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INTERVIEW/278: Kurdischer Aufbruch - überall derselbe Feind ...    Alex Mohubetswane Mashilo im Gespräch (2) (SB)


Internationalismus und Solidarität

Gespräch mit Alex Mohubetswane Mashilo am 5. April 2015 in Hamburg (2. Teil)

Die kapitalistische Moderne herausfordern II - Konferenz an der Universität Hamburg, 3. bis 5. April 2015



A. Mashilo, am Rednerpult stehend - Foto: © 2015 by Schattenblick

Alex Mohubetswane Mashilo auf der Hamburger Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern II"
Foto: © 2015 by Schattenblick

Alex Mohubetswane Mashilo ist Sprecher der South African Communist Party (SACP). Er ist Elektroingenieur und Jurist und promovierte über den Zusammenhang zwischen ökonomischer und sozialer Entwicklung. An der von kurdischen Organisationen ausgerichteten Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern II", die vom 3. bis 5. April an der Universität Hamburg stattfand, nahm er als Referent teil. Im Rahmen einer unter den Titel "Lehren aus alternativen Praktiken" gestellten Session sprach er zum Thema: "Südafrika: Fortschrittliche Politik in einem kapitalistischen Land?"

Im Gespräch mit dem Schattenblick unternahm er einen Ausflug in die Geschichte Südafrikas und seiner Befreiungskämpfe, um nachvollziehbar zu machen, warum Rassismus und Kapitalismus nicht losgelöst voneinander behandelt - und bekämpft - werden können. Im ersten Teil des Interviews [1] beleuchtete er auch die unbezweifelbaren sozialen Errungenschaften, die nach dem Ende der Apartheid durch die ANC-Regierung erreicht werden konnten, machte aber auch deutlich, wo die Grenzen solcher Fortschritte in einem nach wie vor kapitalistischen Staat liegen und liegen müssen.

Im zweiten Teil des Interviews beschreibt er das Verhältnis zwischen seiner Partei, der SACP, und dem ANC, wie es historisch gewachsen und aktuell gehandhabt wird, und geht dabei nicht nur auf die Situation in Südafrika, sondern auch auf die Rolle des Landes auf dem afrikanischen Kontinent wie im Kontext weltweiter Bemühungen, der internationalen Vorherrschaft neoliberal-imperialistischer Kräfte entgegenzutreten, ein.


A. Mashilo während des Interviews - Foto: © 2015 by Schattenblick

Noch immer ein massives Ausmaß von Armut im heutigen Südafrika
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Die Möglichkeiten von Staat und Verwaltung, die Idee der Regenbogennation auch im Sozialen umzusetzen, waren durch das Erbe aus der Vergangenheit stark eingeschränkt. Wie sah es denn konkret mit der Bekämpfung der rassistisch ausgeprägten Armut aus?

Alex Mohubetswane Mashilo (AMM): Wir stehen immer noch da mit einem massiven Ausmaß von Armut auf rassistischer und Gender-Basis. 1994 gab es etwa 3 Millionen Menschen, die soziale Unterstützung erhielten. Das ist eine Unterstützung, die ein Kind armer Menschen erhält, damit es nicht hungrig zu Bett gehen muß. Sie wurde ausgeweitet, im Dezember 2013 bekamen 16 Millionen Menschen eine solche Unterstützung. Aber um noch einmal auf die Elektrifizierung zurückzukommen: Seit 2009 wurden 400.000 Sonnenkollektoren zum Heizen kostenlos auf den Dachfirsten der Häuser der Armen installiert. Das Programm mußte gestoppt werden, es hätte an die Industrialisierung gekoppelt werden müssen. Die sonnenenergiegestützten Heizgeräte hätten vor Ort produziert und nicht importiert werden müssen, weil dies zu Problemen mit der Zahlungsbilanz führe. Aber inzwischen ist es so weit, daß dieses Projekt mit der industriellen Entwicklung verbunden werden kann. Wir freuen uns darauf, es wieder aufzunehmen. Die Anlagen werden vor Ort hergestellt, damit die Menschen damit auch ihren Lebensunterhalt verdienen können und nicht nur Sonnenkollektoren bekommen, aber immer noch arbeitslos sind. So weit ich weiß, findet eine solche Annäherung auch in vielen anderen Bereichen statt.

SB: Die sozialen Fortschritte sind also unverkennbar. Wo aber liegen Ihrer Einschätzung nach zur Zeit die größten noch ungelösten Probleme?

AMM: Wir hatten sehr, sehr große Probleme mit HIV. Die Politik, die 1996 eingeführt wurde, war sehr stark darauf ausgerichtet, Überschüsse zu erwirtschaften. Als Folge dessen oder vielleicht auch anderer Faktoren argumentierte der Staat mit Präsident Thabo Mbeki an der Spitze, daß HIV kein Aids verursache. Das wirkte sich verheerend auf Südafrikas Umgang mit Aids aus. Viele Menschen starben. Die entscheidende Weichenstellung wurde 2009 vollzogen. Mit sorgfältig durchgeführten HIV-Tests und -Behandlungen konnte die Lebenserwartung, die bereits im Sinken begriffen war, wieder gesteigert werden, vielen Menschen konnte das Leben gerettet werden. Das alles sind Bestandteile der sozialen Errungenschaften, die wir seit 1994 erreicht haben. Selbstverständlich haben wir auch unsere Verfassung nachgebessert und die in der Freiheitscharta von 1955 als Vision niedergelegten Rechte aufgenommen. [2]

Unsere Schwäche ist, daß es keine Struktur zur Veränderung der Wirtschaft gibt. Die südafrikanische Wirtschaft ist als Rohstofflieferant in das weltweite kapitalistische System eingebunden. Südafrikas Ressourcen umfassen sehr, sehr viele unterschiedliche Mineralien, also wurde ihr Export fortgesetzt. Es gab keine Kreativität und auch keine ernsthafte Notwendigkeit, um sich darum zu bemühen, aus den südafrikanischen Rohmaterialien etwas Neues herzustellen und eine eigene Industrie aufzubauen. Die Bergbaugesellschaften, die überwiegend ausländisch, hauptsächlich britisch sind, stellen sich bis heute einer solchen Entwicklung entgegen. Sie sind gegen die Nutzung der mineralischen Ressourcen und eine eigenständige industrielle Entwicklung in Südafrika. Für sie ist es lukrativer, einfach nur die Mineralien zu fördern und zu exportieren. Sie haben nicht das geringste Interesse an der Entwicklung des Landes, stehen aber im Zentrum eines Konflikts, der in der Bergbauindustrie sogar zwischen Arbeitern und Arbeitern stattgefunden hat. [3]

Selbstverständlich wird über diese Dinge in den wichtigsten Zeitungen, im Fernsehen oder in den internationalen Medien nicht berichtet. Meiner Meinung nach ist es ein Resultat aus der Tatsache, daß es keine strukturelle wirtschaftliche Veränderung gegeben hat und daß Südafrika als eine ehemalige Kolonie der besonderen Art noch immer charakterisiert ist durch eine innere Dynamik zwischen Entwicklung und Unterentwicklung, wie sie für die Peripherie typisch ist.

SB: Es wird heute mit Blick auf die Klimakatastrophe viel über Nachhaltigkeit und Wachstumsbremsen gesprochen. Halten Sie vor diesem Hintergrund die weitere Industrialisierung Südafrikas für unverzichtbar, um den sozialen Fortschritt weiter vorantreiben zu können?

AMM: Wir brauchen eine radikale Transformation, und zwar jetzt. Doch was schließt das ein? Zunächst einmal bedeutet eine radikale Veränderung für Südafrika, eine Industrie aufzubauen. Tatsächlich ist das Wort "Industrie" jedoch zu eng gefaßt und vielleicht auch zu kapitalistisch. Eine solche Transformation muß die Produktion ausweiten und entwickeln, um den Zugang zu produktiver Arbeit zu gewährleisten und zu erweitern, denn ohne Arbeit werden die Menschen kein besseres Leben führen können. Das bedeutet aber, daß wir unser Verhältnis zu den imperialistischen Ausbeutern der südafrikanischen Wirtschaft neu bestimmen müssen.

SB: Ist das der Punkt der Auseinandersetzung zwischen Ihrer Partei und dem ANC?

AMM: Nein, der ANC erkennt das an. Aber bedenken Sie, daß der ANC keine sozialistische Organisation ist, sondern noch immer - und darauf bestehen wir - eine kapitalistische. Dabei ist er nie und nimmer gegründet worden, um den Kapitalismus weiterzuentwickeln. Wir müssen also eine Wirtschaft aufbauen mit veränderten Eigentumsverhältnissen und neuen administrativen Kontrollfunktionen. Der ANC ist damit auch einverstanden, und natürlich brauchen wir in dieser Frage eine Zusammenarbeit mit ihm. Wir müssen systematisch gemeinschaftliches Eigentum und eine kooperative Verwaltung in der Ökonomie entwickeln. Und dafür brauchen wir eine solide Grundlage.


A. Mashilo während des Interviews - Foto: © 2015 by Schattenblick

Systematisch gemeinschaftliches Eigentum und eine kooperative Verwaltung entwickeln
Foto: © 2015 by Schattenblick

Selbstverständlich gibt es auch andere Ideen. Der ANC glaubt, daß wir schwarze Industrielle bräuchten, aber in nennenswerter Zahl gibt es sie gegenwärtig nicht. Viele der sogenannten schwarzen Kapitalisten sind nach 1994 in Erscheinung getreten. Häufig sind sie von Staatsverträgen abhängig, die "Tender" genannt werden. Das ist ein sehr problematisches Verhältnis, denn es setzt die Einmischung des Staates in die Vermögensverhältnisse voraus. Anstatt einen sich demokratisch entwickelnden Staat zu schaffen, wird ein für seine Ausgaben mehr und mehr vom privaten Kapital abhängiger Staat aufgebaut. Aber jetzt haben wir uns einander angenähert. Wir glauben beide, daß man einen sich demokratisch entwickelnden Staat aufbauen muß, der die Kapazität hat, seinen Pflichten gegenüber seinen Bürgern nachzukommen.

SB: Meinen Sie demokratisch im Sinne von antikapitalistisch?

AMM: Natürlich ist die SACP antikapitalistisch, sie ist eine kommunistische Organisation. Der ANC allerdings glaubt an das, was er eine "gemischte Wirtschaft" nennt, die sich auf der Grundlage einer Balance zwischen privatem und öffentlichem Eigentum errichten ließe. Dabei könnte es sich natürlich um eine taktische oder strategische Aussage handeln, die auf einer Linie liegt mit der Tatsache, daß die Wirtschaft überwiegend vom Monopol beherrscht wird, und zwar nicht nur vom südafrikanischen weißen Monopolkapital, sondern auch vom ausländischen Privatkapital. Dies ist einer der Punkte, über den nach wie vor viel debattiert wird. Das ist keine einfache oder kleine Debatte, sondern eine sehr, sehr grundsätzliche, die jetzt auf dem Niveau der Frage geführt wird, wer die Regierung eigentlich lenkt, was dazu führt, sich mit den Grenzen der Macht zu konfrontieren. Die Eigentumsfrage ist ein Riesenproblem, die Wirtschaft ist, wie wir wissen, fremdbestimmt. Wir kennen die Macht der ausländischen imperialistischen Mächte und wissen, was sie bewirken können, um eine nationale Wirtschaft zu schwächen oder zu zerstören.

Die Berechnungen und Analysen müssen exakt und zutreffend gemacht und die transformativen Veränderungen auf eine Weise gelenkt werden, die die Menschen nicht vor den Kopf stößt. Auch da gibt es Probleme. Das Niveau der politischen Bildung ist seit 1994 gesunken, weshalb wir wieder darauf zurückgekommen sind, es zu fördern. Denn wir machen uns keinerlei Illusionen darüber, daß wir jemals die Veränderung zum Sozialismus schaffen können mit Menschen, die dieses Allgemeinwissen nicht haben und sich an einigen Brosamen des Kapitalismus erfreuen und glauben, das wäre ein besseres Leben.

Wir machen uns auch keine Illusionen darüber, daß eine solche Veränderung nicht glatt durchgehen würde. Die Kapitalisten werden sich zur Wehr setzen, das haben sie schon gezeigt. Simbabwe beispielsweise hat keine eigene Währung mehr, die Wirtschaft dort wurde dezimiert. Deshalb leben sehr viele Bürger aus Simbabwe bei uns in Südafrika. Wir haben auch gesehen, wie die Kapitalisten gegen Kuba gekämpft haben und gegen Venezuela vorgehen. Wir wissen, daß sie sogar gegen andere kapitalistische Staaten wie Rußland kämpfen. Wir sehen, was in allen Teilen der Welt geschieht, und weil wir das alles zur Kenntnis nehmen, versuchen wir, die südafrikanische Straße zum Sozialismus aufzubauen. Wir nennen das eine nationale demokratische Revolution.

SB: Wenn ich richtig informiert bin, hat es in Ihrer Partei die Auffassung gegeben, aus der Regierung mit dem ANC und damit dem traditionellen Dreierbündnis des Antiapartheidskampfes auszusteigen, wegen ernsthafter Meinungsverschiedenheiten und den daraus resultierenden Konflikten. Wenn dem so ist, könnten Sie bitte die unterschiedlichen Standpunkte erläutern?

AMM: Es war so, aber inzwischen ist es nicht mehr so. Während dieser Auseinandersetzungen, also zwischen 1996 und 2007, gab es innerhalb unserer Partei den Vorschlag, daß die SACP bei den Wahlen selbst direkt auf dem Wahlzettel kandidieren müsse, um so die Probleme, denen wir gegenüberstehen, zu bewältigen. Eine andere Strömung in der Partei sagte: Nein, wir haben den ANC aufgebaut. Wir sind die Avantgarde-Partei. Der ANC ist eine Massenbewegung, doch wir sind die Avantgarde gegenüber den Massen! Hinzu kommt, daß der ANC nicht die einzige Massenbewegung ist, es gibt andere neben ihm. Wir kennen eine Vielzahl verschiedener anderer Gruppierungen, die wir alle Organisationen der massendemokratischen Bewegung nennen. Als Avantgarde können wir Massenorganisationen nicht abschaffen, denn das würde bedeuten, sie der Bourgeoisie zu überlassen, und das wäre der kürzeste Weg zum Ausverkauf der Revolution. Daher müssen wir kämpfen! Also ist die Schlußfolgerung aus all dem der Kampf.

SB: Wie würden Sie das aktuelle Verhältnis zwischen der SACP und dem ANC beschreiben?

AMM: Die Dinge haben sich inzwischen zum Besseren gewandelt. Aber natürlich gibt es immer noch Auseinandersetzungen wegen der gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme. Mitglieder der SACP sind selbst Bestandteil der öffentlichen ANC-Vertretung und des Staatsapparates. Sie sind in die Struktur des ANC integriert und als dessen Mitglieder an seine Politik gebunden. Aber sie sind und bleiben auch Kommunisten und damit professionelle Revolutionäre. Sie wollen die Geschicke der Gesellschaft lenken, weshalb sie sich genau in diese Schnittstellen der Macht begeben. All diese Fragen sind keineswegs endgültig entschieden. Der Staat selbst ist ein Schlüssel, ein Austragungsort dieses Kampfes. Also müssen sie den Kampf fortsetzen - auch dort drinnen.

Wir können den ANC nicht den Kapitalisten übergeben, das geht einfach nicht. Wir haben ihn aufgebaut, nicht sie. Es hat nie so etwas wie einen afrikanischen Kapitalisten gegeben, der den Befreiungskampf vorangetrieben hätte. Niemals. Als der ANC in den 1930er Jahren beinahe verschwunden war, waren es Anführer der Südafrikanischen Kommunistischen Partei wie Moses Kotane und J. B. Marks, die unter härtesten Bedingungen für ihn gekämpft haben. Sie starben im Exil und wurden in Moskau begraben, wir haben kürzlich erst ihre sterblichen Überreste zurückholen können. Sie haben ganz klar die Verbindung zwischen Nation und Klassenkampf gezogen, und, wenn man so will, den nationalen Gehalt des Klassenkampfes ebenso gesehen wie den Klassengehalt des nationalen Befreiungskampfes, um es einmal in den Worten eines unserer Führer, des früheren Parteivorsitzenden der Kommunistischen Partei, Joe Slovo, zu sagen.


A. Mashilo während des Interviews - Foto: © 2015 by Schattenblick

Sich nicht mit den Brosamen des Kapitalismus zufriedengeben - Südafrikas Straße zum Sozialismus
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Ich würde gern noch auf die Rolle Südafrikas in Afrika zu sprechen kommen. Es wird gesagt, Südafrika habe das Potential zu einer einflußreichen Regionalmacht, möglicherweise sogar mit der Option, mit den führenden westlichen Staaten in Konflikt zu treten, etwa den USA oder den EU-Staaten. Wie denken Sie darüber?

AMM: Südafrika könnte ein solches Potential haben, aber ich glaube nicht, daß unser Land daran interessiert ist. Natürlich ist es ein leistungsfähiges Land, aber der Kampf gegen die imperialistische Herrschaft wird in Südafrika direkt geführt. Seine Rolle in Afrika besteht darin, dafür zu sorgen, daß sich auf dem ganzen Kontinent eine anti-imperialistische Bewegung entwickelt von der Staatsebene bis hin zu den Menschen in den Massenorganisationen. Das ist die Rolle, die wir spielen. Und selbstverständlich hat das bereits stattgefunden. Wie Sie wissen, hat Südafrika während der westlichen Invasion in Libyen zum Zwecke eines Regierungswechsels diese Rolle eingenommen, hat interveniert und versucht, den Umsturz zu stoppen. Doch der Westen, mit all seinen Waffen und seiner Gier, die Kontrolle über das Öl zu erlangen, fabrizierte jede Art von Propaganda, um in Libyen einen Regierungswechsel herbeizuführen.

Und wo steht Libyen heute? Es gibt keinen Staat mehr, er ist kollabiert. Es ist ein anarchistisches Gebiet geworden, beherrscht von Drogen und Korruption. Das ist es, was der Westen auf unseren Kontinent bringt. Natürlich haben wir auch ernsthafte Probleme in der Elfenbeinküste. Der Westen unterstützte dort die Errichtung einer neuen Regierung. [4] Als politische Bewegung können wir aber nicht die Verantwortung an den Staat delegieren, also kann ich, um Ihre Frage zu beantworten, nicht für Südafrika sprechen. Die Rolle der politischen Bewegung in Südafrika ist klar: Wir müssen uns selbst entwickeln, um auf unserem Kontinent die Avantgarde gegen den Imperialismus zu sein.

SB: Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach heute noch der Einfluß oder Zugriff, je nachdem, der früheren europäischen Kolonialmächte auf die zumeist recht jungen Nationalstaaten Afrikas?

AMM: Frankreich zum Beispiel übt immer noch eine enorme Kontrolle über seine früheren Kolonien aus - auch nach ihrer Unabhängigkeit - und eignet sich ihre Bodenschätze und ihren Besitz an. So ist Frankreich, das macht die Grande Nation aus. Und mit Großbritannien ist es so: Es beutet die südafrikanische Wirtschaft aus durch ausländische Direktinvestitionen und ähnliches. Das funktioniert gemäß der Gesetze der Kapitalbewegungen. Es ist eine Tatsache, daß sehr wenig Geld in die südafrikanische Wirtschaft hineingelangt, aber sehr viel mehr unser Land verläßt. Das führt keineswegs zu ökonomischem Wachstum und kommt auch nicht einmal den Menschen in Großbritannien zugute, weil es in den staatlichen Fiskus fließen würde. Die Profite gehen ausschließlich an das britische Kapital. Das ist eine sehr schlechte Verteilung, dieses Verhältnis muß beendet werden.

SB: Lassen Sie uns einmal den Blick auf globale Fragen richten. Es gibt die BRICS-Staaten, also Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika, die sich zusammengeschlossen haben. Ist das ein Kontrapunkt gegen die Dominanz westlicher Staaten?

AMM: Das kann man so nicht sagen. Es ist eher eine Alternative. Erinnern Sie sich, was geschehen ist: Der Westen unter Vorherrschaft der USA benutzte die Möglichkeiten des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und des imperialistischen Privatkapitals, um überall auf dem afrikanischen Kontinent Diktaturen zu errichten. Demokratische Entwicklungen wären möglich gewesen, wenn sich diese Agenturen und das westliche Kapital eine solche Politik zu eigen gemacht hätten. Doch es war der Westen, der dem afrikanischen Kontinent die Diktaturen gebracht hat. Also brauchen wir eine Alternative. Wir müssen alternative Finanzinstitute aufbauen, um in Zahlungskrisen für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen und um Entwicklungsprojekte zu unterstützen, die auf den Weg gebracht werden, ohne die demokratischen Rechte und die Souveränität der Menschen, die Richtung ihrer Politik selbst zu bestimmen, aufzuheben. Das ist es, was wir tun müssen.

SB: Soweit ich weiß, hat es in Lateinamerika bereits Schritte gegeben, eine Süd-Süd-Kooperation aufzubauen unter Ausschluß der westlichen Staaten. Bestehen in dieser Hinsicht Verbindungen zwischen Südafrika und lateinamerikanischen Staaten?

AMM: Die gibt es vor allem zu Brasilien. Wir nehmen auf bilateraler Ebene Verbindungen zu Lateinamerika auf und entwickeln brüderliche und solidarische Beziehungen zu vielen Staaten. Und überall dort, wo wir auf dieselben Probleme stoßen, bauen wir eine gemeinsame Plattform auf, um sie zu lösen.


Die Genannten nebeneinander am Podiumstisch sitzend - Foto: © 2015 by Schattenblick

Session zu "Lehren aus alternativen Praktiken" mit Arno-Jermaine Laffin, Dimitrios Roussopoulos, Mustefa Ebdi, Necibe Qeredaxi, Anja Flach, Alex M. Mashilo und Joám Evans Pim (v.l.n.r.)
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Sie haben hier auf dem Kongreß "Die kapitalistische Moderne herausfordern II" am Beispiel von Südafrika über die Frage gesprochen, ob es in einem kapitalistischen Land eine fortschrittliche Politik geben könne. Welchen Eindruck haben Sie von dem Kongreß insgesamt gewonnen?

AMM: Auf dem Kongreß habe ich vom ersten bis zum letzten Tag zugehört. Selbstverständlich müssen die Ausgangspunkte der Auseinandersetzungen beachtet werden, die jeder von uns in seinem Herkunftsland durchzukämpfen hat. In den Herkunftsländern eine Einigkeit herzustellen und die Kämpfe auf nationalstaatlicher Ebene voranzubringen, wäre der eigentliche Ausgangspunkt. Und doch muß die Entwicklungslinie international sein, denn wenn nur ein demokratischer Durchbruch erreicht wird wie bei uns in Südafrika, bedeutet das noch nicht, daß die Menschen frei wären von imperialistischer Herrschaft.

Wir in Südafrika wissen das, wir erleben das jeden Tag. Der Imperialismus bestimmt unsere Wirtschaft, wir haben keine Kontrolle darüber. Er strebt danach zu bestimmen, welche Politik wir uns zu eigen machen sollen und welche nicht und setzt dafür eine Vielzahl von Mechanismen, einschließlich der sogenannten Rating-Agenturen, ein. Sie kommen schamlos daher und sagen: Übernehmen Sie diese Politik, wir werden Sie sonst herunterstufen. Sobald sie das tun, steigen die Kosten fürs Kapital. Es gibt also sehr viele Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen des internationalen Imperialismus, um unsere Länder zu beherrschen. Diesen Problemen steht kein einzelnes Land allein gegenüber, das geht vielen so.

SB: Was bedeutet das alles für die Außen- und Wirtschaftspolitik Südafrikas?

AMM: Wir müssen da gut abwägen. Wir dürfen uns nicht in die Regionalität zurückziehen und glauben, das würde unser Problem lösen. Das muß unser Ausgangspunkt sein. Dort draußen steht ein mächtiger Feind, der uns bezwingen will, selbst wenn wir zur Regierung legitimiert sind. Die kubanische Regierung zum Beispiel steht seit über 54 Jahren massiv unter Druck, nicht wegen innerer Schwierigkeiten, sondern wegen eines äußeren Feindes, den Vereinigten Staaten. Es ist derselbe Gegner, der jetzt sagt, Venezuela wäre eine Bedrohung und der bereits viele Regierungen zu Fall gebracht hat, so daß ein internationales Klima der Unterdrückung entstanden ist. Wir stehen mehr und mehr ein und demselben Feind gegenüber und brauchen eine gemeinsame Plattform, um uns von ihm unabhängig zu machen, um ihn zu besiegen und um schließlich auch ihn von seinem Problem zu befreien.

SB: Herr Mashilo, vielen Dank für dieses Gespräch.


Blick von oben auf das Audimax, A. Mashilo am Rednerpult stehend - Foto: © 2015 by Schattenblick

Applaus für Alex Mohubetswane Mashilo im Audimax der Universität Hamburg
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Siehe den 1. Teil im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
INTERVIEW/277: Kurdischer Aufbruch - überall derselbe Feind ...    Alex Mohubetswane Mashilo im Gespräch (1) (SB)

[2] Die Freiheitscharta ist das zentrale Dokument der im African National Congress (ANC, der heutigen Regierungspartei) organisierten Befreiungsbewegung Südafrikas. In ihr wurde 1955 für die wirtschaftspolitische Zukunft des Landes festgelegt, daß der Rohstoffreichtum unter der Erde, die Banken und die Monopolindustrie vollständig in den Besitz des Volkes übergeführt werden sollten. Handel und Industrie sollten kontrolliert werden und hätten dem Wohlergehen der Menschen zu dienen. Alle Südafrikaner, egal welcher Herkunft und Hautfarbe, könnten nur gemeinsam ein freies Südafrika aufbauen, was seinerzeit durchaus umstritten war, weil schwarze und panafrikanische Aktivisten die Auffassung vertraten, daß der Kampf gegen Unterdrückung nur Sache der Unterdrückten selbst sein könne. Am 26. Juni 1955 wurde die Freiheitscharta auf einem Volkskongreß von rund 3000 Anhängern einer neuen antirassistischen Gesellschaftsordnung in einem Township von Soweto, Johannisburg, als Leitdokument angenommen, bevor der Versammlung von der Polizei zerschlagen wurde.

[3] 2012 gab es in Südafrika eine große Streikbewegung, von der die Platin-, Diamanten-, Eisen-, Gold- und Chromminen erfaßt wurden. Die Bergarbeiter forderten das vom ANC 1994 versprochene bessere Leben, also verbesserte Arbeitsbedingungen, menschenwürdige Unterkünfte und höhere Löhne. Dazu muß man wissen, daß die Arbeit in den Bergwerken Südafrikas sehr riskant ist, zwischen 1984 und 2005 kamen über 11.000 Minenarbeiter ums Leben. 2012 eskalierten an vielen Orten die Streiks und Kämpfe, so beispielsweise in der Lonmin-Platinmine Marikana, wo die Polizei mit Schußwaffen gegen die Streikenden vorging und 46 Menschen getötet wurden.

Das rief Erinnerungen wach an die Zeit der Apartheid, an das Sharpeville-Massaker von 1960 oder die Ermordung schwarzer Schulkinder 1976 in Soweto. Der ANC spielte dem Vernehmen nach eine zwiespältige Rolle. In einigen Regionen konnten durch Verhandlungen der Regierung Kompromißlösungen zwischen den Streikenden und den Unternehmen gefunden werden. Ging der Staatsapparat jedoch massiv gegen die Arbeiter vor, wurde der Vorwurf laut, die Regierung schütze die Interessen der Besitzenden. Viele Streiks galten als "wild", weil die Streikenden aus Enttäuschung nicht nur über den ANC, sondern auch über die SACP und den Gewerkschaftsdachverband COSATU, also die Dreierallianz der Antiapartheidskampfes, dazu übergingen, die Organisation der Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen.

[4] Der frühere Präsident der Côte d'Ivoire Laurent Gbagbo hatte nach seinem Sturz im Frühjahr 2011 seine Anhänger aufgerufen, die Waffen niederzulegen. Nach zahlreichen Rachemorden und Übergriffen gegen seine Gefolgsleute verlangte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den neuen, von den USA und der EU favorisierten Staatschef Alassane Quattara auf, ein weiteres Blutbad zu verhindern. Die USA wie auch die EU versprachen, dem Land beim Wiederaufbau nach den langen Jahren des Bürgerkriegs zu helfen.


Bisherige Beiträge zur Konferenz "Die Kapitalistische Moderne herausfordern II" in Hamburg im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/190: Kurdischer Aufbruch - fortschrittlicher Beginn (SB)
BERICHT/192: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (1) (SB)
BERICHT/193: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (2) (SB)
BERICHT/194: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (3) (SB)
BERICHT/195: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (4) (SB)
BERICHT/197: Kurdischer Aufbruch - in demokratischer Urtradition ... (SB)
BERICHT/198: Kurdischer Aufbruch - Konföderalismus sticht Kulturchauvinismus ... (SB)
BERICHT/202: Kurdischer Aufbruch - Widerstand, Gegenangriff, Revolution ... (1) (SB)
BERICHT/206: Kurdischer Aufbruch - Widerstand, Gegenangriff, Revolution ... (2) (SB)
BERICHT/208: Kurdischer Aufbruch - internationalistischer Gegenentwurf ... (SB)
BERICHT/209: Kurdischer Aufbruch - Das Spinnrad ist zum Spinnen da, die Hand jedoch zum Kämpfen ... (SB)
INTERVIEW/250: Kurdischer Aufbruch - demokratische Souveränität und westliche Zwänge ...    Dêrsim Dagdeviren im Gespräch (SB)
INTERVIEW/251: Kurdischer Aufbruch - der Feind meines Feindes ...    Norman Paech im Gespräch (SB)
INTERVIEW/254: Kurdischer Aufbruch - Volksbefreiung, Selbstbefreiung ...    Asya Abdullah im Gespräch (SB)
INTERVIEW/255: Kurdischer Aufbruch - und also Öcalan ...    Mustefa Ebdi im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/263: Kurdischer Aufbruch - die Klassen wandeln sich ...    David Harvey im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/266: Kurdischer Aufbruch - versklavt, erzogen und gebrochen ...    Radha D'Souza im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/277: Kurdischer Aufbruch - überall derselbe Feind ...    Alex Mohubetswane Mashilo im Gespräch (1) (SB)

4. September 2015


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