Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

INTERVIEW/138: Kapitalismus final - Gegen den Krieg gerade jetzt (SB)


Tobias Pflüger zu aktuellen friedenspolitischen Fragen

Interview am 21. September 2012 in Hamburg-Rotherbaum



Tobias Pflüger gehört dem Vorstand der Partei Die Linke, ist langjähriger Aktivist der Friedensbewegung und hat 1996 die Informationstelle Militarisierung (IMI) mitbegründet. Nach einem Vortrag im Rahmen der Hamburger Veranstaltungsreihe "Kapitalismus in der Krise" [1] beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Tobias Pflüger
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Im ZDF-Sommerinterview [2] ist Katja Kipping der Frage des Moderators nach einer möglichen Koalition mit Rot-Grün hinsichtlich der Zustimmung zu UN-mandatierten Militäreinsätzen eher ausgewichen. Könntest du die Position der Linken in Sachen Krieg und Frieden etwas genauer ausführen?

Tobias Pflüger: Die Grundlage ist das Erfurter Programm. Katja Kipping zum Beispiel hat ihre Sache bei der Reaktion auf die Gauck-Rede ziemlich gut gemacht, indem sie sie als Kriegspropaganda auswies. Wir sind als Parteivorstand gerade dabei, die Basis-Strategie zu verabschieden. Der erste Entwurf wurde vorgelegt, diskutiert und wird deutlich verbessert. Die Frage von Krieg und Frieden wird dabei eine relativ zentrale Rolle spielen. So ist es jetzt vereinbart.

Es gab den Vorschlag, im Wahlkampf drei Schwerpunkte in diesem Themenbereich festzulegen. Zum einen die Rüstungsexporte, aber nicht nur die Exporte als solche, sondern auch bis hin zur Rüstungsindustrie, so wie ich es heute ausgeführt habe. Zum zweiten alle Auslandseinsätze der Bundeswehr, natürlich mit Schwerpunkt Afghanistan, aber eben alle. Und zum dritten Bundeswehr an Schulen, weil dieses Thema gesellschaftlich immer relevanter wird. Das ist zumindest so diskutiert. Man wird sehen, ob das auch schriftlich so niedergelegt wird, doch es ist jetzt relativ einvernehmlich, daß wir das so machen wollen. Ich glaube, innerhalb der Linken ist fast allen klar, daß die Frage von Krieg und Frieden eine ganz zentrale Rolle spielen muß. Ich kann die Hand nicht für alles ins Feuer legen, aber ich würde sagen, der Konsens darüber ist schon sehr breit.

SB: Herrscht in dieser Frage nicht die Einsicht vor, daß man als einzige Partei, die hier einen konsequenten Kurs verfolgt, auch gegenüber einer Bevölkerung in Erscheinung treten muß, für die dies immer noch zu einem gewissen Teil ein Wahlkriterium ist?

TP: Nach meiner Einschätzung gibt es Punkte, wo die Linke auf der einen und alle übrigen Parteien auf der anderen Seite stehen. Die Frage von Krieg und Frieden ist zentral für diesen Unterschied. Mag sein, daß ein Teil das ein wenig wahltaktisch sieht, aber für Menschen wie mich, die gerade da den Schwerpunkt setzen, ist diese Frage von zentraler Bedeutung. Und ich spüre im Moment, daß in dieser Sache sehr viel Resonanz vorhanden ist.

SB: Zum Thema Syrien wird innerhalb der linken Bewegung darüber gestritten, wie man zu den Rebellen und zur Forderung nach einer Militärintervention steht. Du warst am Montag zu einer Veranstaltung in Berlin geladen, an der auch ein Vertreter von Adopt a Revolution beteiligt war. Könntest du etwas zum Verlauf der Diskussion sagen?

TP: Vor allem Jürgen Wagner und Christoph Marischka haben mehrere Texte dazu für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) veröffentlicht. Wir haben uns intensiv über die Wirkung des Syrienkonflikts auf die deutsche Debatte unterhalten und sind zu dem Schluß gekommen, daß die Initiative Adopt a Revolution an zwei Punkten absolut problematisch ist. Einerseits vom Grundansatz dieses paternalistischen "Wir adoptieren euch" und zum anderen, daß im Beirat von Adopt a Revolution mindestens zwei Personen sitzen, die explizit als Vertreter des Syrischen Nationalrates für militärische Bewaffnung und den Einmarsch westlicher Staaten plädieren. Auf der Veranstaltung in Berlin habe ich daher Martin Glasenapp gebeten, daß Adopt a Revolution und der Beirat sich von diesen Personen trennen und erklären, daß sie mit deren Positionen nichts zu tun zu haben. Es ist offensichtlich so, daß das nicht gewollt ist.

Ansonsten ist mir die Idee, zivile Kräfte vor Ort zu unterstützen, von Grund auf sympathisch, allerdings nicht mit diesem paternalistischen Grundansatz, sondern daß sie tatsächlich ihren eigenen Weg gehen müssen. Eine Reihe von linken Exil-Syrerinnen und -Syrern hat mir erklärt, daß sie im Moment in einer Sandwich-Situation stecken, einerseits zwischen dem Assad-Regime, das auch militärisch insbesondere gegen die Bevölkerung vorgeht, und andererseits der sogenannten Freien Syrischen Armee, die offensichtlichst nicht frei und nicht nur syrisch ist, sondern in der offensichtlich sehr viele Kämpfer von sonstwo mitwirken. Mein Eindruck im Moment ist, daß diese Kritik in der Berliner Veranstaltung von relativ vielen mitgetragen wurde.

In der Frage, wie man den Syrienkonflikt als solches einschätzt, gab es unterschiedliche Positionen. Mein Part in der Veranstaltung war, die Rolle der Europäischen Union, Deutschlands und der USA zu analysieren. Das wurde mir dort von zwei oder drei Personen zum Vorwurf gemacht, aber das war genau die Fragestellung, die ich bekommen hatte. Ansonsten glaube ich, daß man als linke Friedensbewegte klar sagen sollte, daß man gegen eine militärische Intervention und Bewaffnung derjenigen ist, die in Syrien gerade agieren. Das bedeutet für mich: Keine Aufrüstung der Freien Syrischen Armee durch wen auch immer, ob nun durch arabische Staaten wie Saudi-Arabien und Co. oder westliche Staaten wie die Türkei. Aber natürlich kann man auch die Unterstützung, die Rußland und Iran dort betreiben, als Linke nicht befürworten. Der zentrale Ansatzpunkt ist die deutsche Rolle in Syrien. Offensichtlich ist Deutschland dort beteiligt, siehe dazu das Spionageschiff und die sehr detaillierten Analysen des BND zum Konflikt. Offensichtlich sind sie vor Ort und müssen sich dort auch auskennen. Meine Position wäre, daß Deutschland keine eskalierende Rolle spielen darf. Und wir als Linke müssen sehr darauf achten, daß nicht wieder eine Intervention daraus gemacht wird, ob nun auf diesem Low Level mit Bewaffnung oder dem High Level mit Beschuß.

SB: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Innern stellt eine historische Zäsur dar. Wie beurteilst du dies im Kontext der deutschen Auslandseinsätze seit den 90er Jahren und der generellen Militarisierung, die seitdem im Gange ist?

TP: Ehrlich gesagt war ich von diesem Urteil ziemlich geschockt, weil das Bundesverfassungsgericht bis dahin immer wieder Urteile fällte, die durchaus einschränkenden Charakter für die Militarisierung der Außenpolitik hatten wie beispielsweise das Awacs-Urteil. Gleichzeitig haben sie aber auch den Weg für Auslandseinsätze bereitet, siehe dazu das Grundsatzurteil vom 12. Juli 1994. Interessant ist, daß es kaum vernünftige Beschränkungen für den Inlandseinsatz der Bundeswehr geben soll und völlig offen ist, was unter Katastrophe zu verstehen ist. In diesem Sinne ist das Minderheitenvotum von Reinhard Gaier sehr lesenswert, weil er darin das Urteil auseinandernimmt und klarstellt, daß die Bundesregierung nun politisch darüber entscheiden kann, wann und wo sie die Bundeswehr im Inneren einsetzt. Das stellt einen Dammbruch dar. Auf diese Weise hat das Bundesverfassungsgericht eine schlimme Politik betrieben. Wenn die Justizministerin gerade nicht gegen einen Bundeswehreinsatz im Inneren wäre, würde das jetzt eingeführt werden. Ich rechne damit, daß der nächste Justizminister oder die nächste Justizministerin das je nach Positionierung umsetzen wird. An einem Bundeswehreinsatz im Inneren ist insbesondere problematisch, daß das mit einer Einschränkung von Grundrechten einhergeht und die Vermischung von Polizei und Militär immer mehr zunimmt. Das fing beim G8-Gipfel mit den Fennek-Panzern an und ging mit den Tornados weiter, die über die Camps geflogen sind. Gegen einen Bundeswehreinsatz im Inneren muß man als linke Friedensbewegte ein sehr deutliches Zeichen setzen.

SB: Wie könnte man einer Bevölkerung, die vor allen Dingen mit Fragen des Überlebens oder der Einkommensentwicklung beschäftigt ist, deutlich machen, daß sie durchaus Grund hätte, Entwicklungen wie die Errichtung eines Gefechtsübungszentrums für die urbane Kriegführung oder die EU-weite Militarisierung als Bedrohung des eigenen Lebens aufzufassen?

TP: Die gesamte Entwicklung mit dem Gefechtsübungszentrum und der Stadt Schnöggersburg, die dort gebaut werden und als erste in Sachsen-Anhalt sogar eine U-Bahn bekommen soll, wird durchaus kritisch gesehen. Es ist einfach zu offensichtlich, daß Häuserkampf und Aufstandsbekämpfung geübt werden. Das hat mit dem Grundgesetz gar nichts mehr zu tun. Was mit den Verboten bei dem War Starts Here-Camp einherging, war eine Aussetzung demokratischer Grundrechte in einer riesigen Region. Wenn sie sich noch so ein paar Sachen leisten, dann wird das auf starken Widerhall treffen. Auf Veranstaltungen, in denen ich über Schnöggersburg erzähle, erzeugt das durchaus Resonanz. Wenn Militär gegen Demonstranten oder Streikende eingesetzt wird, ist das ein Tabubruch. Wir werden sicherlich auch die Gewerkschaften auf unserer Seite haben, sobald realisiert wird, daß das tatsächlich der dritte Schritt ist. Auf einer Reihe von Veranstaltungen auch innerhalb des gewerkschaftlichen Rahmens wird dies sehr kritisch diskutiert. Insofern bin ich eigentlich ganz hoffnungsvoll, daß das gesellschaftlich nicht so einfach durchgehen wird.

SB: Angesichts der geheimdienstlichen Verstrickung in den NSU und dem Rechtsterrorismus in Deutschland erscheint der Werbespruch der Bundeswehr "Wir. dienen. Deutschland." doch sehr provokant. Was ist deine Meinung dazu, daß sich eine Armee in einem demokratischen Rechtsstaat mit einem solchen Leitmotiv ausstattet?

TP: Am Bendlerblock am Berliner Sitz des Verteidungsministeriums hat die Bundeswehr die Werbung "Ich bin stolz auf meine Heimat" angebracht. Um das einmal ganz deutlich zu sagen: Das sind Anklänge an rechtsextreme Formulierungen, die man in aller Deutlichkeit und Schärfe kritisieren muß. Wenn man "Wir. Dienen. Deutschland" und "Ich will meine Heimat schützen" zusammendenkt, dann hat das nicht nur einen nationalistischen Unterton, sondern das ist fast schon der Hauptton. Das geht gar nicht. Ich glaube aber auch, daß eine Bevölkerung, wenn man solche Formulierungen noch ein bißchen weiterdreht, da nicht mehr mitmachen wird. Mit der Bravo-Aktion und den Adventure-Camps hat die Bundeswehr offensichtlich eine rote Linie überschritten. Da macht sich überall Empörung breit, auch bei Menschen, die Bundeswehr und Auslandseinsätze befürworten, aber bei Kindern hört die Zustimmung auf.

SB: Tobias, vielen Dank für das Gespräch.

Fußnoten:
[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1453.html

18. Oktober 2012