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INTERVIEW/274: Minenfeld Afghanistan - Zur Burka zurück ...    Fereshta Noori im Gespräch (SB)


Afghanische Frauen haben zu allen Zeiten Widerstand geleistet

Tagung Afghanistan 2015. Frieden in Afghanistan? Vergessen? am 13. Juni 2015 in Düsseldorf


Die afghanische Journalistin Fereshta Noori lebt seit 2010 in den Niederlanden. Sie hat in vielen sozialen Projekten gearbeitet und an zahlreichen Konferenzen teilgenommen. Ihr besonderes Anliegen gilt einer Verbesserung der Situation der afghanischen Frauen. Sie hielt auf der Tagung "Afghanistan 2015. Frieden in Afghanistan? Vergessen?", die am 13. Juni 2015 im Bürgerhaus Bilk in Düsseldorf stattfand, einen Vortrag zum Thema "Entwicklung der Frauen- und Menschenrechte".

Nach der Veranstaltung beantwortete Fereshta Noori dem Schattenblick einige Fragen zur Lage der Frauen in Afghanistan, zu einer möglichen Unterstützung aus westlichen Ländern, zu ihren Erfahrungen als Journalistin und zur Rolle der Frauen in der Geschichte des afghanischen Widerstands. Die Sozialwissenschaftlerin Wahida Kabir, selbst eine Referentin der Tagung, übersetzte dankenswerterweise im Gespräch.


Stehend vor einer Hecke - Foto: © 2015 by Schattenblick

Fereshta Noori
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben bei der heutigen Tagung einen engagierten Vortrag gehalten, der offensichtlich die Anwesenden erreicht und berührt hat. Dennoch nahm in der anschließenden Diskussion niemand direkt Bezug auf Ihren Beitrag. War das möglicherweise ein Ausdruck dessen, daß sich die von Ihnen angesprochenen Strukturen selbst in einem Forum wie diesem unterschwellig durchsetzen?

Fereshta Noori (FN): Ich habe in meinem Vortrag einen großen Bogen geschlagen und bin weniger auf Einzelheiten eingegangen. Es war ja so, daß uns nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung stand. Angesichts dieser Einschränkung hatten wir nicht die Möglichkeit, das Thema tiefergehend zu behandeln. Hinzu kommt noch, daß viele andere Themen, die auch sehr wichtig sind, ebenfalls zur Diskussion standen und dann aus Zeitgründen vorgezogen wurden.

SB: Wie die Bundesregierung erklärt, habe sich die Lage der Frauenrechte in Afghanistan erheblich verbessert. Wenngleich noch viel zu tun bleibe, seien doch schon spürbare Fortschritte zu verzeichnen. Was könnte man aus Ihrer Sicht darauf erwidern?

FN: Wir können nach den Wahlen in Afghanistan bilanzieren, daß sich Frauen in der Gesellschaft engagiert und die Wahl mitgestaltet haben. Dabei hat die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft durchaus eine Rolle gespielt, und dieser Platz, den die Frauen in den Wahlen für sich gewonnen haben, ist als eine Errungenschaft zu sehen. Allerdings befinden sich afghanische Frauen in einem mobilen Gefängnis, aus dem sie sich nun Schritt für Schritt befreien wollen, und einer dieser Schritte war die Wahl.

SB: In der westlichen Sichtweise werden afghanische Frauen per se als rückständig dargestellt. Müßte man nicht umgekehrt die Frage stellen, wer für diese angebliche Rückständigkeit die Verantwortung trägt, indem er den Frauen zu seinem Vorteil eine solche Lage aufzwingt?

FN: Politik und Religion vermischen sich in Afghanistan in hohem Maße. Diese Vermischung hat dazu beigetragen, daß sich die Situation der Frauen je nach aktueller politische Lage immer wieder verändert. Das hat dazu geführt, daß die Frauen konfus geworden sind. Sie wissen nicht, wo sie stehen. Stellt sich die Politik rückwärtsgewandt dar, sagt man den Frauen, sie dürfen nicht arbeiten, nicht aus dem Haus gehen, nicht lernen. Wird ein anderer politischer Rahmen geschaffen, macht man den Frauen wieder Zugeständnisse. Es geht jedoch immer einen Schritt voran und dann wieder einen zurück, so daß man nicht von einem dauerhaften Erfolg sprechen kann.

SB: Aus westlicher Perspektive wird formuliert und vorgegeben, wie eine Befreiung der afghanischen Frauen auszusehen hat. Sie kennen beide Kulturen aus eigener Anschauung und Erfahrung. Inwieweit lassen sich die westlichen Vorstellungen überhaupt auf die Situation in Afghanistan übertragen?

FN: Solche Modelle können in gewissem Umgang hilfreich sein, sofern sie auf Grundlage einer fundierten Strategie formuliert werden und diese Strategie kontinuierlich und stringent ist. Unter solchen Voraussetzungen können derartige Entwürfe teilweise Erfolge zeitigen. Fehlt ihnen jedoch die Basis und entbehren sie eines planerischen Konzepts, dann helfen sie überhaupt nicht. Die afghanische Zivilgesellschaft und die Frauenrechtlerinnen sind der Auffassung, daß im ersten Schritt eine Trennung von Religion und Politik herbeigeführt werden sollte. Ist diese Trennung tatsächlich vollzogen worden, können aus westlicher Sicht einige Konzepte für die Befreiung der Frauen erarbeitet werden.

SB: Es liegen Berichte vor, wonach es zu Übergriffen von Soldaten der Besatzungstruppen auf afghanische Frauen gekommen sein soll, wie das offenbar auch in anderen Ländern der Fall war [1]. Sind Ihnen derartige Vorfälle bekannt?

FN: Ich habe derartige Vorfälle nicht mit eigenen Augen gesehen. Als ich jedoch in Afghanistan als Aktivistin für Frauenrechte gearbeitet habe, lagen mir einige schriftlichen Berichte über Verletzungen der Frauenrechte oder der afghanischen Kultur und Gebräuche durch die Besatzungstruppen vor. Man kann allerdings nicht pauschal sagen, daß sie nur zu diesem Zweck ins Land gekommen sind.

SB: Wie würden Sie als Journalistin die Situation der Medienvertreter und vor allem -vertreterinnen in Afghanistan beurteilen?

FN: So wie es häufig dargestellt wird, nämlich daß die Berichterstattung in Afghanistan frei sei und Journalistinnen ungehindert arbeiten könnten, verhielt es sich nicht. Ich habe selbst erlebt, daß ich nach der Veröffentlichung kritischer Artikel über die herrschende Situation Drohungen sowohl seitens der Regierung als auch der Regierungsgegner erhielt und in meiner Arbeit behindert wurde. Ich war an einem Projekt beteiligt, in dessen Rahmen über die Situation der Frauen berichtet und deren politische Rolle in der Gesellschaft dargestellt werden sollte. Ich konnte dieses Projekt nicht frei und ungehindert durchführen, weil ich bedroht und gewarnt wurde, dieses Vorhaben nicht weiter zu verfolgen.

SB: Welche Erfahrungen haben Sie mit der europäischen Frauenbewegung gemacht, was deren Wahrnehmung der Verhältnisse in Afghanistan betrifft? Bekommen Sie Unterstützung von dieser Seite?

FN: Ich habe einige Initiativen erlebt, aber wie ich es auch in meinem Vortrag ausgeführt habe, war diese Unterstützung nur sporadisch und nicht kontinuierlich, da schon kleine Hindernisse zur Unterbrechung führten.

SB: Der Widerstand in Afghanistan ist im Unterschied zu anderen Ländern, in denen ein antikolonialer Kampf stattgefunden hat, nur bedingt emanzipatorisch. In diesem Sinn könnte man wohl nicht sagen, daß alle am Widerstand beteiligten Fraktionen fortschrittliche Interessen vertreten und mithin auch für die Befreiung der Frauen eintreten. Aus Rojava kennen wir das Beispiel auch des bewaffneten Kampfs der Kurdinnen, die für sich nicht nur eine Beteiligung, sondern eine Führungsrolle in militärischer wie ziviler Hinsicht beanspruchen und durchgesetzt haben. Ohne diese Situation unmittelbar mit jener in Afghanistan vergleichen zu wollen - könnte Rojava dennoch als Zukunftsentwurf für die Frauen in Afghanistan von Bedeutung sein?

FN: Wie eine historische Analyse der Situation in Afghanistan zeigt, haben dort zu allen Zeiten neben den Männern auch Frauen Widerstand geleistet. Man kann diesen Widerstand nicht nur im militärischen Sinne sehen, denn es wurde beispielsweise auch mit entsprechenden Schriften Widerstand gegen die damaligen Machthaber und Unterdrücker ausgeübt. Man kann die Situation in Kobanê in der Tat nicht direkt mit jener in Afghanistan vergleichen. In Afghanistan gab es durchaus Zeiten, in denen auch Frauen im Widerstand waren, aber nicht auf dieselbe Weise wie in Rojava.

SB: Sie haben heute vorgeschlagen, die Thematik der Frauenbefreiung im Rahmen einer eigenen Konferenz zu behandeln. Wie sollte eine solche Tagung aus Ihrer Sicht geplant und gestaltet werden?

FN: Ich stelle mir vor, daß an einer solchen Konferenz zur Lage der Frauen verschiedene Gruppen teilnehmen, sowohl Frauen, die im afghanischen Parlament vertreten, die in der Zivilgesellschaft präsent oder auch in anderen Bereichen in Afghanistan aktiv sind, als auch Frauen aus europäischen Ländern, die sich in der Politik oder in der Zivilgesellschaft betätigen. Es sollte also ein Dialog unter Frauen aus verschiedenen Bereichen und Perspektiven geführt werden. Diese Konferenz sollte eine Resolution verfassen, die die afghanische Gesellschaft tiefgreifend berücksichtigt und dafür auch Vorschläge formuliert, die der Regierung zur Umsetzung vorgelegt werden können.

Ich habe kürzlich an einer Veranstaltung teilgenommen, die sich mit der schändlichen Tat befaßt hat, bei der diese junge Frau Farchunda in Kabul öffentlich gequält, gelyncht und verbrannt wurde [2]. Auf dieser Veranstaltung wurde eine Resolution verfaßt, die auch Afghanistan erreicht hat, in zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gremien behandelt wurde und breite Unterstützung erfuhr. Das Ergebnis dieser Resolution war, daß die afghanische Justiz den Fall ernsthaft verfolgt, die für die Tat Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und auch Todesurteile verhängt hat.

SB: Frau Noori, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:


[1] http://german.irib.ir/nachrichten/politik/item/203932-us-soldaten-vergewaltigten-zwei-afghanische-frauen

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-angeblicher-verbrennung-des-koran-hunderte-menschen-bei-beerdigung-von-gelynchter-frau/11543364.html


Bisherige Beiträge zur Tagung "Afghanistan 2015" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/203: Minenfeld Afghanistan - Die Haftung des Westens ... (SB)
BERICHT/204: Minenfeld Afghanistan - Ratio de jure oder der fortschreitende Krieg ... (SB)
BERICHT/205: Minenfeld Afghanistan - Ersatzkriegsperspektiven ... (SB)

19. Juli 2015


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