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INTERVIEW/228: Weggenossen unverdrossen - Wunsch, Vision und Widerspruch, Christiane Schnura im Gespräch (SB)


Was uns kleidet - Ausbeutungskette der Textilindustrie

Interview am 29. Juni 2014 auf dem UZ-Pressefest in Dortmund



Christiane Schnura ist seit dreizehn Jahren Koordinatorin der Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign - CCC) [1], die sich für ökologisch und sozial fair hergestellte Textilien stark macht [2]. Auf dem 18. UZ-Pressefest in Dortmund hielt sie im Rahmen der von der Marx-Engels-Stiftung organisierten Veranstaltungen einen Vortrag zum Thema "Profite vor Menschenwürde - die Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungsindustrie". Im Anschluß daran ging sie im Gespräch mit dem Schattenblick auf die Wirkung der Kampagne, unverzichtbare Forderungen und weiterführende politische Fragestellungen ein.

Stehend nach dem Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Christiane Schnura
Foto: © 2014 by Schattenblick


Schattenblick: Du engagierst dich seit vielen Jahren in der Kampagne für Saubere Kleidung und hast in deinem Vortrag berichtet, daß die Resonanz in der Öffentlichkeit im Laufe der Zeit zugenommen hat. Könntest du in einem kurzen Überblick schildern, welche Erfahrungen du in dieser Hinsicht gemacht hast?

Christiane Schnura: Ich bin seit 2001 Koordinatorin der Kampagne für Saubere Kleidung und konnte feststellen, daß das mediale Interesse und das Bewußtsein der Konsumentinnen und Konsumenten gewachsen ist. Immer mehr Menschen stellen sich die Frage, unter welchen Arbeitsbedingungen die Kleidung hergestellt wird, die sie kaufen und tragen. Zweifellos hat dieses Interesse durch die schrecklichen Unfälle in Bangladesch einen enormen Schub bekommen. Im April letzten Jahres kam es zu der verheerenden Katastrophe bei Rana Plaza, bei der mehr als 1100 Textilarbeiterinnen und -arbeiter gestorben sind. Leider greifen die Medien vorzugsweise solche Ereignisse auf und bringen sie in die Öffentlichkeit, während die alltäglichen Verhältnisse in diesen Fabriken lange ausgeblendet wurden. In Reaktion auf solche Unfälle wächst indessen die Betroffenheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Es gab auch noch zwei Brände, einen in Pakistan und einen weiteren in Bangladesch, bei denen viele Näherinnen den Tod fanden. Nicht zuletzt durch diese tragischen Ereignisse ist das Interesse in der deutschen Öffentlichkeit gewachsen.

Wenn man sich nun die Frage stellt, was dieses Interesse bewirkt, muß man meines Erachtens mehrere Gesichtspunkte berücksichtigen. Zum ersten geraten die großen Bekleidungsunternehmen zunehmend unter Druck. Sie haben ein enormes Imageproblem, weil ihre Kundinnen und Kunden nicht wollen, daß die Produkte unter derart schlechten Bedingungen hergestellt werden. Auf der anderen Seite kauft man natürlich im großen und ganzen schon gern preisgünstig ein. Aus diesem Grund muß man sehr gründlich überlegen, auf welche Weise man tatsächlich etwas verändern kann.

Ich gehe von drei Schritten aus, die dazu erforderlich sind: Zunächst muß jeder von uns den eigenen Konsum auf den Prüfstand stellen. Brauche ich wirklich so viel Kleidung, wie ich kaufe? Wir werden merken, daß wir im Grunde gar nicht so viel Kleidung benötigen. Zum zweiten ist Kleidung, die ökologisch und sozial fair hergestellt wird, bislang noch teuerer als die normale Kleidung. Es gibt jedoch zunehmend Anbieter fair hergestellter Kleidung, die man im Internet findet, und ich muß prüfen, ob ich es mir leisten kann, diese Kleidung zu kaufen. Wenn ich noch dazu sage, ich will bewußt konsumieren und dadurch meinen Verbrauch reduzieren, dann ist es für den einen oder anderen möglich, einen höheren Preis zu bezahlen. Wenn ich aber auch das nicht kann, weil meine finanziellen Möglichkeiten eben sehr begrenzt sind, dann sollte ich wenigstens protestieren. Man hat zum Beispiel auf der Homepage unserer Kampagne www.saubere-kleidung.de die Möglichkeit, Protestmails abzuschicken oder Protestpostkarten zu bestellen, um wenigstens kundzutun, daß man nicht damit einverstanden ist, daß die Kleidung, die wir tragen, unter solch schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt wird.

SB: Einmal angenommen, deutsche Unternehmen erklärten, sie böten ab sofort nur noch fair produzierte Kleidung an und schrieben das tatsächlich den Herstellern verpflichtend vor. Bestünde da nicht die Gefahr, daß die Verantwortung und Überprüfung lediglich auf die Produzenten umgelastet wird?

CS: Das darf auf gar keinen Fall passieren! Die großen Marken tragen als Auftraggeber die Hauptverantwortung für die schlechten Arbeitsbedingungen und zwar deshalb, weil ihre Praxis nach wie vor einem möglichst billigen Einkauf Vorrang einräumt, um die Profite zu steigern. Es kann auch nicht sein, daß die Fabrikbesitzer in den Produktionsländern, die so wenig Geld an der Kleidung verdienen, die sie an die großen Marken verkaufen, allein dafür geradestehen sollen, daß sich die Arbeitsbedingungen grundlegend verbessern. Es müssen vernünftige Einkaufspreise gezahlt werden. Wenn man sich vor Augen führt, wie hoch die Profite in der Textilindustrie sind, zeichnet sich in aller Deutlichkeit ab, daß die Hauptverantwortung bei den Auftraggebern liegt.

Inzwischen haben sich alle Bekleidungsunternehmen nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus in ganz Europa einen eigenen Verhaltenskodex zugelegt. Darin steht unter anderem, daß es bei ihren Zulieferern keine ausbeuterische Kinderarbeit mehr geben darf, daß Gewerkschaftsfreiheit herrschen muß, vernünftige Arbeitszeiten eingehalten werden müssen und manches andere mehr. Die entscheidende Frage ist natürlich, wer dafür einsteht, daß dieser Verhaltenskodex tatsächlich eingehalten wird. Aus Sicht der Kampagne für Saubere Kleidung ist es dringend notwendig, daß es eine unabhängige Überprüfung gibt, also unter Einbeziehung der Gewerkschaften vor Ort in den Fabriken der Produktionsländer.

Zudem ist in den Verhaltenskodizes nicht verankert, daß ein existenzsichernder Lohn gezahlt wird. Dieser ist nach Maßgabe der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) definiert und legt fest, daß nicht nur die Grundbedürfnisse befriedigt werden müssen, sondern darüber hinaus auch Gesundheit, Bildung, Altersversorgung und - was wir auch für die Hartz-IV-Empfänger fordern - Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einbezogen werden müssen. Die großen Textilunternehmen müssen also sowohl diese existenzsichernden Löhne als auch die Verhaltenskodizes unter Einbeziehung der Gewerkschaften vor Ort kontrollieren lassen.

SB: Können Initiativen für Saubere Kleidung deiner Erfahrung nach auch Raum für die Beschäftigung mit weiterführenden politischen Fragestellungen schaffen?

CS: Eine zentrale Forderung unserer Kampagne für Saubere Kleidung zielt darauf ab, daß gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es unmöglich machen, unter solchen Arbeitsbedingungen zu produzieren. Deutsche Unternehmen, die sich hierzulande bei der Produktion an Arbeitsgesetze halten müssen, scheren sich bei der Herstellung im Ausland einen Dreck drum. Das muß sich ändern, indem internationale Arbeitsgesetze geschaffen werden, die auch entsprechende Sanktionen für Unternehmen vorsehen, die sich nicht an die Vorgaben halten.

In Deutschland gibt es derzeit eine Initiative des Entwicklungshilfeministeriums unter dessen Ressortchef Gerd Müller, der ein einheitliches Textilsiegel noch vor Ende des Jahres angekündigt hat. Trage ein Kleidungsstück dieses Siegel, könnten Verbraucherinnen und Verbraucher sicher sein, daß das Teil unter guten ökologischen und sozialen Bedingungen hergestellt worden ist. Inzwischen rudert der Minister jedoch massiv zurück und stellt den Unternehmen die Einführung dieses Siegels auf freiwilliger Basis anheim. Die Firmen können sich also um das Siegel bemühen, müssen es aber nicht. Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten leider feststellen müssen, daß die freiwilligen Maßnahmen der Industrie zu keinen spürbaren Veränderungen geführt haben. Es gibt keine strukturellen Verbesserungen in der weltweiten Bekleidungsindustrie. Deshalb sind wir der Auffassung, daß es internationale Gesetze geben muß.

Ein weiteres Problem besteht darin, daß ein Unternehmen, das profitorientiert arbeitet, natürlich seine Profite nicht schmälern will. Die Durchsetzung von höheren Löhnen und Arbeitsgesetzen verringert nun einmal die Profite, und dazu ist die Industrie nicht bereit.

SB: Stößt man in dieser Auseinandersetzung auf grundlegende Fragen etwa nach der Herkunft des gesellschaftlichen Reichtums und der eigenen Beteiligung an diesen Verhältnissen?

CS: Das Profitsystem, wie es bei uns herrscht, vereitelt grundlegende Verbesserungen in der weltweiten Bekleidungsindustrie. Das ist eine ganz klare Sache. Wir müssen natürlich darüber nachdenken, wie dieses Wirtschaftssystem zu verändern ist, damit es dort deutliche strukturelle Verbesserungen gibt.

SB: Christiane, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.saubere-kleidung.de/

[2] Unter dem Namen Clean Clothes Campaign (CCC) wurde 1990 in den Niederlanden ein Netzwerk gegründet, das es sich zum Ziel gemacht hat, die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie zu verbessern. Heute gibt es Ableger in zwölf Ländern Europas. Zur CCC gehören unter anderem Nicht-Regierungsorganisationen, Gewerkschaften, kirchliche Gruppen und Verbraucherinstitutionen. In Deutschland läuft CCC als "Kampagne für Saubere Kleidung".
http://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/bluejeans105.html


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