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INTERVIEW/324: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - Regulation unvermeidlich    ... Jens Martens im Gespräch (SB)


Der Treaty-Prozess bei den Vereinten Nationen

Brauchen wir ein internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte? - Veranstaltung am 27. September 2016 in Berlin

Jens Martens über gleiches Recht für alle, Lieferkettentransparenz und eine einzige Sonderwirtschaftszone


Weltweit existieren schätzungsweise noch 100 sogenannte unkontaktierte Völker. Sie pflegen von sich aus keinen Kontakt zur Hauptgesellschaft des Landes, in dem sie leben - und sie arbeiten nicht. Darüber hinaus gibt es unzählige Lebensgemeinschaften, Sippen und Stämme, die sich ebenfalls weitgehend vom gesellschaftlichen Leben fernhalten. Auch sie arbeiten nicht. Wenn diese Menschen Hütten bauen, Feuerholz sammeln, sich Nahrung beschaffen, kranke, verletzte, alte oder auch gerade zur Welt gekommene Artgenossen versorgen oder Kinder erziehen, dann arbeiten sie nicht. Sie tun das, was sie tun, kämen aber im Leben nicht darauf, das als Arbeit zu bezeichnen. Womöglich haben sie in ihrer Sprache nicht einmal einen Begriff davon, und wahrscheinlich rechnen sie ihre unterschiedlichen Tätigkeiten auch nicht gegeneinander auf.

Erst im Zuge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung entsteht Arbeit im Sinne des heute üblichen Ausdrucks eines Austausch- bzw. Lohnverhältnisses. Und auch erst im Zuge dieser offenkundigen Entfremdung des Menschen von der ursprünglichen Tätigkeit entstehen Rechte, die diese entfremdete Arbeit begleiten, abstützen und in geordneten Bahnen halten. Wobei das Grundverhältnis unhinterfragt bleibt: Ein Mensch trägt seine Arbeitskraft zu Markte und produziert einen Mehrwert, den sich derjenige, der die Arbeit nicht selber verrichtet, sondern verteilt, als Profit zu Nutze machen kann. Wenn in einem solchen Zusammenhang die Forderung an jene Profiteure erhoben wird, sie sollten bestimmte Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards einhalten, dann könnten damit Arbeit und ihre Auswirkungen auf die Umwelt zweifellos erträglicher gemacht werden, aber immer unter der Voraussetzung jener ursprünglichen Entfremdung.

Nun soll hier nicht das Rad der Geschichte zurückgedreht und gewiß kein Plädoyer für eine Welt gehalten werden, in der sieben Milliarden Menschen in Laubhütten und ähnlich unkomplizierten, garantiert WLAN-freien Behausungen leben. Doch ebensowenig soll hier in den Konsens derjenigen eingestimmt werden, die entweder nicht einmal mehr einen Begriff von entfremdeter Arbeit haben, diese gutheißen oder ihren Fatalismus zum Realismus verklären und alternative Entwicklungswege von vornherein verwerfen.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jens Martens, Geschäftsführer GPF - Global Policy Forum
Foto: © 2016 by Schattenblick

Wenn nun der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Juni 2014 eine Arbeitsgruppe mit der Zielsetzung einberuft, ein rechtsverbindliches Instrument zu entwickeln, "mit dessen Hilfe transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen wirksamer für Menschenrechtsvergehen zur Verantwortung gezogen werden können", so die Organisation GPF - Global Policy Forum [1], dann wird bei diesem Ansatz die heutige Vorstellung von Arbeit vorausgesetzt und als gegeben akzeptiert. Das gleiche gilt auch für die Veranstaltung "Der Treaty-Prozess bei den Vereinten Nationen - Brauchen wir ein internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte?", zu dem Brot für die Welt, CorA-Netzwerk, Fian International, Global Policy Forum, Misereor und Rosa-Luxemburg-Stiftung am 27. September 2016 nach Berlin geladen hatten.

Nach einer Einführung durch Jens Martens, Geschäftsführer des Global Policy Forum, und einem Vortrag von Caroline Ntaopane, Mining Extractive Programme Officer bei ActionAid Südafrika, zur "Beteiligung deutscher Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen in südafrikanischen Kohlekraftwerken", moderierte Ferdinand Muggenthaler, Referent Amerika der Rosa-Luxemburg-Stiftung, eine Podiumsdiskussion mit Dr. Bärbel Kofler, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Dr. Johannes Merck, Direktor Corporate Responsibility der Otto Group, und Dr. Julia Duchrow, Referatsleiterin Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt, rund um die Frage, ob ein UN-Vertrag zu Menschenrechtsfragen gebraucht wird. (Näheres zu der Diskussion im SB-Bericht unter http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0245.html)

Im Anschluß an die Veranstaltung beantwortete GPF-Geschäftsführer Jens Martens dem Schattenblick noch einige Fragen zum Thema:

Schattenblick (SB): Durch die von der EU geplanten Freihandelsabkommen CETA mit Kanada und TTIP mit den USA würden die Unternehmen voraussichtlich mehr Befugnisse zu Lasten der Staaten und ihrer Bevölkerungen erhalten. Wenn schon freiwillige Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechtsstandards nicht gegriffen haben, würde es nicht unter solchen Voraussetzungen künftig noch schwieriger, solche Standards erfolgreich einzufordern?

Jens Martens (JM): Das ist der Grund, warum wir sagen, daß freiwillige Verpflichtungen allein nicht reichen und sie außerdem denen in der Wirtschaft schaden, die eigentlich auf dem richtigen Weg sind. Weil die schwarzen Schafe ihren Schnitt machen und davon profitieren, daß sie bestimmte Standards nicht erfüllen, fordern wir verbindliche Pflichten für alle Unternehmen auf internationaler Ebene, Menschenrechte einzuhalten.

Wie man das verankert, also ob es ein Abkommen auf globaler Ebene in Form eines UN Treaty gibt oder ob die Bestimmungen in bestehende Verträge und Vereinbarungen aufgenommen werden, halte ich für eine zweitrangige Frage. Erstmal geht es darum, daß man gleiche - und da argumentiere ich ökonomisch - Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen schafft und sie die gleichen, hohen menschenrechtlichen Standards einhalten.

SB: Sollten jene Freihandelsabkommen verabschiedet werden, rechnen Sie damit, daß das dann Einfluß auf die Menschenrechtsstandards haben wird?

JM: Die derzeit verhandelten Abkommen TTIP und CETA würden es Unternehmen auf jeden Fall erleichtern, höhere Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards als Eingriff in ihre zukünftigen Profitmöglichkeiten anzusehen und entsprechend im Rahmen von Streitschlichtungsverfahren dagegen zu klagen. Aus unserer Sicht besteht die große Gefahr nicht darin, daß bestehende Standards abgesenkt werden könnten, sondern daß eine dringend notwendige Erhöhung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards unmöglich gemacht wird.

Weil die Regierungen wissen, daß sie auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagt werden können, hätten sie schon die Schere im Kopf und würden sich kein Stück in Richtung einer Forderung nach Einhaltung von Menschenrechtsstandards für Konzerne bewegen. Das ist eine große Gefahr und deswegen sagen wir, daß diese Streitschlichtungsverfahren im Rahmen des Investorenschutzes abgeschafft gehören.

Die sind allerdings schon in zahlreichen bestehenden Abkommen verankert. Länder wie Ecuador haben bereits Schritte zur Aufkündigung dieser Abkommen eingeleitet. Das ist schwierig genug und hat zum Teil eine Nachlaufzeit von 20, 30 Jahren. Deswegen muß man sich um so mehr jetzt Gedanken darüber machen, was das für Konsequenzen für die Zukunft hat, wenn man so ein neues Abkommen verabschieden will.

SB: Am unteren Ende der globalen Produktionskette vergeben Unternehmen Aufträge an Subunternehmen, bei denen die Arbeitsbedingungen manchmal undurchsichtig sind. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie man das unterbinden könnte? Könnte ein UN Treaty das leisten?

JM: Nicht unbedingt. Man darf jetzt nicht glauben, daß alle Probleme der Welt auf der globalen Ebene gelöst werden könnten. Mit einem globalen Vertrag kann ein Rahmen gesetzt werden, der gerade transnationale Unternehmen stärker in die Pflicht nimmt und sie dazu bringt, sich Gedanken darüber zu machen und zu berichten, wie die Bedingungen entlang der Lieferkette sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß in einigen Fällen, wo es zu gesetzlichen Regelungen kam, diese durchaus schon zu Erfolgen geführt haben.

Zum Beispiel gibt es in den USA den sogenannten Dodd-Frank Act. Das Gesetz sieht unter anderem vor, daß Unternehmen in ihren Produkten keine Rohstoffe aus sogenannten Konfliktregionen verbauen dürfen. Dagegen sind die Unternehmen erstmal Sturm gelaufen. Aber nachdem es das Gesetz gab, haben sie sich daran gehalten, und plötzlich konnten sie auch nachweisen, wo die Rohstoffe entlang der Lieferkette herkamen. Unternehmen haben uns bestätigt, daß sie, wenn die Keule der gesetzlichen Regelung über ihnen schwingt, durchaus in der Lage sind, entlang der Lieferkette die verwendeten Produkte nachzuvollziehen. Das war in ihrem eigenen Profitinteresse, weil sie sonst nicht hätten produzieren dürfen.

Das gilt übrigens auch für die Automobilindustrie und die Frage, was eigentlich in einem deutschen Auto an Rohstoffen steckt, wo diese herkommen und unter welchen Bedingungen sie produziert werden. Im Rahmen der Europäischen Union sind die Automobilhersteller schon heute aufgrund der Recyclingrichtlinien verpflichtet, die Quellen der Erze in ihren Autos nachzuweisen. So neu sind die Forderungen gar nicht, man muß gar nicht viel mehr machen, sondern eigentlich nur das nutzen, was es zum Großteil intern sowieso schon gibt.

SB: Die globale Produktionskette beginnt manchmal bei Subunternehmen, die wiederum ihre Aufträge an Frauen vergeben, die in ihrer Lehmhütte sitzen und Kleidung nähen. Was würde mit ihnen passieren, wenn sich die ethischen Standards durchsetzen? Muß man damit rechnen, daß sie dann arbeitslos werden, oder haben sie die Chance auf eine Anstellung, bei der sie besser entlohnt werden?

JM: Das hängt natürlich von den jeweiligen Situationen auf nationaler Ebene ab. Aber es ist ja nicht so, daß allein nur höhere Standards ohne irgendwelche flankierenden Maßnahmen durchgepaukt werden. Solche Diskussionen werden auch im ökologischen Bereich und im Bereich der Umsetzung der Konventionen der internationalen Arbeitsorganisationen geführt.

Wir sagen, wenn sich Länder des Südens verpflichten, höhere ökologische Standards einzuhalten und diese Einhaltung mit höheren Kosten verbunden ist, dann sind die reichen Länder im Sinne der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten in der Pflicht, solidarisch zu sein und unterstützend tätig zu werden. Menschen, die derzeit in prekären Situationen leben und nicht aus der eigenen, nationalen Umgebung heraus über ein ausreichendes Einkommen verfügen, sollen darin unterstützt werden, daß sie solche prekären Situationen zurücklassen. Das hat nichts mit Charity zu tun, sondern das hat wirklich was damit zu tun, daß Menschenrechte weltweit verwirklicht werden und auch unsere Regierung eine extraterritoriale Verpflichtung hat, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in anderen Ländern umzusetzen. Es gibt ein Recht auf Unterstützung und Solidarität, das im WSK-Pakt [2] verankert ist.

SB: Was halten Sie von der Idee von Georg Barfuß, Professor an der TH Ingolstadt, spezielle Sonderwirtschaftszonen einzurichten, in denen die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards von Außenstehenden überprüft werden kann [3]?

JM: (lacht) Ich habe vor einigen Jahren eine Studie über Sonderwirtschaftszonen geschrieben. Es gibt ja rund 3500 Exportförderzonen. Die entsprechenden Länder werben geradezu damit, daß bei ihnen bestimmte Standards nicht eingehalten werden und daß es zum Beispiel gewerkschaftsfreie Zonen sind. Insofern finde ich, eine Zone zu schaffen, in denen diese Standards eingehalten werden, durchaus richtig, aber diese "Zone" sollte eigentlich die ganze Welt sein! Aus meiner Sicht könnte die gesamte Erde zu einer Sonderwirtschaftszone gemacht werden, in der die Umwelt-, Menschenrechts- und Sozialstandards auf hohem Niveau umgesetzt sind.

SB: Vielen Dank, Herr Martens, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] https://www.globalpolicy.org/home/270-general/52866-diskussionsveranstaltung-qder-treaty-prozess-bei-den-vereinten-nationenq.html

[2] WSK-Pakt: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

[3] http://www.deutschlandfunk.de/aktionsplan-wirtschaft-und-menschenrechte-eine.724.de.html?dram:article_id=349486

12. Oktober 2016


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