht eine gemeinsame Position abzeichnet, aber das ist noch in der Verhandlung. Beim Tarifvergabe- und -treuegesetz wird es auch unsere Zustimmung geben, weil wir uns darin zu großen Teilen wiederfinden. Wo wir das tun, stimmen wir mit, und wo wir das nicht tun, stimmen wir dagegen. Da scheuen wir uns auch nicht vor deutlichen Worten. Die Landtagsfraktion übernimmt sozusagen die politische Kontinuität des Landesverbandes. Da wird sich auch nichts daran ändern. Jeder, der geglaubt hat, wir würden als Tiger springen und als Bettvorleger enden, muß sich getäuscht sehen. Ich bin darüber persönlich auch sehr froh.

SB: Wie sehen Sie die Zukunft der Partei Die Linke insgesamt? Wird sie in der Lage sein, sich gegen diesen doch erheblichen Druck aus den Kampagnen dieses Jahres - Kommunismusdebatte, Antisemitismusvorwurf - zu behaupten und genuin linke Politik auch in Zukunft zu betreiben? Es würde Ihre Fraktion in besonderer Weise herausstellen, aber es gibt auch starke Kräfte in der Partei, die gerne ein pflegeleichteres Bild abgeben möchten.

MA: Diese Kräfte mag es geben, aber in Nordrhein-Westfalen sind sie nicht maßgeblich. Wenn es um die Bundesebene geht, versuchen wir natürlich, unseren Einfluß deutlich und geltend zu machen. Das versteht sich von selbst. Auf der anderen Seite sprechen wir zunächst einmal von Nordrhein-Westfalen, und ich glaube, an dem Punkt sind wir auf gutem Wege. Der Druck ist zum Teil gewaltig. Ich erinnere mich beispielsweise daran, als die Rettungsaktion zur West-LB im Plenum verabschiedet werden sollte, haben sich CDU und SPD nicht richtig abgesprochen. Die beiden Loks rasten aufeinander zu, und auf einmal hatte die Regierung keine Mehrheit. Sofort ging das Gespenst der ominösen Neuwahlen durch den Plenarsaal, was uns aber nicht daran gehindert hat, zu sagen, daß wir diesem Rettungspaket zur West-LB nicht zustimmen können, weil es für uns nicht tragbar war, Milliarden für die Banken bereitzustellen, aber nichts für die Menschen zu tun. Der Druck war da, weil man uns signalisiert hat: Wenn jetzt die West-LB in eine unkontrollierte Insolvenz hineingeht, dann kostet das sofort Tausende von Arbeitsplätzen. Das Land NRW ist in der Haftung, das könnt ihr nicht machen. Man hat versucht, uns unter Druck zu setzen. Wir haben diesem Druck standgehalten. Es war nicht einfach, aber ich denke, dafür sind wir gewählt worden, und die Menschen, die uns ihr Vertrauen ausgesprochen haben, sollen am Ende jeder Legislaturperiode sagen können: Zumindest von der Linken fühlen wir uns vertreten.

SB: Herr Aggelidis, vielen Dank für das Gespräch.

Interview an Bord der MS Beethoven - Foto: © 2011 by Schattenblick

Michael Aggelidis mit SB-Redakteur
Foto: © 2011 by Schattenblick

1. Januar 2012